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Wie Innovationen den Markt der Wirtschaftstheorie erneuern

Schumpeters Innovationslehre gilt nicht nur für Unternehmen und Volkswirtschaften. Auch auf dem Markt der Ökonomik findet ein permanenter Wettstreit um die besten Ideen statt. Dabei stehen sich etablierte Theorien und innovative Herausforderer gegenüber.

 Dr. Ernst Konrad, Geschäftsführer und Lead-Portfoliomanager von Eyb & Wallwitz, macht sich Gedanken über Innovationen in der Wirtschaftstheorie.
 Dr. Ernst Konrad, Geschäftsführer und Lead-Portfoliomanager von Eyb & Wallwitz, macht sich Gedanken über Innovationen in der Wirtschaftstheorie.© Eyb & Wallwitz

Die Volkswirtschaftslehre ist keine gewöhnliche Wissenschaftsdisziplin: Stets wandelt sie auf dem schmalen Grat zwischen Hard und Soft Science, Empirie und Theorie, normativen Vorgaben und Erzählung. Sie hat sich in ihrer Geschichte schon unzählige Male neu erfunden. Nicht selten hat sie dabei den eingeschlagenen Weg radikal verändert. So etwa, als Joseph Schumpeter 1911 in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ das damalige Dogma der gleichgewichtsorientierten Märkte angriff. "Statt für Harmonie und Stillstand argumentierte er für marktwirtschaftliche Dynamik und kreative Zerstörung. Damit verpasste er der Geschichte der Wirtschaftstheorie eine radikale Wendung", weiß Dr. Ernst Konrad, Geschäftsführer und Lead-Portfoliomanager von Eyb & Wallwitz.

Wettstreit im Werkzeugkasten
Das Besondere: Trotz des nachhaltigen Erfolgs der Schumpeterschen Innovationslehre ist auch das Konzept langfristiger Gleichgewichtsmärkte nie ganz aus dem Werkzeugkasten der Wirtschaftswissenschaften verschwunden. Dr. Ernst Konrad dazu: "Gleiches lässt sich auch bei anderen theoretischen Grabenkämpfen der Disziplin beobachten, wie denen zwischen Adam Smith und Karl Marx oder John Maynard Keynes und Friedrich von Hayek, deren widerstreitende Positionen eigentlich kein gleichzeitiges Nebeneinander dulden dürften. Doch anders als in den Naturwissenschaften, wo ein strenger Prozess der Falsifikation und Konsensbildung den Erkenntnisfortschritt strukturiert, scheinen in der Ökonomie andere Erfolgskriterien zu gelten."

Der Fähigkeit einer Theorie, ein konkretes wirtschaftliches Problem zu lösen, kommt zum Beispiel eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Oder es aus einer völlig neuen Perspektive zu beleuchten, um für Anregungen und eine möglichst produktive Debatte zu sorgen. Mit Schumpeter ließe sich das auch so ausdrücken: Auf dem Markt der Wirtschaftswissenschaften hat Konjunktur, was in der wirtschaftspolitischen Anwendung einen möglichst großen praktischen Nutzen verspricht. Und das vor dem Hintergrund einer sich stets wandelnden Wirklichkeit, die mal der einen Theorie zum Aufschwung verhilft, und mal der anderen – je nachdem, was der Werkzeugkasten gerade hergibt. Dabei sorgen innovative Herausforderer immer wieder für einen Angriff auf das vorherrschende Paradigma und neue konjunkturelle Hochs.

Tauben im Aufwind, Falken in Lauerstellung
Momentan scheinen die Rollen im Konjunkturzyklus der Wirtschaftspolitik klar verteilt, meint Dr. Konrad: "Gestritten wird vorwiegend über die Deutungshoheit der aktuellen Geld- und Fiskalpolitik. Auf der Seite der Monopolisten stehen dabei die Vertreter von Monetarismus und Austeritätspolitik, die eine straffe Geldpolitik und haushalterische Disziplin fordern – also die sogenannten Falken. Die Rolle der innovativen Herausforderer wird dagegen von den Verfechtern der sogenannten Modern Money Theory (MMT) ausgefüllt, die unter dem Wappentier der Taube für offene Geldhähne und staatliche Investitionen plädieren." Wer den Wettstreit gewinnen wird? Schwer zu sagen, denn der politische Zeitgeist und die wirtschaftliche Sachlage ändern sich mitunter rasant.

MMT voll im Trend
Angesichts von Corona- und Klimakrise deuten die Zeichen derzeit allerdings eher auf eine anhaltend lockere Geldpolitik, Niedrigzinsen und schuldenfinanzierten staatlichen Investitionen – also zugunsten der MMT. In den vergangenen zwei Jahren haben das auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell so gesehen und ihren geldpolitischen Kurs immer stärker an die Forderungen der Herausforderer angepasst. Und auch mit Blick auf führende westliche Regierungen, die mit hohen Staatsausgaben in die Privatwirtschaft eingreifen, ist gerne von einer fiskalischen Dominanz die Rede. Wenngleich die Amtsträger in den Notenbanken und Finanzministerien es für gewöhnlich vermeiden, sich allzu deutlich auf die eine oder andere Seite des Wettstreits zu schlagen und deshalb lieber eine eigene Semantik verwenden. Denn wer weiß denn schon, was die ökonomischen Sachzwänge morgen von einem verlangen.

Keine Renovierungsarbeiten im Anlage-Universum
Ähnlich pragmatisch dürften das auch die Finanzmärkte sehen. Zumindest, wenn es darum geht, die eigenen Portfolios an die aktuellen Umweltbedingungen anzupassen. Blickt man hier auf die Grundannahmen der Marktakteure – das sogenannte Anlage-Universum – so dürfte sich trotz der coronabedingten Liquiditätsschwemme zuletzt allerdings nur wenig geändert haben. In den westlichen Industrienationen scheint der Zustand der säkularen Stagnation nach wie vor zu dominieren. Trotz vorsichtiger Exit-Signale aus den Notenbanken gilt das Paradigma der expansiven Geldpolitik nach wie vor als gesetzt. Dr. Konrad dazu: "Zwar wird die Fed 2022 ihren Leitzins anheben, doch die erwarteten drei Zinsschritte hat der Markt schon seit einiger Zeit eingepreist. In gewisser Weise hatte der konjunkturelle Aufschwung der MMT damit sogar eine systemstabilisierende Wirkung. Somit hat der Werkzeugkasten der Ökonomie das Stottern im Maschinenraum der Weltwirtschaft behoben. Bleibt zu hoffen, dass das der Disziplin auch in Zukunft gelingt." (kb)

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