Eine Fortsetzung der Europa-Hausse? 500 Milliarden Gründe sprechen dafür
Der unterjährige Performance-Vorsprung von europäischen Aktien gegenüber jenen der USA ist zuletzt gegen Null geschrumpft. Nichtsdestotrotz orten manche Fondshäuser – von der Boutique bis zum Supertanker – für Europa auch zukünftig strukturelle Vorteile. Eine gezielte Titel-Auswahl bleibt ratsam.

Für viele überraschend haben europäische Aktien ihre US-amerikanischen Pendants über weite Strecken des laufenden Jahres outperformt. Angesichts der Tatsache, dass dieser Vorsprung –etwa im Vergleich zwischen S&P 500 und dem Stoxx 600 – inzwischen auf nahezu null zusammengeschrumpft ist, stellt sich die Frage, ob der europäische Markt bereits sein Pulver verschossen hat, oder die Hausse weitergeht.

Quelle: Bloomberg
Strategischer Impuls
„Europa wird im kommenden Jahr einen spürbaren fiskalischen Rückenwind erleben. Das Infrastrukturpaket von rund 500 Milliarden Euro ist weit mehr als ein Investitionsprogramm. Es ist ein strategischer Impuls für Digitalisierung, Energie und Verteidigung. Auch wenn zusätzliche Maßnahmen wie ein deutlicher Bürokratieabbau erforderlich sind, erwarten wir nach Jahren fiskalischer Zurückhaltung eine klare Belebung der Wachstumsdynamik in der Eurozone“, meinte beispielsweise Madeleine Ronner, DWS-Fondsmanagerin für globale Aktien, am Rande einer Pressekonferenz in Wien. Ronner managt den DWS Invest Critical Technologies sowie den DWS Smart Industrial Technologies. Außerdem ist sie eine der stellvertretenden Fondsmanager des DWS Top Dividende. Darüber hinaus ist sie Research Head für den Sektor Industriewerte.
Während die USA aus Ronners Sicht "lediglich einen neutralen fiskalischen Impuls verzeichnen, deutet sich in Europa eine klare Trendwende an. Das führt zu steigenden Wachstumsraten, während die Dynamik in den Vereinigten Staaten allmählich nachlässt." Europa sei zudem stärker von der Fertigungsindustrie abhängig als die USA, und diese war in den vergangenen Jahren besonders schwach. "Bei einer zyklischen Erholung profitiert Europa daher überproportional. Zusammengenommen bedeutet das: Das Gewinnwachstum in Europa zieht an, während es in den USA von sehr hohen Niveaus abflacht. Auch wenn die absoluten Gewinnzuwächse in den USA weiterhin höher bleiben, erscheint die Bewertungsprämie für US-Aktien vor dem Hintergrund eines sich schließenden Wachstumsspreads kaum noch gerechtfertigt. Europa ist im relativen Vergleich schlicht zu günstig", so die DWS-Managerin
Und die USA?
Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten meint sie: „Hohe Bewertungen in den USA sind kein unmittelbarer Auslöser für eine Korrektur, erhöhen jedoch das Risiko und die Fallhöhe, wenn das Wachstum enttäuscht. In Europa sehen wir dieses Risiko nicht: moderate Bewertungen, ein positiver fiskalischer Impuls und ein attraktives Chance-Risiko-Profil sprechen klar für eine Präferenz europäischer Aktien.“ Und: „Ein weiterer Punkt zugunsten europäischer Aktien ist die Währungsseite. Die USD-Schwäche wirkt als deutlicher Gegenwind für Euro-Investoren in US-Titeln, und Hedging ist teuer.“
Geografische Diversifikation
Beim Fondshaus Alken weist man wiederum darauf hin, dass die globale Indexlandschaft nach wie vor eine deutliche Verzerrung auf weist: Die USA erwirtschaften zwar nur rund 26 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, machen im MSCI World jedoch ganze 72 Prozent der Gewichtung aus. Deutlich unterrepräsentiert sind dagegen die Schwellenländer: Sie leisten 24 Prozent des weltweiten BIP, spiegeln sich im Index jedoch lediglich mit rund 13 Prozent wider. Die US-Börsen wurden zuletzt von einer Handvoll Tech-Giganten dominiert, wodurch die Marktkonzentration ein Rekordniveau erreicht hat, die nach der Einschätzung von Alken inzwischen nahe an den Extremwerten der Großen Depression von vor 96 Jahren liegt.
Quelle: Alken Funds
Die Risiken dieser Überkonzentration sind angesichts des wachsenden politischen Risikos besonders besorgniserregend, da die Planbarkeit für Unternehmen dort spürbar abnimmt“, warnt Nicolas Walewski, Gründer und CIO von Alken Fund.
Europäische Positionierungen
„Einige Positionen beispielsweise in der Verteidigungsindustrie, haben sich in diesem Jahr sehr stark entwickelt. Wir haben in den vergangenen Monaten kontinuierlich Gewinne bei den klassischen Rüstungswerten wie Rheinmetall und Renk realisiert und in kleinere, weniger bekannte Werte umgeschichtet, die von denselben strukturellen Treibern profitieren dürften wie die bekannten Champions“, sagt Marc Festa, der den Alken Fund European Opportunities und den Alken Fund Small Cap Europe co-managt.
Ambivalenz führt zu Stock Picking
Aus Sicht von Columbia Threadneedles Client Portfolio Manager Francis Ellison "ist Europa ein dynamischer und vielschichtiger Markt. Die Dynamik zeigt sich darin, dass frühere Gewinner wie Konsumgütermarken zunehmend von neuen Erfolgsbranchen abgelöst werden – insbesondere von leistungsstarken Industrieunternehmen. Die Vielfalt Europas spiegelt sich in den unterschiedlichen Geschäftsmodellen wider."
Auf der anderen Seite "stehen einige Unternehmen durch Zölle und geopolitische Spannungen unter Druck. Deshalb ist eine gezielte Titelauswahl entscheidend, um jene Unternehmen zu identifizieren, die vom wachsenden Kapitalzufluss und Interesse profitieren – etwa durch Investitionen in deutsche Infrastruktur und Verteidigung sowie weitere positive Impulse", so Ellison.
Ellisons positiv-ambivalente Einschätzung bleibt übrigens auch nach einem nüchternen Bewertungsvergleich bestehen:

Quelle: Columbia Threadneedle
Hier zeigt sich, dass die Bewertungen in Kontinentaleuropa zwar seit Jahresbeginn angestiegen sind und sich somit leicht über dem langjährigen Durchschnitt befinden. Im Vergleich zu globalen Aktien oder US-Titeln ist der Markt aber immer noch günstig. (hw)