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3/2020 | Theorie & Praxis

Erstaunlich schief

Ältere Analysen des US-Marktes zeigten bereits, dass die Verteilung von Aktienrenditen insbesondere im sehr langfristigen Bereich extrem schief ist. Eine aktuelle Arbeit untersuchte nun die Renditeverteilung an den globalen Aktienmärkten und gelangte zu noch deutlicheren Ergebnissen.

Die ausgeprägte Schiefe der langfristigen Renditeverteilung führt zu verblüffenden Statistiken. Die besten fünf Unternehmen – Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Exxon – lieferten ­zusammen bereits rund acht Prozent des globalen Nettovermögenszuwachses.
Die ausgeprägte Schiefe der langfristigen Renditeverteilung führt zu verblüffenden Statistiken. Die besten fünf Unternehmen – Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Exxon – lieferten ­zusammen bereits rund acht Prozent des globalen Nettovermögenszuwachses.© McKay | stock.adobe.com

Mit Aktien verdient man mehr als mit Anleihen, und Bonds bringen mehr als der Geldmarkt – sagt man. Warum fürchtet sich dann der durchschnittliche Privatanleger vor Aktien? Weil Aktien ein wenig wie Pilze sind: Manche schmecken vorzüglich, andere sind genießbar, aber nicht sonderlich schmackhaft, die meisten sind ungenießbar, aber harmlos – ­einige wenige sind aber tödlich giftig. Weil Letztere für das ungeübte Auge nicht ohne Weiteres erkennbar sind, verzichten viele Laien ganz darauf. Dass dies gar nicht so unvernünftig ist, belegt die im Jahr 2017 veröffentlichte Studie „Do Stocks Outperform Treasury Bills?“ von Hendrik Bessembinder vom Department of Finance der W.P. Carey School of Business an der Arizona State University. Darin untersuchte er die langfristige Renditeverteilung aller US-Aktien im Zeitraum 1926 bis 2016. Seine Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass die Verteilung der Renditen stark rechtsschief ist. Demnach hatten 58 Prozent der insgesamt rund 26.000 jemals im Betrachtungszeitraum notierten US-Aktien während ihrer (in einigen Fällen recht kurzen) Existenz niedrigere Renditen als 1-Monats-Treasury-Bills, die als Maßstab für den risikolosen Zins ­fungieren. Insgesamt basierte der gesamte darüber hinausgehende Wertzuwachs des US-Aktienmarktes auf nur rund vier Prozent aller in diesem Zeitraum existierenden Aktien. Noch erstaunlicher: Nur knapp zehn Prozent davon, nämlich gerade einmal 90 Einzelaktien, lieferten die Hälfte der Erträge.

Während diese Studie im akademischen Kreis interessiert aufgenommen und oft ­zitiert wurde, fand die Folgestudie mit dem Titel „Do Global Stocks Outperform US Treasury Bills?“ bisher nur wenig Aufmerksamkeit, obwohl auch ihre Ergebnisse bemerkenswert sind. Hendrik Bessembinder veröffentlichte das Papier im Jahr 2019 ­zusammen mit drei Co-Autoren.

Die Forscher analysieren eine sehr umfangreiche Datenbasis, die Aktienrenditen von 61.100 Unternehmen weltweit (rund 44.500 davon außerhalb der USA in insgesamt 41 verschiedenen Ländern) im Zeitraum von 1990 bis 2018 umfasst. Diese Renditen beziehen sich zur besseren Vergleichbarkeit grundsätzlich auf US-Dollar. Als Durchschnittswerte berechnen die Auto­ren zunächst Renditen von 0,96 Prozent im Monat, 14,1 Prozent im Jahr und 260 Prozent im gesamten Untersuchungszeitraum. Auf den ersten Blick scheint das recht posi­tiv und liegt in allen drei Fällen deutlich oberhalb der Renditen von 1-Monats-Treasury-Bills, hochgerechnet auf den jeweiligen Zeithorizont. Entsprechend deutlich fällt der absolute – darüber hinausgehende – globale Vermögenszuwachs aus, den die Autoren für den 29-jährigen Gesamtzeitraum mit insgesamt 44,74 Billionen US-Dollar beziffern.

Extrem schiefe Verteilung

Das positive Ergebnis wird bei genauerer Betrachtung jedoch deutlich getrübt. So wiesen im Gesamtzeitraum weniger als die Hälfte aller Aktien (45,6 Prozent) inklusive reinvestierter Dividenden überhaupt eine positive Rendite auf, und nur 40,5 Prozent erzielten eine Rendite, die höher als die ­kumulative Rendite bei 1-Monats-Treasury-Bills war. Dieser Kontrast weist bereits da­rauf hin, dass langfristig auch bei globalen Aktienrenditen – ähnlich wie in der 2017er-Studie für den US-Markt gezeigt – eine ­extrem schiefe Verteilung vorliegt. Dies wird besonders deutlich, wenn statt der durchschnittlichen Rendite (260 Prozent) die nach Median typische Rendite im gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet wird: Der entsprechende Wert liegt bei ­einem Minus von 14,9 Prozent.

Die Autoren schreiben, dass die lang­fristige Verteilung der Aktienrenditen auf globaler Ebene noch extremer ist als in den USA. Während der über 1-Monats-Trea­sury-Bills hinausgehende globale Nettovermögenszuwachs im Gesamtzeitraum 44,74 Billionen US-Dollar beträgt, liegt der ­eigentliche Bruttovermögenszuwachs – ­berechnet nur für die rund 40 Prozent der Aktien, die eine positive Mehrrendite ­gegenüber 1-Monats-Bills aufweisen – bei 66,57 Billionen US-Dollar. Die Differenz von 21,83 Billionen US-Dollar kommt durch den negativen Beitrag (relativ zu 1-Monats-Bills) der ­übrigen rund 60 Prozent aller Aktien zustande.

Verblüffende Statistik

Die ausgeprägte Schiefe der langfristigen Renditeverteilung führt zu verblüffenden Statistiken. Die Autoren treiben die Auswertungen auf die Spitze, um den extremen ­Effekt am positiven Tail zu verdeutlichen: Demnach erzielten die besten fünf Unternehmen – Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Exxon – zusammen bereits rund acht Prozent des globalen Nettovermögenszuwachses, während die besten 0,5 Prozent aller Unternehmen gemeinsam schon etwa 73 Prozent und die besten 1,3 Prozent aller Unternehmen bereits den gesamten Nettovermögenszuwachs ausmachten. Rechnet man den US-Anteil heraus, erzielten in der übrigen Welt sogar nur weniger als ein ­Prozent aller Unternehmen den gesamten entsprechenden Nettovermögenszuwachs.

Erstaunlich ist dabei, dass die durchschnittlichen Aktienrenditen in allen 42 ­untersuchten Ländern im Gesamtzeitraum trotz dieser starken Konzentration positiv waren, weil es überall einige Aktien gibt, die sehr hohe Renditen aufweisen. Das Ausmaß, in dem der Nettovermögenszuwachs in einzelnen Ländern konzentriert ist, wird der Studie zufolge vor allem durch die mittlere Standardabweichung der Monatsrenditen der jeweiligen Aktien bestimmt: Eine höhere Volatilität hängt mit einem niedrigeren Anteil an Aktien zusammen, die Ren­diten oberhalb von 1-Monats-Treasury-Bills erzielen, was eine höhere Konzentration des Vermögenszuwachses bedeutet. Dies bestätigt die Vermutung, dass die positive Schiefe langfristiger Aktienrenditen vor allem auf dem Zinseszinseffekt beruht und umso ­höher ausfällt, je volatiler die kurzfristigen Renditen sind.

Schlussfolgerungen

Die Studie verdeutlicht, dass die Eigenschaften der langfristigen Verteilung von Aktienrenditen erheblich von jenen der kurzfristigen abweichen – insbesondere was die Schiefe der Verteilung und den Anteil an Aktien angeht, die besser als bestimmte Benchmarks abschneiden. Entscheidend ist dabei offenbar, dass der Fokus vieler Marktteilnehmer auf kurzfristige Renditen verhindert, dass sie von der langfristig extremen positiven Schiefe profitieren können (oder diese überhaupt erkennen), was eigentlich rational wäre. Dies spielt auch in die Aktiv-Passiv-Debatte hinein: Anleger, die keinen relativen Vorteil beim Aufspüren der wenigen Aktien mit dem höchsten Vermögens­effekt oder keine Präferenz für die extreme Schiefe der langfristigen Renditeverteilung besitzen, haben einen hohen Anreiz, in passive Produkte zu investieren. Umgekehrt zeigen die Ergebnisse der Studie aber auch das Potenzial für die besten Manager mit den entsprechenden Fähigkeiten, langfristig einen erheblichen Mehrwert zu erzielen.

Die Autoren nehmen ihre Ergebnisse ­darüber hinaus zum Anlass, einige grundsätzliche Dinge zu diskutieren. Zum einen hinterfragen sie, ob es sinnvoll ist, die Leis­tung von Portfoliomanagern mit klassischen Performancemaßen wie der Sharpe Ratio zu messen. Diese basieren in der Regel auf recht kurzfristigen Monatszeiträumen und werden anhand arithmetischer Durchschnittsrenditen berechnet. Letztere überschätzen systematisch die real erzielte langfristige Performance eines Buy-and-Hold-Anlegers, die durch die geometrische Durchschnittsrendite beschrieben wird. Zum Zweiten lassen die Ergebnisse der ­Studie auch die klassische Marktrisiko­prämie auf wackeligen Beinen stehend erscheinen. Denn letztlich wird die über den risikolosen Zins hinausgehende Prämie nur von wenigen, besonders erfolgreichen ­Unternehmen erwirtschaftet. Der breite Markt erzielt dagegen keine solche Prämie, wie es der Begriff „Marktrisikoprämie“ ­aber eigentlich unterstellt. Zwar lässt sich argumentieren, dass die langfristig schiefe ­Verteilung von Aktienrenditen allgemein bekannt ist, aber das wirkliche Ausmaß ­entzieht sich in der Praxis – ähnlich wie die richtige Einschätzung exponentiellen Wachstums – der Vorstellungskraft vieler Marktteilnehmer.

Dr. Marko Gränitz

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