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4/2018 | Theorie & Praxis

Der Wert der Worte

Ein Verzicht auf Investor Relations ist nicht möglich, das Ausmaß der Anstrengungen kann jedoch ­skaliert werden. Wie wirkungsvoll ist aber überhaupt die Kommunikation mit den Anlegern? Ein Working Paper des CFR, des Centre for Financial Research an der Universität zu Köln, sucht Antworten.

Dass Investor Relations anstrengend sein können, lässt sich nicht bestreiten, aber auch Tesla-Chef Elan Musk musste im Anschluss an eine misslungene Analystenkonferenz zur Kenntnis nehmen, dass Fehler bei der IR-Arbeit teuer werden können – nach einem Eklat auf besagter Konferenz im Mai 2018 fiel die Aktie um mehr als fünf Prozent.
Dass Investor Relations anstrengend sein können, lässt sich nicht bestreiten, aber auch Tesla-Chef Elan Musk musste im Anschluss an eine misslungene Analystenkonferenz zur Kenntnis nehmen, dass Fehler bei der IR-Arbeit teuer werden können – nach einem Eklat auf besagter Konferenz im Mai 2018 fiel die Aktie um mehr als fünf Prozent.© Patrick T. Fallon | bloomberg; Lisa Beller Fotog

Investor Relations sind ein zentraler Bestandteil der Unternehmenskommunikation börsennotierter Firmen. Der Umfang der damit verbundenen Aufgaben ist bei genauerer Betrachtung größer, als man vermuten könnte. Selbst wenn man es bei den gesetzlich vorgeschriebenen IR-Bausteinen wie Geschäftsbericht, Hauptversammlung und Ad-hoc-Nachrichten belässt, ist der damit verbundene Aufwand bereits beträchtlich, in der Praxis geht die IR-Arbeit der meisten Gesellschaften aber weit darüber hinaus. Wer den Kapitalmarkt optimal nutzen möchte, muss die Marktteilnehmer so über die Unternehmensentwicklung informieren, dass ein Höchstmaß an Vertrauen herrscht. Im Idealfall werden auf diese Weise vorhandene Informationsasymmetrien zwischen Unternehmen und den Investoren minimiert, dadurch die Aktionärsstruktur verbessert, die Liquidität der Aktien gesteigert und gleichzeitig die Volatilität verringert. In letzter Konsequenz sollte das die Kapitalkosten reduzieren, was letztlich das betriebswirtschaftliche Motiv von Investor Relations ist. Dass das grundsätzlich funktioniert, wurde von der Kapitalmarktforschung bisher tendenziell bestätigt, allerdings beziehen sich die Untersuchungen fast zur Gänze auf die USA.

Wo ist IR effektiver?

In einer Arbeit des Centre for Financial Research (CFR) an der Universität zu Köln wollten fünf Finanzmarktforscher wissen, wo IR besonders effektiv und wertvoll ist. Gemeinsam nahmen François Brochet, ­Associate Professor of Accounting an der Boston University, Peter Limbach, Juniorprofessor of Investments an der Universität zu Köln, sowie Professor André Betzer, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaft und Corporate Finance an der Bergischen Universität Wuppertal und dessen Kollegen Juniorprofessor Markus Doumet und der wissenschaftliche Mitarbeiter Dmitry Bazhutov das Thema in Angriff.

Dabei wurde nicht die grundsätzliche Frage gestellt, wie wirksam die IR-Arbeit von börsennotierten Unternehmen ist, sondern die Hypothese untersucht, ob Investor Relations in Staaten mit vergleichsweise ­gering entwickelter Kapitalmarktkultur anders wirken als in Ländern wie etwa den USA, in denen sich Aktiengesellschaften seit Jahrzehnten um die Gunst der Anleger bemühen. Unterstellt wurde am Ausgangspunkt der Arbeit, dass Investor Relations in Ländern mit geringer IR-Tradition effektiver sind, weil man sich als Unternehmen hier klarer von Wettbewerbern abheben kann.

Besonders bemerkenswert ist die Arbeit nicht zuletzt deshalb, weil hier erstmals ein neuartiger Datensatz verwendet wurde, der IR-Rankings börsennotierter Gesellschaften enthält. Diese Reihung wird jährlich auf Basis einer Umfrage bei 12.000 Kapitalmarktteilnehmern erstellt, die von der Firma Extel WeConvene durchgeführt wird. Dieses Ranking ermöglicht eine externe Bewertung der Effektivität der Investor-Relations-Anstrengungen, wobei Daten von Unternehmen aus verschiedenen europäischen Ländern einfließen – darunter auch Deutschland und Großbritannien. Die Kapitalmarktforscher sahen sich mit diesen Daten in die Lage versetzt, Unterschiede in der Effektivität von IR zwischen den einzelnen Ländern herauszuarbeiten. Grundsätzlich sollten diese Unterschiede geringer werden, weil die Regulierung – etwa der Einführung von IFRS und der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie – seit Jahren schon konvergieren, dennoch bestehen weiterhin signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Staaten, etwa was die Besitzverhältnisse börsennotierter Unternehmen betrifft.

Die wichtigste Frage, der das Quintett nachging, lautet: Wie unterscheiden sich die Ergebnisse der IR-Anstrengungen in insi­der- oder eher outsiderorientierten Märkten? Deutschland diente dabei als Beispiel für ein bank- und somit insiderbasiertes Finanzsystem und Großbritannien als Repräsentant eines markt- und daher outsiderbasierten Finanzsystems. Die Autoren erwarteten, dass sich deutsche Firmen mit engagierter Investor-Relations-Arbeit in dem historisch weniger aktionärsorientierten Markt besser von Aktiengesellschaften abheben können, als dies in Großbritannien möglich ist.

Hohe Aktionärskonzentration

Die Harvard-Ökonomen Simeon Djankov, Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Florencio und Andrei Shleifer gelangten 2008 in ihrer Arbeit „The Law and Economics of Self Dealing“ zu dem Schluss, dass Deutschland eine höhere Aktionärskonzentration bei insgesamt geringerer Transparenz aufweist, wobei der Schutz von Minderheitsaktionären schwächer ausgeprägt ist als in angelsächsischen Märkten. Firmen, die in einem solchen Umfeld in Bezug auf die Kommunikation mit Investoren die Bereitschaft zu höheren Standards signalisieren, müssten in einem solchen Umfeld positiv auffallen und davon profitieren.

Die Betonung liegt hier aber auf „müssten“, denn zwingend ist die Schlussfolgerung keineswegs. Wenn der Aktienbesitz auf vergleichsweise wenige inländische Aktionäre konzentriert ist, könnte auch die Nachfrage nach Investor Relations entsprechend gering sein. Diese Form der Unternehmenskommunikation wendet sich dann primär an Analysten der Sell-Side und einige wenige institutionelle Investoren mit Minderheitsanteilen. Unklar ist auch, ob in Deutschland überhaupt ein Zusammenhang zwischen IR-Arbeit und Kursbildung besteht, und schließlich wäre es auch möglich, dass deutsche AGs hinsichtlich ihrer Kommunikation mit ihren Investoren längst zur internationalen Konkurrenz aufgeschlossen haben.

Die Analyse der Umfrageergebnisse der Extel-Befragung und die daraus resultierenden IR-Rankings deutscher und britischer Firmen sollten diese Frage klären. Das untersuchte Sample enthielt Ergebnisse für 338 britische und 198 deutsche Unternehmen für den Zeitraum 2006 bis 2014.

Battle Deutschland – UK

Die Analyse deutscher und britischer Firmen zeigt nennenswerte Unterschiede, die in der gleichlautenden Tabelle sichtbar werden. Die letzte Spalte (t-Test-Ergebnisse) zeigt signifikante Unterschiede bei fast allen Charakteristika deutscher und britischer ­Firmen mit Ausnahme der Liquidität (nach Yakov Amihud), Investitionsausgaben für langlebige Wirtschaftsgüter, Eigenkapital­kosten und Firmengröße. Es zeigt sich, dass deutsche Unternehmen einen niedriges ­Tobin’s Q (1,61 versus 1,78) und dabei eine höhere Aktienvolatilität (0,024 versus 0,021) aufweisen. Sie werden von mehr Analysten beobachtet, wobei die Streuung der Analystenschätzungen geringer, der Schätzfehler bei den Analystenschätzungen hingegen höher ist. Dazu zeigen deutsche Firmen einen leicht höheren Anteil von Auslandsaktionären und einen beträchtlich geringeren Anteil an institutionellen Aktionären, weniger immaterielle Vermögens­güter, eine höhere Leverage Ratio, höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie eine geringere Eigenkapitalrendite.

Mehrere Regressionsanalysen mit verschiedenen Kapitalmarktvariablen als abhängigen Variablen einerseits und Investor Relations und Kontrollvariablen mit firmen-fixen Effekten andererseits wurden durchgeführt. Bei diesem Fixed-Effects-Modell werden von jeder in der Gleichung enthaltenen Variablen die jeweiligen unternehmensspezifischen Mittelwerte abgezogen. Das stellt sicher, dass die Ergebnisse nicht bloß nicht beobachtbare zeitinvariante Unternehmens-, Branchen- oder Ländercha­rakteristika widerspiegeln, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der IR-Qualität durch Investoren stehen. Kontrolliert wird auch im Hinblick auf eine Vielzahl an zeitlich veränderlichen Unternehmenscharakteristika, von denen erwartet wird, dass sie sowohl mit IR als auch ­Kapitalmarktresultaten korreliert sind. Die Stichproben für Deutschland und Großbritannien werden getrennt analysiert und auch gepoolt, um mithilfe von Interaktionsvariablen von IR-Rankings mit einem Indikator für deutsche Firmen die Frage klären zu können, ob der Grenznutzen der Investor Relations in Deutschland höher ist als in Großbritannien.

Analystenabdeckung

Zuerst wurden die Analystenabdeckung und der Anteil institutioneller Investoren am Aktienkapital beleuchtet, ist doch eines der Hauptziele von Investor Relations sicherzustellen, dass die Sichtbarkeit von Unternehmen vergrößert und mehr institutionelle ­Aktionäre für die Aktie interessiert werden. Im Einklang mit dieser Sichtweise finden die Autoren Evidenz dafür, dass tatsächlich eine positive Beziehung zwischen den IR-Rankings deutscher Unternehmen und sowohl dem Ausmaß der Analysten-Coverage als auch der Höhe des institutionellen Aktienbesitzes besteht. Obwohl die statistische Signifikanz für den institutionellen Aktienbesitz nur marginal ausfällt, stellen die ­Autoren fest, dass deutsche Unternehmen mit besserem IR-Ranking signifikant häufiger institutionelle Investoren und Analysten anziehen. Deutsche Firmen werden auch für mehr ausländische Investoren interessant, woraus man schließen kann, dass sich ihre IR-Anstrengungen über den heimischen ­Kapitalmarkt hinaus bezahlt machen. Am wichtigsten ist, dass die Ergebnisse der ­Autoren den Schluss zulassen, das die Vorteile besserer IR in Deutschland signifikant höher sind als in Großbritannien.

Geringere Eigenkapitalkosten

In einem nächsten Schritt wird die Auswirkung von IR auf die Analysteneinschätzungen untersucht. Dabei findet sich eine ­signifikante negative Beziehung zwischen IR-Rankings und Analystenfehlern beziehungsweise der Streuung der Analystenschätzungen. Des Weiteren zeigt sich, dass diese Beziehung signifikant für deutsche Firmen relativ zu britischen ist. Dies lässt vermuten, dass sich IR bezahlt machen, ­indem die Informationsunsicherheit für Analysten in einem größeren Ausmaß für deutsche als für britische Unternehmen verringert wird. Ein Befund findet sich auch dafür, dass bessere gerankte deutsche Firmen sich über eine geringere Aktienvolatilität und verringerte Illiquidität, gemessen an Amihuds Kennzahl, freuen dürfen. Zudem ist die Auswirkung auf die Illiquidität signifikant stärker als bei britischen Firmen.

Zu guter Letzt testen die Autoren die Vorteile von IR im Hinblick auf Sichtbarkeit und Informationsumfeld bei der Verbesserung der Unternehmensbewertung. Hier finden sich Belege dafür, dass deutsche Firmen mit besseren IR-Rankings über einen signifikant höheren Tobin-Quotienten (Tobin’s Q) – und damit ein höheres Marktwert-Buchwert-Verhältnis verfügen und zugleich signifikant geringere Kapitalkosten zu tragen haben. Eine Erhöhung des IR-Rankings um eine Standardabweichung geht bei deutschen Firmen mit einer Erhöhung von Tobin’s Q um 0,126 einher (siehe Tabelle: „Tobin’s Q“). Angesichts der Tatsache, dass Q selbst in der gesamten Stichprobe eine Standardabweichung von 0,96 hat, handelt es sich um einen wirtschaftlich bedeutsamen Effekt. Zudem lässt sich in der gepoolten Stichprobe (letzte Spalte der Grafik) ein positiver und statistisch signifikanter Effekt für deutsche Firmen finden, nämlich dass deren Grenznutzen besserer Investor Rela­tions höher ausfällt als der von Unternehmen in Großbritannien. Der Koeffizient ­beträgt gerundet 0,12, verbunden mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als fünf Prozent. Die niedrigeren Kapitalkosten deutscher Firmen sind im Übrigen auch ­inkrementell signifikant, wenn man sie mit jenen britischer Firmen vergleicht.

Zusammenfassend betrachtet lassen die Ergebnisse den Schluss zu, dass deutsche Unternehmen mit einem höheren IR-Ranking auch eine höhere Kapitalmarktvisibilität und eine geringere Informationsasymmetrie und -unsicherheit aufweisen. Dazu kommen eine höhere Bewertung und geringere Eigenkapitalkosten. Die Tatsache, dass diese Kapitalmarktvorteile signifikant jene britischer Firmen übersteigen, ist vereinbar damit, dass ein größerer Grenznutzen von Investor Relations dort besteht, wo der Kapitalmarkt beziehungsweise der Markt für IR weniger entwickelt respektive professionalisiert ist.

Gegenprobe

Um dem möglichen Einwand zu begegnen, dass eine Beschränkung auf Deutschland und Großbritannien in der Stichprobe ein unfairer Vergleich ist, untersuchten die Autoren zusätzlich 13 europäische Länder als breitere Stichprobe mit gepoolten Regressionen, wobei die firmenfixen Effekte durch länderfixe und branchenfixe Effekte ersetzt wurden. Allerdings stehen bei dieser Stichprobe nur Daten für drei Jahre zur Verfügung. Statt eine Interaktionsvariable von IR-Rankings mit einem Indikator für deutsche Firmen zu verwenden, werden Ländercharakteristika, die repräsentativ für die Hauptunterschiede zwischen Deutschland und Großbritannien sind, untersucht. Die Ergebnisse weisen im Großen und Ganzen darauf hin, dass im Schnitt die Kapitalmarktvorteile besserer IR-Rankings, die im Fall von Deutschland versus Großbritannien gefunden wurden, signifikant häufiger mit Firmen aus Ländern verbunden sind, die eine relativ niedrige Qualität im Finanzreporting und eine größere Konzentration im Aktionärskreis aufweisen – Attribute, die dem deutschen relativ zum britischen Kapitalmarkt zugeordnet werden können. Die Aussagen, die im Fall Deutschland versus Großbritannien getroffen wurden, finden hier also Bestätigung.

Ergebnisse bestätigt

Die Ergebnisse der CFR-Studie bestätigen, dass deutsche Unternehmen mehr von guter Investor-Relations-Arbeit profitieren als britische Unternehmen. Es ergeben sich daraus gleich mehrere Vorteile: Die Ab­deckung durch Analysten nimmt zu, der Anteil institutioneller Investoren unter den Aktionären ist größer, parallel dazu entstehen weniger Informationsasymmetrien gegenüber anderen Kapitalmarktteilnehmern, und all das bewirkt schließlich eine erhöhte Aktienliquidität. Die geringere Informationsasymmetrie führt dazu, dass die Analystenschätzungen genauer ausfallen und sich die Aktienkursvolatilität reduziert. All diese positiven Auswirkungen einer guten IR münden schließlich in verringerten Kapitalkos­ten und einem höheren Unternehmenswert. Relativ zu Großbritannien sind sind Investitionen in die Kommunikation mit Investoren also für deutsche Unternehmen mit höheren marginalen Effekten verbunden.

Kurzfristig wird sich an dieser Situation aller Wahrscheinlichkeit nach auch nichts ändern, längerfristig muss man allerdings davon ausgehen, dass die Effekte abnehmen. Die Investor-Relations-Aktivitäten international agierender Unternehmen gleichen sich mehr und mehr an. Trotzdem sind die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit für Praktiker wichtig, weil sie zum Verständnis der Dynamik zwischen Ländern beitragen. Börsennotierten Gesellschaften führt diese Analyse vor Augen, dass Investor Relations nicht als lästige Pflicht empfunden werden sollten, sondern als wichtiger Aspekt der Konzernpolitik. Wie die Analyse zeigt, lassen sich hier durchaus Vorteile erarbeiten, und es dürfte nur wenige andere Bereiche geben, in denen das so einfach und kostengünstig gelingt. Interessant wäre, eine vergleichende Studie nicht nur zwischen Indus­triestaaten, sondern unter Schwellenländern durchzuführen, doch wäre eine solche wohl aufgrund fehlender Daten heute noch nicht machbar. Zu vermuten ist, dass sich gerade hier professionelle Investor Relations besonders deutlich bezahlt machen würden. Vielleicht ist es ja schon in einigen Jahren so weit.

Dr. Kurt Becker

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