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Europas Solarindustrie droht trotz Klimawende das Aus

Die europäische Solarindustrie steht wie vor rund einem Jahrzehnt erneut am Abgrund. Die massive Konkurrenz aus China könnte auch die letzten überlebenden Produzenten vertreiben und die Hoffnung auf eine größere Energieunabhängigkeit Europas endgültig zunichte machen.

© Guido / stock.adobe.com

Das Erstaunliche: Im vergangenen Jahr wurden in der Europäischen Union mehr Solarmodule installiert als je zuvor - das ist eigentlich ein Segen für die europäischen Klimaziele. Ermöglicht haben das jedoch zum größten Teil die Einfuhren aus China, wodurch die Gewinne der einheimischen Hersteller einbrachen, wie Bloomberg News berichtet. Obwohl die Politik allerorten eine größere Unabhängigkeit im Energiesektor fordert, inklusive heimischer Produktion, hat sie die kränkelnde Industrie nur zögerlich gestützt.

Meyer Burger eventuell vor dem Aus - zumindest in Deutschland
Der jüngste Rückschlag wurde letzte Woche publik, als der Schweizer Modulhersteller Meyer Burger mitteilte, dass er möglicherweise seinen Produktionsstandort im sächsischen Freiberg - einen der größten in Europa - schließen und Investitionen in die USA verlagern werde. Vorbehaltlich einer endgültigen Entscheidung im nächsten Monat könnte die Schließung des Standorts bereits im April erfolgen, wovon rund 500 Angestellte betroffen wären.

Europäische Solarinstallationen verzeichnen Rekordwachstum
Jährlicher Photovoltaik-Zubau in der EU-27 in Gigawatt

Im globalen Wettbewerb können deutsche Solarproduzenten nicht bestehen
Die Solarenergie stand in den letzten Jahren aufgrund der drastisch gesunkenen Kosten an der Spitze des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Europa. Dieser Trend ging jedoch auf Kosten der europäischen Hersteller von Solarmodulen, die es nicht geschafft haben, ihre Lieferketten so weit auszubauen, dass sie im globalen Wettbewerb bestehen können. Zwar wollen die Regierungen die Energiewende vorantreiben, aber es fehlt teils auch an Mitteln, um den heimischen Herstellern unter die Arme zu greifen.

USA als Spielverderber fördern chinesische Modulschwemme in Europa
Ein 2022 von den USA verhängtes Verbot für Paneele mit Komponenten aus der chinesischen Uiguren-Region Xinjiang hat die Lage noch erschwert. Dieses Verbot sollte Produkte aus Zwangsarbeit ausschließen, sorgte im Ergebnis aber für eine Überschwemmung des europäischen Marktes. Das Marktforschungsunternehmen Rystad Energy schätzte im Juli 2023 laut einem Bericht von Bloomberg, dass sich in europäischen Lagern chinesische Module im Wert von rund sieben Milliarden Euro stapelten, die zusammen etwa so viel Strom erzeugen können wie alle Anlagen, die 2022 in der EU installiert wurden.

Dumping-Vorwürfe erhoben
Meyer-Burger-Konzernchef Gunter Erfurt bezeichnete die Entwicklung als “Dumping”. Laut BloombergNEF haben sich die Preise für Solarmodule weltweit auf 0,12 Dollar pro Watt im Jahr 2023 halbiert - etwa ein Drittel der Produktionskosten von Meyer Burger. Selbst führende chinesische Solarhersteller haben Schwierigkeiten, ihre Profitabilität aufrechtzuerhalten.

Wer noch aller in Europa unter der Modul-Schwemme leidet
Im September kündigte das norwegische Unternehmen Norsun, das Blöcke und Wafer für die Solarzellenproduktion herstellt, einen vorübergehenden Produktionsstopp und Entlassungen an. Der deutsche Modulhersteller Solarwatt entließ im November zehn Prozent seiner Belegschaft, die er ursprünglich ausbauen wollte. Das finnische Solarunternehmen Valoe stellte im Dezember einen Antrag auf Umschuldung, um die Insolvenz zu vermeiden. Der österreichische PV-Hersteller Energetica Industries eröffnete im selben Monat das Insolvenzverfahren. “Die europäische und deutsche Solarindustrie gerät gerade auf ganzer Front unter die Räder”, sagte Detlef Neuhaus, CEO von Solarwatt, gegenüber Bloomberg.

EU-Ziele werden wohl deutlich verfehlt
Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 40 Prozent ihres Bedarfs an klimafreundlicheren Technologien im Inland zu produzieren. Dieses Ziel wurde nicht zuletzt durch die Lehren aus der Energiekrise nach Russlands Einmarsch in der Ukraine geprägt. Derzeit decken heimische Anbieter jedoch weniger als zwei Prozent der europäischen Solarnachfrage, so der Wirtschaftsverband SolarPower Europe, und etwa 90 Prozent der Komponenten kommen aus China. Einige Hersteller wie Meyer Burger erwägen Investitionen in den USA, nachdem Präsident Joe Biden mit seinem Inflationsbekämpfungsgesetz Steuersenkungen und Anreize für Endverbraucher geschaffen hat.

Europäisches Déjà-vu
Die Situation ist eine traurige Erinnerung an die Ereignisse, die der europäischen Photovoltaikindustrie vor etwa einem Jahrzehnt geschadet haben. Damals verhängte die EU Einfuhrzölle auf chinesische Solarmodule, nachdem das asiatische Land seine Industriepolitik forciert hatte, was zu einem steilen Rückgang der Solarinstallationen in Europa führte. Zahlreiche Unternehmen schlossen ihre Solarfabriken, darunter in Deutschland zum Beispiel Bosch, Conergy, Q-Cells, Solibro, Sovello, Solarworld - 100.000 Jobs waren weg. “Heute ist es genauso dramatisch wie damals”, sagt Neuhaus von Solarwatt.

Mehr Beihilfen gefordert
Wirtschaftsverbände drängen darauf, die Beihilfen für die Industrie zu erhöhen und gleichzeitig Zölle oder Einfuhrverbote zu vermeiden. Das Net-Zero-Industriegesetz der EU-Kommission, das noch nicht abgeschlossen ist, soll Kriterien für Auktionen für erneuerbare Energien festlegen, die Cybersicherheit, Nachhaltigkeit und Lieferfähigkeit berücksichtigen - etwas, das inländische Windkraft- und Solarhersteller begünstigen dürfte.

In Deutschland debattiert die Bundesregierung darüber, den Erzeugern einen “Resilienz-Bonus” zu gewähren, der die Betriebskostenunterschiede zu ihren ausländischen Konkurrenten ausgleichen kann. Die Ampelkoalitionäre sind jedoch noch uneins über diese Maßnahme, da sie ein Haushaltsloch von 17 Milliarden Euro zu stopfen haben.

Teil der kritischen Infrastruktur
“Erneuerbare Energien sind Teil der kritischen Infrastruktur, und wir sollten uns nicht zu sehr von anderen Ländern abhängig machen - vor allem nicht in der derzeitigen angespannten globalen Situation”, sagte Claudia Kemfert vom DIW-Institut in Berlin. (kb)

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