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Leviathan: Mehr Sand im Getriebe

Dr. Agnieszka Gehringer und Dr. Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute befassen sich mit der staatlichen und überstaatlichen Bürokratie, dem wachsenden Staatsanteil am BIP und damit den eingeschränkten Freiheitsgraden der Wirtschaft in Europa. Damit sollte bald Schluss sein.

Dr. Thomas Mayer, bis zu seinem Ausscheiden zum Jahresende Chef des Flossbach von Storch Research Institue
Dr. Thomas Mayer, bis zu seinem Ausscheiden zum Jahresende Chef des Flossbach von Storch Research Institue© Cornelis Gollhardt

In der Europäischen Union betragen die Ausgaben des öffentlichen Sektors im Durchschnitt jährlich beinahe 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die großen EU-Länder spielen dabei die erste Geige: im Jahr 2023 betrug die Staatsquote in Frankreich 57 Prozent, in Italien 55 Prozent, in Deutschland 48 Prozent und in Spanien 46 Prozent, wie die folgende Grafik illustriert. Die Staatsausgaben sind über die Jahre stärker gewachsen als das BIP und liegen in der EU deutlich über dem Durchschnitt aller OECD-Länder.

Mehr öffentlich Bedienstete, weniger Produktivität
Zur Erfüllung der wachsenden Staatsaufgaben brauchen die EU-Staaten immer mehr Ressourcen. Folglich ist der Anteil der im öffentlichen Sektor Beschäftigten an der gesamten Beschäftigung von 22 Prozent im Jahr 1996 auf 24 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil des öffentlichen Sektors an der gesamten Bruttowertschöpfung gesunken. Dies deutet auf eine deutlich niedrigere Produktivität der Beschäftigten im öffentlichen Bereich hin.

Reallokation von Ressourcen aus produktiveren in weniger produktive Bereiche
Wie die nachstehende Grafik zeigt, ist die reale Bruttowertschöpfung je Beschäftigten im öffentlichen Bereich deutlich niedriger als in der Gesamtwirtschaft. Außerdem weitet sich der Abstand aus. Lag die (so gemessene) Produktivität des öffentlichen Bereichs in der EU im Jahr 1995 noch fünf Prozent unter der gesamtwirtschaftlichen Produktivität, betrug der Rückstand im Jahr 2022 schon 26 Prozent. Da die Produktivität im öffentlichen Bereich seit 2011 im Trend sinkt, dürfte sich der Abstand künftig ausweiten. Die Ausdehnung öffentlicher Aktivitäten führt also zu einer Reallokation von Ressourcen aus produktiveren in weniger produktive Bereiche und daher zu einer Dämpfung des gesamtwirtschaftlichen Produktivitätswachstums.

Rückkoppelungseffekte der staatlichen auf die privaten Aktivitäten
Zu den direkten Wirkungen einer Umschichtung von Ressourcen aus dem privaten in den staatlichen Bereich kommen Rückkoppelungseffekte der staatlichen auf die privaten Aktivitäten. Diese Rückkoppelungseffekte entstehen dadurch, dass der öffentliche Sektor dem privaten nicht nur Ressourcen entzieht, sondern die Effizienz des Einsatzes der Ressourcen im privaten Sektor verändert. Dabei können staatliche Aktivitäten die Effizienz im privaten Bereich steigern, indem sie zum Beispiel für Rechtssicherheit, die effektive Durchsetzung von Eigentumsrechten oder die Bereitstellung öffentlicher Güter sorgen. Dem unmittelbaren Produktivitätsverlust durch die Verlagerung von Ressourcen vom privaten in den öffentlichen Bereich stehen Effizienzgewinne im privaten Bereich gegenüber, die größer sein können als die unmittelbaren Verluste. Andererseits können staatliche Aktivitäten die Effizienz im privaten Bereich verringern, indem der öffentliche Bereich komplexe Vorschriften für den privaten Bereich zur Verfolgung politischer Ziele für Wirtschaft und Gesellschaft entwickelt und durchsetzt. Statt mit Öl zu schmieren, streut er auf diesem Weg Sand in das Getriebe der Privatwirtschaft.

Sand im Getriebe
Die Worldwide Governance Indicators der Weltbank zeigen in der Tendenz eine Verschlechterung der Staatsperformance in den 27 EU-Mitgliedsländern im Zeitraum 1996-2022. Dies bestätigt eine Clusteranalyse, die den Abstieg vieler Länder von höheren zu niedrigeren Performance-Gruppen zeigt:

Anzahl der EU-Rechtsakte, speziell der delegierten Rechtsakte, steigt
Für die Verschlechterung der Staatsperformance dürften neben länderspezifischen Faktoren auch EU-weite Entwicklungen eine wichtige Rolle gespielt haben. Die folgende Grafik zeigt eine seit 2010 steigende Tendenz der durch die verschiedene EU-Organe verabschiedeten Rechtsakte, die zu einem zunehmenden bürokratischen Aufwand in den Mitgliedstaaten führen. Auffällig dabei ist auch, dass von der Kommission zunehmend „delegierte Rechtsakte“ genutzt werden, mit denen Vorschriften in einem vereinfachten Verfahren erlassen werden können. Dadurch wird nicht nur der Anwendungsbereich von Gesetzen erweitert, sondern substanzielle und belastende neue Anforderungen ohne Schutzmechanismen wie beim Primärrecht (Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse des Europäischen Parlaments und des Rates) eingeführt.

Staat am Vormarsch: Er sollte aber schrumpfen, und das bald!
Vorangetrieben wurde der Vormarsch des Staates durch die Krisen der letzten zwei Jahrzehnte, die durch die Ausrufung des Ausnahmezustands den „Entscheiderstaat“ (nach Carl Schmitt) auf den Plan brachten. Doch der Entscheiderstaat kann nicht liefern, was er verspricht. Da die Produktivität des öffentlichen Sektors unter der des Privatsektors liegt, sinkt unmittelbar das Produktivitätswachstum der gesamten Wirtschaft. Darüber hinaus verringert eine wegen zunehmender Regulierungsdichte wuchernde Bürokratie die Produktivität des privaten Sektors. Folglich ist die Schrumpfung des öffentlichen Sektors eine notwendige Bedingung für die Steigerung des Produktivitätswachstums. "Am Ende dieses Prozesses muss die Rückkehr des liberalen Rechtsstaats und der liberalen Wirtschaftsordnung stehen, wenn Wohlstand, Demokratie und Freiheit gewahrt werden sollen", so die beiden Co-Autoren Agnieszka Gehringer und Thomas Mayer unisono. (kb)

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