Der Tellerblick reicht nur bis zur nächsten Wahl
Politiker, so sagt man, benutzen die Ökonomen, wie Betrunkene Laternen: Sie suchen nicht Licht, sondern Halt. Auch beim Streit um Schuldenbremse, Haushaltssperre und Etatkürzungen scheint die Politik das politische Kalkül den ökonomischen Realitäten vorzuziehen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Ungültigkeit des zweiten Nachtragshaushalts 2021 hat die Politik kalt erwischt. "Doch die Diskussion über Sinn und Zweck der Schuldenbremse lenkt von der eigentlichen Problematik ab", findet Dr. Ernst Konrad, Lead Portfoliomanager bei Eyb & Wallwitz. Er erläutert im Folgenden, warum die Politik die Schere an der falschen Stelle ansetzen möchte und wie diese politische Kurzsichtigkeit den langfristigen Wohlstand Deutschlands gefährdet.
Sparen am falschen Ende, nicht bei den Sozialausgaben
„Wenn der Staat plötzlich sparen muss, hat er zwei große Ausgabensektoren, an die er herangehen kann“, so Konrad „Zum einen die konsumtiven Ausgaben wie die Sozialausgaben und bürokratische Systeme oder öffentliche Investitionen wie Infrastruktur oder Bildung. Gerade letztere fallen dabei gerne den Einsparmaßnahmen zum Opfer.“ Sehen könne man dies hierzulande an zahlreichen Beispielen vom schlechten Schienennetz bis hin zu maroden Krankenhäusern und Schulen oder einer kaum einsatzfähigen Bundeswehr. Die Gründe dafür seien vielseitig. „An Sozialausgaben zu kürzen, sorgt eigentlich immer für einen medialen Aufschrei. Sparmaßnahmen bei der Bundeswehr oder beim Schienenausbau haben weniger Öffentlichkeit und erfahren geringeren politischen Gegenwind“, erklärt der Portfoliomanager. Ökonomisch sei dies aber fatal, da gerade langfristige Investitionen in Infrastruktur und Bildung die Wohlstandstreiber der Wirtschaft seien. „Der politische Zyklus ist vier bis fünf Jahre, oder anders gesagt: bis zur nächsten Wahl. Wirtschaftliche Zyklen sind meist deutlich länger. Investitionen zu kürzen, die zukünftige Wirtschaftszyklen treffen, ist politisch attraktiv, weil es kaum unmittelbare Konsequenzen für die nächste Wahlperiode hat.“
Politik für den Lebensabend
Ein weiterer Grund für die Kurzsichtigkeit der Politik findet sich in der Demografie und dem Wahlverhalten der Deutschen, so Konrad. Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung waren bei der Bundestagswahl 2021 über 55 Prozent der Wahlberechtigten über 50 Jahre alt. Auch die Wahlbeteiligung steige mit dem Alter. So lag sie 2021 bei den 60- bis 69-jährigen beispielsweise fast zehn Prozent höher als bei den 21- bis 24-jährigen. „Die Rente in fünf bis zehn Jahren ist für den Wahlerfolg deutlich relevanter als die Rente in 20 oder 30 Jahren“, erklärt Konrad. „So ist auch zu erklären, dass langfristige Projekte wie die Aktienrente so schnell unter dem Tisch landen, wenn man irgendwo einsparen muss.“ Das gehe nicht nur zu Lasten der jüngeren Generationen, sondern auch zu Lasten der Wirtschaft und des Wohlstands. „Öffentliche Investitionen führen oft zu nachgelagerten privaten Investitionen. Wenn die Regierung beispielsweise eine Ladeinfrastruktur aufbaut, wird der Markt für Elektroautos auch für die Hersteller deutlich attraktiver und sie investieren entsprechend.“ Doch diese Entwicklungen auf den Märkten seien der Politik oft nicht schnell genug. Der Markt nehme nun mal wenig Rücksicht auf endende Legislaturperioden.
Mehr Schumpeter wagen
Erkennbar sei die ökonomische Kurzsichtigkeit auch in der politischen Neigung zur Überregulierung. „Die Politik hat den Eindruck, sie müsse den Markt lenken, dabei lenkt sich der Markt ganz gut selbst, solange die Rahmenbedingungen stimmen“, so Konrad. „Allerdings geht das der Politik oft nicht schnell genug.“ Die Energiewende sei ein gutes Beispiel hierfür. „Über die CO2-Steuer werden fossile Brennstoffe zunehmend unattraktiv. Der Markt würde daher von allein den Weg zu nachhaltigeren Produkten finden. Doch Politiker möchten bereits im nächsten Wahlkampf Erfolge vorweisen können. Deswegen greifen sie gerne stärker regulatorisch in die Märkte ein, um gewünschte Entwicklungen zu beschleunigen. Es ist kein Zufall, dass viele Fördertöpfe nur drei bis vier Jahre Laufzeit haben.“ Er hofft, dass sich die Politik zukünftig stärker an den Lehren des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter orientiert: „Schumpeters Theorie der Schöpferischen Zerstörung besagt, dass Monopolisten und deren Herausforderer Innovation und Veränderung der Wirtschaft antreiben. Die Aufgabe der Politik ist es, der Wirtschaft positive Netzwerkeffekte zu ermöglichen, unter anderem durch Bildung und einer guten Infrastruktur. Doch genau an diesen Stellen spart man nun - ein fatales Signal. Schumpeter würde sich wohl seine ohnehin spärlichen Haare raufen.“ (kb)