Der Faktor Rechtssicherheit
Wie vermeidet man bei Emerging-Markets-Investments Maximalverluste? Ein Meta-Ansatz, der den Respekt vor Eigentumsrechten, Geopolitik und informierten Mut zu Nische beinhaltet, könnte Anhaltspunkte liefern.
Bis zu 75 Prozent der Weltbevölkerung leben – je nach Quelle – in den Emerging Markets. Dass sich dieser Prozentsatz weder im Welt-BIP noch in den globalen Marktkapitalisierungen widerspiegelt, ist kein Geheimnis. Vollkommen vom Radar nehmen kann man die Region als Investor trotzdem nicht – Stichworte: Zukunftstrends, demografische Entwicklung und natürlich Diversifikation. Gerade in jüngerer Vergangenheit ist das Thema wieder en vogue geworden – nicht zuletzt aufgrund der zweistelligen YTD-Performance, mit der die Emerging Markets bis Redaktionsschluss sowohl die Eurozone als auch den MSCI World hinter sich lassen konnten.
In diesem Zusammenhang präsentiert sich Indien als Hoffnungsmarkt und teilt sich mit südostasiatischen Ländern wie Taiwan oder Korea die Hoffnung auf Leapfrog-Effekte durch den Einsatz von KI. Diese treten jetzt schon auf, da die KI-Branche händeringend nach Programmierern und Trainern sucht. Das zweite große Thema sind Rohstoffe und Friendshoring. Hier stellt sich beispielsweise aus Sicht des schottischen Finanzhistorikers Russell Napier die entscheidende Frage, ob ein Emerging Market auf der Seite der USA oder auf der Seite Chinas steht. „Steht er auf der Seite Chinas, könnten Anleger alles verlieren – oder zumindest ein erhebliches Risiko eingehen. Steht er auf der Seite der USA, werden Kapitalzuflüsse weiter stattfinden.“
Von diesem Trend könnten Länder wie Chile profitieren – zu dem Land später mehr. Insgesamt gibt es laut Napier zwei Arten von Kapitalflüssen: Portfolioinvestitionen und ausländische Direktinvestitionen. Letztere werden in der „Friendshoring“-Ära eine bedeutende Rolle spielen. „Das ist unproblematisch“, meint Napier, „viele dieser Märkte – ich wage zu sagen, fast alle – weisen im historischen Vergleich solide Leistungsbilanzen auf. Sie ziehen Kapital an, ihre Aktienmärkte sind günstig bewertet.“ Insgesamt sei es nach Ansicht des Schotten wichtig, sich als westlicher Investor nicht in einem Markt zu engagieren, der sich im chinesischen Lager befindet. Die Liste der No-Gos ist zumindest in Asien kurz: Pakistan, Myanmar und natürlich Hongkong.
Ein weiteres Kriterium, nachdem man Ausschau halten sollte, um sich gegen die regelmäßig auftretenden mächtigen Downturns zu wappnen, ist für Napier der Respekt vor Eigentumsrechten. Derlei Risiken werden in diesen Märkten oft unterschätzt – denken wir nur an den russischen Ölkonzern Yukos – seinerzeit der mächtigste Ölkonzern Russlands: Aufgrund der Rivalität mit seinem Gründer Michail Chodorkowski hat ihn Putin de facto enteignet.
„Das Gute an Emerging Markets ist, dass wir inzwischen eine lange Geschichte mit ihnen haben. Somit zeigt sich in der Rückschau, ob Eigentumsrechte respektiert werden oder nicht. Würden wir eine Liste aller Emerging Markets erstellen, könnten wir diese Märkte keinesfalls gleich bewerten. Einige Länder missachten Eigentumsrechte gänzlich. Es gibt jedoch auch Märkte, in denen Eigentumsrechte über lange Zeit hinweg gut geschützt wurden – Thailand, Malaysia und selbst Indonesien“, erklärt Napier, der Süd- und Südostasien grosso modo für die vielversprechendste Emerging-Markets- Region hält.
Genau eine solche Überblicksliste haben wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – erstellt (siehe Tabelle „Emerging Markets und die Rechtssicherheit“). Als Quelle haben wir die aktuellen Daten des International Property Right Index (IPRI) herangezogen, der alljährlich über den nationalen Respekt vor Eigentumsrechten berichtet. Und tatsächlich: Der Index sieht die großen Volkswirtschaften Süd- und Südostasiens mitunter weit vor prominenten Schwellenländern aus Lateinamerika. Eine interessante Ausnahme bildet das bereits erwähnte Chile, das von der Rechtssicherheit her quasi ein asiatisches Profil aufweist. Damit ist dieses Land für Investoren aufgrund der erwähnten Friendshoring-Effekte natürlich doppelt interessant.
Der Vergleich der MSCI-Aktienindizes scheint Napiers asiatische Outperformancethese in weiterer Folge zu bestätigen (siehe „Emerging Markets – eine Leidensgeschichte, Teil 1 & 2“): Vergleicht man die 15-Jahres-Entwicklung der einzelnen MSCI-Aktienindizes, so liegen die asiatischen Schwellenländer vor dem EM-Gesamtmarkt, während lateinamerikanische Länder die schwächste Performance aufweisen.
Dass in Sachen Eigentumsrechte in den asiatischen Schwellenländern trotzdem nicht alles eitel Wonne ist, weiß auch Napier: „Natürlich gibt es Korruption. Das ist eine andere Art, Eigentumsrechte zu untergraben, aber nicht in dem Sinne, dass Eigentum vollständig enteignet wird. Man muss die Märkte unterschiedlich bewerten. Viele Emerging Markets haben eine lange Tradition darin, fremdes Eigentum nicht zu enteignen.“
Insgesamt gibt es also aus Napiers Sicht zwei wesentliche Kriterien, die man berücksichtigen sollte: erstens, ob ein Markt auf der „richtigen Seite“ der westlichen Geschichte steht, und zweitens, ob Rechtsstaatlichkeit gewährleistet ist. Mit anderen Worten: Die Vermeidung von Maximalverlusten durch geopolitische oder rechtsstaatliche Risiken hat oberste Priorität.
Praxistest
Sieht man sich vor diesem Hintergrund an, welche Praktiker in Asien besonders erfolgreich waren, so sticht in einem Beobachtungszeitraum von zehn Jahren unter den aktiv verwalteten Fonds die Strategie „Asian Smaller Companies“ von Franklin Templeton hervor.
In Zusammenarbeit mit dem Datenanbieter Mountain- View haben wir erhoben, welche Strategien ab einem verwalteten Vermögen von zumindest 100 Millionen Euro und über zehn Jahre hinweg mit einem aktiven Ansatz die höchsten Erträge erwirtschaftet haben. Das Franklin-Templeton-Produkt hat hier ein Plus von rund 100 Prozent hingelegt. Gelungen ist diese Performance dem Management zufolge durch einen Fokus auf Unternehmen mit solider Ertragskraft und robusten Fundamentaldaten, ergänzt durch eine gezielte geografische Allokation, aber auch durch eine strategische Denkweise, die in manchen Bereichen dem Ansatz von Napier zuwiderläuft. Doch zunächst zu den Vorzügen Indiens: „Hier hat ein unterstützendes makroökonomisches Umfeld, kombiniert mit soliden Fundamentaldaten und einer erhöhten Beteiligung ausländischer und inländischer Investoren, das Aktiensegment beflügelt“, so das Statement der Manager.
Gegenmodell zu Napier
Vietnam hat sich aus Franklin Templetons Sicht ebenfalls als attraktiver Markt erwiesen, insbesondere durch eine wirtschaftsfreundliche Regierungspolitik und die Nähe zu China. Der Fondsmanager hebt hervor: „Über das letzte Jahrzehnt hat Vietnam von einem wirtschaftsfreundlichen Umfeld und unterstützenden Regierungspolitiken profitiert. Die Nähe zu China und eine breite Palette an Freihandelsabkommen haben Vietnams Attraktivität für ausländische Unternehmen weiter gesteigert.“
Diese Einschätzung steht eigentlich im Gegensatz zu Napiers Ansatz, der sich eher an Volkswirtschaften in geopolitischer Nähe zu den USA ausrichten würde. Auf der anderen Seite, ist das Wort „Friend“ immer eine Frage der Perspektive. Im Fall Vietnams ist es eben auf China und nicht die USA bezogen – aus Diversifikationsgründen vielleicht nicht einmal die schlechteste Idee.
Interessant erscheint dem Management auch das allgemeine markttechnische Umfeld, zeigte sich in den letzten zwölf Monaten doch eine fundamental gesteuerte Erholung bei Emerging-Markets-Small-Caps, die eine deutliche Abkehr von den Momentum-Rallyes Ende 2023 darstellt. Das Management erläutert: „Eine fundamental gesteuerte Rallye bei Small Caps in den Emerging Markets kam zum Tragen und markierte eine Abkehr von der momentumgetriebenen Rallye Ende 2023.“
Ein Risiko ist das Tempo der Zinssenkungen durch die US-Notenbank, das langsamer ausfallen könnte als von vielen Marktteilnehmern erwartet. Hinzu kommt der Einfluss geopolitischer Konflikte, die länger andauern als zunächst angenommen und potenziell über die direkt betroffenen Regionen hinaus wirtschaftliche Auswirkungen haben.
Im Technologiesektor, insbesondere in Südkorea und Taiwan – wir erinnern uns: beides Länder, die auch im IPRI-Ranking sehr gut liegen –, erkennen die Fondsmanager sowohl Potenziale als auch Risiken. Die jüngste Rallye rund um künstliche Intelligenz (KI) wird kritisch betrachtet: „In Südkorea und Taiwan sind wir seit längerer Zeit überzeugt, dass die Rallye übertrieben war. Inzwischen sind die Sorgen über die Monetarisierung der Technologie weitläufiger zutage getreten“, heißt es von Seiten des Managements.
Frontier Markets
Blickt man an dieser Stelle noch etwas genauer unter die Emerging-Markets-Haube, so fällt schnell auf, dass innerhalb der Schwellenländer zuletzt vor allem die Frontier Markets zulegen konnten. Andreas Ritter, Co-Geschäftsführer des Instituts für Vermögensaufbau, analysiert hier laufend die entsprechenden Fondsperformances und kommt zu folgendem Schluss: „Aktienfonds mit Anlageschwerpunkt Emerging Markets global haben bis Ende Oktober 2024 durchschnittlich Gewinne von 11,11 Prozent generiert, Fonds mit einem regionalen Schwerpunkt in den Frontier Markets haben mit 17,38 Prozent sogar noch deutlich stärker zugelegt.“
Bestätigt wird dieser bullishe Frontier-Markets-Trend unter anderem von der Capital Group: Arne Tölsner, der für das US-Haus als Managing Director, Head of Client Group Germany, Switzerland and Austria agiert, meint, dass Frontier-Märkte generell einige der höchsten Spreads und Renditen innerhalb von Schwellenländeranleihen, kombiniert mit Diversifikationsvorteilen, bieten. Einschränkend meint er: „Sie erfordern jedoch nicht nur eine gründliche Analyse, sondern auch starke Handelskapazitäten. Die jeweilige Anlagemöglichkeit muss ausreichend liquide sein, um aktiv gemanagt werden zu können, und die Eigentümerstruktur der Anlage sollte bekannt sein, um die Position effizient zu verwalten.“
Ein gutes regionales Beispiel für die notwendige Abwägung von Chancen und Risiken in den Frontier Markets ist Zentralasien. „So steht etwa Usbekistan aufgrund seiner Abhängigkeit von Russland und China vor geopolitischen Risiken“, wie Tölsner meint. Während die Fundamentaldaten im Allgemeinen stabil bleiben, zeigen sie erste Anzeichen einer leichten Verschlechterung. „Wir waren bei Investitionen in usbekische Anleihen zurückhaltend, doch der jüngste Reformschub – etwa die Liberalisierung von Stromtarifen und der Privatisierungsprozess – könnte Usbekistan in Zukunft attraktiver machen.“ Bereits jetzt werden hingegen in dieser sehr spezifischen Region die Staatsanleihen Kasachstans „durch solide Fundamentaldaten gestützt. Neben seiner Rolle als wichtiger Ölexporteur profitiert Kasachstan derzeit von hohen Wachstumsraten und überwiegend lokal gehaltenen niedrigen Schuldenquoten. Wir sehen Chancen bei Anleihen in Lokalwährung, jedoch nicht bei US-Dollar-Anleihen, da diese im Vergleich zu anderen Emittenten mit BBB-Rating eng bewertet sind“, resümiert Tölsner.
Case Kasachstan
Kasachstan als Investment Case? Das klingt zumindest exotisch. Ein Blick auf den Rechtssicherheitsindex, der ja der Ausgangspunkt der Investmenttheorie war, zeigt jedoch auch hier:?Mit eine Score von 4,64 liegt man knapp, aber doch vor einem Großteil der lateinamerikanischen Länder – und das bei de facto nicht vorhandener Investorenaufmerksamkeit. Möglicherweise zu Recht? Lassen die Daten schlicht nicht tief genug blicken? Um das herauszufinden hat sich Institutional Money am Rande des 15. Limassol Economic Forum mit Timur Turlov getroffen.
Der Milliardär, ursprünglich in Russland geboren, hat als deklarierter Kriegsgegner die russische Staatsbürgerschaft zurückgelegt und die kasaschische angenommen. In Kasachstan selbst hat er den an der Nasdaq gelisteten Onlinebroker Freedom Holding gegründet. Von Zypern aus will er das Unternehmen, dessen Aktiennotierung nach einem Report von Hindenburg Research im August unter massive Hedgefondsattacken geraten ist, um in weiterer Folge ein All Time High zu erklimmen, das Europa-Geschäft ausbauen.
Hohe Renditen
Turlov bestätigt in groben Zügen die durchaus positive Grundeinschätzung der Capital Group, gibt aber einen hochdifferenzierten Einblick in die Struktur des Landes: Mit Devisenreserven von über 100 Milliarden US-Dollar, einer positiven Zahlungsbilanz und einer stabilen Währung bietet das Land aus Sicht des Unternehmers eine durchaus verlässliche Grundlage für Investitionen.
Auch die Renditen bei den Staatsanleihen können sich sehen lassen, liegen diese doch zwischen 12 und 16 Prozent. Zum Vergleich:?Mexikanische Staatsanleihen mir zehnjähriger Laufzeit werfen rund zehn Prozent Rendite ab. Beide Länder verfügen im IPRI-Ranking über einen Score von gerundet 4,6 Punkten. Dennoch bleibt das Interesse internationaler Investoren an Kasachstan deutlich überschaubarer als etwa das an Mexiko. Das liegt natürlich zum einen auch daran, dass Mexiko einer der großen Profiteure des US-Friendshoring-Prozesses ist. Laut Turlov ist jedoch ein weiterer Grund, dass „Kasachstan keinen akuten Kapitalbedarf hat. Die Regierung ist finanziell autark und sieht wenig Notwendigkeit, internationale Investoren aktiv zu werben.“ Entsprechend selten gibt die Regierung Investitionsgarantien ab.
Diese Haltung hat auch historische Gründe: Nach der Finanzkrise von 2007 zog sich die Regierung ausländischem Kapital gegenüber zurück, insbesondere aufgrund negativer Erfahrungen mit volatil agierendem Kapital aus dem Bankensektor. Neben dem daraus resultierenden geringen internationalen Interesse bleiben auch lokale Investoren im Corporate-Bereich vorsichtig: Aufgrund hoher Prämien für Staatsanleihen konzentrieren sich viele ausschließlich auf diese risikoarmen Anlagen. „Warum sollte jemand in Unternehmensanleihen investieren, wenn Staatsanleihen ähnliche Renditen mit geringerem Risiko bieten?“, fragt Turlov.
Dieses konservative Finanzverhalten erstreckt sich auch auf die Pensionsfonds des Landes. Seit 2014 investiert die nationale Pensionskasse ausschließlich in Regierungspapiere, was die Bandbreite an Investitionsmöglichkeiten weiter einschränkt.
Demografischer Druck
Als eine der größten Herausforderungen des Landes ortet Turlov den wachsenden demografischen Druck. Trotz des relativ hohen volkswirtschaftlichen Wohlstands bestehen außerdem massive Infrastrukturdefizite. Besonders im Wohnungsbau zeigt sich ein deutlicher Bedarf, der durch restriktive Hypothekenkonditionen weiter verstärkt wird. „Die Hypothekenzinsen liegen bei 17 oder 18 Prozent – das ist für die meisten Menschen unerschwinglich“, kritisiert Turlov. Diese strukturellen Probleme stehen im Widerspruch zur Investitionsstrategie des Landes. Obwohl die heimische Wirtschaft unterfinanziert bleibt, investiert Kasachstan erhebliche Summen international: Der kasachische Staatsfonds legt mehr als 60 Milliarden US-Dollar im Ausland an. „Wir müssen mehr in unsere eigene Wirtschaft investieren“, mahnt Turlov. „Es ist nicht nachhaltig, sich wie die Schweiz zu verhalten, während unsere Wirtschaft jung und wachstumsstark ist.“
Starker Finanzsektor
Turlov sieht dennoch Chancen: „Wer sich auf den Finanzsektor konzentriert und gezielt in die führenden Banken investiert, kann von der wirtschaftlichen Dynamik Kasachstans profitieren.“ Denn während der Zugang zu Investitionsmöglichkeiten außerhalb des Finanzsektors schwierig bleibt, bietet der Bankensektor laut Turlov „eine der stabilsten und transparentesten Anlagemöglichkeiten in der Region“. Und: „Die Banken sind nicht nur zentral für die kasachische Wirtschaft, sie bieten auch eine hervorragende Transparenz und sind teilweise an globalen Börsen wie New York und London gelistet“, so Turlov abschließend.
Hans Weitmayr