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Jörg Seifart: Die wenigsten Stiftungen sind auf die Krise vorbereitet

Wie im Nachgang zur Finanzkrise von 2008 lässt sich auch aktuell das Risiko nicht ausschließen, dass Verantwortliche einer Stiftung für deren Verluste auch mit dem Privatvermögen in Anspruch genommen werden. Allerdings kann die Gefahr durch eine Reihe von Maßnahmen minimiert werden.

Jörg Seifart, Geschäftsführer der Gesellschaft für das Stiftungswesen
Jörg Seifart, Geschäftsführer der Gesellschaft für das Stiftungswesen© Wolf Heider-Sawall

Auch wenn es bei gemeinnützigen Stiftungen immer um die gute Sache gehen soll, sind sie natürlich kein rechtsfreier Raum. Und dass man als Stiftungsvorstand für Verluste in der Vermögensverwaltung seiner Stiftung unter Umständen auch privat geradezustehen hat, steckt vielen Marktteilnehmern noch in den Knochen. Zwar lässt sich das Risiko der Inanspruchnahme nicht vollkommen verhindern, allerdings kann eine Stiftung mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen die latente Gefahr des persönlichen Schadensersatzes für Gremienmitglieder nahezu ausschließen, wenn sie richtig beraten ist. Wir haben dazu mit Jörg Seifart von der Gesellschaft für das Stiftungswesen gesprochen.

Herr Seifart, angesichts der Dimension der aktuellen Corona-Krise ist die Unsicherheit auf Seiten von Stiftungen, aber auch deren Beratern groß. Wo sehen Sie die größten Probleme für die genannten Marktteilnehmer?
Jörg Seifart: Auch wenn Stiftungen als in der Regel konservative Anleger in der Außensicht gefühlt weniger von der Krise betroffen sind als viele Privatanleger: Die Entwicklung seit Mitte Februar hat auch bei Stiftungen zu einem der größten kurzzeitigen Vermögensverluste in ihrer inzwischen mehr als tausendjährigen Geschichte geführt. Kurz vor Ostern fällt es derzeit schwer, außer Szenarioanalysen eine fundierte und abgesicherte Markteinschätzung abzugeben. Dazu sind noch zu viele Fundamentaldaten unklar. Im Grunde stehen Stiftungen und ihre Berater in dieser Hinsicht vor dem gleichen Dilemma wie auch andere institutionelle Investoren oder auch der Privatanaleger.

Aber was sind jetzt die wichtigsten Schritte? Auf was sollten Stiftungsverantwortliche und ihre Berater aktuell auf jeden Fall achten?
Seifart: Mit ziemlichem Erschrecken lässt sich feststellen, dass sich die wenigsten Stiftungen und Berater um die elementaren Fragen in Bezug auf eine solche Krise gekümmert haben. Von daher gilt es jetzt, die Einhaltung einer Reihe von Aspekten sicherzustellen. Ist zum Beispiel gewährleistet, dass es zu kurzfristigen Beschlüssen der Stiftung kommen kann, wenn es die Situation am Kapitalmarkt erfordert? Oder wäre die Stiftung handlungsunfähig, falls ein oder mehrere Gremienmitglieder wegen akuter Corona-Infektion für einige Wochen ausfiele? Spätestens jetzt ist es für jede Stiftung an der Zeit, sich ein möglichst genaues Bild über die möglichen Auswirkungen der Krise auf ihre eigene Vermögensituation zu verschaffen. Und damit meine ich nicht nur den Blick auf den aktuellen Depotauszug, den man danach wieder zu den Akten legt.

Wie kann denn eine Vorstandssitzung in Zeiten der Kontaktsperre stattfinden?
Seifart: Das ist formell tatsächlich ein Problem, weil viele Satzungen immer nur die physische Sitzung als einzige Möglichkeit einer Vorstandssitzung vorsehen. Zwar wird Stiftungen mit einem gerade verabschiedeten Gesetz kurzzeitig gestattet, virtuelle Vorstandssitzungen abzuhalten, wenn alle Vorstandsmitglieder (technischen) Zugang zu dem gewählten Verfahren haben. Aber in so einer Sitzung muss dann eben auch eine möglichst konkrete Schadensanalyse erfolgen, nicht nur in Bezug auf die Vermögensentwicklung, auch was die in die Zukunft gerichtete Finanzplanung angeht sowie eine unter Umständen nötige Risikoadjustierung der Anlagen.

Dazu muss allen Beteiligten einer solchen Sitzung natürlich eine ausreichende und vor allem aussagekräftige Dokumentation über die jüngste Entwicklung der Stiftung vorliegen, damit konkrete Handlungsempfehlungen daraus abgeleitet werden können. Es ist in der aktuellen Situation von besonderer Bedeutung, auf der Ebene von Stiftungsgremien und Beratern für Rechtssicherheit in Bezug auf die getroffenen Beschlüsse zu sorgen.

Damit sprechen Sie im Grunde bestimmte Fälle im Nachgang zur Finanzkrise von 2008 an, in denen Stiftungsverantwortliche unter bestimmten Voraussetzungen auch privat für Verluste in der Vermögensverwaltung ihrer Stiftung geradestehen mussten. Wie beurteilen Sie diese Gefahr angesichts der heutigen Situation?
Seifart: Von Stiftungsgremien wird rechtlich gesehen erwartet, dass diese sich proaktiv mit der Anlagestrategie ihres Stiftungsvermögens auseinandersetzen. Einzelne Entscheidungen in der Vermögensanlage müssen nach den Regeln der sogenannten "Business Judgement Rule", die den Umfang des unternehmerischen Entscheidungsspielraums von Geschäftsführern und Vorständen beschreibt, richtig und konkludent zustande kommen sowie auch dokumentiert werden, inklusive einer nachvollziehbaren Begründung und der dazu gehörenden Informationsquelle. Entscheidend für die Haftung ist, dass diese Entscheidungen zum Zeitpunkt, da sie gefällt wurden, richtig und plausibel waren.

Wann kann es im Umkehrschluss kritisch für die Beteiligten werden?
Seifart: Kritisch wird es für Berater und Stiftungen, wenn man sich nicht spätestens jetzt fundiert mit der eigenen Anlage beschäftigt. In dem Urteil, das Sie angesprochen haben, wurde der Stiftung zum Vorwurf gemacht, dass sie tatenlos fortlaufende Verluste hingenommen hat, ohne darauf angemessen zu reagieren.

Andererseits wäre eine Entscheidung, aktuell nichts an den bestehenden Investments zu verändern und stattdessen lieber abzuwarten, wie sich der Markt entwickelt, natürlich eine durchaus probate Reaktion. Nur muss sie genauso umfassend begründet und dokumentiert werden wie eventuelle Käufe oder Verkäufe.

Sollte sich eine Stiftung in finanz- und betriebswirtschaftlichen Themen oder einer juristisch exakten Herangehensweise nicht wirklich zu Hause fühlen, muss sie im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten einen Experten hinzuziehen.

In Bezug auf die Finanzplanung von Stiftungen scheint sich abzuzeichnen, dass auch die Ausschüttungsrendite von Stiftungen sinken wird. Was können Sie einer Stiftung hier raten?
Seifart: In jedem Fall sollte sich jede Stiftung an den Bankberater wenden, um hier stiftungsgeeignete aussagekräftige Unterlagen zu erhalten, die es ermöglichen, die eigene Finanzplanung eventuell anzupassen. Zudem sollte eine Stiftung sicher etwas vorsichtiger agieren, was eventuelle Förderzusagen angeht. Und nicht zuletzt gehören in der aktuellen Situation auch die Kosten auf den Prüfstand. Kurzfristig, vor allem wenn der Jahresabschluss noch nicht erstellt ist, sollten zumindest die wesentlichen Risikokennzahlen zusammengetragen werden und vor allem die Möglichkeiten eventueller Rücklagen ermittelt werden, die eventuell als Ertragsreserve dienen könnten.

Wie gehen Sie selbst in Ihrer Beratungspraxis mit der jetzigen Situation um? Was kann eine Gesellschaft für das Stiftungswesen in einer solchen Krise leisten?
Seifart: Zunächst einmal geht vieles – natürlich entsprechend angepasst an die aktuellen Kommunikationsmöglichkeiten – auch bei uns seinen normalen Gang. Aus aktuellem Anlass bieten wir allerdings außer der Reihe eine spezielle Online-Schulung für Stiftungen und deren Berater an, in der wir uns intensiv mit der Frage beschäftigen, wie man als Stiftung mit Vermögensverlusten rechtssicher umgehen muss. Und damit es nicht bei der Theorie bleibt, erhalten die Teilnehmer im Anschluss an eine rund eineinhalbstündige Schulung eine praktische Übungsaufgabe. Hier bereiten die Teilnehmer diverse Unterlagen anhand einer eigenen anonymisierten Kundenstiftung auf, die dann anschließend in einem individuellen Einzelcoaching besprochen werden, um so optimal auf möglicherweise auftretende Fragen vorbereitet zu sein. (hh)

Hintergrundwissen für Stifter und deren Berater im Seminar:

Gemeinsam mit Stefan Fritz, Stiftungs-Geschäftsführer bei der Erzdiözese München, als Co-Referenten bietet Jörg Seifart von der Gesellschaft für das Stiftungswesen mbH (GfdS) eine Online-Schulung zum Thema "Wie müssen Stiftungen und Berater mit Verlusten umgehen" an.

Der Fokus des Workshops liegt auf der Praxistauglichkeit der vermittelten Informationen und wird an den folgenden Terminen angeboten: am 8. April 2020 von 11.30 Uhr bis 13.00 Uhr, am 16. April 2020 von 14.30 Uhr bis 16.00 Uhr und am 5. Mai 2020 von 17.00 Uhr bis 18.30 Uhr. Infos dazu gibt es über diesen Link auf der Webseite der Gesellschaft für das Stiftungswesen.

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