US-Risiken: Virale ETF-Arbitrage
Die dem ETF-Markt zugrunde liegende Arbitrage-Tätigkeit ist der Schlüssel für die Anpassung des ETF-Nettovermögens an den gerade gültigen Marktpreis. Eine neue Studie macht aber genau diesen Mechanismus als mögliche Ursache für das verstärkte Überschwappen von US-Marktrisiken verantwortlich.
ETFs haben imagetechnisch eine relativ wechselhafte Geschichte hinter sich: zunächst als Nischenprodukt belächelt, dann als günstiges und nahezu perfektes Marktzugangs-Tool bejubelt und schließlich als „Massenvernichtungswaffe“ verdammt. Ein derartiges Spektrum an Einschätzungen kann verwirren, sollte aber trotzdem nicht davon abhalten, das Phänomen ETF weiterhin zu untersuchen. Immerhin hat der Markt für Exchange Traded Funds inzwischen ein weltweites Volumen von mehr als 4,5 Billionen US-Dollar. Je besser man diese Assetklasse versteht, desto eher können Fehleinschätzungen vermieden werden.
Vor diesem Hintergrund ist auch die druckfrische Arbeit „ETF Arbitrage and International Correlation“, die de facto aus dem Hause Warwick Business School kommt, wichtig. Alle drei Autoren – Ilias Filippou, Arie Gozluklu und Hari Rozental – wirken an diesem Institut und haben sich die Frage gestellt, ob die Dominanz des US-amerikanischen ETF-Handels nicht dazu führt, dass es bislang unerforschte Kontaminierungsrisiken seitens des US-amerikanischen ETF-Tradings gibt.
„Könnte die Tatsache, dass in den USA der größte Teil der ETF-Transaktionen stattfindet, dazu führen, dass die Marktbedingungen in den USA direkte Auswirkungen auf die nationalen ETF-Märkte haben? Converse, Levy-Yeyati und Williams haben erst 2017 nahegelegt, dass die Geldflüsse, die über ETFs abgewickelt werden, viel sensibler auf grenzübergreifende Risiken reagieren, als es bei Investments der Fall ist, die über Mutual Funds abgewickelt werden“, erklärt Gozluklu. Während die Arbeit von 2017 aber vor allem schlecht informierte Marktteilnehmer für die unmotivierte Verbreitung von Risiken ausmacht, orten die Warwick-Autoren einen anderen Verdächtigen: Sie machen Arbitrage-Effekte im ETF-Handel für das überproportionale Überschwappen von US-Risiken auf den Rest der Welt mitverantwortlich – wie auch der Titel der Arbeit nahelegt.
Teufel steckt in der Arbitrage
Der Arbitrage-Handel im ETF-Segment wird von „Authorized Participants“ (APs) durchgeführt, die den Marktpreis und den Nettovermögenswert (NAV) eines ETFs ausgleichen. Gerät ein Markt ins Rutschen, kann es passieren, dass der Marktpreis eines ETF unter den tatsächlichen NAV rutscht. In einer derartigen Situation treten die APs in den Markt ein. Sie kaufen die betroffenen ETFs und üben auf die darunter liegenden Einzelwerte Leerverkäufe aus, gehen also „short“. Dadurch reduziert sich der Preis der jeweiligen Aktien. Anschließend werden die ETFs an den ursprünglichen ETF-Sponsor zurückgeliefert, die Short-Positionen werden geschlossen, das Marktgleichgewicht ist wiederhergestellt.
In der Realität könnte also folgendes Szenario eintreten: Hohe Volatilität auf dem US-Markt führt dazu, dass ein US-Trader sein Risiko reduzieren will. Er hält beispielsweise ETFs auf den polnischen Aktienmarkt. Diesen nimmt er als noch riskanter wahr als den nordamerikanischen. Er verkauft also in Panik seine polnischen ETFs. Der Marktpreis der ETFs sinkt unter den NAV der darunter liegenden Assets. Jetzt tritt die Arbitrage ein: Die im ETF abgebildeten Aktien werden so lange leer verkauft, bis ETF und Basiswerte wieder im Gleichgewicht sind. Die betroffenen Aktien fallen also am New Yorker Parkett. Problematischerweise wird aufgrund der Zeitverschiebung in Warschau gerade nicht gehandelt. Die Händler in Warschau wachen also mit massiven Verkaufssignalen von Seiten des ETF-Marktes auf. In diesem Moment stellt sich die Frage, was passiert: Geben die lokalen Händler dem möglicherweise ungerechtfertigten Druck nach? Dann kommt es tatsächlich zu Kontaminierungseffeken, ausgelöst durch den ETF-Arbitrage-Handel. Oder lösen sich die lokalen Händler vom US-amerikanischen Verkaufsdruck? Dann sollte die von den USA ausgehende Marktkorrektur sehr schnell ausgeglichen werden. Tatsächlich ist es so, dass eine Korrelation zwischen dem US-Markt und dem Rest der Welt durchaus gegeben ist (siehe Grafik „Sind wir nicht alle ein wenig USA?“). Stellt sich nur die Frage, ob diese Korrelationen auch wirklich durch den ETF-Handel beziehungsweise die zugrunde liegenden Arbitrage-Tätigkeiten gestützt werden, wie in vorliegendem Paper vermutet wird.
Volatilität
Zu diesem Zweck haben sich die Autoren angesehen, inwieweit sich US-Volatilität auf das Transaktionsverhalten in lokalen Märkten auswirkt. Dazu wurden die Marktdaten von 41 iShares-ETFs erhoben, die internationale Aktienindizes aus Europa, dem Nahen Osten, Afrika, Asien, Nord- und Südamerika abbilden. Der gewählter Zeitraum ist Januar 2006 bis Juni 2018. Via Intraday-Zahlen aus der TAQ-Datenbank wurde in einem nächsten Schritt über den gesamten Zeitraum erhoben, wann es zu „Order Imbalances“, also einem Ungleichgewicht zwischen Kauf- und Verkaufsordern gekommen ist. Die Order Imbalance ist negativ, wenn es mehr Verkäufer als Käufer gibt, der Markt also unter Verkaufsdruck steht.
Um auszuleuchten, ob US-Risiken nun wirklich zu einem Ungleichgewicht bei den Ordern – also Verkaufsdruck – führen, wurden die Daten des CBOE Volatility Index (VIX) herangezogen. Zu Vergleichszwecken wurden, so vorhanden, auch die Volatilitätsindizes der einzelnen Länder erhoben und miteinander verglichen.
Die Ergebnisse dieses Vergleichs sind einigermaßen eindeutig (siehe Chart „US-Volatilität für nationale Märkte relevanter als lokale Schwankungen“). Demnach weist der VIX in der Regel eine negative Korrelation zur Order Imbalance auf – sprich: Steigt die Volatilität in den USA, wird die Order Imbalance negativ, der Verkaufsdruck steigt also. Vergleicht man nun die Spalte, die den VIX ausweist, mit der Spalte, die die lokalen Volatilitäten auflistet (LVIX), fallen einige Unterschiede auf: So ist die Korrelation beim LVIX häufiger positiv als beim VIX. Treten beim LVIX negative Korrelationen auf, sind diese tendenziell schwächer ausgeprägt und weisen eine eher niedrige statistische Relevanz auf als der US-VIX. Die Wirkung der US-Volatilität auf die jeweiligen nationalen Märkte übertrifft also den Einfluss, den die hausgemachten Risiken haben.
Ebenfalls untersucht wurden Liquiditätsdiskrepanzen sowie die Effizienz bei der Preisbildung. Unter Ersterer versteht man den paradoxen Umstand, dass ein ETF liquider ist als der Markt, den er abbildet. Die Preisbildungseffizienz wiederum beschreibt das Tempo und die Exaktheit, mit der ein „fairer“ Preis gefunden wird. Pan und Zeng haben in einer ebenfalls 2018 erschienenen Arbeit nachgewiesen, dass sich APs bei hohen Liquiditätsdiskrepanzen eher aus der Arbitrage heraushalten. Demzufolge müsste eine hohe Liquiditätsdiskrepanz (siehe Grafik „Liquiditätsdiskrepanz am ETF-Markt“) dazu führen, dass es in solchen Märkten länger dauert, bis das Überschießen von ETF-Preisen in den darunter liegenden Einzeltiteln und somit dem jeweiligen Aktienmarkt schlagend wird. Die Marktkorrelation zwischen den USA und einem nationalen Markt müsste bei hoher Liquiditätsdiskrepanz der zugehörigen ETFs also niedriger sein, weil die APs den Preisrutsch der ETFs eben nicht an die darunter liegenden „echten“ Werte weitergeben. Tatsächlich finden die Autoren einen entsprechenden Zusammenhang: Je ineffizienter die Preisfindung und stärker die Liquiditätsdiskrepanz eines ETF-Marktes ausgeprägt ist, desto immuner ist der jeweilige Aktienmarkt gegenüber – möglicherweise ungerechtfertigten – US-Risiken.
Fazit
Mit dem Nachweis, dass die Arbitrage-Tätigkeit von Authorized Participants im ETF-Markt dazu führen kann, dass US-Risiken mehr oder weniger unmotiviert auf nationale Aktienmärkte übergreifen, haben die Autoren eine bislang unbekannte und unerwünschte Nebenwirkung des vermeintlich simplen Finanzprodukts identifiziert. Bemerkenswert erscheint nicht zuletzt, dass nationale Risiken im Vergleich zum US-Kontaminierungskanal VIX nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dass ein Großteil der ETF-Transaktionen in den USA stattfindet, schlägt sich als überproportional ausgebildetes Marktrisiko für den Rest der Welt nieder.
Klarerweise ist die ETF-Arbitrage nicht der einzige – und auch nicht der ausschlaggebende – Weg, auf dem internationale Märkte unerwünschte US-Risiken importieren, aber es handelt sich um einen relevanten Ansteckungskanal. Und spätestens seit 2008 ist bekannt: Man kann nie zu viel über versteckte Korrelations- und Kontaminationsrisiken wissen.
Hans Weitmayr