DVFA-Mitglieder besorgt über Folgen des Trends zu passiven Anlagen
Angesichts der Wachstumsraten der letzten Jahre konnte es kaum überraschen: Ende 2023 überstiegen zumindest in den USA die Volumina passiver Aktienfonds erstmals die der aktiv verwalteten Fondsgefäße.
In der aktuellen Monatsfrage sollten die Investment Professionals der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) angeben, wie sie diese weltweite Entwicklung und deren Folgen in Bezug auf die steigende Bedeutung passiver Vermögensanlagen einschätzen.
Gründe für aktives Management
Die Teilnehmer sehen – ohne Mehrfachnennungen – durchaus Gründe gegen passives und für aktives Fondsmanagement, vor allem wegen des höheren Potentials, langfristig den Markt zu schlagen (Outperformance, 52 Prozent) oder aufgrund des Risikomanagements (33 Prozent). Denn grundsätzlich können aktive Manager schneller und zielgenauer als indexgebundene Fonds auf veränderte Gegebenheiten und Daten reagieren. Insbesondere in engeren, weniger effizienten Märkten oder wenn spezifische Anlagevorschriften einzuhalten sind.
Eher längere Haltedauer bei Passiven
Befragt nach der Haltedauer gehen 43 Prozent der Teilnehmer davon aus, dass passive Fonds länger gehalten werden als aktive Vehikel, doch immerhin 30 Prozent erwarten das Gegenteil („kein Unterschied“: 27 Prozent). In der Tat kommt es hier vor allem auf die Motivation der Investoren an. So nutzen institutionelle Anleger ETFs gern zur taktischen Allokation, um bestimmte Exposures schnell verändern zu können.
Negative Liquiditätswirkungen befürchtet
Seit mehr als zehn Jahren gilt das Augenmerk auch von Aufsehern wie FSB, BIZ und IWF besonders den Liquiditätswirkungen passiver Anlageformen, gerade in Krisenzeiten. Auch über 40 Prozent der DVFA Investment Professionals erwarten negative Folgen für die Marktliquidität infolge des weltweit gestiegenen passiv verwalteten Vermögens. Immerhin 32 Prozent jedoch nehmen positive Effekte an, 28 Prozent sehen keine Auswirkungen. Skeptisch gesehen werden vor allem getriggerte „Herdeneffekte“ passiver Fonds, sobald Kauf- und Verkaufsschwellen überschritten werden.
Erhöhte Korrelation und Konzentration bei Einzeltiteln erwartet
Folgerichtig wurde auch nach den Wirkungen auf Korrelationen und Konzentrationen bei Einzeltiteln gefragt. Hier war das Ergebnis eindeutig: Zwei Drittel (67 Prozent) der Teilnehmer sehen erhöhte Korrelationen, vor allem aber Konzentrationen als Folge der immer höheren passiv verwalteten Vermögen.
Welchen Effekt hat Ihrer Ansicht nach das gestiegene passiv verwaltete Vermögen auf Korrelationen und Konzentrationen von Einzeltiteln?
In den Kommentaren wurde deutlich, dass viele Teilnehmer diese Entwicklung vor allem für dominante, im Index „schwere“ Werte sehen und weniger für die kleineren Titel.
Höheres Marktrisiko?
Infolgedessen sehen 59 Prozent ein erhöhtes Gesamtrisiko, also vor allem eine größere Marktvolatilität, insbesondere in Abschwungphasen. Keine beziehungsweise sich gegenseitig ausgleichende Effekte erwartet ein Drittel der Investment Professionals. Eine gewisse Tendenz zur Überbewertung könne allein schon durch stetige Nachfrage passiv verwalteter Fonds entstehen. Und umgekehrt kann durch passive Fonds in Krisenzeiten der bekannte „Drehtüreffekt“ deutlich verstärkt werden, so bei negativen Meldungen, plötzlich gehäuften Anteilsrückgaben respektive Portfolioumschichtungen. Das gilt gerade für auf Spezialthemen gerichtete Indexprodukte. Als während der griechischen Staatsschuldenkrise die Athener Börse Mitte 2015 vorübergehend geschlossen war, warnten auch bekannte Investoren wie Carl Icahn und Bill Gross vehement vor den Folgen der ETFs, insbesondere vor einer „Liquiditätsillusion“ und dem plötzlichen Austrocknen der Märkte.
IPOs und passive Investments
Deutlich entspannter sehen die Teilnehmer einen möglichen direkten (generischen) Effekt der passiv verwalteten Vermögen auf die Attraktivität von Börsengängen. 59 Prozent erkennen hier keine Auswirkungen, eher negative Folgen für IPOs erwarten indessen 28 Prozent, positive Wirkungen nur 13 Prozent. Dies ist insofern interessant, als frisch börsennotierte Aktien in der Regel noch in keinem Index enthalten und somit von Indexprodukten ausgeschlossen sind. Insbesondere Small Caps könnten daher bei zunehmend passiv verwalteten Vermögen tendenziell Nachteile haben.
Tendenziell steigende Bedeutung der Fundamentalanalyse erwartet
Sollten durch die passiven Fonds und Produkte die Korrelationen von Einzelwerten steigen, würde Fundamentalanalyse von Investmentbanken, Brokern und Fondsmanagern weniger wichtig. Das sehen 23 Prozent der Teilnehmer so. Fast jeder zweite dagegen (48 Prozent) erwartet eine geringere Markteffizienz und dadurch steigende Bedeutung der Fundamentalanalyse. Gleichbleibende Wichtigkeit sehen 29 Prozent der Investment Professionals.
Risse im Ökosystem?
„Darin liegt in der Tat eine Chance zur Trendumkehr“, schließt Ingo R. Mainert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DVFA, an die letzte Frage an. „Je weniger Geld aktiv gemanagt wird, desto mehr kommt es darauf an, Informationsasymmetrien im Voraus zu erkennen und zu nutzen, gerade für kleinere und mittlere Werte. Es gibt also keinen Grund, den 'Faktor Mensch' im Asset Management abzuschreiben.“
„Es war allerdings zu befürchten, dass eine Mehrheit der Investment Professionals die Zunahme passiv gemanagter Fonds eher mit negativen Folgen – höhere Konzentration und Volatilität – verbindet“, kommentiert Mainert die Umfrage. „Das gilt vor allem für schwierige, krisenhafte Marktsituationen, und wenn man die Sache extrem denkt.“ Denn würden sämtliche Anlagegelder in passiven Indexprodukten liegen, gäbe es keine fakten- und datengetriebene mikroökonomische Preisbildung mehr. Die Asset-Preise könnten durch die Zuflüsse immer nur steigen. „Doch dazu muss es nicht kommen“, fährt Mainert fort, „denn Research, Datenanalyse, menschliche Erfahrung und vorausschauendes, aktives und wirkungsorientiertes Fondsmanagement schaffen Mehrwert – und sind für eine funktionierende Marktwirtschaft unverzichtbar.“
Fazit
„Der Begriff „passiv gemanagtes Produkt“ ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Natürlich sind diese Instrumente nützliche Elemente des Kapitalmarktes, bringen den Anlegern durch Skalierungseffekte Vorteile hinsichtlich der Kosten und erleichtern die Diversifizierung. Aber ich sehe durch die jetzt erreichten Größenordnungen doch ein paar Risse im Ökosystem der Märkte und auch Gefahren für die Kapitalallokation. Mehrere Studien – kürzlich auch von der Frankfurter Goethe-Universität – deuten darauf hin, dass Preise einer Assetklasse oder eines Einzelwerts durch den Passivtrend stärker von der Gewichtung in einem Index abhängen. Unternehmensspezifische Fundamentaldaten und dadurch generierte Preissignale verlieren tendenziell an Bedeutung. Dies ist volkswirtschaftlich problematisch und am Ende vielleicht sogar nachteilig für die Finanzstabilität.“ (kb)