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Verteidigung: Europa schreibt gerade seine Geschichte neu

Die US-Administration hat deutlich gemacht, dass die Sicherheit Europas in dessen Verantwortung liegt. Diese Veränderung bedeutet, dass Europa den Löwenanteil sowohl der Wiederaufbaukosten als auch der Sicherheitsanforderungen nicht nur für die Ukraine, sondern auch für sich selbst tragen muss.

Norman Villamin, Group Chief Strategist der Union Bancaire Privée (UBP)
Norman Villamin, Group Chief Strategist der Union Bancaire Privée (UBP)© Union Bancaire Privée

Laut einer aktuellen Analyse der Schweizer Privatbank UBP steht Europa damit am Anfang der nächsten Phase einer paneuropäischen Transformation, die 2021 mit der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) im Rahmen von NextGenEU begann. „Wenn die Europäische Union die Verteidigungsausgaben auf dem Kontinent auf 2,5 bis 3,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr erhöhen will, würde dies nach unseren Schätzungen über einen Zeitraum von zehn Jahren 500 bis 700 Milliarden Euro entsprechen“, schreiben die Autoren der Union Bancaire Privée. Das mögliche Ende des Russland-Ukraine-Krieges könnte laut UBP das jährliche BIP-Wachstum um weitere 0,5 bis 1,1 Prozentpunkte erhöhen.

Schuldenfinanzierte Verteidigungsausgaben mit größerem Hebel
UBP rechnet vor, dass eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um je 0,5 Prozentpunkte (gemessen am BIP) eine Steigerung der Wirtschaftsleistung von 0,3 bis 0,5 Prozent pro Jahr nach sich ziehen würde. „Die Auswirkungen hängen davon ab, wie diese neuen Ausgaben finanziert werden, das heißt durch neue Schulden oder durch Haushaltskürzungen und höhere Steuern. Die Auswirkungen sind größer, wenn die Ausgaben durch Schulden finanziert werden und das Wachstum niedrig ist“, erläutert Norman Villamin, Group Chief Strategist der Union Bancaire Privée (UBP).

F&E-Ausgaben haben großen Multiplikatoreffekt auf das Wachstum
Wenn sich die Ausgaben hingegen nur auf Ausrüstung konzentrieren, könnten sie geringere oder gar negative Auswirkungen haben, sofern sie vorrangig zu höheren Importen führten. „Die künftige deutsche Bundesregierung hat das Tor zu einer schuldenfinanzierten Erhöhung der Ausgaben geöffnet und ihre europäischen Amtskollegen und die EU dazu ermutigt, dasselbe zu tun. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Wachstumsschub am oberen Ende der Skala liegen könnte“, erwartet Villamin. Ein schuldenfinanzierter Anstieg des langfristigen Wachstums würde der UBP zufolge wahrscheinlich die Untergrenze für die Renditen risikofreier Anleihen in Europa aufsteigen lassen. Diese sich entwickelnde Rendite-Landschaft, gepaart mit einer stärkeren wirtschaftlichen Dynamik, dürfte zu einer Neubewertung des Euro gegenüber dem US-Dollar mit einer potenziellen Rückkehr zu einer Spanne von 1,10–1,20 führen.

Steigende Anleiherenditen in Deutschland Richtung 3,5 Prozent
„Die unmittelbarste Auswirkung von Deutschlands geplanten historischen Verteidigungs- und Infrastrukturpakets war auf den Anleihemärkten Kontinentaleuropas zu spüren. Wir haben den größten Anstieg der Renditen 10-jähriger Bundesanleihen seit dem Fall der Berliner Mauer erlebt“, kommentiert Villamin. Die deutschen Renditen sind von unter 2,4 Prozent vor der Bundestagswahl – was Villamin zufolge angesichts des schleppenden Wachstums in Deutschland angemessen war – auf 2,9 Prozent Anfang März gestiegen. Dies preist nach den Schätzungen der UBP jedoch nur eine Rückkehr zu einem langsamen Wachstumstrend in Deutschland ein. „Wenn der Bundesrat zustimmt und die Verfassungsänderungen gesichert sind, könnten die deutschen 10-Jahres-Renditen erstmals seit Beginn der Eurokrise 2011 die Drei-Prozent-Marke durchbrechen und sich im Falle eines breit angelegten Konjunkturpakets in Richtung 3,5 Prozent bewegen“, prognostiziert der Chefstratege der UBP.

Trotz europäischer Aktienrallye: Chancen sind noch selektiv zu finden
Diese Veränderungen sind vielversprechend für Aktieninvestoren, aber die Bewertungen in der Eurozone haben bereits wieder ihre Höchststände von vor der Pandemie erreicht, was darauf hindeutet, dass die Märkte optimistischere Wachstumsaussichten einpreisen. „Da die Bewertungen auf zyklischen Höchstständen gehandelt werden, rechnen die Märkte wahrscheinlich mit einer Ausweitung des Gewinnwachstums“, schreibt Villamin. „Verständlicherweise hat der europäische Luftfahrt- und Verteidigungssektor eine starke Rallye erlebt, die direkt von der Aussicht auf höhere Ausgaben in Deutschland und ganz Europa profitiert. Der europäische Verteidigungssektor hat seit November 2024 eine Rallye von 42 Prozent verzeichnet und wird nun zu historisch hohen Bewertungen gehandelt, was wahrscheinlich den sich abzeichnenden langfristigen Wachstumstrend angemessen widerspiegelt.“

Bankaktien für all jene, die dem Markt nicht hinterherhecheln wollen
Für Investoren, die dem breiteren europäischen Markt oder europäischen Verteidigungsaktien zu historisch hohen Bewertungen nicht hinterherlaufen wollen, bieten Aktien europäischer Banken Chancen. Deren Kurse spiegeln Villamin zufolge noch nicht die Beschleunigung der europäischen Ausgaben und des Wirtschaftswachstums wider, die von anderen Marktsegmenten bereits eingepreist wird. Norman Villamin weist darauf hin, dass trotz der Kurserholung Bankaktien nach wie vor nur knapp über den Bewertungen während der Krisen in den Jahren 2008, 2011 und 2020 handeln: „Mit Bewertungen, die immer noch knapp unter dem Neunfachen des Gewinns liegen, einer starken Kapitalbasis und unbelasteten Bilanzen sollten europäische Banken gut positioniert sein, um ihre Gewinne zu steigern, wenn Europa beginnt, in sich selbst zu investieren, und wenn sich das Kreditwachstum zu beschleunigen beginnt. Das Kreditwachstum könnte sogar die Fünf-Prozent-Marke erreichen, die zuletzt nach der Einführung der Europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität verzeichnet wurde.“ (kb)

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