Logo von Institutional Money
3/2024 | Theorie & Praxis

Im Windschatten

Wenn sich überdurchschnittliche Renditen von Aktien auf Anleihen eines Unternehmens übertragen, bezeichnet man das als Momentum Spillover. Eine neue Studie dokumentiert diesen Zusammenhang nun auch für den 52-Wochen-Effekt.

Dass sich die Entwicklung von Unternehmensaktien auch auf die Anleihen derselben AG auswirken kann, ist hinreichend untersucht und evident. Die jüngste Forschung dazu zeigt, dass dies nicht nur für das Phänomen des „Momentum Spillovers“ gilt, sondern auch beim sogenannten „52-Wochen-Effekt“.
Dass sich die Entwicklung von Unternehmensaktien auch auf die Anleihen derselben AG auswirken kann, ist hinreichend untersucht und evident. Die jüngste Forschung dazu zeigt, dass dies nicht nur für das Phänomen des „Momentum Spillovers“ gilt, sondern auch beim sogenannten „52-Wochen-Effekt“.© wesel | stock.adobe.com

Die Idee, dass sich das Momentum von Aktien auf die entsprechenden Unternehmensanleihen von Firmen überwälzen kann, ist keineswegs neu. Schon vor rund 25 Jahren wurde dieser Effekt von William Gebhardt, Soeren Hvidkjaer und Bhaskaran Swaminathan erstmals in ihrer Forschungsarbeit mit dem Titel „Stock and Bond Market Interaction: Does Momentum Spill Over?“ für Investment Grade Bonds dokumentiert. Die Forscher entdeckten damals, dass Unternehmen, die im Vorjahr besonders hohe (niedrige) Aktienrenditen erzielten, im folgenden Jahr auch besonders hohe (niedrige) Anleihenrenditen aufwiesen.

Als Erklärung für den Zusammenhang fanden sie heraus, dass sich die Anleihenratings von Firmen mit positivem ­Aktienmomentum im Jahr nach der Portfoliobildung verbesserten. Sie wiesen mehr Hochstufungen und weniger Herabstufungen auf als Unternehmen mit negativem Momentum. In den gestiegenen Aktienkursen dürften also auch Informationen enthalten sein, die auf eine Abnahme des Ausfallrisikos hinweisen. Allerdings scheint der Markt erst mit zeitlicher Verzögerung darauf zu reagieren, woraus sich die beobachtete Überwälzung ergibt. Das Momentum wird gewissermaßen von den Aktien zu den Bonds durchgereicht. Die ­Anleihen selbst weisen allerdings keinen Momentum-Effekt auf. Die spätere Robeco-Studie „Momentum Spillover from Stocks to Corporate Bonds“ des Autorentrios Daniel Haesen, Patrick Houweling und Jeroen van Zundert zeigte, dass der Effekt auch bei High Yield Bonds auftritt.

Das 52-Wochen-Hoch

In einer neuen Studie haben nun Javad Keshavarz und Stace Sirmans (beide Auburn University) untersucht, ob sich ähnlich wie Momentum auch der 52-Wochen-Effekt auf Unternehmensanleihen überträgt („The 52-Week High, Downside Risk, and Corporate Bond Returns“). Entdeckt wurde der ­Effekt vor 20 Jahren von Thomas George und Chuan-Yang Hwang im oft zitierten Paper „The 52-Week High and ­Momentum Investing“. Dabei geht es um die Entfernung der aktuellen Kurse vom höchsten Stand, den sie in den vorhe­rigen 52 Wochen erzielt haben. Long-(Short-)Positionen ­werden anschließend in Aktien eröffnet, deren Kurs nah am (weit entfernt vom) 52-Wochen-Hoch liegt. Das Ergebnis ist erstaunlich und ähnelt dem Momentum-Effekt: Aktien, die nah an ihren 52-Wochen-Hochs notieren, erzielen im Anschluss daran überdurchschnittliche Renditen. Die gängige Erklärung ist eine Unterreaktion von Anlegern in Bezug auf markante Hochs, die als Ankerpunkte wahrgenommen werden. Interessant ist zudem, dass beim 52-Wochen-Effekt anders als beim klassischen Momentum kein langfristiges Reversal, also keine Umkehr der erzielten Überrenditen, auftritt.

Neue Ergebnisse

Die Autoren des jüngsten Papers arbeiten mit dem Quotienten aus Aktienkurs und 52-Wochen-Hoch. Diesen bezeichnen sie als „Price to High“ (PTH). Der Wert weist auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass Unternehmen negative Produktivitätsschocks erlebt haben, die sich in Zukunft auf die Cashflows und den Schuldendienst auswirken könnten. Da Anleihengläubiger empfindlich auf sich verschlechternde Fundamentaldaten reagieren, dürfte PTH auch mit den künftigen Anleihenrenditen zusammenhängen, so die Erwartung. Um das zu untersuchen, betrachten die Forscher einen Datensatz mit börsennotierten US-Unternehmen, die sowohl eine oder mehrere aktiv gehandelte Anleihen als auch eine Aktie besitzen.

Die Ergebnisse zeigen eine starke Prognosekraft der PTH Ratio für den Querschnitt der Anleihenrenditen. Eine Long-Short-Strategie auf Grundlage von PTH-Quintilen erzielt bei monatlichem Rebalancing ein risikoadjustiertes Alpha von 48,4 Basispunkten im Monat. Dabei bleibt die Strategie auch für Haltedauern von bis zu zwei Jahren profitabel (siehe Grafik „Kein Reversal“). Werden die Positionen zum Beispiel zwölf Monate gehalten, liegt das monatliche Alpha bei 19,8 Basispunkten. Das entspricht einer Überrendite von fast 2,4 Prozent im Jahr. Die Strategie schneidet bei häufigem Rebalancing also besser ab, was jedoch mit höheren Transaktionskosten einhergeht. Gleichzeitig verdeutlicht die Grafik, dass es relativ lang dauert, bis die in der PTH Ratio enthaltenen Informationen in die Kurse der Anleihen eingepreist werden. Den Autoren zufolge weist die Ratio auf fundamentale Abwärtsrisiken hin, die für Anleihengläubiger zwar relevant sind, sich aber zunächst nur unvollständig in den Kursen ­widerspiegeln. In jedem Fall dürfte es sich um langfristig wichtige Informationen und keine bloß kurzfristigen Stimmungen handeln.

Die dokumentierten Überrenditen lassen sich auch nicht oder nicht vollständig durch typische Anleihenrisikofaktoren, klassische Momentum-Spillover-Effekte oder den Post-Earnings Announcement Drift erklären. Das unterstreicht die Besonderheit des PTH-Quotienten. Schaut man sich die Details an, zeigt sich, dass der Zusammenhang in allen Spread- und Durationsquintilen besteht. Dabei nimmt die Höhe des Long-Short-Alphas tendenziell mit der Höhe des Credit Spreads zu. Unternehmensgröße und Aktienvolati­lität spielen auch eine Rolle, wobei kleinere Firmen und solche mit höherer Volatilität stärkere Effekte bei ihren Anleihenrenditen aufweisen. Mit Ausnahme des untersten Quintils ist PTH zudem in allen Liquiditätssegmenten signifikant. Für die am wenigsten liquiden Anleihen vermuten die Forscher, dass die ausgeprägte Inaktivität des Handels den Informationsfluss von Aktien zu Anleihen behindert.

Weitere Erkenntnisse

Interessant ist die genauere Betrachtung zum Zusammenhang zwischen PTH und den Fundamentaldaten der Unternehmen. Zunächst neigen Firmen in Quintilen hoher und niedriger PTHs grundsätzlich zu positiven beziehungsweise negativen Gewinnüberraschungen (siehe Grafik „Gewinnüberraschung im nächsten Quartal“) sowie zu Hoch- beziehungsweise Herabstufungen ihrer Ratings (siehe Grafik „Ein Signal für Abwärtsrisiken“). Dabei zeigt sich aber, dass niedrige PTH-Werte einen deutlich größeren Einfluss auf die Vorhersage negativer Ereignisse haben als hohe PTH-Werte auf die Pro­gnose positiver Ereignisse. Oder mit anderen Worten: Die Aussagekraft der Ratio beruht vor allem darauf, negative fundamentale Entwicklungen vorwegzunehmen. Das zeigt sich auch visuell anhand der Asymmetrie zwischen den unteren und oberen Quintilen in beiden Grafiken. Spannend ist ­zudem die Erkenntnis, dass scheinbar unterbewertete Value-Anleihen nicht unbedingt ein gutes Geschäft sein müssen. Den Forschern zufolge gehen sie oft mit stark negativen PTH-Signalen einher, die auf Abwärtsschocks der Fundamentaldaten hinweisen können. Deshalb dürfte es eine gute Idee sein, bei derartigen Value-Strategien auch PTH-­Signale einzubeziehen. Das könnte helfen, besser zwischen bloßen Fehlbewertungen und tatsächlichen fundamentalen Verschlechterungen zu unterscheiden.

Dr. Marko Gränitz

Dieses Seite teilen