Analyse: Erhöhen Zölle wirklich die Inflationsraten?
Bernhard Matthes von BKC Asset Management analysiert die kurz- und langfristigen Folgen von Zöllen auf die Preis- und Konjunkturentwicklung und kommt zu Ergebnissen, die wohl nicht jeder so erwarten wird.
Die Kapitalmärkte sortieren sich aktuell neu. Die Folgewirkungen des Zollinfernos auf Finanzmärkte und Realwirtschaft sind weitreichend. "Zölle und zu erwartende Gegenzölle könnten zu erheblichen Störungen des internationalen Warenverkehrs führen, den Freihandel deutlich ausbremsen und sich zu einer Wirtschaftskrise auswachsen. Die Rezessionsgefahr ist gestiegen", warnt Bernhard Matthes, CFA, Bereichsleiter BKC Asset Management, in einer aktuellen Markteinschätzung, die "Institutional Money" exklusiv vorliegt.
Stagflation voraus?
Der Marktkonsens erwartet als unmittelbare Folgewirkungen der Zollpolitik ein Stagflationsszenario. Geringere Konsumnachfrage, Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen oder abkühlende Arbeitsmärkte bremsen das Wachstum. Gleichzeitig erwarten die meisten Beobachter steigende Preise, merklich höhere Inflationsraten aus den Preisaufschlägen auf Importwaren.
Preiserhöhung gilt nur als Einmaleffekt
"Uns scheint der Preiseffekt aber weit weniger eindeutig als die Auswirkungen der Zölle auf das Wirtschaftswachstum: Preiserhöhungen sind ein Einmaleffekt, ähnlich wie bei Steueranhebungen, die auch keine strukturelle Inflationswirkung entfalten. Anders als im Falle der durch Regierungen und Notenbanken in den Nach-Covidjahren „organisierten Inflation“ wäre der Begriff „temporär“ diesmal tatsächlich korrekt und treffend für die Einmaleffekte der Zolleinführung. Der erste Impuls der Marktpreise Anfang April bestätigt diese Sicht: Die marktbasierten Inflationserwartungen waren rückläufig, die Zinssätze langlaufender US-Anleihen sanken zunächst", erklärt Matthes.
Die wachstumsschwächenden Effekte der Zölle dürften längerfristig eine inflationssenkende Wirkung entfalten. Zölle führen zu Kauf- und Konsumzurückhaltung, Wachstumsschwäche, höherer Arbeitslosigkeit.
Speziell außerhalb der USA, etwa in Europa, könnten disinflationäre Effekte laut Matthes sogar dominieren: Güter, die nun nicht exportiert, sondern im heimischen Markt angeboten werden, drücken die Preise. Gleichermaßen senkt das Zusatzangebot aus Importen, die statt in den USA in anderen Zielmärkten angeboten werden, die Preise. Zudem dämpft ein festerer Euro-Wechselkurs die importierte Inflation.
Eine zollbedingte Rezession wirkt disinflationär
Zölle allein führen nicht zu anhaltenden Preissteigerungen. Es sei nach Einschätzung von Matthes vielmehr zu bezweifeln, ob Inflation ohne vorherige (nachfragewirksame) Geldmengenausweitung überhaupt entstehen kann: "Da Inflation stets monetär ist, wäre auch im aktuellen Umfeld aus den Zöllen allein - wenn überhaupt - ein nur temporärer Preiseffekt zu erwarten. Eine mögliche Spirale aus Gegenzöllen, weiteren Handelshemmnissen, Abschottung und Protektionismus erhöht im Gegenteil die Gefahren einer globalen Wachstumskrise. Rezessionen sind jedoch definitionsgemäß disinflationär."
Matthes ruft historische Beispiele in Erinnerung: Die während Trumps erster Amtszeit verhängten Zölle hatten keinen inflationären Impuls. Besonders lehrreich ist der Blick auf die vom Ausmaß her sehr viel bedeutenderen Zölle der 1920er Jahre. Die mit dem Smoot Hawley Act in den USA eingeführten Zölle zeigten zwischen 1929 und 1940 sehr deutlich disinflationäre Wirkung. Auch damals beschädigten die Zölle verfügbare Einkommen und Konsumausgaben und wirkten direkt disinflationär. In Kombination mit den schweren Wachstumsstörungen der damals globalen Rezession, mit vielen Insolvenzen und deflationären Liquidationseffekten des Börsencrashs waren die Zölle eindeutig keine Inflationsquelle.
Unterschiedliche Entwicklungen in den USA und Europa
Insgesamt ist laut Matthes eine geografisch unterschiedliche Entwicklung zu erwarten: Die „Detox-Periode“ in den USA mit Sparmaßnahmen und Rückführung des Fiskaldefizits belastet kurzfristig das Verbrauchervertrauen ebenso wie zollinduzierte Preissteigerungen. Der Wachstumsimpuls ist negativ, der Preisimpuls kurzfristig aufwärts-, mittelfristig eher abwärtsgerichtet (auch wenn aus steigenden Lohnkosten im Zuge der angestrebten Reindustrialisierung neuerlicher Kostendruck entstehen kann).
In Europa könnten hingegen kurzfristig disinflationäre Effekte aus den Zöllen dominieren, mittelfristig aber wieder stärkerer Preisdruck aus der absehbar expansiven Fiskalpolitik (Schuldenpakte für Rüstung, Infrastruktur und Sozialausgaben) entfacht werden. Der Wachstumsimpuls dürfte in Europa ohne begleitende Strukturreformen hinter den Erwartungen zurückbleiben.
Viele Regionen außerhalb der USA könnten versucht sein, die heimische Wirtschaft zu stimulieren, um so erwartete Zollschäden zu kompensieren. Aus einer entsprechend lockeren Fiskal- und Geldpolitik drohen laut Matthes mittelfristig wieder steigende Zinsen, sobald die Rentenmärkte beginnen, durch eine zunächst disinflationäre Wachstumsschwäche hindurchzublicken.
Corporate America unter Druck
Speziell in den USA geraten die rekordhohen Bewertungen der Unternehmen doppelt unter Druck: Die Zölle erhöhen die Kosten und belasten ebenfalls rekordhohe Margen, das Auslaufen der Fiskalextreme und Rückführungen der Staatsausgaben schwächt die Nachfrage. So könnten den US-Rentenmärkte im Umfeld von Konjunkturschwäche und Aktienkorrekturen noch einige freundliche Monate bevorstehen.
Die Euro-Konjunktur wird vorausblickend durch den Fiskalimpuls aus Deutschland gestützt. In diesem Umfeld könnten europäische Aktien anhaltend outperformen. Dagegen bieten die zunächst noch von rückläufigen Inflationsraten unterstützten Rentenmärkte dann eher Ausstiegsgelegenheiten, z.B. für Investoren, die ihre Zielallokation in Anleihen ohnehin reduzieren wollen.
"Deutschland und Europa sollten sich nicht auf ein Strohfeuer aus Fiskalpaketen verlassen, sondern einerseits nötige und lange überfällige Reformmaßnahmen einleiten und sich andererseits dringlich um ein Freihandelsabkommen mit den USA bemühen. So böte die aktuelle Verunsicherung die Chance auf ein Positivszenario, in dem strukturelle Wachstumskräfte freigesetzt werden können, die in der Folge ansprechende Kapitalmarktrenditen ermöglichen würden", erklärt Matthes abschließend. (aa)