Tungsten: "Das stärkste Argument für KI ist die geringe Korrelation"
Weltweite Auswertungen legen nahe: Die Mehrheit KI-gestützter Anlagestrategien kommt nicht aus den USA, sondern aus Europa, auf das mehr als die Hälfte solcher Ansätze entfällt. Deutschland sei dabei ein wichtiger Treiber, erklären Pablo Hess und Michael Günther von Tungsten Trycon im Interview.
Das Angebot für Themenanlagen zum Megatrend KI wächst ohne Frage. Kleiner Wermutstropfen: Das Thema hat den Ruf, je nach Ansatz oft prozyklisch zu sein. Wie aber entwickelt sich eigentlich der Markt für Portfolios, die tatsächlich von einer künstlichen Intelligenz gesteuert werden? Wir wollten mehr wissen und haben mit den KI-Entwicklern und Portfoliomanagern Pablo Hess und Michael Günther von Tungsten Trycon gesprochen, die für den Frankfurter Asset Manager Tungsten Capital seit kurzem eine dynamische Variante des etablierten Trycon-KI-Fonds aufgelegt haben.
Herr Hess, Herr Günther, als wir uns zu Beginn der Corona-Pandemie unterhielten, ging es darum, inwieweit KI-Strategien auch fallende Börsen verwerten können. Nun haben wir ein gänzlich anderes Umfeld. Wie hat sich der Markt entwickelt und wie reagieren Sie darauf?
Michael Günther: Sie finden mittlerweile drei bis vier Stoßrichtungen für KI in der Fondsanlage: Erstens thematische Investments in Hersteller und Anwender von KI. Zweitens KI zur Effizienzsteigerung, also etwa in der Fondsadministration. Und drittens den Einsatz im Anlageprozess, der von eher unterstützenden Modellen, wir nennen dies "Assisted KI", bis hin zur Allokation und Fondssteuerung reicht.
Ihr Bereich ist die KI-basierte Anlagestrategie, bei der maschinellem Lernen und Deep Learning eine erhebliche Bedeutung zukommt. Was gab den Anlass, nun einen dynamisch-offensiven KI-Fonds aufzulegen?
Pablo Hess: Das ist als bedarfsgerechte Lösung zu verstehen in Reaktion auf die Nachfrage, die wir von Anlegerseite erhielten. Investoren sagten uns: Wir benötigen einen Baustein, mit dem wir unsere Core-Investments aus Aktien und Anleihen diversifizieren können. Zum Schutz und gleichsam für zusätzliche, alternative Rendite. Für ein Mehr an Alpha sind sie bereit, etwas mehr Volatilität gegenüber der Strategie des bereits seit 2013 eingesetzten, defensiver ausgerichteten KI-Publikumsfonds in Kauf zu nehmen.
Aber warum sollte man diese Streuung ausgerechnet über ein KI-Investment beziehen?
Michael Günther: Die Vorteile, die Anbieter aus der Leistungsfähigkeit von KI ziehen möchten, können sehr unterschiedlich sein. Die geringe Korrelation zu anderen Anlagestrategien ist aus unserer Sicht jedoch das stärkste Argument. Das liegt daran, dass sich einzelne Titel und Handelsgelegenheiten sowie ganze Portfoliozusammensetzungen durch unterschiedliche Researchparameter von traditionellen Managern unterscheiden.
Haben Sie Zahlen?
Michael Günther: Nehmen Sie einen institutionellen Investor oder einen Dachfondsmanager. Dieser wir Ihnen sagen: Allein über Long-Positionen in Aktien und Anleihen habe ich ein beschränktes Diversifikationspotenzial. Also macht er sich auf die Suche und muss feststellen, dass zur Streuung gedachte Mischportfolios sowie Anlageklassen wie Private Equity, europäische Immobilien und sogar Liquid Alternatives oftmals eine hohe Korrelation von 0,8 bis 0,9 zum STOXX Europe 600 beziehungsweise zum MSCI World aufweisen. Unsere Überzeugung: Das kann eine entsprechend zu diesem Zweck entwickelte KI-Beimischung besser.
Pablo Hess: Der Anspruch: Die KI-Strategie sollte, egal welches Aktien-/Anleihe-Portfolio Sie als Ausgang heranziehen, kraft ihrer Marktunabhängigkeit zu einer Verbesserung führen: bei der Sharpe Ratio, der Stabilisierung bei Drawdowns und der Reduktion von Volatilität. Die KI-Komponente ist mit traditionell-gängigen Anlageklassen wie Aktien (-0,01), deutschen Staatsanleihen (-0,14), Gold (-0,03) oder Rohstoffen (-0,11) praktisch nicht korreliert.
Zurück zum Markt: Trycon ist mit dem KI-Modell schon mehrere Jahre im Vertrieb. Lässt sich quantifizieren, wie viele Marktteilnehmer mittlerweile in eine ähnliche Richtung gehen?
Michael Günther: Trotz der skizzierten Heterogenität lässt sich der globale Markt ganz gut auswerten. Der Indexanbieter Next Gen Alpha mit Sitz in der Schweiz taxiert die weltweiten Assets under Management auf zwei bis drei Milliarden Euro. Das Universum umfasst je nach Ausschlusskriterien circa 40 bis 75 Strategien weltweit. Andere Auswertungen für den deutschsprachigen Raum legen nahe, dass hierzulande rund zwei Dutzend Anbieter ein Kapital von circa 500 Millionen Euro verwalten.
Pablo Hess: Interessant ist, dass mehr als die Hälfte der Strategien auf Europa entfällt und Deutschland ist ein wichtiger Treiber. Die Zahlen, die der Indexanbieter gehoben hat, deuten darauf hin, dass bislang knapp zwei Drittel der KI-Strategien aktienbasiert und reine Long Only-Ansätze sind.
Michael Günther: Hier unterscheiden wir uns von einem großen Teil der internationalen Anbieter, da wir mit unserem Long/Short-Modell ja gezielt Handelsgelegenheiten in verschiedenen Assetklassen ausschöpfen möchten. Wir sehen uns eher als eine Art Gegenpol zu passiven ETF-Anlagen. Ich denke, dass der Trend insgesamt mehr in diese Richtung gehen wird, da Investoren erwarten, nicht allein von Bullenmärkten nach oben oder bei schwächelnden Aktien- und Anleihemärkten nach unten gezogen zu werden.
Vielen Dank für das Gespräch. (hh)