sentix misst "einzigartige Abkopplung" und sieht Parallelen zu 2008
In den sentix Konjunkturdaten vollzieht sich Historisches. Der Erwartungsindex für Euroland steigt um 17 Punkte auf +18. Dies ist der beste Wert seit Juli 2021 und die größte Monatsveränderung seit 2012 (Euro-Krise) und 2020. In den USA brechen hingegen Lage- und Erwartungswerten ein wie 2008.

"In Euroland liegen die Nerven blank. Die rezessiven Tendenzen und ein Mangel an Ideen, diese zu überwinden, führen nun – unter Ausnutzung geopolitischer Unsicherheiten – zu einem verwegenen Manöver", schreibt Manfred Hübner, Geschäftsführer von sentix, in einer aktuellen Markteinschätzung.
Mit massiven schuldenfinanzierten Investitionen in Rüstungsgüter soll die europäische Wirtschaft wieder durchstarten. Die von sentix befragten Anleger springen auf diesen Zug auf, der besonders von der wahrscheinlich künftigen CDU-SPD-Regierung in Deutschland mitgetragen und sogar durch ein weiteres schuldenfinanziertes Investitionsprogramm über 500 Milliarden Euro flankiert werden soll. "Die Erwartungswerte für die Eurozone steigen zum dritten Mal in Folge, dieses Mal um satte 17 Punkte, auf den besten Wert seit Juli 2021 (+18 Punkte). Der Gesamtindex steigt um 9,8 Punkte", merkt Hübner mit Verweis auf nachfolgende Tabelle an.
Positive Stimmung betreffend die Euroland-Konjunktur
Drittgrößte Anstieg seit Beginn der Messung
Dieser Anstieg ist der drittgrößte Monatsanstieg seit Erhebungsbeginn des sentix Konjunkturindex im Jahr 2003. Die beiden anderen Male waren der Februar 2012 (Eurokrise) und Juni 2020 (Coronakrise). "Wir haben es also mit einem historischen Ereignis zu tun. Interessant ist, dass der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Worte „whatever it takes“ für die geplanten erheblichen Kreditaufnahmen des deutschen Staates verwendet. Worte, die auch im Jahr 2012 Mario Draghi benutzte, um die Eurokrise aus Sicht der EZB zu lösen", erinnert Hübner.
Massive Stimmungsverbesserung in der Eurozone
Nicht alles ist eitel Sonnenschein
Die Dimension des geplanten EU-Paketes für Rüstungsinvestitionen (800 Mrd. Euro) sowie der geplanten Investitionen in Deutschland (500 Mrd. Infrastruktur plus weitere 500 Milliarden Euro für Rüstung) sind zwar beeindruckend, müssen sich aber mit einem „unlimitierten Kaufprogramm der EZB“ (2012) sowie der Ausweitung der Zentralbankgeldmenge im Jahr 2020 (allein bei der EZB wuchs die Bilanzsumme in einem Jahr um mehr als 2.000 Mrd. Euro) messen, merkt Hübner an.
Hinzu kommt, dass die Ankündigung dieser enormen Schuldenpläne das Zinsniveau unmittelbar beeinflusst und die Zinsen in Euroland und darüber hinaus sogar weltweit nach oben getrieben haben. Die Zinsen für Bundesanleihen stiegen binnen einer Woche um fast einen halben Prozentpunkt auf zuletzt 2,84 Prozent. "Ein Blick auf die sentix Themenbarometer zeigt dann auch ganz klar, woher dieser Zinsdruck kommt", erklärt Hübner.
Zum einen stammt er aus der Wahrnehmung der enormen fiskalischen Expansion (-41,7 nach -18,75 Indexpunkten). Die Anleger erwarten aber zum anderen aber auch einen erneuten Inflationsdruck (-28,25 nach -11 Indexpunkte) sowie damit einhergehend ein baldiges Ende des Zinssenkungskurses der Notenbank. "Mit anderen Worten, das geldpolitische Umfeld ist aktuell völlig anderes, als es 2012 oder 2020 gewesen ist", merkt Hübner an.
Deutschland: Hoffnung durch fiskalischen Befreiungsschlag?
Kritisch ist laut Hübner auch, dass die Hoffnungen bislang ganz wesentlich auf Deutschland ruhen. Die Ankündigung von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz soll durch eine überhastet herbeigeführte Grundgesetzänderung mit dem alten, eigentlich bereits abgewählten Bundestag ermöglicht werden. Die Bildung einer neuen Regierung aus CDU/CSU und SPD ist zwar geplant und bislang wahrscheinlich, aber keineswegs sicher.
Unklar ist Hübner zufolge ferner, ob die Partei der Grünen den Grundgesetzänderungen zustimmen wird und was ggf. dafür die Bedingungen sind. Ein Risiko ist demnach, welche politischen Turbulenzen in Deutschland entstehen könnten, würden diese Schuldenpläne parlamentarisch (oder juristisch) scheitern, den Klagen gegen das geplante Prozedere vor dem Bundesverfassungsgericht sind bereits angekündigt.
EZB-Präsidentin Lagarde wies deshalb auch in der Pressekonferenz am Donnerstag letzter Woche darauf hin, dass die Bewertung der Schuldenpläne schwierig ist, da weder der parlamentarische Prozess noch der Zeitplan der Umsetzung bekannt sind.
"Die Anleger gehen in ihren Erwartungen jedoch stark in Vorleistung. Die Euphorie begründet sich wohl auch mit der Sehnsucht nach einem Ende der als strukturell-hartnäckig empfunden, überwiegend in Deutschland hausgemachten Rezession. Das Gefühl nachlassenden Schmerzes kann ein sehr schönes sein", erklärt Hübner und verweist auf nachfolgende Tabelle:
Deutschland: Erwartungen springen in den positiven Bereich
Sonstige Regionen: Erstaunlich uneinheitlich
Eine große Besonderheit im aktuellen Datenkranz ist Hübner zufolge auch die enorme Uneinheitlichkeit zwischen den Regionen. Die Euroland-Perspektive führt auch in Österreich (neue Regierung) zu einem spürbaren Anstieg der Indexwerte, obwohl dort nichts von Ausgabenerhöhungen zu sehen ist. Osteuropa profitiert nur wenig. Rüstungsgüter dienen der Zerstörung, bestenfalls der Bewahrung. Aber nicht dem Wiederaufbau.
Die Schweizer Daten wiederum verzeichnen einen kräftigen Rückgang. Die Umfrageergebnisse, die von unseren Schweizer Teilnehmern geprägt ist, lässt keine positiven Ansteckungseffekte bei den Eidgenossen erkennen. Spielt hier die USA eine wichtigere Rolle?
USA: Historischer Einbruch erinnert an Finanzkrise 2008
Während in Euroland die Einschätzungen euphorische Züge tragen, die zuvor nur in historischen Episoden zu beobachten waren, erleben die US-Indexdaten ebenfalls eine historische Zäsur. "Einen so starken Einbruch von Lage- und Erwartungswerten gab es bislang nur ein einziges Mal zu beobachten: mitten in der Finanzkrise 2008", blickt Hübner zurück.
Die Handelspolitik Donald Trumps, es sich mit seinen Zollforderungen mit Kanada, Mexiko und China zur gleichen Zeit anzulegen, und gleichzeitig die Differenzen mit Europa zu vergrößern, sorgt für eine beispiellose Verunsicherung der Anleger. Die Konjunkturerwartungen sinken zum dritten Mal in Folge um satte 25,8 Punkte auf den tiefsten Stand seit November 2022.
Auch die Lagebeurteilung bricht massiv ein.
"So etwas gab es bisher nur einmal im Zuge der Corona-Krise im März/April 2020. Damals kam der US-Wirtschaft die Notenbank mit massiven Zinssenkungen und Anleihenkäufen zur Hilfe. Derlei ist aktuell nicht zu vernehmen. Ein Blick auf die Entwicklung der Kreditmärkte zeigt dann auch, dass sich hier die Spreads sogar auszuweiten beginnen. Dies stellt damit eine Parallele zur großen Finanzkrise dar", merkt Hübner an unter Verweis auf die letzte Tabelle an. (aa)
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