Dr. Ernst Konrad: "KI hat Potential zur kreativen Zerstörung!“
Anwendungen auf Basis von künstlicher Intelligenz (KI) stoßen aktuell auf großes Interesse, wie DeepL und ChatGPT zeigen. Für Dr. Ernst Konrad, Lead Portfoliomanager bei Eyb & Wallwitz, ist das mehr als nur ein Hype. Er sieht das Entstehen eines Wachstumsmarkts mit guten Chancen für Herausforderer.
Seit November2022 erlebt künstliche Intelligenz einen neuen Boom. Ausgelöst wurde er zum einen durch das Kölner Start-up DeepL: Der Online-Übersetzungsdienst erzielte nach einer neuen Finanzierungsrunde erstmals eine Bewertung von über einer Milliarde Euro. Zum anderen veröffentlichte das amerikanische Unternehmen OpenAI seinen Textgenerator ChatGPT.
KI ist jedoch weit mehr als nur Texterstellung
Ob autonom fahrende Autos, Navigationsgeräte, Smart-Home-Lösungen, Gesichtserkennung oder Prozessoptimierung in der Produktion: Schon heute gibt es eine Reihe von weiteren konkreten Anwendungsfällen – der große Marktdurchbruch steht aber noch bevor. „Künstliche Intelligenz hat großes Potential für eine kreative Zerstörung im Schumpeterschen Sinne“, fasst Dr. Ernst Konrad die Aussichten zusammen. Konrad bezieht sich auf die Theorie der Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems des österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter: Dieser beschrieb im frühen 20. Jahrhundert innerwirtschaftliche Veränderungen, die auf dynamischen Unternehmern beruhten. „Diese Herausforderer setzen Innovationen durch, können Pioniergewinne erzielen und für höheres gesamtwirtschaftliches Wachstum und technischen Fortschritt sorgen.“ KI könne so eine Disruption auslösen.
Steigende Umsätze erwartet
2021 lag der weltweite Umsatz von künstlicher Intelligenz in den Anwendungsfeldern Hardware, Software und IT-Services bei mehr als 380 Milliarden US-Dollar. Für das kommende Jahr sehen Prognosen bereits einen Umsatz von mehr als 550 Milliarden US-Dollar vorher. Die Anzahl der Mergers and Acquisitions der letzten Jahre ist ein gutes Indiz für die wachsende Relevanz von KI: Zwischen 2010 und 2021 übernahm Apple 29 Start-ups. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Alphabet mit 15 und Microsoft mit 13 Übernahmen. Es überrascht somit nicht, dass Microsoft seine Zusammenarbeit mit OpenAI ausbaut und in den nächsten Jahren rund zehn Milliarden US-Dollar investieren will. „Das Engagement dieser Unternehmen verdeutlicht, dass der Markt noch am Anfang steht und gute Perspektiven bietet. Da noch nicht absehbar ist, welcher Newcomer sich durchsetzen wird, investieren die etablierten Unternehmen breit“, analysiert Konrad.
Neueinsteigern könne es gelingen, den Markt aufzubrechen
Doch wie erfolgversprechend ist eine schöpferische Zerstörung, wenn große Konzerne wie Apple junge Herausforderer schon früh „aufsaugen“? Konrad ist zuversichtlich: Neueinsteigern könne es durchaus gelingen, den Markt aufzubrechen. Ob die Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg als Einzelkämpfer oder im Verbund mit einem Etablierten größer ist, lasse sich pauschal nicht sagen. Konrad geht davon aus, dass sich der Markt weiter segmentieren wird: „Es gibt nicht die eine KI-Lösung für alle Anwendungsfälle. Das Spektrum wird sich auffächern und Raum für Nischenanbieter schaffen.“
Deutsche sehen Chancen, nutzen sie aber bisher wenig
Der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, Bitkom, hat im Sommer letzten Jahres die Haltung der Entrepreneure in Deutschland abgefragt. Ergebnis: Von den 606 befragten Unternehmen werteten damals 65 Prozent KI „eher“ oder „weit überwiegend“ als Chance. Im betrieblichen Alltag findet sie allerdings noch wenig Anwendung: Erst neun Prozent der Unternehmen setzen KI bereits ein, 25 Prozent gaben an, ihren Einsatz zu planen oder darüber zu diskutieren. Für 64 Prozent war KI nicht relevant. Die Befragung zeigt aber auch, dass Nachholbedarf besteht: 43 Prozent der Interviewten gaben an, ihr Unternehmen unter den Nachzüglern zu sehen. 42 Prozent äußerten sogar, den Anschluss bereits verpasst zu haben.
Verschlafen die Deutschen womöglich einen Trend?
Konrad sieht es gelassen und verweist auf Google. Als der Konzern 1998 seine Suchmaschine veröffentlichte, habe es eine Reihe weiterer Anbieter mit deutlich größerer Reichweite gegeben. Heute sei Google die unangefochtene Nummer eins. Entscheidend sei, so Konrad, dass die Betriebe realisierten, welches Potenzial KI habe und dass Automatisierung ein Trumpf sei. Dann könnten selbst Unternehmen, die heute zu den Nachzüglern gehörten, zu Marktführern werden.
Investitionsklima als Voraussetzung für den Durchbruch
Ausgebremst wird der Einsatz von KI in Deutschland durch die teils hohen Investitionskosten – aber nicht ausschließlich. Offene Fragen beim Urheberrechtsschutz und in der Haftung, eine unzureichende Infrastruktur und fehlendes Know-how bei den Angestellten verzögern ihren Durchbruch ebenfalls. Um hier keinen dauerhaften Wettbewerbsnachteil zu haben, müssen nach Ansicht Konrads die Rahmenbedingungen verbessert werden. Konkret bedeutet das, Gesetze so anzupassen, dass Rechtssicherheit entsteht. Großen Aufholbedarf gibt es hierzulande außerdem bei der Infrastruktur – hier muss eine flächendeckende Versorgung mit leistungsfähigem Internet gelingen. Gezielte Aus- und Weiterbildungsangebote vermitteln dringend benötigte Fachkenntnisse.
Einfacherer Eigenkapitalzugang vonnöten
Diese verhilft insbesondere jungen Unternehmen dazu, ihre Vision in die Tat umzusetzen. „Ein besseres Investitionsklima und die gezielte Förderung vor allem der Grundlagenforschung erleichtert Herausforderern den Aufstieg und bringt dem rückläufigen Industriewachstum neuen Schwung. Mehr Wachstum führt zu einem höheren Pro-Kopf-Einkommen und wirkt sich positiv auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung aus“, bilanziert Konrad. (kb)