Matthew Benkendorf zur aktuellen Lage in den USA
Das Risiko eines kurzfristigen Zahlungsausfalls der USA besteht weiterhin – mit weitreichenden Folgen, warnt Matthew Benkendorf, CIO, Vontobel Quality Growth Boutique. Hinzu kommen strukturelle Probleme am US-Aktienmarkt, die institutionelle Investoren auf der Rechnung haben sollten.

© Vontobel
Die am Wochenende erzielte Einigung zwischen Präsident Joe Biden und dem Sprecher des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy hat die Zuversicht gestärkt, dass die Lösung des Problems der US-Schuldenobergrenze in greifbare Nähe rückt und die Zahlungsunfähigkeit der größten Volkswirtschaft der Welt abgewendet werden kann. Dennoch gibt es noch eine große Hürde, die überwunden werden muss, da die Mitglieder der republikanischen Partei diese Woche in beiden Kammern gegen die Vereinbarung kämpfen wollen, schreibt Matthew Benkendorf, CIO, Vontobel Quality Growth Boutique, in einer "Institutional Money" exklusiv vorliegenden Analyse.
Obwohl McCarthy davon ausgeht, dass die Mehrheit seiner Parteimitglieder das Abkommen letztendlich akzeptieren wird, ist die Möglichkeit, dass das Abkommen abgelehnt wird, nicht unwahrscheinlich. Dann bleiben nur noch wenige Tage, um die Zahlungsunfähigkeit der USA abzuwenden, die nach dem derzeitigen Stand der Dinge am 5. Juni eintreten könnte.
Parallelen zu 2008?
Im Falle eines Zahlungsausfalls würden die Finanzmärkte heftig reagieren, aber die Heftigkeit ihrer Reaktion würde letztlich zu entschlossenen politischen Maßnahmen führen, wie wir es während der globalen Finanzkrise erlebt haben, glaubt Benkendorf.
Damals wurden die Konjunkturprogramme und die Maßnahmen der US-Regierung zunächst abgelehnt, aber die negative Marktreaktion schreckte die Politiker auf und führte dazu, dass die Maßnahmen schließlich verabschiedet wurden.
Auch wenn die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls bestehe, ist es laut Benkendorf unwahrscheinlich, dass die US-Regierung ihre Schulden für längere Zeit nicht bedienen kann. Aber selbst im Falle eines kurzzeitigen Zahlungsausfalls wäre der Schaden bereits angerichtet.
Schaden für Stabilität und Vertrauen
Das größte Problem, auf das sich institutionelle Investoren konzentrieren sollten, ist der dauerhafte Schaden, den ein technischer Ausfall für die wirtschaftliche Stabilität und vor allem für das Vertrauen bedeuten würde. Wie die Wirtschaftsdaten zeigen, ist die US-Wirtschaft mit einer fortschreitenden und anhaltenden Verschlechterung konfrontiert, wobei sich die Auswirkungen der höheren Zinssätze allmählich bemerkbar machen - die Bankenkrise im ersten Quartal und die anschließende Kreditverknappung seien die deutlichsten Beispiele.
In diesem Umfeld besteht das eigentliche Risiko darin, dass ein exogenes Ereignis eintritt, das das Vertrauen in die Wirtschaft erschüttert und den "animal spirits", die die Wirtschaft antreiben, einen Riegel vorschiebt. "Wenn diese, aus welchen Gründen auch immer, gebrochen werden, wird es schwieriger, eine Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und das Vertrauen wiederherzustellen", mahnt Benkendorf.
In diesem Fall würde die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA gegen Jahresende oder zu Beginn des nächsten Jahres steigen. Dies würde sich wahrscheinlich auf die Weltwirtschaft auswirken, da die USA traditionell den Rest der Welt, einschließlich Asien, nach unten ziehen.
Europa habe jedoch im Vergleich zu den USA mehr Rückenwind beim Wachstum, ebenso wie Asien, das sich immer noch von der Pandemie erholt, was beiden Regionen helfen könnte, den Sturm zu überstehen und jegliche Marktvolatilität zu bewältigen.
Es bleibt auch abzuwarten, ob China bereit wäre, eine aggressivere Stimulierungspolitik gegenüber der heimischen Wirtschaft zu verfolgen, was letztendlich dazu beitragen könnte, den Auswirkungen einer US-Rezession auf die Weltwirtschaft entgegenzuwirken.
Warnung: Der US-Aktienmarkt ist nicht gesund
Eine Zahlungsunfähigkeit der USA würde sich wahrscheinlich auch auf den US-Aktienmarkt auswirken, der nicht so gesund ist, wie er zu sein scheint. "Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich um einen engen Markt handelt, dessen Entwicklung nur von einem Dutzend Unternehmen getragen wurde. Insgesamt hat der Wert der US-Aktien zugenommen, aber die meisten Aktien stagnieren oder sind gesunken", erinnert Benkendorf.
Die Kurse wurden nicht zuletzt von den positiven Aussichten für die Zinssätze im späteren Verlauf des Jahres angetrieben. Die Märkte gehen im Allgemeinen immer noch davon aus, dass die Zinssätze in der zweiten Jahreshälfte gesenkt werden, was angesichts der derzeitigen Inflationslage eine unrealistische Annahme sei.
KI-Hype überdeckt vieles
Die derzeitige Euphorie über die Künstliche Intelligenz (KI) überdeckt diesen ungesunden Zustand. Zwar wird die KI mit der Zeit einen tiefgreifenden Wandel der Volkswirtschaften bewirken, indem sie vielen Unternehmen und Verbrauchern hilft, doch ist es unwahrscheinlich, dass sie die Auswirkungen haben wird, die sich der Markt derzeit erhofft.
Wie wir bei anderen technologischen Innovationen gesehen haben, werden sich die Auswirkungen nicht über Nacht einstellen, sondern schrittweise erfolgen. Die KI-Story würde nicht ausreichen, um die negativen Auswirkungen eines möglichen Zahlungsausfalls in den USA auf das Vertrauen und die Stimmung in der Wirtschaft und die daraus resultierenden Folgen für die Aktienmärkte zu überwinden.
"Investoren, die in den USA engagiert sind, sollten vorsichtig sein und sich in widerstandsfähigeren und weniger konjunkturanfälligen Unternehmen positionieren. Eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, Unternehmen in Sektoren wie Basiskonsumgüter und Gesundheitswesen in Betracht zu ziehen. Anleger sollten weiterhin Unternehmen meiden, die zu zyklisch sind, hohe Bewertungen haben oder deren Gewinnentwicklung nicht vorhersehbar ist", empfiehlt Benkendorf abschließend. (aa)