Washington-Insiderin: Im Zeitalter der "Intentionalen Unsicherheit"
Die Obama-, und Biden-Beraterin, Heidi Crebo-Rediker, die in Washington seit Jahrzehnten an den Schnittstellen zwischen Politik, Wirtschaft und Märkten wirkt, geht davon aus, dass die scheinbar verwirrte Art, in der das System Trump kommuniziert, einem strategischen Kalkül folgt.
Heidi Crebo-Rediker sprach in ihrer Keynote am ersten Tag des 16. Institutional Money Kongresses 2025 Klartext und warf einen ernüchternden Blick auf die handelspolitischen und geopolitischen Absichten der aktuellen US-Regierung. Der Zeitpunkt konnte passender nicht sein – denn am Tag vor der angekündigten Handelspolitik-Neuausrichtung – vulgo „Liberation Day“ – war die Nervosität bei vielen Marktteilnehmern greifbar.
Crebo-Rediker, ehemalige Chefökonomin des US-Außenministeriums unter Barack Obama, berät heute als Senior Fellow beim Council on Foreign Relations sowie als Strategic Advisor bei einem amerikanischen Tech-Venture-Fonds. In ihrer Karriere beriet sie unter anderem Joe Biden bei dessen wirtschaftspolitischen Agenden und gilt als versierte Kennerin der Schnittstellen zwischen Märkten, Geopolitik und Regulierung.
Beabsichtigte Konfusion
Ihr zentrales Argument: Die neue Trump-Administration verfolgt eine Strategie der „Intentionalen Unsicherheit“. Das betrifft nicht nur die Handelsbeziehungen, sondern die gesamte geopolitische Architektur. Die nächsten vier Jahre würden laut Crebo-Rediker nicht von kurzfristigen Ausrutschern geprägt sein, sondern von einer systematischen Abkehr von bewährten internationalen Ordnungen – wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch. Dazu gehört auch die Einführung flächendeckender Reziproktarife: Selbst Trump-nahe Berater widersprechen sich öffentlich bei Details, was das Maß an Planbarkeit weiter senkt. Für Unternehmen bedeutet das: Investitionsentscheidungen, Lieferkettenstrategien und Standortfragen müssen unter völlig neuen Vorzeichen getroffen werden.
Crebo-Rediker erinnerte daran, dass diese Unsicherheiten politisch gewollt seien – ein Mittel zur Machtausübung. „Flood the zone“, nannte sie das Prinzip: Überforderung durch permanente Kurswechsel und Ankündigungen, um Gegenspieler, Presse und sogar das eigene Kabinett im Unklaren zu lassen. Das mache strategisches Handeln auf Seiten der Wirtschaft extrem schwer.
Besonders betroffen: die transatlantischen Beziehungen. Die NATO sieht Trump nicht als sicherheitspolitisches Bündnis, sondern als Kostenfaktor. Auch traditionelle Partner wie Kanada, Mexiko oder die EU werden offen mit Zöllen und Strafmaßnahmen belegt – oft unter Verweis auf „nationale Sicherheit“. Dass darunter auch Exporte von Aluminium oder pharmazeutischen Produkten fallen, zeige die politische Sprengkraft der neuen Linie.
Anfälliger als vermutet
Crebo-Rediker geht weiters davon aus, dass die US-amerikanische Resilienz überschätzt wird. Der US-Zoll könne die anstehenden Änderungen schlicht nicht bewältigen. Allein die Umsetzung der Reziproktarife würde 2,6 Millionen individuelle Zolltarifnummern erfordern – „ein logistischer Albtraum“. Gleichzeitig wies sie auf die strategischen Blindstellen hin: Die USA fokussieren fast ausschließlich auf Industriegüter, obwohl die eigene Wirtschaft zu über 70?Prozent dienstleistungsbasiert ist. Und während Trump auf Rückverlagerung von Produktion setzt, bleibt der Dienstleistungssektor anfällig für Vergeltungsmaßnahmen, etwa durch die EU – insbesondere in Bereichen wie IP, Consulting oder Finanzdienstleistungen.
Im Zentrum: Peking
China, so Crebo-Rediker, bleibe der zentrale geopolitische Rivale. Und auch hier fehle eine kohärente Strategie: Während einige Trump-Berater auf Eskalation setzen, versuche der Präsident offenbar, Russland aus der Allianz mit Peking zu lösen – ein diplomatischer Kraftakt mit ungewissem Ausgang.
Abschließend wies Crebo-Rediker auf die innenpolitischen Spannungen in den USA hin: Die institutionellen Checks and Balances seien unter Druck, das Justizsystem werde offen angegriffen, politische Gegner stünden im Visier der Exekutive. Für internationale Partner bedeute das: Die USA seien zunehmend unberechenbar – nicht nur in ihrer Außenpolitik, sondern auch im eigenen politischen Gefüge.
Ihr Fazit: „Wer auf Stabilität und Berechenbarkeit setzt, wird in den nächsten Jahren enttäuscht werden. Die Herausforderungen sind real, systemisch – und gewollt.“ (hw)