Wie der Junge, der zu oft „Wolf!“ rief
Mit Blick auf den Streit um die US-Schuldenobergrenze fühlt sich Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay, an eine alte Fabel erinnert. Den Euro sieht er im Vergleich zum US-Dollar im Aufwärtstrend, und in Japan wird die steigende Inflation aus seiner Sicht nicht ernst genug genommen.

© BlueBay Asset Management
"In den USA tobt die Debatte über die Schuldenobergrenze weiter. Gefühlt befinden wir uns nun einen Monat vor dem ‚Tag X‘, an welchem dem Finanzministerium das Geld ausgehen wird", sagt Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay. "Seit geraumer Zeit gehen wir davon aus, dass die Verhandlungen aufgrund der politischen Dysfunktionalität im Kongress lange andauern werden. Die Republikaner und Demokraten versuchen jeweils, einen politischen Vorteil gegenüber der anderen Partei zu erlangen.
Kommt es zu einer Überbrückungsvereinbarung?
Es sei möglich, dass eine Überbrückungsvereinbarung getroffen werde, um die Situation bis September zu entschärfen, so Dowding weiter. Letztendlich aber müssten beide Seiten einen Kompromiss finden. Die Geschichte zeige, dass dies meist erst nach einer Phase erhöhter Unsicherheiten geschehe.
Im Moment zeigen sich die Marktteilnehmer aber zuversichtlich
Die Volatilität ist gesunken und die Märkte tendieren seitwärts. Es scheint die Annahme verbreitet, dass die US-Regierung letzten Endes ihre Schulden bedienen und das globale Finanzsystem nicht in Mitleidenschaft ziehen wird.
Erinnerung an eine alte Fabel kommt bei Dowding auf
In gewisser Weise erinnern die Scharmützel im Zusammenhang mit der Schuldenobergrenze Dowding an die Geschichte von dem Jungen, der zu oft ‚Wolf!‘ gerufen hat: "Nachdem er dadurch falschen Alarm ausgelöst hatte, glaubte ihm schließlich niemand, als er wirklich bedroht wurde. Es scheint, dass die Märkte im Moment noch gelassen bleiben. Unseres Erachtens dürften die Sorgen in den kommenden Wochen aber zunehmen – denn die Uhr tickt."
Eurozone
Auch in der Eurozone war es an den Kapitalmärkten in letzter Zeit relativ ruhig. Dowding und Kollegen gehen weiterhin davon aus, dass die Staatengemeinschaft in diesem Konjunkturzyklus etwa sechs Monate hinter den USA zurückliegt. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird die Zinssätze bis zum Ende des Sommers noch zweimal auf dann 3,75 Prozent anheben. Das entspricht im Großen und Ganzen den Markterwartungen. Da das Lohnwachstum weiterhin robust ist und der Arbeitsmarkt in der Region noch keine wirklichen Anzeichen einer Wende erkennen lässt, hält man bei BlueBay Zinssenkungen durch die EZB bis nächstes Jahr um diese Zeit für unwahrscheinlich.
Verringerung des Zinsgefälles zwischen den USA und der Eurozone
Diese sowie die anhaltenden Probleme von US-Regionalbanken und die Sorge um die Schuldenobergrenze haben BlueBay in letzter Zeit veranlasst, den Euro gegenüber dem US-Dollar zu bevorzugen. Dowding: "Wir halten eine Bewegung in Richtung 1,15 USD/EUR für wahrscheinlicher als ein Abrutschen in Richtung Parität."
In der vergangenen Woche wurden aus China weitere enttäuschende Daten vermeldet
Das wirft die Frage auf, ob dies die Aussichten des Euro beeinträchtigen wird. "In der Tat haben wir selbst darauf hingewiesen, dass wir Spielraum für eine strukturelle Unterperformance der chinesischen Wirtschaft unter Xi Jinping und weitere Schritte in Richtung Deglobalisierung sehen, die auch das Potenzial der chinesischen Wirtschaft in den kommenden Jahren begrenzen werden", stellt Dowding fest. "Wir sind jedoch nach wie vor der Meinung, dass sich der Euro ungeachtet dessen behaupten kann. Die Währungsunion muss sich nicht ausschließlich auf die deutschen Exporte nach China verlassen, um die Nachfrage zu stützen."
In Japan steigen die Inflationsraten derweil weiter an
Dowding und seine Kollegen sind der Meinung, dass die Bank of Japan (BoJ) viel zu langsam erkenne, dass das Ziel einer stabilen Inflation von zwei Prozent erreicht sei. Je länger sie die Normalisierung ihrer Geldpolitik hinauszögere, desto stärker nähmen die Risiken eines extremen Überschießens der Inflation zu. In diesem Zusammenhang waren die Äußerungen von Kabinettssekretär Hirokazu Matsuno in dieser Woche interessant, nach denen die großen Energieversorgungsunternehmen die Strompreise ab Juni um 14 bis 42 Prozent anheben dürfen. Das wird wahrscheinlich zu einem weiteren Anstieg der Inflation führen und aus Sicht von BlueBay die Lohnforderungen auf einem relativ angespannten Arbeitsmarkt stützen.
Déjà-vu
Viele Entwicklungen in Japan erinnern an das, was wir in den vergangenen Jahren in den USA und in Europa gesehen haben. Dowding: "Wir glauben aber, dass es bei den Inflationsrisiken in Japan einen blinden Fleck gibt, da das Land so lange in einer deflationären Denkweise gefangen war.“ (kb)