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4/2024 | Theorie & Praxis

Verringerte Skandalträchtigkeit

Sind Unternehmen, die sich an den UN-Nachhaltigkeitszielen orientieren, seltener in reputationsschädliche Skandale verwickelt? Und leisten sie dadurch auch einen Beitrag zu den finanziellen Zielen?

Skandale wie „Dieselgate“ können die Entwicklung der darin verwickelten Unternehmen nachhaltig beeinträchtigen. Sind „ESG-konformere“ Firmen weniger anfällig dafür?
Skandale wie „Dieselgate“ können die Entwicklung der darin verwickelten Unternehmen nachhaltig beeinträchtigen. Sind „ESG-konformere“ Firmen weniger anfällig dafür?© ZIHE | stock.adobe.com

U nternehmensskandale gefährden das Vertrauen von Aktionären, Kunden und sonstigen Stake­holdern und können vor allem bei börsennotierten Gesellschaften ernsthafte finanzielle Folgen haben. Musterbeispiele für derartige Super-GAUs sind der Volkswagen-Dieselgate-Skandal von 2015 ebenso wie die Ölpest der Ölbohrinsel Deepwater Horizon 2010 auf dem von BP betriebenen Macondo Prospect im Golf von Mexiko. Beides führte zu beispiellos hohen Unternehmensstrafen. Derlei Ereignisse treten leider mit unschöner Regelmäßigkeit auf, und als Investor zählen sie zu den unerfreulichsten Erfahrungen, die man machen kann. Dass sich Anleger verstärkt Unternehmen zuwenden, die sich einer besonders nachhaltigen Unternehmenskultur verschrieben, liegt nicht zuletzt daran. Aber funktioniert das auch? Anna Vasileva, Doktorandin an der Universität Zürich, hat den Zusammenhang zwischen unternehmerischer Nachhaltigkeit und der Verwicklung in Skandale untersucht. In der Studie, die sie gemeinsam mit Jan Anton van Zanten, SDG-Stratege bei Robeco, und ­Laurens Swinkels, Associate Professor of Finance an der Erasmus School of Economics in Rotterdam, erstellte, wird der von Robeco entwickelte SDG-Score verwendet, um die ­Ausrichtung der untersuchten Firmen an den Sustainable Development Goals (SDGs) zu quantifizieren.

Begleitumstände

Für Investoren ist es wichtig zu verstehen, welche Arten von Unternehmen in Zukunft wahrscheinlich kontroverses Verhalten an den Tag legen werden. Im Allgemeinen wirken sich Unternehmensskandale negativ auf die finanzielle Performance aus, wie kürzlich erst wieder Harald Lohre, Sandra Nolte, Lakshmi Ranganathan, Carsten Rother und Margit Steiner in der 2023 verfassten Studie mit dem Titel „ControversyBERT: Detecting Social Controversies and Their Impact on Stock Returns“, publiziert im Journal of Impact and ESG Investing, nachweisen konnten. Skandale können zu hohen Rechtskosten und Geldstrafen führen, die als Disziplinierungsmechanismus dienen, sowie zu negativen Gewinnprognoserevisionen, wie François Derrien, Philipp Krüger, Augustin Landier und Tianhao Yao 2022 in dem Swiss Finance Institute Research Paper mit dem Titel „ESG News, Future Cash Flows and Firm Value“ belegten. Darüber ­hinaus führen Unternehmensskandale zu einem Vertrauensverlust in den Finanzmarkt insgesamt und zu einer geringeren Beteiligung an der Börse. Dies belegten für den Retailbereich Mariassunta Giannetti und Tracy Yue Wang bereits 2016 in „Corporate Scandals and Household Stock Market Participation“, veröffentlicht im Journal of Finance. Diese Auswirkungen stehen nicht im Einklang mit den Zielen der Investoren. Dies gilt auch für den wachsenden Anteil von Anlegern, die wünschen, dass ihr Vermögen so verwaltet wird, dass es zur Förderung positiver ökologischer und ­gesellschaftlicher Veränderungen oder zur Schadensvermeidung beiträgt oder Strategien als aktive Eigentümer verfolgt, die solche Unternehmen zur Verbesserung ihrer Nachhaltigkeitsperformance drängen. Die Fähigkeit, Unternehmen zu identifizieren, die wahrscheinlich in Skandale verwickelt werden, kann Investoren dabei helfen, sowohl ihre finanziellen als auch ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Nachhaltigere Unternehmen sind aus zwei Gründen möglicherweise seltener in Unternehmensskandale verwickelt. Erstens haben Unternehmen mit schlechtem Nachhaltigkeitsmanagement bei sonst gleichen Bedingungen eine ­höhere Wahrscheinlichkeit, Skandale zu verursachen. Dies kann insbesondere für Firmen gelten, die in weniger nachhaltigen Sektoren wie Öl- und Gasförderung oder dem Kohlebergbau tätig sind, wo die Wahrscheinlichkeit von Umwelt- oder sozialen Unfällen größer ist. Zweitens wird argumentiert, dass nachhaltigere Unternehmen eine stärkere Daseinsberechtigung haben als Unternehmen, deren Aktivitäten gesellschaftlichen oder ökologischen Schaden verursachen, da sie „auf sozial akzeptable Weise zu sozial akzeptablen Zielen beitragen“, wie Blake E. Ashforth und Barrie W. Gibbs bereits 1990 in „The Double-Edge of Organizational Legitimation“ festhielten, und somit angemessen im Einklang mit gesellschaftlichen Normen und Werten handeln. Weniger nachhaltig agierende Unternehmen mit eingeschränkter Akzeptanz infolge ihrer Handlungen beziehungsweise Unterlassungen ziehen daher mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Gemeinsam liefern diese beiden ­Annahmen Gründe, warum die Nachhaltigkeitsperformance von Firmen negativ mit der Wahrscheinlichkeit von Unternehmensskandalen korreliert sein kann.

ESG-Rating-Frage

Verschiedene Studien haben den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Skandalen untersucht, vorwiegend unter Verwendung weit verbreiteter ESG-Ratings. Dennoch besteht kein Konsens über die Gültigkeit dieses Zusammenhangs. So hält Sebastian Utz 2019 in „Corporate Scandals and the Reliability of ESG Assessments: Evidence from an International Sample“ aggregierte ESG-Ratings für ungeeignet, um zukünftige Skandale zu prognostizieren. In ähnlicher Weise stellen neuere Studien – etwa von George Serafeim und Aaron Yoon 2023 mit dem Titel „Stock Price ­Reactions to ESG News: The Role of ESG Ratings and Disagreement“ – fest, dass ESG-Ratings ausgewählter Anbieter mit Skandalen in Verbindung gebracht werden könnten und die Vorhersagekraft aufgrund abweichender ESG-Ratings abnimmt. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Stichhaltigkeit von ESG-Ratings infrage gestellt wird. Einerseits gibt es die komplexe Konstruktion verschiedener Komponenten und Gewichtungen, die dazu führt, dass Ratings voneinander abweichen, andererseits stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ESG-Ratings wirklich relevante Dinge messen. Diesen Vorwurf erhob Alex Edmans letztes Jahr in „The End of ESG“. Jan Anton van Zanten und Joop Huij ließen 2022 mit ihrem Paper „ESG to SDG: Do Sustainable Investing ­Ratings Align with the Sustainability Preferences of Investors, Regulators and Scientists?“ aufhorchen, in dem sie darlegten, dass ESG-Ratings die positiven und negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen von Unternehmen nicht ange­messen messen würden. Tatsächlich messen ESG-Ratings im Allgemeinen, ob die Rentabilität eines Unternehmens aufgrund der ESG-Performance eines Unternehmens gefährdet ist, anstatt zu messen, wie Unternehmen zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit beitragen. Van Zanten und Huij argumentieren daher, dass die Bewertung des Ausmaßes, in dem sich ein Unternehmen an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ausrichtet, die praktisch nicht mit ESG-Ratings korrelieren, besser geeignet ist, die Nachhaltigkeit von Unternehmen zu messen. Die Ausrichtung von Unternehmen an den SDGs kann als neuartiges Signal für die Nachhaltigkeit von Unternehmen dienen, das eng mit dem von Alex Edmans geforderten rationalen Nach­haltigkeitsansatz zusammenhängt.

Daher untersuchen Vasileva, van Zanten und Swinkels den Zusammenhang zwischen Unternehmensskandalen und Unternehmensnachhaltigkeit im Hinblick auf die Ausrichtung an den SDGs. Sie analysieren einen großen Querschnitt von Unternehmen, die zwischen 2010 und 2022 in Industrie- und Schwellenmärkten börsennotiert waren, und kontrollieren umfassend den größten Teil der Unternehmensheterogenität und verwenden eine ganze Reihe vo­n ­fixen Effekten in den Regressionsrechnungen.

Ergebnisse

Insgesamt stellt das Autorentrio fest, dass Unternehmen mit positiveren Beiträgen zu den SDGs eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen, in Skandale verwickelt zu werden. Dazu kommt, dass sie bereits heute in eine geringere Anzahl von Skandalen verwickelt sind und – so sie tatsächlich in Skandale involviert sind – diese weniger schwerwiegend ausfallen und auch weniger kontroverse Themen und damit verbundene SDG-Verstöße betreffen. Die Tabelle „SDG-Scores und Skandale“ zeigt die Ergebnisse von diesbezüglichen ­Regressionsanalysen im gleichnamigen Kasten, wobei die abhängige Variable erstens der Skandal als solcher, zweitens die Anzahl der Skandale und drittens die Anzahl der schweren Skandale ist. Erklärende Hauptvariable ist der SDG-Score von Unternehmen. Kontrolliert werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Fundamentaldaten der Unternehmen wie Größe, Kapitalrentabilität, Investitionsausgaben, immaterielle Vermögenswerte, Anzahl der Mitarbeiter und den ESG-Score nach MSCI sowie branchen-, sitz- und jahresfixe Effekte.

Insbesondere deuten die wichtigsten Studienergebnisse darauf hin, dass jeder zusätzliche Punkt im SDG-Score, dessen Spannweite von mindestens minus drei bis höchstens plus drei reicht, die Wahrscheinlichkeit, in einen Skandal verwickelt zu sein, um fast sechs Prozent verringert. Dies kann ungefähr mit einer Verringerung der Wahrscheinlichkeit ­eines Skandals in der nächsten Zeitperiode von zwei Prozentpunkten verglichen werden. Was die Anzahl der Skandale betrifft, ist eine Erhöhung des SDG-Scores um einen Punkt mit einem Rückgang um elf Prozent verbunden, was 0,44 Skandalen weniger pro Unternehmen und Jahr entspricht. Bei der Erklärung schwerer Skandale ist der Effekt noch ausgeprägter. Jeder zusätzliche Punkt im SDG-Score geht mit einem Rückgang schwerer Skandale um 17 Prozent in der nächsten Periode einher. Darüber hinaus ist auch die Anzahl der durch Skandale tangierten Themen sowie spezifischer SDG-Verstöße bei nachhaltiger agierenden ­Unternehmen geringer. Der von den Autoren verwendete SDG-Score nach der Robeco-Methodik enthält auch eine Komponente im Zusammenhang mit der Beteiligung an kontroversem Verhalten, das in hohem Maße zeitgleich mit Skandalen korreliert. Um die Möglichkeit auszuschließen, dass die Studienergebnisse auf der Prognosekraft vergangener Skandale für zukünftige Skandale beruhen, ersetzen die Autoren den SDG-Score durch einen alternativen Core-SDG-Score, der die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens und seine Geschäftstätigkeit umfasst, aber seine Beteiligung an Kontroversen ausschließt. Vasileva, van Zanten und Swinkels bestätigen, dass vergangene Kontroversen zukünftige Skandale prognostizieren, wobei die Koeffizienten für diesen alternativen SDG-Score etwa halb so groß ausfallen als jene mit dem SDG-Score selbst. Wichtiger ist jedoch, dass die Vorhersagekraft dieses alternativen SDG-Scores für zukünftige Skandale statistisch signifikant und ökonomisch bedeutsam bleibt. Es gelingt zu belegen, dass die Einbeziehung herkömmlicher ESG-Scores diese Ergebnisse qualitativ nicht beeinflusst. Alles in allem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Unternehmensnachhaltigkeit, gemessen an der Ausrichtung eines Unternehmens an den SDGs, in verschiedenen Richtungen zusätzliche Erklärungskraft für zukünftige Skandale bietet, nicht nur in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten.

Doch wie sieht es im Hinblick auf die Vorhersagekraft einzelner SDGs aus? Hier dokumentieren die Autoren eine große Heterogenität in der Fähigkeit einzelner SDG-Beiträge, zukünftige Skandale zu prognostizieren. Drei der 17 einzelnen SDGs zeigen in jeder Spezifikation eine statistisch signifikante negative Assoziation mit zukünftigen Skandalen. Dazu gehören SDG 1 („Keine Armut“), SDG 7 („Bezahlbare und saubere Energie“) und SDG 13 („Maßnahmen zum Klimaschutz“). Während SDG 1 hochkarätige Kontroversen wie Misshandlung lokaler Gemeinschaften und Ausbeutung von Arbeitskräften betrifft, könnte die starke Wirkung klimabezogener SDGs mit der zunehmenden Betonung der Rolle von Unternehmen bei der Energie- und Klimawende in den Medien und globalen politischen Diskussionen ­zusammenhängen. Schließlich wurde festgestellt, dass die Vorhersagefähigkeit der SDG-Werte in der Stichprobe in zwei Sektoren am ausgeprägtesten ist: bei Energie- und Versorgungsunternehmen. Firmen in diesen beiden Sektoren mit niedrigen SDG-Werten sind wahrscheinlich im Bereich fossiler Brennstoffe tätig. Dies geht einher mit einem hohen externen Risiko von Skandalen aufgrund umweltverschmutzungsbedingter Unfälle und geringer Legitimität aufgrund einer verstärkten gesellschaftlichen Kontrolle. Im Gegensatz dazu sind Firmen in diesen Sektoren mit hohen SDG-Werten im Bereich saubere Energie tätig. Sie bieten geringere ­externe Risiken und eine höhere Legitimität.

Einordnung

Angesichts des beispiellosen Anstiegs nachhaltiger Investitionen und der großen Bedeutung nachhaltigkeitsbezogener Informationen für Investitionsentscheidungen ist es wichtig zu erkennen, dass eine neue Kenngröße für die Nachhaltigkeit von Unternehmen, die auf den SDGs basiert, dazu beitragen kann, Skandale zu vermeiden. Dies wiederum unterstützt die Nachhaltigkeit und die finanzielle Performance der Investoren. Schließlich stellt die Studie fest, dass die Vorhersagekraft der SDG-Werte in den beiden Sektoren Energie und Versorgungsunternehmen am ausgeprägtesten ist. In der Studie finden sich Hinweise darauf, dass ein positiver Beitrag zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung – gemessen am SDG-Score – im Großen und Ganzen mit weniger Skandalen im nächsten Zeitraum verbunden ist. Es gelingt zu zeigen, dass diese Kenngröße eine Erklärungskraft bietet, die über jene der nicht unumstrittenen ESG-Scores hinausgeht, und eine stärkere und konsistentere Beziehung aufweist. Dies deutet auf eine alternative Informationsquelle für Investoren hin, die Unternehmen herausfiltern möchten, bei denen es in Zukunft wahrscheinlicher ist, dass sie weniger skandalverfangen sein werden. Dies wiederum unterstützt die Nachhaltigkeit und die finanzielle Performance der ­Investoren, die dadurch weniger hohen idiosynkratischen Drawdowns ausgesetzt sind. Schließlich deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen als Signal für deren gesellschaftliche ­Legitimität dient und die Informationsunsicherheit verringert. Nachhaltigere Unternehmen ergreifen offensichtlich Maßnahmen, die von den Stakeholdern als wünschenswert angesehen werden und die gesellschaftliche Verantwortung widerspiegeln, die das Unternehmen trägt. Die Ergebnisse legen dar, dass der Zusammenhang zwischen der Nach­haltigkeit von Unternehmen und zukünftigen Skandalen von stark beobachteten und potenziell umstrittenen Sektoren bestimmt wird.

Für institutionelle Investoren erhebt sich die Frage, ob es tatsächlich klug ist, dem Herdentrieb zu folgen und sich auf die von den großen Nachhaltigkeits-Ratingagenturen angebotenen ESG-Ratings zu verlassen, wo doch diese offenbar deutlich weniger Erklärungskraft für künftige Skandale besitzen. Vielleicht sollte man – auch als überzeugter Anhänger des anthropogenen Klimawandels – doch ein klein wenig aus dem Mainstream ausscheren und alternative Wege bei der Auswahl der relevanten Kenngröße für die Prognose der Wahrscheinlichkeit künftiger Skandale betreten. SDG-Scores respektive Fondsprodukte, die unter Zuhilfenahme dieser SDG-Scores gemanagt werden, scheinen theoretisch gut unterfüttert zu sein. Ein gründliches Studium der ­vorgestellten Studie wird bei der Entscheidungsfindung ­jedenfalls helfen.

Dr. Kurt Becker

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