Profitabler Schattenhandel
Egal ob es um Steuergesetze, Kapitalmarktregulierung oder andere Spielregeln geht: Immer wieder finden clevere Akteure Schlupflöcher und Umgehungsstrategien. Zwei Studien zeigen, dass dies auch bei strengen Vorschriften zum Insiderhandel der Fall ist.
Marktteilnehmer, die beständig Überrenditen erzielen möchten, brauchen irgendeine Art von systematischem Vorteil. Eine Quelle dafür könnte sein, dass bestimmte Personen mit einzelnen Aktien oder ganzen Branchen besonders gut vertraut sind und dadurch den Wert öffentlicher Informationen besser einschätzen und in Zusammenhang bringen können als andere Anleger. Zum Beispiel sind Branchenkenner in der Lage, die Auswirkungen eines neuen Produkts auf die künftigen Erträge eines Unternehmens genauer einzuschätzen. Wenn das der Fall ist, handelt es sich um tatsächliche Fähigkeiten in der Analyse, die entsprechende Vorteile am Markt ermöglichen. Das könnte etwa bei hochrangigen Managern von Unternehmen der jeweiligen Branche der Fall sein.
Insiderhandel
Doch es gibt auch eine andere Erklärung dafür, wie Unternehmensinsider potenziell überdurchschnittliche Renditen erzielen: durch illegale Handelsgeschäfte an der Börse. Damit sind Aktivitäten gemeint, die auf unveröffentlichten kursrelevanten Informationen beruhen. Diese Form des Insiderhandels untergräbt das Vertrauen von Anlegern in die Kapitalmärkte. Deshalb geht es den Regulierungsbehörden darum, für Fairness und Integrität an den Finanzmärkten zu sorgen, indem sie Gesetze erlassen, die das unterbinden. Zugleich ist aber Insider Trading, das auf Basis öffentlich verfügbarer Informationen erfolgt und gemäß entsprechender Vorgaben an die Behörden gemeldet wird, zulässig.
Die strikte Durchsetzung des Verbots unerlaubter Insidergeschäfte und die damit erhöhte Gefahr sehr empfindlicher Strafen hat dazu geführt, dass diese im Lauf der Zeit deutlich abgenommen haben. Das wurde etwa im Jahr 2017 im Paper „The Deterrence Effect of SEC Enforcement Intensity on Illegal Insider Trading“ dokumentiert. Demnach schreckte die US-Behörde SEC die entsprechenden Marktteilnehmer vom illegalen Insiderhandel ab.
Eine Einschränkung ist aber passives Insider Trading, wie im Paper „Insider Trading in Takeover Targets“ dokumentiert wird. Hierbei profitieren die Insider indirekt von nicht öffentlichen Informationen, indem sie vor der Bekanntgabe von potenziell kursrelevanten Nachrichten – anders als sonst – keine oder kaum noch Verkäufe tätigen. Der Effekt lässt sich statistisch zeigen, indem Käufe und Verkäufe im Zeitablauf untersucht und speziell diejenigen Zeiträume analysiert werden, in denen es Übernahmeverhandlungen gab. Dabei unterscheidet die Studie fünf Gruppen von Insidern, und für alle fünf lässt sich die passive Anwendung nachweisen.
Ein weiterer interessanter Effekt ist, dass Unternehmensinsider mit Aktien aus ihrer Branche überdurchschnittliche Renditen erzielen, nicht aber mit Titeln aus anderen Branchen. Das geht aus der Studie „Industry Familiarity and Trading“ der drei Forscher Itzhak Ben-David, Justin Birru und Andrea Rossi hervor. Demnach haben Insider die Fähigkeit, erfolgreiches Stockpicking vor allem in kleinen, wenig von Analysten gecoverten Titeln zu betreiben. Gleichzeitig war der Performanceunterschied zwischen brancheneigenen und branchenfremden Geschäften erheblich (siehe Grafik „Brancheninsider profitieren“). Dabei konnten die Autoren aber kein verbotenes Insider Trading im Vorfeld der Bekanntgabe von Quartalszahlen ausmachen, auch wenn es nicht ganz auszuschließen ist. Stattdessen legt die Analyse nahe, dass die Vertrautheit der Führungspersonen mit ihrer Branche die beste Erklärung für die erzielten Überrenditen darstellt.
Shadow Trading
Außerdem haben die Autoren eine Vermutung: Insider könnten die Nachrichten über das eigene Unternehmen auch dazu nutzen, um mit anderen Aktien aus der gleichen Branche zu handeln. Belege dafür haben sie zwar nicht, doch diese liefern Mihir Mehta, David Reeb und Wanli Zhao in ihrer später erschienenen Studie „Shadow Trading“. Darin werden US-Aktien auf Basis verschiedener miteinander in Verbindung gebrachter Datenquellen in der Zeit von 1997 bis 2011 untersucht. Die Autoren schreiben, dass Insider die strengen Vorschriften umgehen, indem sie ihre privaten Informationen zum profitablen Handel der Aktien wirtschaftlich verbundener Unternehmen nutzen. Dabei ist das Ausmaß dieser Aktivitäten vor Bekanntgabe von Quartalszahlen besonders groß. Das Ganze stellt eine Grauzone dar, da der Schattenhandel kein eindeutiger Verstoß ist. Tatsächlich gab es in den USA bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie keine strafrechtlichen Verfolgungen in diesem Zusammenhang, wie die Autoren schreiben.
Den Schätzungen zufolge liegt der Gewinn eines Schatten-Trades zwischen 139.400 und 678.000 US-Dollar und ist damit durchaus erheblich. Entsprechend haben Insider infolge einer Verschärfung der behördlichen Kontrollen den klaren Anreiz, vom traditionellen Insiderhandel zum Schattenhandel überzugehen, um nicht aufzufliegen. Diese Tendenz zeigt sich in der Studie anhand einer Betrachtung aufsehenerregender Maßnahmen der SEC gegen unerlaubten Insiderhandel. In deren Folge nahm der Schattenhandel in den Aktien verbundener Unternehmen auf Dreimonatssicht nennenswert zu, während der konventionelle Insiderhandel gleichzeitig abnahm. Die Autoren vermuten, dass im Schattenhandel ähnlich wie beim klassischen Insider Trading auch heiße Tipps mit kursrelevanten Informationen weitergegeben werden.
Diese Erkenntnisse verdeutlichen, dass dem Insiderhandel im Allgemeinen angesichts möglicher Umgehungsstrategien nicht so leicht beizukommen ist. Zugleich fokussieren sich die meisten Bemühungen zur Verfolgung nach wie vor auf die klassische illegale Variante. Ähnlich wie bei Schlupflöchern in anderen Bereichen scheint die Regulierung hier also im Rückstand zu sein, sodass die Regeln sowie die Durchsetzung einer erneuten Bewertung bedürfen. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass auch Unternehmen einen Anreiz haben, ihren Mitarbeitern zu verbieten, kursrelevante Informationen für den Schattenhandel zu nutzen. Schließlich könnten sich spätere öffentliche Enthüllungen solcher Aktivitäten durchaus negativ auf das Geschäft und die Gewinne auswirken. Dabei zeigt die Studie, dass ein solches Verbot durchaus zielführend ist: Wenn Unternehmen dies ihren Mitarbeitern erteilen, fällt der Umfang des Schattenhandels signifikant geringer aus.
Neue Studie
Erst kürzlich gab es eine weitere Studie zu diesem spannenden Forschungsthema. Die drei Autoren Prachi Deuskar, Aditi Khatri und Jayanthi Sunder untersuchen im Paper „Insider Trading Restrictions and Informed Trading in Peer Stocks“ den indischen Markt in der Zeit von 2012 bis 2017. Das erscheint zwar zunächst als sehr kurze Zeitspanne, ist aber aufgrund eines besonderen Ereignisses interessant. Denn im Januar 2015 wurde von der indischen Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde SEBI eine strenge Verordnung zum Verbot des Insiderhandels erlassen. Die verschärfte Regulierung dient der Studie als Abgrenzung für einen Vorher-Nachher-Vergleich der Insider-Aktivitäten.
Zwar war es auch zuvor nicht erlaubt, dass Insider auf Basis von unveröffentlichten kursrelevanten Informationen handeln. Doch nun wurde die Pflicht zur Durchsetzung teilweise auf die Unternehmen verlagert, wodurch die Beschränkungen an Wirksamkeit gewannen. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, stieg mit der neuen Verordnung also an. Hinzu kommen die allgemeinen Meldepflichten. Demnach müssen Direktoren, leitende Angestellte und Großaktionäre von börsennotierten indischen Unternehmen den Handel mit Aktien ab einem Wert von umgerechnet rund 6-700 US-Dollar oder 25.000 Aktien oder einem Prozent aller ausstehenden Aktien melden. Aber natürlich gilt weiter: Wenn ein Insider dabei über unveröffentlichte kursrelevante Informationen verfügte, wird der Handel durch die Meldung keineswegs legal.
Insgesamt war zu erwarten, dass sich der Handel von Insidern mit Aktien des eigenen Unternehmens infolge der strengeren Regulierung reduziert. Und genau das zeigen auch die Ergebnisse. Der Insiderhandel wurde durch die neue Verordnung tatsächlich eingedämmt. Gleichzeitig untersuchen die Forscher, inwieweit Insider die beschriebene Umgehungsstrategie nutzen. Wenn sie fungible beziehungsweise übertragbare Informationen aus dem eigenen Unternehmen besitzen, die zum Teil auch für andere Unternehmen des Sektors oder der Peergroup relevant sind, könnten sie ersatzweise mit deren Aktien handeln (siehe Grafik „Umgehungsstrategie“). Dadurch würden sie Gewinne im Schattenhandel erzielen und die strengen Vorschriften zum Insiderhandel mit den Aktien des eigenen Unternehmens umgehen, wie das bereits zuvor die Studie zum US-Markt gezeigt hat. Da die Trades von Insidern mit Aktien von Peer-Firmen nicht offengelegt werden, standen die Forscher zunächst vor der Herausforderung, geeignete Daten zu beschaffen, um ihre Untersuchungen durchzuführen. Dazu glichen sie die von Unternehmensinsidern am indischen Aktienmarkt gemeldeten Geschäfte mit den Daten aller Geschäfte an der BSE ab. Die BSE ist mit über 5.000 notierten Unternehmen die größte Börse in Indien und zählt nach Marktkapitalisierung zu den zehn größten weltweit. Entscheidend ist dabei, dass die Daten anonymisierte Händlerkennungen enthalten, die es ermöglichen, ein- und denselben Händler in der gesamten Stichprobe zu verfolgen. Auf diese Weise können die Autoren auch Aktivitäten von Insidern in anderen Aktien untersuchen, bei denen sie keine Insider sind.
Profitable Umgehung
Während der klassische Insiderhandel durch die neue Verordnung eingedämmt wurde, ist für den Handel mit Aktien aus der Peergroup das Gegenteil der Fall. Hier haben mit den verschärften Vorschriften sowohl Häufigkeit als auch Rentabilität zugenommen. Als Näherungsgröße für die Fungibilität von Insiderinformationen verwenden die Autoren die Korrelation der jeweiligen Aktie mit der Branche. Je stärker dieser Gleichlauf ausfällt, desto besser sollten die Informationen profitabel zum Handel in Aktien verbundener Unternehmen genutzt werden können. Dabei scheint die Rentabilität auf Informationen zu basieren, die aus dem Unternehmen des Insiders stammen und nicht aus spezifischen Informationen über die gehandelte Peergroup-Aktie. Das wiederum deutet darauf hin, dass sich Insider nicht untereinander mit heißen Tipps zu ihren jeweiligen Unternehmen versorgen, wie in der zuvor beschriebenen Studie vermutet wurde. Das Peer Trading beruht demnach zum Teil auf Informationen, die dem Insider-Unternehmen und der gehandelten Peergroup-Firma gemeinsam sind, die sich dabei jedoch auch von der Gesamtkomponente der Branche unterscheiden. Gleichzeitig erklären die Autoren, dass Insider infolge der neuen Regulierung weniger besorgt sein müssen, dass sie beim Handel mit Aktien von Peer-Firmen mit den dortigen besser informierten Insidern konkurrieren. Denn die schärfere Regulierung sorgt letztlich auch dort dafür, dass klassische Insidergeschäfte deutlich eingeschränkt werden. Das macht den Schattenhandel wiederum attraktiver.
Auswirkungen
Angesichts dieser Erkenntnisse stellt sich die Frage, ob der veränderte Insiderhandel auch Auswirkungen auf die Eigenschaften und das Verhalten der Märkte hat. Die Autoren der jüngsten Studie schreiben, dass in der Kapitalmarktforschung schon lange eine Debatte über das Für und Wider von Vorschriften zum Insiderhandel läuft. Wird dem Ausnutzen kursrelevanter Informationen ein Riegel vorgeschoben, verbessert sich die Liquidität. Gleichzeitig nimmt aber der Informationsgehalt der Kurse im Vergleich zu dem Szenario ab, dass Insider ihre privaten Informationen nutzen können und ihre Geschäfte offenlegen. Auf diesen Zusammenhang hatte schon eine Pionierarbeit zu diesem Thema vor mehr als 30 Jahren hingewiesen („An Empirical Analysis of Illegal Insider Trading“ von Lisa Meulbroek). Andererseits kann der Anreiz für Außenstehende, sich Informationen zu beschaffen, mit einer strengeren Regulierung des Insiderhandels verbessert werden, was wiederum den Informationsgehalt der Preise erhöhen würde.
Was ist nun also der resultierende Effekt? Die Antwort scheint, wie so oft, zu sein: Es kommt darauf an. Den Autoren der jüngsten Studie zufolge verbessert sich die Liquidität für Aktien mit geringer Branchenkorrelation und damit geringem erwartetem Peer Trading. Doch für Aktien mit hoher Branchenkorrelation scheint die neu entstandene Klasse des Insider-Schattenhandels der Liquidität zu schaden, sodass sich diese im Vergleich zur Zeit vor der neuen Regulierung nicht verbesserte. Insgesamt machen die Ergebnisse der Studie damit deutlich, dass strenge Vorschriften die Insider nicht vollständig daran hindern, von ihrem Informationsvorsprung zu profitieren, auch wenn sie in Bezug auf den Handel der Aktien des eigenen Unternehmens erfolgreich wirken. Angesichts von Umgehungen müssen strengere Vorschriften also nicht unbedingt zu einem höheren Informationsgehalt der Kurse oder zu besserer Liquidität führen. Denn letztlich wird dadurch unbeabsichtigt eine neue Kategorie von informierten Schattenhändlern geschaffen, die das Regulierungsziel, für faire Finanzmärkte zu sorgen, ebenfalls beeinträchtigen können.
Fazit
In den letzten Jahrzehnten hat die Regulierung entscheidende Fortschritte erzielt, was die Einschränkung von unerlaubtem Insiderhandel angeht. Allerdings scheinen die cleveren Akteure am Markt schon lange einen Schritt voraus zu sein. Für die Informationen von Insidern stellt der mehr oder weniger berechenbare Handel mit Aktien verbundener Peergroup-Firmen nicht mehr nur die zweitbeste Verwendung dar. Der indirekte Bezug mag zwar Wahrscheinlichkeit und Höhe des potenziellen Gewinns gegenüber dem klassischen unerlaubten Insiderhandel verringern. Doch er minimiert eben zugleich die Gefahr von möglichen Konsequenzen. Letztlich ist es also eine Rendite-Risiko-Abwägung.
Dr. Marko Gränitz