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Schuldenrestrukturierung der Ukraine: Ein Hauen und Stechen mit rechtlichen Untergriffen

SchmidlinNicolas Schmidlin (Bild), gemeinsam mit Marc Proftlich Vorstand des inhabergeführten Fondsberatungshauses Profitlich Schmidlin in Köln, hat sich in den letzen Wochen intensiv mit dem Problemfall "Ukraine" respektive deren Staatsschulden befasst. Dabei ist der Tüftler wieder einmal tief ins Thema - und damit in die Kapitalmarktprospekte der Emissionen ukrainischer Staatsanleihen und auch die poltischen Irrungen und Wirrungen - eingetaucht. Redaktionelle Anmerkung: Wir berichteten über den Ansatz von ProfitlichSchmidlin in Printausgabe 1/2015: "Aufschlussreiche Lektüre"

Schmidlins Credo hinsichtlich ukrainischer Anleihen lautet derzeit: "Hände weg von diesen Bonds!" Warum er zu dieser Schlussfolgerung kommt, erläutert er im folgenden Gastbeitrag:

Das Beispiel Hellas und seine Implikationen

Die Restrukturierung der griechischen Staatsanleihen im Frühjahr 2012 hinterließ unter institutionellen Investoren in Europa ein gemischtes Bild: Es herrschte blankes Entsetzen, dass die Regierung es wagte, die 93 Prozent nach eigenem, also griechischem, Recht begebenen Anleihen tatsächlich durch die Verabschiedung eines neuen Gesetzes quasi per Federstrich zu beschneiden. Vielen Haltern der übrigen nach ausländischem Recht begebenen Anleihen drohte dieses Schicksal jedoch nicht, da diese nicht ohne weiteres unilateral restrukturiert werden konnten und tatsächlich bis heute bedient werden.

Sind nach ausländischem Recht begebene Anleihen wirklich sicherer? Mitnichten!

Seit dieser Zeit scheint sich die Erkenntnis verfestigt zu haben, dass Staatsanleihen nach ausländischem Recht per se sicherer, oder gar absolut sicher sind – dies ist ein Trugschluss. Das anwendbare Recht nach dem eine Staatsanleihe begeben wurde ist zwar eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung, um deren Sicherheit zu beurteilen. Erst in Kombination mit den weiteren konkreten vertraglichen Ausformulierungen einer jeden Anleiheemission fügt sich das Puzzle. Dies wird sich aus unserer Sicht auch in der Ukraine wieder zeigen.

Wer Value sucht, ist aus zwei Gründen bei der Ukraine falsch

Die anstehende Staatsanleiherestrukturierung in der Ukraine ist aus zwei Gründen für wertorientierte Investoren wenig interessant: Zum einen weisen ukrainische Staatsanleiheprospekte einige Tücken und Fallstricke auf und zum anderen wird auch diese Restrukturierung nichts an den fundamentalen Problemen des Landes ändern.

Prospektrechtliche Komponente

Nahezu alle international begebenen Staatsanleihen der Ukraine wurden nach englischem Recht aufgelegt. Eine unilaterale Gesetzesänderung zur Beschneidung der Gläubigerrechte ala Griechenland ist somit grundsätzlich nicht möglich. Im Prospekt lautet es dazu unmissverständlich:
"The Trust Deed, the Agency Agreement and the Notes are governed by, and will be construed in accordance with, English law."

Eigenwillige pari passu-Klausel

Als nächstes empfiehlt es sich, die pari passu-Klausel zu prüfen. Diese Klausel spielte über Jahre keine besondere Rolle in Staatsanleihekontrakten, bis während den Argentinienklagen durch den Hedgefonds Elliott Management eine neue Deutung der Klausel vor Gericht durchgesetzt werden konnte. Die pari passu (Latein für „im gleichen Schritt“) definiert den Status beziehungsweise die Rangigkeit einer Anleihe und stellt in der Regel sicher, dass gleichrangige Anleihen im Insolvenzfall auch gleichrangig behandelt werden. Die Ukraine verwendet die folgende Abwandlung der Standardformulierung:
"The Notes constitute direct, unconditional and, […], unsecured obligations of the Issuer and […] rank pari passu without any preference among themselves. The payment obligations of the Issuer under the Notes shall rank at least pari passu with all other unsecured and unsubordinated obligations of the Issuer, present and future, save only for such obligations as may be preferred by mandatory provisions of applicable law."

Zusatz zu pari passu als Eintrittstor für legistische Aushebelungsversuche

Der erste Teil der Klausel entspricht der relativ ungefährlichen Standardklausel. Der zweite Teil hat es aber in sich, da dort der Zusatz „save only for such obligations as may be preferred by mandatory provisions of applicable law.” eingeschoben wurde. Dies erlaubt dem Emittenten grundsätzlich durch Gesetzesbeschluss andere Verbindlichkeiten als vorrangig zu definieren. Diese Variante der pari passu-Klausel hat sich vor einigen Jahren, entweder durch einen Copy/Paste-Fehler oder aus Absicht auch in einige andere europäische Staatsanleiheprospekte eingeschlichen. Ursprünglich stammt dieser Zusatz aus dem Bereich der Unternehmensanleihen. Dort macht der Zusatz auch Sinn, da zum Beispiel die Ansprüche von Insolvenzverwaltern per Gesetz als vorrangig zu gewöhnlichen Gläubigern definiert werden müssen. In Staatsanleihen entfaltet dieser Zusatz aber eine fatale Wirkung, da der Staat selbst eben jenes „applicable law“ verändern kann.

Schweißtreibend: Die modifzierte Payment-Klausel

Für Investoren in ukrainischen Staatsanleihen könnte es aber noch schlimmer kommen: Sämtliche nach englischem Recht aufgesetzten Staatsanleihen enthalten in der Regel eine sogenannte „Payment“-Klausel, die normalerweise das technisch anwendbare Recht bezüglich der Zahlungen definiert. Die Standardform lautet:
"All payments in respect of the Notes are subject in all cases to any applicable fiscal or other laws and regulations in the place of payment […]",
wobei “in the place of payment” dann in der Regel auf Luxembourg oder London abstellt, wodurch auch hier nicht das inländische Recht anwendbar ist.

Auch Weglassungen haben es in sich

Die ukrainische Version hat diesen kleinen, aber feinen Zusatz einfach weggelassen:
"All payments in respect of the Notes are subject in all cases to any applicable fiscal or other laws and regulations […]"

Es stellt sich die Frage, welches Recht denn “anwendbarer” ist, als das eigene, lokale Recht. Mit dieser Interpretation könnte die Ukraine lokales Recht in Anleihen einfügen, die ursprünglich nach ausländischem, in diesem Fall englischem, Recht begeben wurden.

Wir die englische Rechtssprechung dies akzeptieren?

Dies würde zu einer rechtlich schwierigen Situation führen: Zum einen müsste sich das Land die Frage stellen lassen, weshalb die Anleihen überhaupt nach englischem Recht emittiert wurden, wenn sich mit der Formulierung der Payment-Klausel doch alle Optionen offen gelassen wurden? – Andererseits geht die englische Rechtsprechung prinzipiell davon aus, dass eine absichtliche Änderung einer Standardklausel (wie hier geschehen) stets auch eine neue Interpretation der Klausel impliziert und beide Parteien durch den Verkauf der Anleihen dieser neuen Interpretation auch zustimmen. Uns schwant, dass zumindest einer der Parteien den Prospekt vor der Emission nicht gelesen hat.

Ukraine schuf per Gesetz Fakten: Zahlungsmoratorium für Auslandsanleihen

Alles nur graue Theorie? – Bis kürzlich sicher, doch am 19. Mai 2015 hat die ukrainische Regierung ein neues Fiskalgesetz verabschiedet, welches ein Moratorium auf sämtliche Zahlungen für die nach internationalem Recht begebenen Anleihen begründet. Dies ist maßgeblich aufgrund der oben geschilderten Prospektlücke möglich. Ob diesem Vorgehen vor einem englischen Gericht Rechtmäßigkeit zugesprochen wird, sei dahingestellt, es erhöht die Druckmittel der ukrainischen Regierung gegenüber den Gläubigern allerdings deutlich.

Politik kommt ins Spiel: Druck auf Gläubiger wird erhöht

Auch die politische Seite dieser Staatsschuldenrestrukturierung hat eine prospektrechtliche Dimension. Kurz vor seiner Flucht nach Russland hatte Ex-Präsident Janukowitsch einen Kredit beim Nachbarland aufgenommen. Ungewöhnlicherweise wurde dieser Kredit mittels einer (ausschlich von Russland gezeichneten) Anleiheemission begeben und nicht wie sonst üblich in Form eines bilateralen Kredits. Es wird auch schnell klar weshalb: Diese ukrainische Staatsanleihe, und nur diese, ist mit einer Klausel ausgestattet, die es Russland erlaubt, die Anleihe bei Überschreiten einer Debt/GDP Quote von 60% sofort fällig zu stellen. Konkret sagt der Prospekt dazu:
"So long as the Notes remain outstanding the Issuer shall ensure that the volume of the total state debt and state guaranteed debt should not at any time exceed an amount equal to 60 per cent. of the annual nominal gross domestic product of Ukraine."

Prospektkrieg um die spezielle Janukowitsch-Anleihe vor Londoner Gericht?

Der Krieg zwischen Ukraine und Russland könnte seine nächste Wendung also vor einem englischen Gericht erfahren – ein kalter Prospektkrieg sozusagen. Neben dieser politischen Facette der Transaktion ist auch die aktive Beteiligung des Internationalen Währungsfonds aus Gläubigersicht ein zweischneidiges Schwert: Zum einen ist die Ukraine zur Bedienung ihrer Kredite auf den IWF angewiesen, zum anderen pocht der IWF jedoch auch auf eine Restrukturierung der ausstehenden Ukraineanleihen inklusive eines Nennwertverzichts. Selbstredend sind letztlich auch die geopolitischen Verflechtungen der Ukraine als Prellbock zwischen Nato und Russland nicht förderlich, den Ausgang der Restrukturierungsbemühungen und künftigen Schuldentragfähigkeit der Ukraine verlässlich einzuschätzen.

Schwer kalkulierbare Ergebnisse dank Prospekt-Lücken und politischer Faktoren

Staatsanleiherestrukturierungen sind insbesondere dann schwer kalkulierbar, wenn prospektrechtliche Lücken vorhanden sind und viele politische Faktoren mit in die Verhandlungen einfließen. Beides ist in diesem Fall gegeben, weshalb ukrainische Staatsanleihen zu aktuellen Kursen um 50 Prozent des Nennwerts aus unserer Sicht ein hochspekulatives und riskantes Investment darstellen. (ns/kb)

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