Russell Napier: Das Ende als Anfang
Der schottische Finanzhistoriker Russell Napier zeichnete als Keynote Speaker auf dem Institutional Money Kongress 2025 ein klares und teils ernüchterndes Bild von der neuen Weltordnung, auf die der Globus zusteuert und an dessen Anfang das Ende unserer aktuellen geopolitischen Ära steht.
Russell Napier, Gründer des „Library of Mistakes“ in Edinburgh und einer der scharfsinnigsten Chronisten monetärer Umbrüche, nahm in seinem Vortrag kein Blatt vor den Mund. „Wir stehen am Ende einer geldpolitischen Ära“, so sein zentrales Argument. Der Paradigmenwechsel sei bereits im Gange: weg von geldpolitisch getriebener Reflation, hin zu fiskalisch orchestrierter Kapitalbindung – und letztlich Kapitalrepression.
Zentraler Mechanismus: Kapital zieht sich zurück. Der jahrzehntelange globale Kapitalexport – insbesondere aus Europa – läuft aus. „Wir erleben eine Repatriierung von Kapital“, so Napier. Die Ursachen sind vielfältig, die Konsequenzen tiefgreifend. Der Autor des inzwischen als Klassiker geltenden "Anatomy of the Bear" spricht von einer Kapitalkrise, die leise begonnen hat, aber das Potenzial besitzt, globale Kapitalströme dauerhaft zu verändern.
Schlüsselspieler China
Napier widerlegte die gängige Vorstellung, dass das Reich der Mitte vor einer neuen Reflationswelle stehe. Die Daten erzählten eine andere Geschichte: Die Wachstumsraten der breiten Geldmenge (M2) lägen mit rund sieben Prozent auf dem niedrigsten Stand seit den 1990er Jahren. Auch die Kreditvergabe stagniere – obwohl chinesische Banken mehrheitlich in Staatsbesitz seien. Der private Schuldendienstquote habe ein Allzeithoch erreicht, gleichzeitig sei die Zinsstrukturkurve seit August 2024 invers geworden – für Napier ein sicheres Zeichen für Deflation, nicht für Reflation.
Seine Schlussfolgerung: China müsste seine Währung freigeben, massiv Geld drucken und so das BIP-Wachstum über die Verschuldungsdynamik heben. Doch das sei politisch heikel – und würde zwangsläufig zu neuen Handelskonflikten führen. „Ein schwächerer Renminbi wird nicht einfach europäische Märkte mit günstigen E-Autos fluten“, warnte Napier. „Er wird in einer neuen Welle von Zöllen und Entkopplung enden.“
Frankreich, Kiribati und Mikronesien ...
Mit Blick auf die Eurozone nahm der schottische Finanzhistoriker vor allem Frankreich in den Fokus. Dort sei die private und öffentliche Verschuldung auf insgesamt 333 Prozent des BIP gestiegen – ein dramatischer Anstieg im Vergleich zu Deutschland mit 202 Prozent. Während beide Länder bei Einführung des Euro 1999 noch ähnlich verschuldet waren, habe Frankreich seither massiv aufgeholt. Besonders alarmierend: Die Schuldendienstquote des französischen Privatsektors habe – mit Ausnahme der Covid-Zeit – ein Rekordniveau erreicht.
Hinzu komme eine massive Abhängigkeit von externen Kapitalgebern: Über 54 Prozent der französischen Staatsschulden würden von Ausländern gehalten. Bei einer Staatsquote von 58 Prozent sei das eine gefährliche Konstellation. „Nur Kiribati und Mikronesien haben höhere Staatsquoten“, so der Schotte trocken.
Er macht dafür auch die Politik der EZB verantwortlich: Die Kapitalflüsse aus Deutschland, begünstigt durch niedrige Zinsen und fehlende Rendite-Alternativen, hätten Frankreich über Jahre hinweg stabilisiert. Doch mit dem Auslaufen der Anleihekaufprogramme und steigenden Emissionen deutscher Staatsanleihen verschiebe sich dieses Gleichgewicht. „Die Ersparnisse der Welt kehren heim“, so Napier. Für Frankreich bedeutet das: Finanzierung wird schwieriger, teurer – im Extremfall droht Illiquidität.
Kapitalbindung durch Regulierung
Napier geht davon aus, dass die nächste Phase von Kapitalbindung nicht durch Zinsmanipulation, sondern durch Regulierung erfolgen wird. Denkbar sei etwa, steuerlich geförderte Anlagevehikel – etwa Lebensversicherungen oder Pensionsfonds – zur Investition in heimische Assets zu verpflichten. Großbritannien diskutiere bereits, ob bestimmte Steuerprivilegien nur bei nationaler Asset-Allokation gewährt werden sollen. „Sie denken wie ein Politiker, wenn Sie das in Erwägung ziehen – das ist gut“, antwortete Napier auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum. In einer Welt, in der institutionelle Anleger den Großteil der Märkte dominieren, sei Kapitallenkung heute einfacher denn je. Die Instrumente seien bekannt – aus der Zeit von 1945 bis 1979, als Kapitalverkehrskontrollen in vielen westlichen Ländern gang und gäbe waren.
Eurozone vor Fragmentierung?
Zum Schluss nahm Napier die Zukunft der Eurozone ins Visier. Eine mögliche Lösung für Frankreichs strukturelle Schwächen sei die Vergemeinschaftung von Schulden auf EU-Ebene. Doch die Zeichen stünden eher auf Dezentralisierung. Zwar sei ein gemeinsamer Verteidigungsfonds in Höhe von 150 Milliarden Euro angedacht, gleichzeitig aber plane Deutschland eigene Emissionen von über 500 Milliarden für Infrastruktur und Verteidigung.
„Wenn Deutschland beginnt, deutsche Anleihen zu emittieren, um deutsche Ersparnisse für deutsche Projekte zu mobilisieren, dann ist das der Anfang vom Ende der fiskalischen Integration“, so Napier. Für den Euro sei das langfristig problematisch – insbesondere, wenn Frankreich keine weiteren deutschen Ersparnisse über EU-Kanäle binden könne.
Napier bleibt in seiner Empfehlung klar: „Keine Anleihen, stattdessen Gold und Value-Aktien.“ Den S&P 500 meidet er – nicht aus Überzeugung, sondern aus Bewertungssicht. „Value gibt es auch in den USA, aber Buffett hat ein Größenproblem – die meisten Value-Titel sind zu klein für ihn.“ Für Anleger bedeute das: Auch jenseits Amerikas gebe es attraktive Value-Gelegenheiten – insbesondere in Japan und Deutschland. (hw)