Krisenfrüherkennung
Am 1. Januar 2021 ist das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) in Kraft getreten. Mithilfe eines StaRUG-Verfahrens können Unternehmen, die eine Zahlungsunfähigkeit befürchten müssen, frühzeitig restrukturiert werden. Ende des Jahres steht die Evaluation des Gesetzes an.
Die Banken haben schon länger eine eigene Abwicklungsrichtlinie, die Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD). Unmittelbar nach der Finanzkrise 2007/08 hat sich die EU-Kommission Gedanken über Alternativen zum regulären Insolvenzverfahren gemacht, da ein solches bei den großen und stark vernetzten Unternehmen der Finanzbranche teilweise schwer umsetzbar war und außerdem in erheblichem Umfang Steuergelder eingesetzt werden mussten.
Für Versicherer kam 2023 ein ähnliches Verfahren: Die Insurance Recovery and Resolution Directive (IRRD) schreibt den Häusern EU-einheitlich vor, dass sie Sanierungs- und Abwicklungspläne in der Schublade haben müssen. Damit stellen Versicherungsunternehmen ihre Abwicklungsfähigkeit sicher, denn auch hier soll es nicht dazu kommen, dass für eine Rettung Steuergeld eingesetzt werden muss.
Auch für Unternehmen außerhalb des Finanzsektors gibt es eine Alternative zum Insolvenzverfahren: das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). In Kraft getreten ist es am 1. Januar 2021 (Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie in deutsches Recht), und Ende des Jahres steht dessen Evaluation an. Aktuell bringen sich die Stakeholder dazu in Stellung.
Bei drohender Zahlungsunfähigkeit
„Anders als bei den Abwicklungsrichtlinien für Banken und Versicherungen ist der Restrukturierungsplan nach StaRUG nichts, was die Unternehmen präventiv erstellen. Sie fangen vielmehr erst dann damit an, wenn eine drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben ist“, erklärt Prof. Dominik Skauradszun. Er lehrt an der Hochschule Fulda und beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschung über deutsches und europäisches Restrukturierungsrecht mit dem StaRUG. „Ein zentraler Aspekt des Gesetzes ist die Verpflichtung zur Implementierung eines Systems zur Krisenfrüherkennung, woraus sich Anforderungen an das Krisenmanagement ableiten lassen“, sagt Skauradszun. Eine für das StaRUG erforderliche Situation tritt ein, wenn das Unternehmen innerhalb der nächsten 24 Monate voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. „Das Herzstück ist der Restrukturierungsplan. Mit dessen Hilfe soll sich das Unternehmen am Ende ohne Insolvenzverfahren selbst beziehungsweise zusammen mit den Gläubigern sanieren“, so Skauradszun. Der Plan muss von einer Mehrheit getragen werden, wobei die Planbetroffenen in Gruppen eingeteilt werden: „Beispielsweise kann es Gruppen für gesicherte Gläubiger, ungesicherte Gläubiger und Aktionäre geben. Eine Gruppe kann sogar insgesamt überstimmt werden. In Deutschland gilt allerdings die absolute Prioritätsregel, das heißt, wer einen besseren Rang hat, kann von nachrangigen Gläubigern mit ihrer Gruppe nur überstimmt werden, wenn die rangniedrigen Gruppen nichts erhalten. Die Richtlinie hätte auch eine relative Prioritätsregel ermöglicht, aber in Deutschland möchte man speziell die Fremdkapitalgeber schützen“, sagt Skauradszun.
Auswahl der Gläubiger möglich
Dr. Frank Schäffler hebt eine weitere Besonderheit des Verfahrens hervor: „Während das Insolvenzverfahren ein Gesamtgläubiger-Verfahren ist, kann das Unternehmen beim StaRUG-Verfahren auch nur einen Teil der Gläubiger einbeziehen.“ Schäffler ist Rechtsanwalt und Partner bei der Kanzlei Grub-Brugger und hat kürzlich den Restrukturierungsplan für die Varta AG ausgearbeitet. Gesamtgläubiger-Verfahren bedeutet beim Insolvenzverfahren, dass alle Gläubiger einbezogen werden. Während bei der außergerichtlichen Sanierung Beiträge nur auf freiwilliger Basis vereinbart werden können, genügt im StaRUG-Verfahren die Zustimmung von 75 Prozent der planbetroffenen Gläubiger in einer Gruppe. Der Plan entfaltet dann auch seine Wirkung für diejenigen, die dem Plan widersprochen haben. Widersprechende Gruppen können bei entsprechenden Mehrheiten überstimmt werden. „Die erforderliche Mehrheit ist regelmäßig im Vorfeld vertraglich abgesichert. Damit ermöglicht es das StaRUG-Verfahren, das Finanzierungskonzept auch ohne Zustimmung aller Einzelgläubiger umzusetzen“, erklärt Schäffler und weiter: „Bei einer außergerichtlichen Sanierung kann es Akkord-Störer geben, die eine Sanierung erschweren. Sie wollen an einer Sanierung partizipieren, aber selbst nichts dazu beitragen. Nur mit einem StaRUG-Verfahren kann vermieden werden, dass sanierungsunwillige Gesellschafter eine Insolvenz auslösen.“ Danach könne das Unternehmensmanagement loslegen und die Firma wieder zurück in die Gewinnzone führen.
Der übliche Grundsatz, dass Eigenkapital vor Fremdkapital beeinträchtigt wird, gilt auch beim StaRUG. „Sind die Anteile wertlos, so können die Eigenkapitalgeber entschädigungslos ausgeschlossen und neue Investoren aufgenommen werden. Die so erreichte Sanierung kann für das Unternehmen die bessere Lösung als die Insolvenz sein“, erklärt Schäffler.
Sanierung der Passivseite
„Bei einem StaRUG-Verfahren wird nur die Passivseite des Unternehmens saniert. Hohe Verbindlichkeiten auf der Passivseite gehen meist mit Problemen der Vergangenheit im operativen Geschäft einher, beispielsweise wurde ein Trend verpasst oder der Markt falsch eingeschätzt“, erklärt Nadja Raiß. Sie ist Rechtsanwältin und Partnerin bei der Kanzlei K&L Gates LLP in Frankfurt und hat unter anderem das StaRUG-Verfahren von Eterna begleitet. Außerdem ist sie eine der Gründerinnen des Netzwerks Distressed Ladies – Women in Restructuring.
„Bei einem klassischen Insolvenzverfahren hat das schuldnerische Unternehmen besondere Kündigungsrechte: Neben den Mitarbeitern können auch Miet- oder andere Verträge mit einer verkürzten Frist gekündigt werden. Diese Möglichkeiten bietet das StaRUG nicht“, erklärt Raiß. Daher hat eine Sanierung durch ein StaRUG positive Effekte für Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden und nicht zuletzt auch für den Pensionssicherungsverein. „Seine Pensionsverbindlichkeiten wird man über ein StaRUG-Verfahren nicht los“, sagt Raiß.
Berührungspunkte zu Investoren
Investoren können Berührungspunkte zum StaRUG haben, wenn sie Planbetroffene sind, je nachdem, wie sie am Unternehmen beteiligt sind. In der Regel sieht der Restrukturierungsplan einen Verzicht der Restrukturierungsgläubiger – hier beispielsweise Anleihengläubiger – auf ihre Ansprüche aus der Anleihe gegen eine angemessene Kompensation vor. „Es ist nicht leicht, ein StaRUG-Verfahren erfolgreich abzuschließen. Hierfür bedarf es einer guten Vorbereitung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt“, sagt Raiß. Auch die soziale Komponente sollte nicht vergessen werden: „Da sind manchmal Rentner, die vielleicht 100.000 Euro in ein Unternehmen investiert haben und die Gefahr laufen, mit fünf oder zehn Prozent abgefunden zu werden“, verweist Raiß auf die Konsequenzen. „Als Equity-Holder laufen Sie ebenfalls Gefahr, durch ein StaRUG-Verfahren die Gesellschafterstellung zu verlieren.“
Für Distressed-Fonds besteht die Möglichkeit, sich als neuer Gesellschafter an einem in Sanierung befindlichen Unternehmen zu beteiligen – mit frischem Geld. „Für solche Investoren könnte es interessant sein, als Plan-Sponsor einzusteigen, denn sie erhalten das Unternehmen mehr oder minder – je nach Ausgestaltung des Restrukturierungsplans – schuldenfrei“, meint Raiß. Die Frage ist, wie Distressed-Fonds in der Praxis erfahren, dass ein StaRUG-Verfahren läuft; handelt es sich doch im Grundsatz um ein nicht öffentliches Verfahren. Entsprechend selten hört man von aktuellen oder abgeschlossenen StaRUG-Verfahren. Bleibt zu hoffen, dass Manager von Distressed-Fonds so gut vernetzt sind, dass sie von entsprechenden Unternehmen rechtzeitig erfahren, um als Plan-Sponsor einsteigen zu können. „Auch für andere Equity-Investoren kann ein StaRUG-Verfahren interessant sein, beispielsweise wenn sie ein Unternehmen aus dem Portfolio sanieren wollen und man das außergerichtlich nicht in den Griff bekommt“, meint Schäffler. In solchen Fällen sei StaRUG ein juristisches Mittel, um eine Insolvenz durch Akkord-Störer zu vermeiden. Alle Unternehmen, die für ihre Emissionen eine Zulassung zum Börsenhandel haben, unterliegen der Ad-hoc-Publizitätspflicht. „Ein StaRUG-Verfahren ist für diese Unternehmen öffentlich“, stellt Raiß klar. Entsprechend hat man eher von den größeren StaRUG-Fällen wie Varta, Leoni, BayWa, ESPG oder Eterna gehört. Bei nicht börsennotierten Unternehmen laufen StaRUG-Fälle unterhalb des Radars. „Ich schätze, dass in Deutschland mittlerweile an die 200 StaRUG-Verfahren durchgeführt wurden. Wir bei K&L Gates LLP haben allein 15 davon betreut, darunter Eterna, ESPG AG und Varta auf Gläubigerseite“, sagt Raiß.
Investoren können aber auch als Anleihengläubiger oder als Darlehensgeber an einer Sanierung beteiligt sein. „Den neuen Kapitalgeber zu besichern, ist dann meistens nicht einfach, denn dass noch unbelastetes Vermögen vorhanden ist, ist in einem solchen Fall nicht sehr realistisch. Der typische Hebel ist dann ein drastisch höherer Zinssatz“, meint Skauradszun.
Umsonst ist eine Sanierung nicht
In der Presse werden StaRUG-Verfahren gelegentlich kritisch gesehen. So schrieb die „Wirtschaftswoche“ kürzlich, dass von der 60-Millionen-Euro-Kapitalspritze von den künftigen Varta-Eigentümern Porsche und Tojner zur Varta-Rettung angeblich 43 Millionen Euro für diverse Kanzleien und Berater aufgewendet wurden. Schäffler äußert sich zu diesen Zahlen nicht, weist aber darauf hin, dass sich die kolportierten Zahlen auf den Gesamtberatungsaufwand in den Jahren 2024 und 2025 beziehen und nur zu einem Bruchteil das eigentliche StaRUG betreffen. Außerdem führt er aus, dass die Kosten einer Insolvenz sicher höher gewesen wären.
Egal wie man es angeht, die Restrukturierung und Sanierung eines Unternehmens, das in Schieflage geraten ist, wird immer hohe Kosten verursachen: Kosten für M&A-Berater, Financial Advisors, Betriebswirtschaftsexperten und Rechtsanwälte fallen an. Wichtig ist, dass am Ende die für das Unternehmen beste Lösung gefunden wird.
Anke Dembowski