Deutsche Grünstrom-Politik steht vor einer Quadratur des Kreises
Der jahrzehntealte deutsche Ansatz, Wind- und Solarstrom mit milliardenschweren Subventionen in den Markt zu drücken, bricht unter der Last seiner finanziellen Folgen zusammen. Für Regierungen weltweit stellt sich die Frage, wie lange sie sich die Förderung grüner Investitionen noch leisten können.
Die von den deutschen Stromkunden und Steuerzahlern finanzierten Subventionen haben zwar den Aufbau ganzer Industrien und weltweit sinkende Produktionskosten ermöglicht, aber auch dazu geführt, dass CO2-freie Energieproduktion so attraktiv geworden ist, dass die Strompreise an sonnen- und windreichen Tagen oft auf niedrige oder sogar negative Werte fallen. Da der Bund die Differenz ausgleicht, um den Erzeugern garantierte Gewinne zu sichern, werden sich die Subventionen in diesem Jahr auf rund 20 Milliarden Euro belaufen, doppelt so viel wie ursprünglich geplant.
20 Milliarden Euro an Subventionen - statt zehn wie geplant
Der von der Bild-Zeitung als “Strom-Irrsinn” gebrandmarkte Trend kommt für die Ampel-Koalition zu einem heiklen Zeitpunkt. Nicht nur, dass die Verbraucher in den letzten Jahren mit hohen Inflationsraten zu kämpfen hatten, auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Nutzung von Nebenhaushalten einen Riegel vorschob, veranlasst die Regierung im Rahmen der Haushaltskonsolidierung zu Ausgabenkürzungen auch im Sozialbereich.
Überwälzung auf Stromkonsumenten und Steuerzahler
Die Erzeuger sogenannter erneuerbarer Energien haben während der Energiekrise, die die Stromkosten in die Höhe getrieben hat, Milliarden verdient und tun dies auch weiterhin durch Subventionen, selbst nachdem die Preise gefallen sind. “Wir müssen das gesamte System vom Kopf auf die Füße stellen, sonst ist es nicht mehr finanzierbar”, sagte Nadine Bethge vom Verein Deutsche Umwelthilfe, einer Umweltlobby.
Deutschlands expandierende Solarmodule erzeugen mehr Strom
Durchschnittliche monatliche Solarstromleistung
Ist der warme Subventionsregen bald am Ende angelangt?
Das Problem, vor dem Deutschland steht, ist ein Vorbote dessen, was auch in anderen Ländern zu einer zentralen politischen Frage werden dürfte: Können es sich Regierungen, die sich den ökologischen Umbau der Wirtschaft auf die Fahnen geschrieben haben, leisten, die CO2-freie Stromerzeugung nicht mehr zu subventionieren?
Berlin treibt bereits erste Reformen voran
Diese zielen darauf ab, die Subventionen zu reduzieren, und es gibt Vorschläge für eine umfassendere Überarbeitung, die auf der Subventionierung der Investitionskosten und nicht auf garantierten Preisen für die Produktion basiert. Es zeichnet sich ein Konsens darüber ab, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz — das in den frühen 2000er Jahren entwickelt wurde — dazu gedacht war, junge Technologien zu unterstützen und nicht solche, die heute mehr als die Hälfte des Strommixes des Landes ausmachen.
Die Mehrbelastung in Form von Kosten einer Eiskugel pro Monat
“Die Technologie war schon damals kein Hexenwerk, aber sie musste marktfähig werden”, sagte Jürgen Trittin (Grüne), der Umweltminister war, als das Programm für saubere Energie entworfen wurde und 2004 versprach, dass ein Durchschnittshaushalt umgerechnet mit nicht mehr als einer Kugel Eis im Monat belastet würde. Die rot-grüne Bundesregierung stimmte schließlich zu, eine Subvention für Strom aus erneuerbaren Energien zu einem festen Preis über einen Zeitraum von 20 Jahren einzuführen, “aber mit dem Ziel, ihn wettbewerbsfähig zu machen.”
Eine mutige Umgestaltung könnte für den Rest Europas auf dem Weg zur vollständigen Dekarbonisierung bis 2050 richtungsweisend sein. Kritiker wie Simone Peter (Grüne), Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien, befürchten, dass ein zu rascher Schwenk Investitionen abwürgen oder in Länder mit günstigeren Bedingungen umleiten würde.
Es ist nicht die erste Aufforderung an Berlin, seine Subventionspolitik zu ändern
Da sie einen Mindestpreis garantiert, forderte die EU-Kommission Deutschland während der Energiekrise auf, auch eine Obergrenze für die Einnahmen der Versorger festzulegen, wie dies in Großbritannien und anderen Ländern der Fall ist. “Dies ist ein sehr flexibles System, das es in anderen Märkten nicht gibt”, sagte Nicolai Herrmann, Direktor der Beratungsfirma Enervis, gegenüber Bloomberg.
Differenzkontrakte, nein danke
Wirtschaftsminister Robert Habeck und Lobbygruppen, die die deutsche Industrie vertreten, haben Forderungen nach der Einführung von Differenzkontrakten — wie sie in Großbritannien verwendet werden — zurückgewiesen, da sie befürchten, dass sie Investitionen abwürgen könnten. Habeck hat sich stattdessen für einen Kapazitätsmechanismus ausgesprochen, bei dem eine bestimmte feste Leistung ausgeschrieben wird und der zunächst auf dem Markt getestet werden sollte. Erneuerbare Energien “werden weiterhin subventioniert werden, aber auf eine Art und Weise, die zunehmend markteffizient ist”, sagte Habeck letzten Monat gegenüber Reportern.
Bankenfinanzierungen gefährdet
Neben der mangelnden Klarheit über die künftige Subventionierung besteht eine Sorge darin, dass die Banken zögern werden, Investitionen in erneuerbare Energien zu finanzieren, wenn keine Gewissheit über die langfristige Rentabilität besteht. Solche Projekte sind weitaus attraktiver, wenn der Preis für die gelieferte Energie festgeschrieben ist, sagte Trevor Allen, Leiter der Abteilung Sustainability Research bei BNP Paribas Markets 360.
Offshore-Windkraft hingegen ist ein Selbstläufer
Das ist nicht für alle Arten von Investitionen ein Problem: Offshore-Windkraft ist so lukrativ geworden, dass die Entwickler bereit sind, Milliarden für die Rechte zur Erschließung des Meeresbodens zu zahlen. Bei Onshore-Wind- und Solarenergie ist es aufgrund der geografischen Beschränkungen schwieriger. Trotz des massiven Zubaus von Photovoltaik-Kapazitäten im letzten Jahr ist die tatsächliche Solarleistung in Deutschland aufgrund des bewölkten Himmels um 1,3 Prozent gesunken.
Zeitproblem
Ein weiteres Problem ist, dass jede Änderung der aktuellen Subventionen wahrscheinlich einen langwierigen EU-Genehmigungsprozess durchlaufen müsste, so Thomas Schulz, German Head of Energy bei Linklaters in Berlin, und es ist unklar, ob sie billiger wären.
Rückgang der Strom-Großhandelspreise bremst Projekte
Unterdessen hat der Rückgang der Großhandelspreise für Strom bereits begonnen, Projekte zu bremsen, die außerhalb des bestehenden Rahmens liegen — zum Beispiel aufgrund ihrer Größe — was darauf hindeutet, dass der Appetit der Investoren gering sein könnte, wenn die Förderung reduziert wird.
Deutsche Erneuerbare Energien trotz Subventionen noch weit von 2030-Zielen entfernt Installierte Gesamtkapazität von Wind- und Sonnenenergie, in Gigawatt
“Die Solarentwickler nehmen jetzt alle den Fuß vom Gas, wenn es um Investitionen geht, weil die erzielbaren Einnahmen für marktbasierte PV-Anlagen gesunken sind”, sagte Thorsten Kramer, Vorstandsvorsitzender von LEAG, einem großen Bergbauunternehmen, das bis 2030 sieben Gigawatt an erneuerbaren Anlagen installieren will.
Direkter Verträge mit Industriekunden als Hoffnungsanker
Eine Möglichkeit der Finanzierung, die Hoffnung auf einen weiteren Ausbau machen könnte, ist der Abschluss direkter Verträge mit Industriekunden. Obwohl Deutschland heute nach Spanien der zweitgrößte Markt für Stromabnahmeverträge in Europa ist, decken sie bisher nur einen winzigen Bruchteil von 3,6 Gigawatt ab. Ein Beispiel ist der Energiepark Witznitz südlich von Leipzig, wo diesen Monat Europas größter Solarpark eingeweiht wurde, der Strom direkt an Shell und Microsoft verkauft. Rund 1,1 Millionen Solarmodule bedecken hier 500 Hektar Land.
Laut Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) wird der Energiepark eine Menge von voraussichtlich 600 Gigawattstunden pro Jahr erzeugen. Zum Vergleich: Das zur Stilllegung vorgesehene Braunkohlekraftwerk Jänschwalde kann mehr als 20.000 Gigawattstunden im Jahr produzieren. “Wir sind heute in der Lage, Solaranlagen zu den gegebenen Kosten zu installieren”, sagte Wolfgang Pielmaier, ein Gesellschafter des Witznitz-Projekts, das unabhängig von staatlicher Förderung ist. “Es ist höchste Zeit, dass die erneuerbaren Energien nicht länger nach dem Staat rufen.” (kb)