Irrationale Selbsterkenntnis
Deutsche Banken neigen dazu, ihre künftigen Ergebnisdaten konsequent zu unterschätzen. Aus Sicht zweier Bundesbank-Ökonomen ist das ein Zeichen von „Irrationalität“ – mit faktischen Rückkopplungseffekten auf die eigene Performance.
Die strategische Planung von Banken und deren Auswirkungen auf die finanzielle Performance werden seit Jahrzehnten untersucht. Die Ergebnisse sind jedoch uneinheitlich. In den USA zeigen mehrere Studien eine leicht negative Beziehung zwischen Rentabilität und Planungsfähigkeit, andere finden nur eine moderate Korrelation zwischen Planungs- und Performancemessgrößen. Weitere Studien aus den 1990er-Jahren behaupten wiederum, eine positive Beziehung festgestellt zu haben. So wollen Miller und Cardinal in einer Metaanalyse einen generell positiven Zusammenhang zwischen Planung und Performance ermittelt haben. Hopkins und Hopkins finden zudem eine gegenseitige Verstärkung zwischen strategischer Planung und finanzieller Performance in Banken.
Die Bundesbank-Ökonomen Lotta Heckmann-Draisbach und Christoph Memmel haben sich vor diesem Hintergrund zusammengesetzt und beschlossen, im Rahmen ihres Papers „How Good are Banks’ Forecasts?“ – und unter Zuhilfenahme eines den Autoren zufolge „einzigartigen Datensatzes“, der aus vier Erhebungszyklen der sogenannten Niedrigzinsumfeld-Umfrage (LIRES) besteht – eine starke Antwort auf die folgende Frage zu geben:?Sind Banken gut beim Prognostizieren ihrer eigenen Ergebnisse? Und hat die Prognosestärke oder -schwäche Auswirkungen auf das eigene später tatsächlich erfolgte Ergebnis?
Die Datenlage
Zum Hintergrund:?LIRES enthält Planungs- und Prognosedaten deutscher Banken für jeweils fünf Projektionsjahre sowie reguläre Berichtsdaten über die tatsächlichen Ergebnisse der Institute. „Dadurch können wir die von den Banken eingereichten Prognosen mit den realisierten Ergebnissen vergleichen – sowohl im Querschnitt als auch aufgrund der mehreren Erhebungszyklen in einer Zeitreihenanalyse. Unsere Analyse bietet somit einen einzigartigen Einblick in die Fähigkeit kleiner und mittelgroßer deutscher Banken, ihre Kennzahlen präzise zu planen, sowie in den Zusammenhang zwischen Planungsgenauigkeit und Performance. Darüber hinaus analysieren wir die von den Banken gelieferten Zinserwartungen, um deren Sicht auf das Zinsniveau während der Niedrigzinsphase näher zu beleuchten“, erklärt Heckmann-Draisbach.
Die Autoren verwenden vier Erhebungszyklen der Niedrigzinsumfeld-Umfrage (LIRES), die gemeinsam von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Deutschen Bundesbank alle zwei Jahre unter allen kleinen und mittelgroßen Banken in Deutschland durchgeführt wird. Sie wurde in den Jahren 2015, 2017, 2019 und 2022 erstellt und liefert in jedem Zyklus weitgehend ähnliche Informationen: Die Banken melden ihre Ausgangswerte sowie Planungsdaten für die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanz für die nächsten fünf Jahre, Prognosen zu verschiedenen Zinsszenarien und zusätzliche Informationen wie beispielsweise das erwartete Zinsniveau. Sie nutzen zudem Berichtsdaten, um die tatsächlich realisierten Zahlen mit den von den Banken eingereichten Prognosen zu vergleichen (siehe Grafik „Prognose vs. Fakten“). „In unserer Analyse konzentrieren wir uns hauptsächlich auf das erste Prognosejahr. Zum einen weil Vorhersagen für die nahe Zukunft in der Regel zuverlässiger sind als für längere Zeiträume, zum anderen weil dies den Vergleich der Erhebung von 2022 mit Berichtsdaten ermöglicht“, so Memmel.
Um sicherzustellen, dass die Daten nicht durch Fusionen verfälscht werden, schließen sie Banken, die im jeweiligen Jahr an einer Fusion beteiligt waren, aus der Analyse aus.
Eine Frage der Relevanz
Nachdem die Daten erfasst sind, wird zunächst die Frage untersucht, ob die Prognosen überhaupt Informationen über zukünftige Entwicklungen enthalten. Dabei wird gemessen, wie stark die Vorhersagen mit den realisierten Werten korrelieren. Liefern die Prognosen eine deutliche Erklärungskraft für die tatsächlichen Ergebnisse, gelten sie als relevant. Andernfalls bleiben sie auf dem Niveau naiver Modelle, die keinen Mehrwert bieten. Gleichzeitig wird geprüft, ob die Prognosen systematisch verzerrt sind. Dies geschieht, indem der durchschnittliche Fehler zwischen den Vorhersagen und den realisierten Werten analysiert wird. Eine systematische Über- oder Unterschätzung der Ergebnisse könnte auf methodische Schwächen hinweisen.
Die wahrscheinlich wichtigste Frage ist jedoch, ob eine hohe Prognosegenauigkeit von Banken mit einer besseren finanziellen Performance zusammenhängt. Eine präzise Planung könnte ja darauf hindeuten, dass ein Institut sein Geschäft gut versteht, Ressourcen effizient allokieren kann und strategische Entscheidungen erfolgreich umsetzt. Diese Fähigkeiten könnten wiederum in höherer Profitabilität münden. Gleichzeitig könnte eine Bank, die verlässliche Prognosen erstellt, als zuverlässiger wahrgenommen werden, was sich positiv auf ihre Finanzierungskosten und das Vertrauen von Investoren auswirken könnte.
Umgekehrt könnte eine schlechte Prognosequalität zu erheblichen Problemen führen. „Banken, die ihre Geschäftsentwicklung regelmäßig über- oder unterschätzen, riskieren Ressourcenfehlallokationen und operative Reibungsverluste“, meint Memmel. Eine fortlaufende Überschätzung könnte zudem das Vertrauen von Investoren und Kunden beeinträchtigen und Reputationsrisiken schaffen. Eine fortlaufende Unterschätzung der eigenen Leistung könnte wiederum ein Zeichen für mangelnde Ambition sein, was ebenfalls negative Wahrnehmungen hervorrufen könnte.
Der Standpunkt der Autoren in diesem Interpretationsdilemma ist klar: „Wenn eine Bank die Nachfrage nach einer Dienstleistung unterschätzt, trägt sie dennoch die vollen Kosten für vorbereitete Kapazitäten, was die Gewinne schmälert. Umgekehrt führt eine Überschätzung dazu, dass potenzielle Umsätze ungenutzt bleiben. Je genauer die Prognosen sind, desto geringer sind die Risiken dieser Diskrepanzen und desto höher die erwarteten Gewinne“, erklärt Memmel.
Präzise Prognose = stärkeres Ergebnis
Die empirische Analyse der Autoren zeigt jedenfalls, dass ein Zusammenhang zwischen Prognosegenauigkeit und finanzieller Performance existiert, auch wenn dieser nicht durchgängig stark ausgeprägt ist. Institute mit geringeren Prognosefehlern tendieren demnach dazu, eine bessere Rendite auf ihre Aktiva zu erzielen. Gleichzeitig offenbart die Untersuchung, dass Banken mit schlechter Prognosequalität in der Regel wirtschaftlich weniger erfolgreich sind. „Die Ergebnisse untermauern somit die Bedeutung strategischer Planung als Instrument zur Steigerung der finanziellen Stabilität und Profitabilität“, so Heckmann-Draisbach.
„Die Untersuchung der Prognosequalität deutscher Banken liefert interessante Einsichten in die Genauigkeit und Konsistenz ihrer Vorhersagen. Insbesondere die Einjahresprognosen für Bilanzgrößen und wesentliche Positionen der Gewinn-und-Verlust-Rechnung – wie Zinserträge, Provisionsüberschüsse und Verwaltungskosten – stehen im Fokus. Die Analyse zeigt, dass diese Prognosen zwar relevant sind, jedoch auch systematische Verzerrungen aufweisen“, erklärt Heckmann-Draisbach.
Konsequent irrational
Ein zentrales Ergebnis ist außerdem, dass Banken ihre Bilanzsumme und die wesentlichen Ertragspositionen regelmäßig unterschätzen (siehe oberste Tabelle in „Neigung zur Irrationalität“). „Diese systematischen Abweichungen lassen darauf schließen, dass die Prognosen nicht völlig objektiv oder rational sind. Zudem zeigt die Analyse, dass die Qualität der Prognosen – gemessen an ihrem Erklärungswert – im letzten Erhebungszeitraum 2022 zurückging. Darüber hinaus waren die Prognosen in diesem Zeitraum stärker gestreut, was auf eine erhöhte Unsicherheit im Marktumfeld hindeutet“, erklärt Heckmann-Draisbach.
Ein weiterer wichtiger Befund ist die Beständigkeit der Prognosequalität über verschiedene Zeiträume hinweg. Banken, die in einem Erhebungszyklus präzise Prognosen abgeben, neigen dazu, auch in nachfolgenden Zyklen genau zu bleiben. „Dies deutet darauf hin, dass einige Institute systematisch besser planen als andere“, meint Memmel. Gleichzeitig zeigt sich, dass Banken, die einmal optimistische oder pessimistische Fehler machen, diese häufig wiederholen (siehe mittlere Tabelle in „Neigung zur Irrationalität“).
Die Verbindung zwischen Prognosefehlern und wirtschaftlichem Erfolg ist hingegen weniger eindeutig (siehe unterste Tabelle in „Neigung zur Irrationalität“). Größere Fehlprognosen bei Bilanzsumme und Verwaltungskosten sind mit einer niedrigeren Rentabilität verbunden. Bei anderen Variablen wie den Provisionsüberschüssen sind die Ergebnisse weniger konsistent. Die Daten legen nahe, dass die Qualität der Planung zwar eine Rolle spielt, der Zusammenhang mit der finanziellen Performance jedoch variabel ist.
Das Makro-Umfeld
Ein weiterer wichtiger Aspekt widmet sich den Zinsprognosen der Banken – das nicht zu Unrecht, spielt das Zinsniveau doch eine entscheidende Rolle für die Zinserträge und damit die Profitabilität. Hier deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Zinsprognosen der Banken über verschiedene Laufzeiten hinweg stark korrelieren. Banken, die für eine Laufzeit höhere Zinssätze erwarten, prognostizieren in der Regel auch für andere Laufzeiten ein überdurchschnittliches Niveau. Ähnliches gilt für die Prognosen über verschiedene Zeithorizonte hinweg. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Prognosen in früheren Umfragezyklen oft von einem stärkeren Zinsanstieg als dem dann tatsächlich eingetretenen ausgingen.
Stark verschätzt
Besonders auffällig ist jedoch die Prognose für 2022. Viele Banken unterschätzten den plötzlichen und signifikanten Anstieg des Zinsniveaus, der im zweiten Halbjahr 2022 eintrat. Diese Abweichung verdeutlicht die Herausforderung, die mit der Prognose von makroökonomischen Wendepunkten einhergeht – und sich am besten an der unten stehenden Grafik „Prognosequalität bei Renditen“ ablesen lässt:?Die durchgezogene Linie basiert dabei auf einer Modellrechnung, die dazu dient, ein ideales Szenario für die Entwicklung der Bewertungsrendite zu skizzieren. Das Modell berücksichtigt verschiedene Annahmen, die unter stabilen Bedingungen gelten. Es bildet somit eine Art Referenzwert, mit dem die realen Beobachtungen verglichen werden können. Die diamantenförmigen Datenpunkte hingegen zeigen die von den Banken tatsächlich gemeldeten Bewertungsrenditen. Diese stammen aus den Jahren der LIRES-Erhebungen und spiegeln die realisierten Marktentwicklungen wider. Diese Punkte sind entscheidend, um die Diskrepanz zwischen den Modellannahmen und der Realität sichtbar zu machen.
Die Darstellung ermöglicht es, sowohl kurzfristige Abweichungen als auch längerfristige Trends zu erkennen, und zeigt dabei nicht nur die Abweichungen zwischen theoretischen und tatsächlichen Renditen, sondern auch die Konsistenz der Werte über die Zeit. Liegen die Punkte nahe an der theoretischen Linie, deutet dies darauf hin, dass die Modelle die tatsächlichen Bedingungen relativ gut abbilden konnten. Signifikante Abweichungen hingegen legen nahe, dass unerwartete Ereignisse oder makroökonomische Entwicklungen die Marktrealität beeinflusst haben, die in den theoretischen Annahmen nicht berücksichtigt wurden. Besonders relevant ist diese Darstellung im Kontext der Niedrigzinsphase. Hier lässt sich erkennen, wie präzise theoretische Modelle das Marktgeschehen in einem außergewöhnlichen Zinsumfeld beschreiben konnten. Die Nähe der Punkte zur theoretischen Linie liefert Hinweise darauf, ob die Modellannahmen für diese Phase adäquat waren oder ob Anpassungen nötig wären, um künftige Entwicklungen besser prognostizieren zu können.
Auswirkungen auf das Risikobudget
Die Untersuchung zeigt zudem, dass Zinsprognosen Einfluss auf das Zinsrisiko der Banken haben. „Banken, die mit steigenden Zinsen rechneten, passten ihre Risikopositionen entsprechend an. Dies deutet darauf hin, dass einige Institute ihre Geschäftsmodelle flexibel an veränderte Zinsumfelder anpassen konnten, während andere sich stärker auf das Fortbestehen des Niedrigzinsumfelds verließen“, fasst Heckmann-Draisbach die Ergebnisse zusammen. „Zusammenfassend wird deutlich, dass die Erwartungen der Banken zum Zinsniveau nicht nur deren Planungsprozesse prägen, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf ihre Risikopositionen und Geschäftsstrategien haben. Die Fähigkeit, Zinsänderungen korrekt einzuschätzen, bleibt ein entscheidender Erfolgsfaktor, insbesondere in Phasen makroökonomischer Unsicherheit“, so Memmel.
Hans Weitmayr