Bernhard Matthes, BKC: Casinobörse oder Katastrophenhausse?
Der bekannte Bereichsleiter vom BKC Asset Management stellt die Qualität des aktuellen Bullenmarkts bei US-Aktien auf den Prüfstand und geht der Frage noch, ob die jüngsten Kurssteigerungen nachhaltig sind.
Bernhard Matthes, Bereichsleiter BKC Asset Management, konstatiert in einer "Institutional Money" exklusiv vorliegenden Analyse eine kaum für mögliche gehaltene Rückkehr jener Marktbedingungen, die über weite Strecken der "Casinojahre" 2020 und 2021 dominierten. Für Matthes wirkt die starke Divergenz der Wertentwicklung zwischen den „FAANG+“-Aktien einerseits und „allen anderen Aktien“ andererseits ungesund. Investoren sollten darauf reagieren.
Astronomische Bewertungen, fallende Marktbreite
So erklären Facebook (Meta), Amazon, Apple, Tesla, Google (Alphabet), Microsoft und Nvidia nahezu den kompletten Wertzuwachs des S&P 500 seit Jahresbeginn. Im Zuge dieser Kursgewinne bauen sich Matthes zufolge erneut astronomische Bewertungen auf, die stark an die abenteuerlichen Werte der Jahre 2020-2021 oder an die Dot.com-Blase der Jahre 1999-2000 erinnern.
Die hohen Wertsteigerungen der FAANG+-Aktien resultieren auch in einer immer höheren Konzentration im S&P 500. Die Gewichtung der Top 10-Werte erreicht inzwischen ein Drittel und übersteigt damit den entsprechenden Vergleichswert zum Hochpunkt der Internetblase im Jahr 2000. Die enge Marktbreite kann als Warnsignal für die Aktienmärkte interpretiert werden: Marktenge Rallyes waren in der Vergangenheit oft Vorbote nachfolgender Aktienmarktschwäche.
Vieles erinnert an vergangene Zeiten
In der Euphorie der Jahrtausendwende schien für viele Internetkonzerne jeder beliebige Preis angemessen. Es fanden sich immer Erklärungen und Rechtfertigungen.
Heute vorgebrachte Narrative zu KI ähneln den damaligen Argumentationsmustern verblüffend stark. Gewiss bietet KI bei objektiver Analyse großes Potential. Doch scheinen sich Märkte in der Frühphase von technologischen Weiterentwicklungen schwer zu tun, realistische Einwertungen des ökonomischen Potentials vorzunehmen.
Viel, viel Fantasie im Kurs enthalten
Mit einem aktuellen Kurs-Umsatz-Verhältnis von 45 liegt die Bewertung der Nvidia-Aktie nach Einschätzung von BKC Asset Management weit außerhalb jeder nachvollziehbaren Norm. Selbst unter optimistischsten Grundannahmen für die künftige Geschäftsentwicklung scheint der Aktienpreis von wenig realistischen Hoffnungswerten getragen. Die aufgebaute Überbewertung trägt Merkmale der Blasenbildung vieler Internetaktien zur Jahrtausendwende. Das spektakuläre Platzen ebenjener Blase im Jahr 2000 riss viele Aktien in den Abgrund. Der Markt zeigt so seine effiziente Rolle in der Liquidation von bloßen Illusionen.
Hier kommt die notwendige Unterscheidung zwischen „guten Unternehmen“ und „guten Aktien“ zum Tragen. Gewiss zeichnen sich die FAANG+ Aktien heute durch hohe Innovationskraft, Profitabilität und äußerst robuste Geschäftsmodelle aus. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden diese Unternehmen auch über die kommenden Jahre operativ erfolgreich sein. Doch überzeichnet der heute gehandelte Preis den wahrscheinlichen Wert künftig erzielbarer Renditen. "Die Unterscheidung von „Wert“ und „Preis“ bleibt innerhalb unserer Investmentdisziplin ein nicht verhandelbares Grundprinzip", betont Matthes.
Drohende Bewertungskorrektur oder langfristiger Aufwärtstrend?
Grundsätzlich bleiben die Aktienmärkte, speziell in den USA, teuer. Alle gängigen Indikatoren, die sich zur Beurteilung der Bewertung des Gesamtmarkts eignen, zeigen für die US-Märkte hohe bis sehr hohe Bewertungsniveaus. Historisch gingen hohe Bewertungen zum Beginn einer Investitionsperiode stets mit nachfolgenden niedrigen Gesamterträgen einher.
Demnach erwerben Anleger heute mit einer Investition in den breiten US-Aktienmarkt niedrige Gesamtertragserwartungen. Der erstaunlich robuste Zusammenhang zwischen Ausgangsbewertung und Folgeertrag erfordert keine Prognosen über die Unternehmensgewinne, wirtschaftliche Entwicklungen oder Margen der Aktiengesellschaften und ist zudem unabhängig vom vorherrschenden Zinsniveau.
Die kontinuierliche Ausweitung der Aktienmarktbewertungen über die letzten Jahrzehnte wird vielfach als direkte Folge der Absenkung des (realen) Zinsniveaus interpretiert. Dieser mögliche Erklärungsansatz wirkt plausibel, ist jedoch nicht universell robust, hält Matthes fest.
Crack-up Boom?
Möglicherweise kehren die Bewertungen aber auch nicht zuverlässig zum Mittelwert zurück. Womöglich stellen sich im Zeitverlauf stetig höhere Bewertungsmultiplikatoren am Aktienmarkt ein, weil immer größere Geldmengen um werttragende Investitionsgelegenheiten in knappen Sachwerten konkurrieren. Diese Vermutung aus einer „monetären“ Bewertungssicht scheint zumindest seit der Entankerung des Geldes von seiner Basis, dem Gold, im Jahr 1971 nicht vollständig abwegig. Anders als Staatsschulden sind Unternehmensgewinne (und deren Voraussetzungen, wie etwa Produktivitätssteigerungen, Innovation, Patente, unternehmerische Initiative, usw.) nicht beliebig vermehrbar.
Aktien sind teuer im Vergleich zum Durchschnittslohn
So ist laut Matthes denkbar, dass Aktienbewertungen im Fiat-Geldsystem mit Verwässerung der Geldmenge einem kontinuierlichen Aufwärtstrend unterliegen. Wie Geldmengenausweitung steigende Güterpreise zur Folge hat, führt sie auch zu Vermögenspreisinflation.
Ein vergleichbarer Bezug, der den schleichenden realen Kaufkraftverlust zeigt, ist in der Anzahl der Arbeitsstunden zu beobachten, deren Gegenwert für den Erwerb einer Einheitsgröße von Aktien nötig ist. Für den Kauf eines Anteils am S&P 500 mussten Arbeitnehmer in den USA Ende 2020 zu durchschnittlichen Löhnen 146 Arbeitsstunden aufwenden. Über viele Jahrzehnte lag dieser Wert stabil zwischen lediglich 20 und 30 Arbeitsstunden, nach 1971 zeigt das Verhältnis aber einen rasant beschleunigten Anstieg.
"Nachdem die Notenbanken den Rausch des billigen Geldes vorerst beendet haben, verfolgen wir mit Blick auf das derzeitige Bewertungsniveau eine sorgfältig überlegte Einzeltitelselektion. Denn unverändert gilt: Die Bewertungen von heute sind das Renditepotenzial von morgen!", betont Matthes abschließend. (aa)