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4/2024 | Theorie & Praxis

Shortseller in neuem Licht

Bislang dachte man, Informationsvorteile würden schnellstmöglich ausgeschlachtet. Doch einer Studie zufolge neigen informierte Shortseller dazu, kontrolliert vorzugehen, indem sie strategisch Liquidität bereitstellen.

Dass sie über fallende Kurse erfreut sind, beschert Leerverkäufern unter den Marktteilnehmern, die darauf setzen, dass die Preise ihrer Papiere langfristig steigen, nicht nur Sympathien. Wie eine aktuelle Forschungsarbeit zeigt, tragen Shortseller wesentlich zum Funktionieren der Märkte bei.
Dass sie über fallende Kurse erfreut sind, beschert Leerverkäufern unter den Marktteilnehmern, die darauf setzen, dass die Preise ihrer Papiere langfristig steigen, nicht nur Sympathien. Wie eine aktuelle Forschungsarbeit zeigt, tragen Shortseller wesentlich zum Funktionieren der Märkte bei.© GMF | Generiert mit KI (adobe firefly), Erasmus

Die Literatur geht im Allgemeinen davon aus, dass Marktteilnehmer, die über besondere Informationen verfügen, Liquidität nachfragen. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass die meisten dieser Informationen nur kurzzeitige Vorteile bieten. Deshalb versuchen die Akteure, ihre Long- oder Short-Positionen in möglichst kurzer Zeit aufzubauen, um maximal von den erwarteten Kursbewegungen zu profitieren. Das wiederum macht es Market Makern aber möglich, die Präsenz des informierten Handels zu erkennen. Sie reagieren, indem sie die Geld-Brief-Spannen weiten, um sich vor dem potenziellen Informationsnachteil zu schützen. Dadurch verringert sich die ­Liquidität. Das klingt zunächst plausibel. Doch es gibt einen Widerspruch. Denn zugleich werden Leerverkäufer, die als informierte Anleger gelten, an anderer Stelle mit ­besserer ­Liquidität in Verbindung gebracht. Erhöhte Short-Aktivitäten gehen demnach mit niedrigen künftigen Ren­diten und einer besseren Preiseffizienz einher. Leerverkäufe spiegeln also fundamentale Informationen über die Unternehmen wider. Doch wie kann es sein, dass Shortseller ­sowohl informiert sind als auch einen positiven Beitrag zur Liquidität leisten? Mit dieser Frage befasst sich die Studie „Stealthy Shorts: Informed Liquidity Supply“ von Amit ­Goyal (Universität Lausanne und Swiss Finance Institute), Adam Reed (University of North Carolina), Esad Smajlbegovic (Erasmus University Rotterdam) und Amar Soebhag (Erasmus University Rotterdam und Robeco). Den Autoren zufolge war die Erklärung bisher, dass es zwei Arten von Leerverkäufern gibt: zum einen informierte Shortseller, die mit Market Orders arbeiten und Liquidität nachfragen, um ihren Informationsvorsprung schnell zu nutzen; zum anderen Market Maker ohne Informationsvorteile, die fortlaufend Limit-Aufträge erteilen und damit Liquidität bereit­stellen. Auch das klingt so weit plausibel. Doch die Forscher kommen zu einer anderen Antwort: Leerverkäufer, die ­Liquidität bereitstellen, sind tatsächlich besser informiert als solche, die Liquidität nachfragen. Das Ergebnis ist über­raschend und krempelt einen Großteil der Literatur in diesem Bereich um.

Für ihre Untersuchungen verwenden die Autoren umfassende, proprietäre Leerverkaufsdaten auf Transaktionsebene von den 12 wichtigsten US-Aktienbörsen im Zeitraum von 2014 bis 2018. Die Börsen stellen 97 Prozent des Handelsvolumens der US-Aktienmärkte und sind unter den Dächern von NYSE, Nasdaq und CBOE zusammengefasst. Anhand der Transaktionsdaten lassen sich Leerverkäufe mit den ­Trades der umfangreichen Trade-and-Quote-(TAQ)-Datenbank und mit Daten des Centers for Research in Security Prices (CRSP) verknüpfen. Anhand der TAQ-Daten zerlegen die Forscher das Leerverkaufsvolumen dann je nachdem, ob Liquidität bereitgestellt oder nachfragt wird, in zwei Komponenten. Das erfolgt durch Abgleich mit dem entsprechenden National Best Bid and Offer (NBBO). Transaktionen unter (über) dem vorherrschenden Mittelkurs werden dabei als vom Leerverkäufer (Käufer) initiiert eingestuft. Für die verbleibenden Short Sales, die zum Mittelkurs ausgeführt werden, erfolgt die Klassifizierung anhand des vorherigen Kurses nach dem gleichen Prinzip. In der Analyse zeigt sich, dass Bereitstellung und Nachfrage nach Liquidität fast ­gleichermaßen zum Leerverkaufsvolumen beitragen (siehe Grafik „Erstaunlich hoher Short-Anteil“).

Die Forscher lösen also das Problem, Short Sales nach ­ihrem Liquiditätseinfluss zu unterscheiden. Bislang war das kaum möglich, weil die Granularität der üblicherweise verwendeten Leerverkaufsdaten begrenzt war. Sie waren auf ­Tagesbasis aggregiert, sodass die Effekte verdeckt wurden. Mit ihren Daten identifizieren die Autoren aber nur Transaktionen zur Eröffnung von Leerverkäufen, nicht zu deren Schließung.

Ergebnisse

Als Erstes replizieren die Forscher einen in der Literatur ­dokumentierten Zusammenhang: Aktien mit hohem Short-Volumen relativ zu ihrem gesamten Handelsvolumen schneiden schlechter ab als solche mit einer niedrigen Short-Volumen-Quote. Interessant ist aber die Unterscheidung in Shorts, die Liquidität bereitstellen oder nachfragen. Der ­Untersuchung zufolge weisen Liquidität bereitstellende Leerverkäufe auf niedrigere künftige Renditen hin. Konkret entwickeln sich Aktien im höchsten Quintil der Liquiditäts­bereitstellung bei einer Haltedauer von 21 Tagen risikobereinigt um 38 Basispunkte schlechter als Aktien im niedrigsten Quintil (siehe Grafik „Klare Divergenz im Zeitablauf“). Bei Short Sales, die Liquidität nachfragen, beträgt die Differenz nur 12 Basispunkte und ist statistisch nicht signifikant. In verschiedenen Robustheitstests dokumentieren die Autoren, dass der Erklärungsgehalt von Liquidität bereitstellenden Leerverkäufen nicht durch andere Faktoren überlagert wird. Die Daten scheinen also einzigartige Informationen über künftige Aktienrenditen zu enthalten.

Spannend ist nun die Frage, wie sich der Prognosegehalt erklären lässt. Eine Vermutung wäre, dass Market Maker auf diesem Weg indirekt für die Bereitstellung von Liquidität bezahlt werden. Eine andere Idee könnte das opportunistische Tragen von Risiken sein. Damit sind Marktteilnehmer gemeint, die bei volatilen Aktien oder in Zeiten erhöhter Unsicherheit temporär Liquidität bereitstellen, bis sich die Lage wieder beruhigt, um so eine entsprechende Prämie einzufahren. Allerdings schließen die Autoren beides anhand entsprechender Tests aus.

Als Nächstes untersuchen sie die Vorhersagekraft an ­Tagen mit unternehmensspezifischen Nachrichten. Das ­Ergebnis: Short Sales, die an diesen Tagen Liquidität bereitstellen, sind besonders aufschlussreich für künftige Renditen. Daraus lässt sich ableiten, dass diese Leerverkäufe mit Informationen zusammenhängen, die in die Aktienkurse einfließen. Außerdem untersuchen die Forscher den Zusammenhang mit Querschnittsanomalien. Dabei zeigt sich, dass Short Sales, die Liquidität bereitstellen, verstärkt in gemäß den Anomalien überbewerteten Aktien aktiv sind. Das gilt nicht für Leerverkäufe, die Liquidität nachfragen.

Insgesamt deutet die Studie darauf hin, dass informierte Leerverkäufer von längerfristigen Preisrückgängen profitieren, indem sie dem Markt Liquidität zuführen, anstatt sie ihm zu entziehen. Damit spielen sie eine Schlüsselrolle für die Markteffizienz. Vor allem wenn die Informationen vergleichsweise langlebig sind und kein unmittelbarer Bedarf für eine schnelle Umsetzung der jeweiligen Trades besteht, lohnt es sich, strategisch Liquidität bereitstellen. Die Autoren schreiben, dass diese Einschätzung durch empirische Stu­dien gestützt wird, denen zufolge Insider oft Limitorders ­verwenden oder Trades in der Zeit begrenzen. Dafür gibt es zwei Gründe: zum einen die Verringerung des Markt­-Impacts, zum anderen das Versteckspiel, ihren Informationsvorsprung nicht zu verraten. Das gilt besonders, wenn der Vorteil – anders als in der bisherigen Literatur vermutet – eher langlebig ist.

Allerdings dämpfen die Forscher die Erwartung, eine ­profitable Strategie auf Basis der verwendeten Daten zu entwickeln. Denn die Leerverkäufe auf Transaktionsebene ­werden nur monatlich und mit einer Veröffentlichungsfrist von etwa zwei Wochen publiziert. Es ist also nicht möglich, diese unmittelbar zu nutzen. Die Ergebnisse sind aber in ­einer anderen Hinsicht relevant. Wenn dieselben Leerverkäufer sowohl Liquidität bereitstellen als auch die Markteffizienz verbessern, könnte es für die Regulierung in Zukunft noch schwerer werden, Short Selling in Krisenzeiten einen Riegel vorzuschieben.

Hinweis: Eine weitere Dimension der Analyse von Leerverkäufen wurde in Institutional Money, Ausgabe 1/2024, beschrieben. In „Ungedeckte Leerverkäufe“ ging es darum, dass manche Aktien besonders häufig nicht rechtzeitig zum ­Settlement ausgeliefert werden. Bei diesen Fails-to-Deliver ­bestehen erhöhte Chancen, dass negative Informationen erst noch eingepreist werden.

Dr. Marko Gränitz

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