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2/2022 | Theorie & Praxis

Dünne Spitze

Fast alle institutionellen Investoren bestätigen ein grundsätzliches Interesse an verantwortungsvollem ­Investieren. Laut einer aktuellen Untersuchung sind es aber nicht allzu viele, die wirklich voranschreiten und Veränderungen bewirken.

Obwohl sich heute fast ausnahmslos alle institutionellen Anleger grundsätzlich dafür aussprechen, die Macht institutioneller Gelder zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einzusetzen, tut dies in der realen Welt längst nicht jeder Investor im selben Ausmaß.
Obwohl sich heute fast ausnahmslos alle institutionellen Anleger grundsätzlich dafür aussprechen, die Macht institutioneller Gelder zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einzusetzen, tut dies in der realen Welt längst nicht jeder Investor im selben Ausmaß.© Universität Maastricht, Dezaypro gmail com | sto

Ökologische und soziale Belange spielen heute in der Diskussion um ange­mes­sene Zielsetzungen von ­Unternehmen eine fast ebenso bedeutende Rolle wie der wirtschaftliche Erfolg. Und um diesen Zielen näher zu kommen, teilt man seit geraumer Zeit institutionellen Investoren eine Son­derrolle zu. Vor allem politische Entscheidungsträger erwarten von den ­Anlegern, dass sie auf die Unternehmen, in die sie investieren, dergestalt einwir­ken, dass diese „nachhaltiger“ werden. Mittlerweile belegen auch schon mehrere Studien, dass dies auch in der Praxis der Fall ist, so etwa jene von Dyck, Lins, Roth und Wagner von 2019 mit dem Titel „Do Institutional Investors Drive Corporate Social Responsibility? ­International Evidence“ oder auch die ­Arbeit „Institutional Shareholders and Corporate Social Responsibility“ von Chen, Dong und Lin 2020. Weniger klar ist jedoch, welche Institutionen dies bewirken und wie diese Verbesserungen tatsächlich zustande kommen. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge könnte Investoren, die ­eine positive gesellschaftliche Wirkung ­erzielen wollen, dazu veranlassen, ihre ­Assets effizienter einzusetzen.

In einer neuen Studie von Marco Ceccarelli, Simon Gloßner, Mikael Homanen und Daniel Schmidt wird argumentiert, dass nicht alle institutionellen Anleger gleich sind: Eine kleine Gruppe von Anlegern – die sie als „Leader“ bezeichnen – ist nämlich offensichtlich allein verantwortlich für den positiven Zusammenhang zwischen ­institutionellem Eigentum und der Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen. Im Gegensatz zu anderen Investoren zeigen die Leader ein starkes Engagement für Nachhaltigkeit, indem sie die Führungsrolle auf der Collaborative Engagement Platform der PRI-Unterzeichner übernehmen. Wie das Autorenquartett feststellt, sind es zwei Kanäle, über die Leader die E&S-Ergebnisse von Unternehmen verbessern: einmal durch direktes Engagement und zum anderen durch Vorbeugung von Zwischenfällen. ­Dabei fokussieren sich die Autoren auf die Analyse des direkten Engagements, da ­frühere wissenschaftliche Arbeiten gezeigt haben, dass dies der effektivste Weg ist, Firmen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Das Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen wird nicht berücksichtigt, weil es dazu nur aus wenigen Ländern ­Daten gibt und in vielen Fällen die Ergebnisse aus nicht objektivierbaren Berichten stammen. Zwischenfälle wiederum sind aussagekräftig, da sie greifbare Erkenntnisse über schlechte E&S-Praktiken darstellen.

Engagements sind wirksam bei der Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen, aber nur für jene Unternehmen, die ex ante eine große institutionelle Beteiligung am Aktienkapital durch Leader aufweisen. Bei diesen Unternehmen ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sich dort negative Zwischenfälle ereignen, insbesondere dann, wenn sie bereits in der Vergangenheit Zwischenfällen ausgesetzt waren. Leader im Aktionärskreis zu haben scheint also ein wichtiger Faktor zu sein, um Unternehmen durch Nudging zu nachhaltigeren Geschäftspraktiken zu moti­vieren.

Der Hauptbeitrag der Studie der vier ­jungen Wissenschaftler besteht darin zu zeigen, dass die positive Wirkung institutionellen Aktienbesitzes auf die ökologische und soziale Leistung von Unternehmen von ­einer kleinen Gruppe von Investoren abhängt. In Übereinstimmung mit neueren Untersuchungen wie etwa jener des Forschertrios Philipp Krüger, Zacharias Sautner und Laura T. Starks, die 2020 „The Importance of Climate Risks for Institutional ­Investors“ publizierten, argumentieren die vier Autoren, dass sich einige institutionelle Anleger stärker für Nachhaltigkeit engagieren als andere. Dies kann auf verschiedene Motive zurückzuführen sein.

Unterscheidungsmerkmale

Das Ausmaß der Nachhaltigkeitsambitionen von Anlegern zu messen, ist eine Her­ausforderung, da selbst gemeldete Daten unzuverlässig sind. Angenommen, institutionelle Anleger halten es für wünschenswert, ein starkes Engagement für Nachhaltigkeit zu signalisieren, glauben aber, dass echtes Engagement zu kostspielig ist. Infolgedessen werden einige Institutionen einen Anreiz verspüren, ihren Worten keine Taten folgen zu lassen. Dies ist besonders wahrscheinlich in einem Umfeld, wo Nachhaltigkeitsberichterstattung in der Regel freiwillig, nicht standardisiert und ungeprüft ­erfolgt. Mit anderen Worten: Die Kosten für das Aussenden falscher Signale sind gering.

Eine ähnliche Überlegung gilt für die ­offengelegten Präferenzen von Investoren anhand ihrer Portfoliobestände. Erstens können Entscheidungen über die Vermögensallokation von einer Reihe anderer Faktoren als vom Engagement der Anleger für Nachhaltigkeit beeinflusst werden. Zweitens ist der Besitz nachhaltiger Unternehmen an sich nicht ­teuer, wenn man die Risiko- und Renditeerwartungen konstant hält. Um ­Investoren zu identifizieren, die sich wirklich für Nachhaltigkeit engagieren, braucht es ein teures und damit glaubwürdiges Signal. Die Teilnahme an gemeinschaftlichen, den sogenannten kollaborativen Engagements ist ein solches Signal des Engagements, da es mit erheblichem Aufwand und Verantwortung verbunden ist, wie Dimson, Karakas und Li 2021 in ihrem Working Paper „Coordinated Engagements“ festhielten.

Die vier Autoren bezeichnen jene führenden Institutionen, die in einem bestimmten Jahr ein kollaboratives Engagement anführen und damit koordinieren, als Leader. Um sicherzustellen, dass es sich nicht um ein einmaliges Signal handelt, müssen die Leader auch mindestens ein weiteres kollaboratives Engagement in einem bestimmten Jahr unterstützen. Eine Unterstützung dieser Defini­tion der Leader erfolgt dadurch, dass sich solche Investoren auch durch andere Formen des verantwortungsvollen Engagements auszeichnen, etwa indem sie Aktionärsanträge mit sozialen und ökologischen Belangen für die Hauptversammlungen einreichen und für sie stimmen. Oder sie engagieren sich auch außerhalb der PRI-Welt für entsprechende Anliegen.

Wer die Leader sind

Die verbleibenden institutionellen Anleger werden in zwei Gruppen unterteilt: Non-Leader und konventionelle Investoren. Erstere sind Institutionen, die sich nicht als Leader qualifizieren, aber dennoch Unterzeichner der Principles for Responsible ­Investment sind. Letztere sind alle übrigen Investoren. Zu Beginn des Stichprobenzeitraums im Jahr 2010 stufen die Autoren 26 Investoren als Leader ein. Diese Zahl steigt allmählich an und erreicht im letzten Stichprobenjahr 2019 etwa das Vierfache – exakt 109 Investoren. Die gewählte Definition ­erweist sich als sehr beständig, da fast 95 Prozent der Leader ihre Klassifizierung als solche Jahr für Jahr beibehalten. Im Jahr 2019 hielten die Leader zusammen 3,5 Billionen US-Dollar an börsennotierten Aktien und damit 15,1 Prozent der gesamten von PRI-Unterzeichnern gehaltenen Aktien. ­Wenig überraschend kommen die meisten Leader aus Europa oder Nordamerika, Investoren aus anderen Regionen qualifizieren sich nur selten. Während des Untersuchungszeitraums von 2009 bis 2019 sind die Anzahl der Leader und deren Assets under Management steil angestiegen, was auf die zunehmende Verbreitung von koordiniertem ESG-Engagement zurückzuführen ist. Der durchschnittliche Aktienbesitz von Leadern an den Zielunternehmen stieg von nur 2,2 auf 2,9 Prozent 2019 an (siehe Grafiken „Leader unter der Lupe“).

Die Tabelle „Kleine, feine Unterschiede“ zeigt zusammenfassende Statistiken für ­institutionelle Anleger, die die PRI unterzeichnet haben, getrennt nach Leadern und Nicht-Leadern. Im Vergleich zu anderen PRI-Unterzeichnern sind die Leader im Durchschnitt kleiner. Der Median der verwalteten Vermögen ist jedoch größer, was darauf hindeutet, dass die größten institutionellen Anleger nur selten die Voraussetzungen für die Definition der Leader erfüllen. Dies steht im Einklang mit großen Investoren, die Firmen individuell ansprechen. Der durchschnittliche Leader trat den PRI im Jahr 2009 bei, zwei Jahre früher als andere Unterzeichner. Ähnlich wie bei anderen PRI-Unterzeichnern handelt es sich bei 82 Prozent der Leader um Investment ­Manager, während die übrigen Asset Owner sind.

Nach der Einteilung der institutionellen Anleger in drei Gruppen geht es um den relativen Einfluss dieser drei Gruppen auf die ökologische und soziale Performance der Firmen in der Stichprobe. Ausgangspunkt sind die Bestände der globalen institutionellen Investoren von FactSet. Dann werden für jedes Jahr die institutionellen Eigentumsverhältnisse – getrennt nach führenden, nicht führenden, aber PRI-Unterzeichnern und konventionellen Investoren – ermittelt. Als Maß für die Nachhaltigkeitsleistung der Unternehmen (E&S Consensus Scores) wählen die Autoren den Durchschnitt der normalisierten Ratings von MSCI IVA, Sustainalytics und Refinitiv Asset4. Ergänzt werden diese durch Daten zu Zwischenfällen von RepRisk.

In einer ersten Reihe von Regressionen untersucht man die Rolle der Leader bei der Erklärung des Zusammenhangs zwischen institutionellem Eigentum und der ökologischen und sozialen Performance von Unternehmen. Zu diesem Zweck regressieren die Autoren die E&S Consensus Scores auf die drei Variablen, die zeitverzögert das institutionelle Eigentum widerspiegeln (IE Leader, IE Non-Leader und IE konventionell), und eine Reihe von Kontrollvariablen und fixe Effekte. Dabei lässt sich zeigen, dass ein höherer Aktienanteil von Leadern mit signifikant höheren E&S-Performancewerten auf Unternehmensebene verbunden ist. Bei ­anderen institutionellen Anlegern, selbst wenn es sich um PRI-Unterzeichner handelt, gilt dieser Zusammenhang nicht (siehe Tabelle „Grundlegende Regres­sionsergebnisse“). Dies ist insofern bemerkenswert, als die Gruppe der Leader im Schnitt nur einen Anteil von 2,2 Prozent am Aktienkapital der Zielunternehmen hält. Dieses Ergebnis ist auch wirtschaftlich bedeutsam, denn ein Anstieg des Leader-Anteils am Aktienkapital um eine Standardabweichung ist mit ­einem Anstieg der E-Scores um 7,5 Prozent beziehungsweise der S-Scores um 5,8 Prozent einer Standardabweichung verbunden. Verschiedene Robustheitstests bestätigen die Resultate.

Erfolgs­entscheidend

Nachdem das Quartett einen positiven Zusammenhang zwischen institutionellem Eigentum von Leadern und der Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen festgestellt hat, will es wissen, wie dieser Zusammenhang zustande kommt. Zu diesem Zweck wird die Rolle der Leader im Kontext mit den von PRI organisierten kolla­borativen Engagements untersucht. Diese Investoren befassen sich mit bestimmten Themen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit, etwa mit Fracking oder mit Arbeitsnormen. Die Hypothese der vier Autoren lautet: Wenn Leader die Nachhaltigkeit von Unternehmen vorantreiben, dann sollten kollaborative Engagements die Nach­haltigkeitsperformance der Zielunternehmen stärker verbessern, wenn der Aktionärsanteil der Leader hoch ist. Genau dieses Ergebnis können die Autoren auch belegen. Dabei wurde eine Analyse mithilfe des Differenz-von-Differenzen-(DvD)-Ansatzes mit Matching durchgeführt. Um eine Kontrollgruppe zu bilden, führen die Autoren zunächst ein exaktes Matching für Region, Branche und Jahr durch. Dann wählen sie das am besten passende Kontrollunternehmen mithilfe des Propensity-Score-Matching-(PSM)-Ansatzes anhand von Unternehmensmerkmalen aus. Schließlich stellt sich heraus, dass in den Jahren nach dem Engagement der Leader-Aktionäre die Zielunternehmen ihre Umweltperformance erheblich verbessern. Dies aber nur dann, wenn der Anteil der Leader am Aktienkapital der Zielunternehmen hoch ist. Folglich spielen institutionelle Investoren, die sich für Nachhaltigkeit engagieren, eine Katalysatorrolle bei der Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Was die soziale Dimension anbelangt, finden die Autoren aber ­keinen analogen statistisch signifikanten Zusammenhang, dass ein höherer Leader-Aktienanteil zu einer verbesserten S-Performance führt. Grund dafür könnte sein, dass es nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl an kollaborativen Engagements in sozialen Fragen gibt. Nur sieben Prozent der 1.238 Unternehmen, die das Ziel von institutionellem Engagement sind, werden im Hinblick auf soziale Aspekte angesprochen.

Zwischen­fälle vermeiden

Zu guter Letzt testen die Autoren den Einfluss von Leadern bei der Vermeidung von ökologischen und sozialen Zwischenfällen der Zielunternehmen. Es gelingt ­ihnen zu zeigen, dass mit dem Auftreten von Leadern im Aktionärskreis die Wahrscheinlichkeit von umweltschädigenden Zwischenfällen in den Zielfirmen signifikant abnimmt. Dieser Effekt fällt noch stärker aus bei jener Teilstichprobe von Firmen, die in der Vergangenheit bereits mit ­umweltschädigenden Zwischenfällen konfrontiert waren. Dieser Zusammenhang ­besteht hingegen nicht, wenn man auf Nicht-Leader und konventionelle Investoren abstellt. Interessanterweise zeigt sich auch, dass institutionelle Investoren, die keine PRI-Unterzeichner sind, dazu tendieren, sich von den Aktien eines Unternehmens nach einem solchen Vorfall zu verabschieden, während die Gruppe der Leader eher investiert bleibt und auf Veränderungen drängt.

Unterm Strich zeigt diese neue Arbeit, dass zwar schon mehr als die Hälfte aller institutionellen Anleger öffentlich zu verantwortungsvollem Investieren steht, doch mit letzter Konsequenz geht bislang nur von ­eine relativ kleine Gruppe vor. Und die hält im Schnitt nur einen Aktienanteil von durchschnittlich knapp mehr als zwei Prozent. Das ist gerade einmal etwas mehr als ein Zwanzigstel des gesamten durchschnittlichen Aktienbesitzes aller Institutionellen der Stichprobe. Dabei scheint zu gelten: Je höhere der Anteil der Leader am Aktien­kapital, desto stärker verbessert sich die Nachhaltigkeitsperformance. Der Schlüsselbegriff lautet „kollaboratives Engagement“ auf der PRI-Plattform.

Einfluss unbewiesen

Auch wenn es naheliegend erscheine, so die Autoren, lasse sich doch keine eindeutige kausale Wirkung von Leadern auf die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens nachweisen. Um diese Frage zu klären, bräuchte es weitere Forschung, um die ­zugrunde liegenden Mechanismen zu unter­suchen. Ebenfalls unbeantwortet bleibt nach Auswertung der Studienergebnisse die wichtige Frage nach den Motiven der Leader. Ein hohes Engagement für unternehmerische Nachhaltigkeit kann durch pekuniäre, nicht pekuniäre oder kundenbezogene Gründe angetrieben werden. Für Großanleger ist es bei der Managersuche jedenfalls von Belang, ob sich dieser führend für Nachhaltigkeit engagiert oder ob er nur ein Mitläufer ist. Beide Gruppen werden nämlich betonen, zur Leader-Gruppe zu gehören. Wer also mit seinen ­Investitionen wirklich etwas im Sinne von Corporate Sustain­ability bewirken will, muss bei der Partnerauswahl wohl ganz genau hinschauen.

Dr. Kurt Becker

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