Mismatch mit Folgen
Klassische Investmentfonds bieten tägliche Liquidität zum Nettoinventarwert. Während es in ruhigen Marktphasen gar nicht auffällt, wenn das Fondsportfolio selbst weniger flüssig ist, kann es in turbulenten Phasen problematisch sein.
Bei klassischen Investmentfonds besteht bekanntlich ein strukturelles Ungleichgewicht in Bezug auf die Liquidität. Denn während die Anteile täglich zum Nettoinventarwert (NAV) bewertet werden und zu diesem Preis handelbar sind, können die enthaltenen Wertpapiere mitunter nicht so leicht kurzfristig gekauft beziehungsweise verkauft werden. Das gilt natürlich umso mehr, je illiquider das Portfolio ist. Bei Mittelzuflüssen stellt das meist kein Problem dar, da diese weitgehend kontrolliert erfolgen. Doch bei Abflüssen, vor allem in turbulenten Marktphasen mit Notverkäufen (Fire Sales) einzelner Marktteilnehmer, können starke Verwerfungen auftreten. Dabei sind zwei Mechanismen zu unterscheiden:
1) marktbreiter Effekt: Bei hohem Verkaufsdruck im Rahmen von Fire Sales kommt es in der Regel zu übertrieben niedrigen Kursen am Markt, die sich auf alle Fonds entsprechend ihrer Wertpapierportfolios auswirken. Dabei ist es unerheblich, ob der jeweilige Fonds selbst Abflüsse verzeichnet. Solange er sein Portfolio nicht anpasst, ist der marktbreite Effekt aber vorübergehend. Er wirkt sich nur dann negativ auf die investierten Anleger aus, wenn diese ihre Fondsanteile während der niedrigen Kurse verkaufen und deshalb nicht von der späteren Erholung profitieren.
2) fondsinterner Effekt: Gleichzeitig können einzelne Fonds gezwungen sein, einen Teil der gehaltenen Wertpapiere zu niedrigen Kursen zu verkaufen, wenn sie viele beziehungsweise wertmäßig hohe Rückgaben eigener Fondsanteile bedienen müssen. Damit werden die Kursverluste also realisiert. Die entsprechenden Rückgaben werden kurzfristig zum NAV abgerechnet. Doch die Flut von Anteilsverkäufen kann so groß sein, dass Positionen über mehrere Tage abgebaut werden müssen. An den Folgeverlusten und Transaktionskosten sind die anfänglichen Verkäufer aber nicht mehr beteiligt.
Dominoeffekt
Während der marktbreite Effekt also vorübergehend ist, geht der fondsinterne Effekt systematisch zulasten der weiterhin investierten Anleger. Das wiederum schafft einen Anreiz, in heiklen Phasen möglichst schnell Fondsanteile abzustoßen. Denn es ist davon auszugehen, dass sich die Kosten für umfangreiche Rückgaben in den Abrechnungskursen der nächsten Tage niederschlagen. Im Extremfall kann dieser First-Mover-Vorteil zu einer Abwärtsspirale aus fallenden Preisen und steigenden Rücknahmen führen (siehe Grafik „Modellhafter Überblick“). Und im Worst Case kann das den ganzen Fonds zu Fall bringen.
Ein Beispiel dafür beschreibt die Studie „Swing Pricing for Mutual Funds: Breaking the Feedback Loop Between Fire Sales and Fund Redemptions“. So verlor der Third Avenue Focused Credit, ein US-Junk-Bond-Fonds, aufgrund hoher Rückgaben von Juli bis Dezember 2015 mehr als die Hälfte seines verwalteten Vermögens von anfangs 2,1 Milliarden US-Dollar. Am Ende sah man sich gezwungen, die Rücknahme von Anteilen auszusetzen und den Fonds kontrolliert zu liquidieren. Die Manager waren nicht mehr in der Lage, kurzfristig einen vernünftigen Preis für die Wertpapierpositionen zu erzielen, um ihre Anleger auszuzahlen. Experten sprachen damals von Missmanagement. Demnach wurde übermäßig in illiquide Anleihen investiert, was angesichts der Struktur als offener Fonds mit täglicher Liquidität nicht angemessen war.
Während die negativen Auswirkungen des fondsinternen Effekts weitgehend bekannt sind, weiß man nur wenig darüber, ob bestimmte Anlegergruppen wesentliche Verursacher beziehungsweise Leidtragende sind. Dieser Frage gingen Daniel Fricke, Stephan Jank und Hannes Wilke in ihrem Paper „Who Creates and Who Bears Flow Externalities in Mutual Funds?“ auf den Grund. Die Autoren sind Mitarbeiter der Bundesbank, vertreten aber im Rahmen dieser Untersuchungen ihre persönliche Meinung.
Daten
Die Studie untersuchte Daten zur Eigentümerstruktur von Investmentfonds im Euroraum. Dafür wurden Morningstar-Informationen mit der sektoralen Wertpapierbestandsstatistik des Eurosystems zusammengeführt. Letztere enthielten die quartalsweisen Fondsbestände der wichtigsten Anlegergruppen, zu denen Privathaushalte, Versicherer, Investment und Pensionsfonds, Banken und sonstige Unternehmen zählen. Dabei umfasste die Stichprobe insgesamt 2.597 Fonds mit 7.722 Aktienklassen im Zeitraum vom vierten Quartal 2013 bis zum zweiten Quartal 2020. Per Dezember 2019 verwalteten die Fonds in der Stichprobe insgesamt 502 Milliarden Euro. Die mit Abstand größten Domizile waren Luxemburg, Frankreich und Deutschland sowohl in Bezug auf das verwaltete Vermögen als auch die Anzahl der einzelnen Fonds.
Die umfangreichen Daten ermöglichten es den Forschern, sowohl Verhaltensunterschiede zwischen privaten und institutionellen Anlegern zu untersuchen als auch Unterschiede innerhalb der Gruppe institutioneller Investoren. Dabei traten auch interessante Details zutage. Zum Beispiel gibt es Anlageklassen für Privatanleger, die aber vorrangig von institutionellen Anlegern gehalten werden. Letztere verfügen zwar über umfangreiche Direktanlagen in große, liquide Aktien, aber auch über indirekte Anlagen in Fonds, die eher auf illiquide Bereiche ausgerichtet sind. Tatsächlich scheinen auch Investmentfonds zunehmend in andere Fonds zu investieren. Das könnte damit zusammenhängen, dass man die damit verbundene Liquiditätstransformation als Dienstleistung schätzt. Das Problem dabei: Durch die Fondsbeteiligungen können die Verluste durch Notverkäufe innerhalb des Sektors noch verstärkt werden.
Methodik
Die Autoren quantifizierten den Nettowert an externen Effekten, den jeder der genannten Sektoren innerhalb eines bestimmten Fonds ausmacht, wenn große Abflüsse auftreten. Intuitiv sollte der jeweilige Beitrag dabei dem relativen Anteil des Sektors entsprechen, den dieser zu den Abflüssen beisteuert. Dabei absorbiert ein Sektor genau so viel von den negativen Effekten, wie sein relativer Anteil an den Beständen infolge der Abflüsse beträgt. Es geht also um eine Einschätzung, ob einzelne Sektoren im Vergleich zu ihrer relativen Größe per Saldo zu wenig oder zu viel absorbieren. Diese lässt sich treffen, wenn zum Vergleich einheitliche Kapitalflüsse aller Sektoren angenommen werden, die proportional zu ihren Beständen sind. Netto wären die Effekte jedes Sektors, also die Differenz von erhaltenen und verursachten Externalitäten, dann gleich null. Abweichungen davon sind Schätzungen für bestehende Nettoexternalitäten einzelner Sektoren. Diese machen eine interessante Analyse möglich, wie sich verschiedene Sektoren durch ihre Anteilsverkäufe gegenseitig beeinflussen.
Ergebnisse
Die Autoren betrachteten relativ illiquide Aktienfonds mit hohen Abflüssen. Konkret waren das Fonds, deren Portfolioanteil von Small und Mid Caps im Topquartil der gesamten Stichprobe liegt und deren quartalsweise Nettoabflüsse mehr als zehn Prozent ihres verwalteten Vermögens ausmachen. Für diese Fonds schätzten sie, dass die negativen externen Effekte im darauffolgenden Quartal 45 Basispunkte ausmachen. Maßgeblich verantwortlich dafür ist der Investmentfondssektor, der allein 15 Basispunkte verursacht, aber nur vier Basispunkte absorbiert. Daraus ergibt sich eine Nettoexternalität von elf Basispunkten, die statistisch signifikant ist. Erstaunlich ist, dass sich das nicht in erster Linie auf Dachfonds zurückführen lässt, wie man zunächst vermuten könnte, sondern auf klassische Fonds, die in andere Fonds investieren. Aufgrund der kaskadenartigen Struktur könnte die Nettoexternalität also überhaupt erst so hoch ausfallen. Interessant ist auch, dass es hauptsächlich institutionelle Aktienklassen sind, die in andere Fonds investieren. Somit hat der Investmentfondssektor in der Stichprobe tatsächlich institutionellen Charakter. Doch wo es Profiteure gibt, da sind auch Verlierer zu finden. Hier sind es die Haushalte und Versicherer. Die Haushalte, die den größten Teil des investierten Vermögens stellen, verursachen 22 und absorbieren 30 Basispunkte. Die resultierende Nettoexternalität von minus acht Basispunkten ist ebenfalls statistisch signifikant. Die Netzwerkanalyse der Forscher zeigt dabei starke Verbindungen zwischen den Sektoren Investmentfonds und Haushalte. Demnach werden mehr als 40 Prozent der überschüssigen externen Effekte, die von Investmentfonds ausgehen, von Haushalten absorbiert. Wie weitere Untersuchungen zeigen, entstehen die negativen Externalitäten vor allem in Aktienklassen mit niedrigem Mindestanlagebetrag, in denen tendenziell ein hoher Anteil unerfahrener Privatanleger investiert ist. Demnach könnte man vermuten, dass sich der Investmentfondssektor bei Fondsrückgaben bewusst die Anwesenheit von relativ unbedarften Kleinanlegern zunutze macht. Allerdings stellen die Forscher auch fest, dass sich die Externalitäten auf Fonds konzentrieren, die keine Ausgabeaufschläge erheben. Bestehende Aufschläge scheinen übermäßige Rückgaben also wirksam zu unterbinden.
Auch der zweitgrößte Sektor der Versicherer ist ein Verlierer. Hier werden drei Basispunkte verursacht und sechs absorbiert. Zwar können die Autoren in diesem Fall keine statistische Signifikanz nachweisen, doch das Ergebnis ist trotzdem einen Blick wert. Denn relativ gesehen sind die von Versicherern verursachten drei Basispunkte nur halb so viel, wie angesichts ihres investierten Vermögens zu erwarten wäre. Damit zeigt sich vor allem im Vergleich mit dem etwa gleich großen Investmentfondssektor ein starker Kontrast. Denn dessen Beitrag zu den externen Effekten ist mit den genannten 15 Basispunkten in etwa fünfmal so groß.
Entsprechend deutlich sind die Unterschiede im Verhalten dieser beiden Gruppen von institutionellen Anlegern. Das scheint auch damit zusammenzuhängen, dass im Sektor Investmentfonds eher kurzfristig orientierte Anleger aktiv sind, die ihre Fondsbestände sehr aktiv umschichten. Besonders in Krisenzeiten wie zuletzt beim Corona-Crash im Jahr 2020 kommt es dabei zu hohen Rückgaben. Dann ist die Liquidität der Fondsportfolios ohnehin niedrig, sodass die externen Effekte entsprechend groß ausfallen. Im Gegensatz dazu sind Haushalte und Versicherer eher langfristig orientiert und haben selbst in Krisen ein deutlich geringeres zyklisches Verhalten der Kapitalflüsse.
Schlussfolgerungen
Wenn klassische Fonds ein Liquiditäts-Mismatch aufweisen, besteht der Anreiz, sich in Krisenphasen möglichst schnell zu verabschieden. Wie die Studie zeigt, gilt das vor allem für den institutionell geprägten, kurzfristig orientierten Sektor der Investmentfonds. Dabei werden aber systematisch negative externe Effekte verursacht, die vor allem längerfristig orientierte Marktteilnehmer absorbieren, die weiter investiert bleiben. Zu diesen scheinen insbesondere unerfahrene Privatanleger zu zählen. Aus den Ergebnissen leiten die Autoren ab, dass die offene Struktur von Investmentfonds vor allem den Liquiditätspräferenzen bestimmter institutioneller Anleger entspricht.
Eine Möglichkeit, diese Effekte zu vermeiden, sind Ausgabeaufschläge. Eine andere Idee wird im eingangs erwähnten Paper „Swing Pricing for Mutual Funds“ beschrieben. Seit Ende 2018 ist es demnach klassischen US-Investmentfonds erlaubt, unter bestimmten Umständen ein Swing Pricing anzuwenden. Das ermöglicht es den Fonds, ihren NAV anzupassen (Swing), um die Kosten, die sich aus Käufen oder Rücknahmen ergeben, effektiv an die damit verbundenen Anteilseigner weiterzugeben. In Deutschland ist dies seit dem Jahr 2020 erlaubt, doch in Europa gibt es bislang keine einheitliche Regelung.
Dr. Marko Gränitz
Dr. Marko Gränitz