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Stagflation: Aussitzen oder strategisch umsteuern?

Vor dem Hintergrund einer schrumpfenden US-Wirtschaft und baldigen Preissteigerungen analysieren zwei Top-Manager von Reichmuth Integrale Vermögensverwaltung, welche Aktienstrategie nun ratsam wäre.

© Rainer Fuhrmann / stock.adobe.com

Die makroökonomischen Indikatoren aus den USA sowie die etablierte volkswirtschaftliche Lehre lassen keinen Zweifel: Donald Trumps Zollpolitik wird kurzfristig schwächeres Wirtschaftswachstum und steigende Preise zur Folge haben. Ein Stagflationsschock zeichnet sich ab. Diese Ansicht vertreten Torsten Steinbrinker, CEO, und Adrian Roestel, Leiter Portfoliomanagement bei der Reichmuth Integrale Vermögensverwaltung.

Alarmierende Vorzeichen
Zahlreiche Signale deuten laut Steinbrinker und Roestel auf einen bevorstehenden Wachstumseinbruch in der US-Wirtschaft hin. Der Containerverkehr von China in die USA ist seit Einführung der Zölle um 60 Prozent eingebrochen, und bereits in der kommenden Woche werden im Hafen von Los Angeles ein Drittel weniger Schiffsentladungen erwartet. Leere Regale in US-Geschäften und eine Warenknappheit wie zu Pandemiezeiten drohen.

Neben den Verbrauchern sind auch Unternehmen betroffen, da rund 40 Prozent der chinesischen Importe als Vorleistungsgüter direkt in die US-Produktion fließen. Ein längerer Abschwung zeigt sich in den Bestellungen für Klasse-8-Lkw, die auf ein 15-Jahrestief gesunken sind. Diese schweren Sattelzugmaschinen transportieren 70 Prozent aller Güter nach Gewicht und bilden das Rückgrat der nordamerikanischen Logistik.

Kommt es zu schnellen Einigungen in der Zollpolitik?
Trotz dieser Warnsignale blieben der Stellenaufbau und die Arbeitslosenquote in den USA im April erstaunlich stabil. Vorsicht ist zwar angebracht, da der Arbeitsmarkt der Konjunktur oft mit sechs bis zwölf Monaten Verzögerung folgt. Aktuelle Quartalsberichte zeigen aber, dass viele Unternehmen zögern, Personal abzubauen, da die Erinnerung an den Talentverlust während der Coronakrise noch frisch ist. Stattdessen setzen sie auf Kostensenkungen, Effizienzsteigerungen und die Kürzung von Dienstreisen, merken Steinbrinker und Roestel an.

Das könnte reichen, wenn die Zölle rasch gesenkt oder weiter aufgeschoben werden und Handelsverhandlungen schnell zu tragfähigen Ergebnissen führen. Da Außenhandelsverhandlungen komplex sind und nicht-tarifäre Handelshemmnisse einbeziehen, brauchte es in der Vergangenheit aber im Schnitt anderthalb Jahre, bis ein Vertrag zustande kam. Der langfristige Schaden kann laut Steinbrinker und Roestel massiv sein: jüngste Untersuchung zeigen, dass sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten und ihre Pläne deutlich reduziert haben.

Preisanstieg kommt verzögert
Größere Unternehmen mit ausreichenden finanziellen und logistischen Kapazitäten haben vor Inkrafttreten der Zölle ihre Lagerbestände massiv aufgestockt. Die US-Importe stiegen so stark, dass sie das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal ins Negative drückten. Für einige Zeit kann die Wirtschaft von diesen Reserven zehren.

Ab Juni werden jedoch nach Ansicht von Steinbrinker und Roestel viele Firmen gezwungen sein, zu deutlich höheren Preisen nachzubestellen oder stark betroffene Produkte aus dem Sortiment zu nehmen.

Eine repräsentative Umfrage unter US-Unternehmen ergab, dass drei Viertel der Firmen die Zollkosten durch Preiserhöhungen an die Verbraucher weitergeben. Volkswirte prognostizieren einen Anstieg der Verbraucherpreise um etwa 1,5 Prozent. Damit schränkt sich Steinbrinker und Roestel zufolge der Spielraum der US-Notenbank für Zinssenkungen erheblich ein, wodurch die Finanzierungskosten für Verbraucher und Unternehmen hoch bleiben.

Auch Verbraucher stehen auf der Bremse
So trübt sich die Stimmung der Verbraucher zunehmend ein. Das Vertrauen der Haushalte ist auf ein Allzeittief gesunken, während die kurz- und langfristigen Inflationserwartungen stark gestiegen sind.

Kreditkartendaten würden zeigen, dass immer mehr Haushalte unter finanziellen Druck geraten: Der Anteil derer, die nur noch die Mindestrückzahlung ihrer kurzfristigen Schulden leisten, hat ein Rekordhoch erreicht.

"Wir erwarten, dass der Konsum nicht notwendiger Güter und Dienstleistungen wie Tourismus, Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten zurückgehen wird. Dies könnte die Unternehmensgewinne in den kommenden Quartalen belasten, insbesondere im Einzelhandel und Transportwesen, wo die Gewinnmargen ohnehin gering sind", prognostizierten Steinbrinker und Roestel.

In diesen Branchen, die von kleineren Unternehmen dominiert werden, drohen höhere Finanzierungskosten, fehlende Preissetzungsmacht und Zollausweichmöglichkeiten zu Entlassungswellen zu führen. Mit 25 Millionen Beschäftigten sind die Risiken für die US-Wirtschaft erheblich.

Abkopplungsstrategie: Defensive, nicht-zyklische und europäische Aktien
Studien zeigen, dass Stagflationsphasen für Aktienmärkte insgesamt negativ sind, jedoch variieren die Auswirkungen je nach Sektor und Land. Dividendenstarke Qualitätsaktien mit Preissetzungsmacht sowie die Bereiche Basiskonsum und Gesundheitswesen konnten in solchen Phasen oft profitieren.

Auch die aktuellen Unternehmensausblicke fielen zwar vorsichtig aus, deuten aber nicht auf einen Kollaps der Gewinne hin. Zudem sind nicht alle Länder gleich stark von Stagflation betroffen.

"Wir halten daher an unserer Fokussierung auf defensive Werte und europäische Aktien fest und nutzen Phasen mit starkem Abwärtsdruck, um unsere Positionen in Qualitätsaktien auszubauen. Krisenzeiten bieten oft die besten Einstiegsmöglichkeiten – für jene, die den Mut haben, investiert zu bleiben oder zuzukaufen", schreiben Steinbrinker und Roestel abschließend. (aa)

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