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4/2024 | Theorie & Praxis

Unterschätzte Sektorrenditen

Die Einbindung von Modellen zur Prognose von US-Sektorrenditen verbessert die taktische Asset Allocation deutlich. Dass illustriert ein Research Paper von zwei deutschen Wirtschaftswissenschaftlern.

Der Versuch, Markt- beziehungsweise Aktienrenditen über längere Zeiträume hinweg korrekt vorherzusagen, ist nach Ansicht vieler Marktteilnehmer verschwendete Zeit. Eine aktuelle Analyse zeigt jedoch, dass dies auf Sektorenebene keineswegs so aussichtslos ist, wie es scheint.
Der Versuch, Markt- beziehungsweise Aktienrenditen über längere Zeiträume hinweg korrekt vorherzusagen, ist nach Ansicht vieler Marktteilnehmer verschwendete Zeit. Eine aktuelle Analyse zeigt jedoch, dass dies auf Sektorenebene keineswegs so aussichtslos ist, wie es scheint.© gmf, Deka Investment

Die Studien zur Vorhersagbarkeit von Aktienren­diten und zur Performance von Investmentfonds kommen meist zu dem Schluss, dass Aktienrenditen kaum vorhersagbar sind und dass aktive Vermögensverwalter selten dauerhaft höhere risikoadjustierte Renditen erzielen. Neben der früheren Erklärung für dieses Phänomen durch effiziente Märkte sind die gut funktionierenden Gleichgewichtsprozesse an den Finanzmärkten eine der neueren Begründungen. Folglich sollten Investoren nach Abzug der Gebühren im Durchschnitt keine bessere Performance erwarten, wenn sie aktive Portfoliomanagement­ansätze umsetzen. Die jüngste Popularität passiver Anlage­instrumente wie Indexfonds und ETFs steht im Einklang mit diesen akademischen Erkenntnissen. Einige Feststellungen in der Literatur sprechen jedoch für aktives Management. Erstens weisen mehrere Studien auf eine gewisse Vorhersagbarkeit von Überrenditen außerhalb der Stichprobe für den gesamten US-Aktienmarkt hin, was für Investoren einen ökonomischen Wert darstellt. Zweitens stellen Wolfgang Bessler, Heiko Opfer und Dominik Wolff 2017 in einer anderen Studie mit dem Titel „Multi-Asset Portfolio Optimization and Out-of-Sample Performance: An Evaluation of Black-Litterman, Mean Variance and Naïve Diversification Approaches“ fest, dass der Einsatz ausgefeilter Asset-Allocation-Modelle Out-of-Sample im Vergleich zu passiven Investitionen höhere ­risikobereinigte Renditen erzielen kann.

In der aktuellen Studie kombinieren nun Wolfgang Bessler von der Universität Hamburg und Dominik Wolff von der Frankfurt University of Applied Sciences diese beiden Ideen, ­indem sie einmal die Sektorrenditen prognostizieren und dann diese Renditevorhersagen für die Out-of-Sample-Black-Litterman-Portfoliooptimierung verwenden. Sie bewerten die risikoadjustierten Renditen dieser Strategie, indem sie sie mit passiven Investments und mit Allokationsstrategien vergleichen, die auf naiven Vorhersagen basieren. Ausgehend von der Prämisse, dass Märkte effizient sind, sollte keines der Prognose- und Optimierungsmodelle eine signifikante Renditevorhersagbarkeit bieten oder höhere risikoadjustierte Renditen im Vergleich zu einem passiven Benchmarkportfolio erzielen.

Die beiden Autoren verwenden die folgenden sechs verschiedenen Sektorindizes, die auf Daten von Thomson Reuters Datastream basieren und ab 1973 verfügbar sind. Es sind dies: Öl und Gas, industrielle Fertigung, Konsumgüter und Dienstleistungen, Gesundheitswesen, Technologie und Telekommunikation sowie Finanzen. Zur Berechnung tech­nischer Indikatoren werden Daten für ein Jahr benötigt. ­Daher reicht der Auswertungszeitraum – für die In-Sample-Analyse – von Januar 1974 bis Dezember 2013 und umfasst damit 480 monatliche Beobachtungen. Die Tabelle „Sektorspezifika“ gibt einen Überblick über die monatlichen Sektorrenditen für die gesamte Stichprobe und ihre statistischen Merkmale. Das Gesundheitswesen bietet dabei die höchsten durchschnittlichen Monatsrenditen (0,99 Prozent), gefolgt von Öl und Gas (0,98 Prozent), während Konsumgüter/ Dienstleistungen und Finanzen mit 0,88 Prozent respektive 0,90 Prozent die niedrigsten durchschnittlichen Renditen ­erzielen. Alle Zeitreihen der Sektorrenditen weisen eine nega­tive Schiefe und ein erhebliches Maß an übermäßiger Kurtosis (Wölbung) auf, sodass in allen Fällen die Nullhypothese normalverteilter Aktienrenditen abgelehnt werden kann. Die Korrelationsmatrix im mittleren Teil der Tabelle zeigt signifikant positive Korrelationen zwischen allen Sektorindexrenditen mit Korrelationskoeffizienten im Bereich von 0,44 bis 0,85, sodass nur mäßige Diversifizierungsmöglichkeiten bei der Sektorallokation bestehen. Der dritte und letzte Tabellenteil zeigt die Marktwertgewichte der Sektorindizes in Prozent des Gesamtmarktes zum 31. Dezember 2013. Zur Vorhersage der Branchen- und Gesamtrenditen am Aktienmarkt verwenden die Autoren insgesamt 19 Vorhersagevariablen, die in fundamentale und zinsbezogene ­Variablen, makroökonomische Variablen und technische ­Indikatoren unterteilt werden. Zu den fundamentalen und zinsbezogenen Variablen gehören Dividendenrendite, KGV, Aktienvolatilität, langfristige US-Treasury-Renditen, Term Spread (Renditedifferenz zwischen US-T-Bills und US-Treasuries) und der Default Return Spread (Renditeunterschied zwischen AAA- und BBB-Corporate-Bonds minus der langfristigen US-Staatsanleihenrendite). Was die makroökonomischen Variablen anbelangt, so sind dies Inflation, Wachstumsraten von Arbeitslosigkeit, Industrieproduktion, Neubauzulassungen, der Ölpreis sowie der Chicago Fed National Activity Index (CFNAI) und der handelsgewichtete US-Dollar-Index. Als technische Indikatoren fanden die Variablen gleitender Durchschnitt, Momentum, ein umsatzbasiertes Signal, die relative Stärke sowie ein proprietärer Relative-Stärke-Index und die Marktrendite des Vormonats Eingang.

Ergebnisse

Basierend auf univariaten Prognosemodellen stellen die ­Autoren fest, dass die Aktienvolatilität, der handelsgewichtete US-Dollar-Index, die Erstanträge auf Arbeitslosenunter­stützung und der Chicago Fed National Activity Index die stärkste individuelle Prognosekraft für künftige Sektor­ren­diten besitzen. Unter den Prognosevariablen hat also die Gruppe der makroökonomischen Variablen die höchste Prognosekraft, während technische und fundamentale Variablen nur eine geringe Prognosekraft aufweisen.

Nach univariaten In-Sample- und Out-of-Sample-Unter­suchungen widmen sich die Autoren der Analyse der Pro­gnosekraft verschiedener multivariater Prognosemodelle. Sie gehen davon aus, dass die Vorhersagekraft eines Prognosemodells zunimmt, wenn mehrere Vorhersagevariablen gemeinsam in einem multivariaten Modell verwendet werden. Die gleichzeitige Verwendung aller 19 Variablen in einem OLS-Regressionsmodell führt jedoch wahrscheinlich aus drei Gründen zu schlechten Out-of-Sample-Prognosen: Erstens führt die Einbeziehung aller Variablen wahrscheinlich zu ­einem relativ hohen Schätzfehler aufgrund der großen ­Anzahl von Koeffizientenschätzungen. Zweitens erfassen ­unterschiedliche Vorhersagevariablen möglicherweise teilweise dieselben zugrunde liegenden Informationen, und die potenziellen Korrelationen zwischen einzelnen Vorhersa­gevariablen können zu instabilen und verzerrten Koeffi­zientenschätzungen führen. Drittens sind möglicherweise nicht alle Vorhersagevariablen für alle Sektoren relevant. ­Obwohl es möglich ist zu entscheiden, welche Vorhersagevariablen für einen bestimmten Sektor am relevantesten sein sollten, sind einige Beziehungen möglicherweise weniger ­offensichtlich. Die einfache Auswahl der besten Variablen für jeden Sektor auf der Grundlage der Prognosefähigkeit der gesamten Stichprobe beinhaltet eine Verzerrung und ist daher für unseren Out-of-Sample-Ex-ante-Ansatz nicht angemessen. Folglich schließen die Autoren für jeden Sektor alle Variablen in das Prognosemodell ein. Um potenzielle Probleme bei der Verwendung von OLS zu umgehen, ver­wenden sie alternative multivariate Ansätze und vergleichen deren Performance.

Die Kombination der Vorhersagekraft fundamentaler, makroökonomischer und technischer Variablen sollte jedenfalls zu besseren Prognosen führen. In der Tabelle „Multivariate Sektorprognosen“ werden die Ergebnisse für die multivariaten Prognosemodelle, in denen alle Variablen enthalten sind, präsentiert. Das jeweils verwendete Prognosemodell wird in der ersten Spalte angezeigt. Beim Vergleich der Prognose­performance für die verschiedenen Sektoren wird deutlich, dass die Renditen einiger Sektoren – zum Beispiel von Öl und Gas – besser prognostizierbar sind als die Renditen ­anderer, etwa im Gesundheitswesen. Für den Sektor Öl und Gas übertreffen sieben von acht Prognosemodellen den historischen Durchschnitt bei der Prognose zukünftiger Renditen erheblich, wie die signifikanten t-Werte auf dem 90-Prozent-Niveau zeigen. Für die Sektoren Fertigung, Technologie und Telekommunikation sowie Finanzen übertreffen der TRF-Ansatz (zielrelevanter Faktoransatz) und das nach dem MSPE (Mean Squared Prediction Error; mittlerer quadratischer Prognosefehler) gewichtete kombinierte Prognosemodell (FC-MSPE-w.avrg.) den historischen Durchschnitt erheblich. Für den Gesundheitssektor übertrifft kein Pro­gnosemodell den historischen Durchschnitt auf signifikantem Niveau. Die Tabelle illustriert, dass die überwiegende Mehrheit der multivariaten Prognosemodelle jedoch positive MSPE-bereinigte t-Werte erzielt, was auf eine Outperformance im Vergleich zum historischen Durchschnitt hindeutet, nachdem im Hinblick auf das Rauschen in den Prognosen korrigiert wurde.

Asset-Allocation-Strategien

Die Analysen der Prognoseperformance auf Basis des MSPE (mittlerer quadratischer Vorhersagefehler) liefern vielversprechende Erkenntnisse in die Richtung, dass im Gegensatz zur gängigen Meinung die Verwendung gut spezifizierter Pro­gnosemodelle doch einen Mehrwert schaffen kann. Die wichtigste und wesentliche Frage für Investoren ist jedoch, ob die Verwendung dieser Renditeprognosemodelle bei ­Entscheidungen zur Asset Allocation zu höheren risiko­adjustierten Renditen führt. Dabei setzen die Autoren in ­erster Linie auf das Black-Litterman(BL)-Modell, um opti­male Asset Allocations auf der Grundlage von Renditepro­gnosen zu berechnen. Sie verwenden monatliche Renditeprognosen auf Sektorebene, die sich aus multivariaten Regressionsmodellen ergeben, um monatlich BL-optimierte Portfolios zu berechnen. Anschließend bewerten sie die Portfolioperformance jedes Prognosemodells im Vergleich zur historischen Durchschnittsprognose und relativ zum Marktportfolio sowie zu einem passiven gleichgewichteten (1/N) Portfolio für die gesamte Stichprobe und für Teilzeiträume.

Um die Performance von Prognosen auf Sektorebene in einem Asset-Allocation-Rahmen zu bewerten, verwenden Bessler und Wolff mehrere Performancemaße. Sie berechnen die durchschnittliche Out-of-Sample-Rendite und Volatilität des Portfolios sowie die Sharpe Ratio als durchschnittliche Überrendite (durchschnittliche Rendite abzüglich des risikofreien Zinssatzes), geteilt durch die Volatilität der Out-of-Sample-Renditen. Und sie testen, ob der Unterschied in den Sharpe Ratios zweier Portfolios statistisch signifikant ist. In Anlehnung an frühere Arbeiten messen sie unter anderem den wirtschaftlichen Wert von Renditeprognosen auf Basis der sicherheitsäquivalenten Rendite (CER, Certainty Equivalent Return). Der CER-Gewinn wiederum ist die ­Differenz zwischen der CER für einen Investor, der eine ­vorausschauende Regressionsprognose für Sektorrenditen verwendet, und der CER für das Marktportfolio. Die Autoren verwenden annualisierte Portfoliorenditen und annualisierte Renditevolatilitäten, um den CER-Gewinn zu berechnen, und interpretieren ihn als die jährliche Portfoliomanagementgebühr (in Prozentpunkten), die ein Investor zu zahlen bereit wäre, um Zugriff auf die vorausschauende ­Regressionsprognose zu haben, anstatt passiv in das Marktportfolio zu investieren. Ein Nachteil der Sharpe Ratio und des CER-Gewinns besteht darin, dass beide Maße nur Portfoliorenditen und Volatilitäten verwenden und höhere ­Momente wie Schiefe und Wölbung der Renditeverteilung ignorieren. Als Alternative berechnen Bessler und Wolff Omega. Die Kennzahl Omega entspricht dem Verhältnis von durchschnittlichen Gewinnen zu durchschnittlichen Verlusten, wobei Gewinne respektive Verluste Renditen über beziehungsweise unter dem risikofreien Zinssatz sind.

Die Tabelle „Analyse der Sektorprognosen in der Asset Allo­cation“ enthält die Performancekennzahlen für die vier Benchmarkportfolios (Markt, 1/N, kumulierte historische Durchschnitte, gleitender 60-Monats-Durchschnitt) und die Asset Allocations basierend auf acht verschiedenen multi­variaten Renditeprognosemodellen. Dabei stellen die Autoren fest, dass alle Vermögensallokationen sämtliche Benchmarkportfolios übertreffen: Alle acht Prognosemodelle weisen eine zumindest auf dem 90-Prozent-Niveau signifikant höhere Sharpe Ratio auf, Omega und CER sind in sieben Fällen höher. Im Vergleich zum Markt und dem 1/N-Portfolio steigern alle auf Renditeprognosemodellen basierenden Allokationen die Portfoliorendite. Mit Ausnahme des OLS- und des SIC-Ansatzes reduzieren die auf Prognosemodellen ­basierenden Asset Allocations auch das Portfoliorisiko (die Volatilität) im Vergleich zu den passiven Benchmarkport­folios. Im Einklang mit der auf dem MSPE in der Tabelle „Multivariate Sektorprognosen“ basierenden Analyse kommen die Autoren zu dem Schluss, dass das beste Renditepro­gnosemodell der zielrelevante Faktoransatz (TRF) ist, gefolgt vom Konsensus (Durchschnitt aller Prognosemodelle) und der Lasso-Prognose. TRF liefert die höchste Out-of-Sample-Performance und übertrifft den Markt und das passive 1/N-Portfolio auf hochsignifikantem Niveau.

Die Studie von Bessler und Wolff liefert neue Erkennt­nisse zur Vorhersagbarkeit von Aktienrenditen, indem sie sich auf Sektorrenditen konzentriert. Theoriegemäß und auch nach der Empirie sollte es gar nicht möglich sein, den Markt mit einem Asset-Allocation-Ansatz auf Basis von ­Sektorallokationen nachhaltig zu schlagen. Doch optimale Asset-Allocation-Modelle, die auf multivariaten Rendite­pro­gnosen auf Sektorebene basieren, scheinen dies schaffen zu können, wie die vorgestellten Resultate zeigen.

Wenn man sich alternativ auf die Fama-French-Branchenportfolios konzentriert, so stellt man fest, dass eine detailliertere Prognose und Allokation über 17 Branchen statt über sechs Sektoren nicht systematisch besser abschneidet. Beim Wechsel von sechs Sektoren zu 17 Branchen ist der relative Diversifikationsvorteil begrenzt, da beide Universen eine ähnliche Anzahl von Aktien enthalten und die Korrelationen der Branchenrenditen innerhalb eines Sektors hoch sind. Die Nachteile eines detaillierteren Branchenuniversums liegen in den höheren Prognosefehlern aufgrund der größeren Anzahl von Parameterschätzungen und der höheren Transaktionskosten.

Die neuen Ergebnisse von Bessler und Wolff legen nahe, dass erstens Renditeprognosemodelle für Sektoren bessere Renditeprognosen liefern und dass zweitens die Einbeziehung dieser Renditeprognosen in Portfoliooptimierungs­modelle wie das Black-Litterman-Modell zu besseren Asset-Allocation-Entscheidungen und folglich zu höheren risikoadjustierten Renditen für Investoren führt. Um festzustellen, ob die verwendeten Methoden und Ansätze auch in ­Zukunft sowie für andere Anlageklassen und Zeiträume dauerhaft eine geeignete Benchmark übertreffen werden, muss weiterführende Kapitalmarktforschung betrieben ­werden. Bisher haben die beiden Autoren ihre Studie auf US-Sektorindizes beschränkt. Die Einbeziehung verschie­dener Anlageklassen wie weltweiter Aktien- und Anleihenindizes sowie verschiedener Rohstoffgruppen in die Asset- Allocation-Entscheidungen und die Verwendung von Renditeprognosemodellen für alle Anlageklassen könnten zu noch höheren risikobereinigten Renditen führen. Die Analyse der Renditeprognostizierbarkeit und die Portfolioopti­mie­rung für diese zusätzlichen Anlageklassen bleiben somit zukünftigen Untersuchungen überlassen.

Dr. Kurt Becker

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