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1/2023 | Steuer & Recht

Keine Revolution

Die turnusmäßige Revision des europäischen Aufsichts- und Regulierungssystems Solvency II ist im Gange und könnte ab 2024 oder 2025 gelten. Damit sollen Europas Versicherungen für die nächste Dekade fit gemacht werden.

Durch die Anpassung des Solvency II Review soll Europas Versicherungsbranche noch stabiler, ­flexibler und auch grüner werden.
Durch die Anpassung des Solvency II Review soll Europas Versicherungsbranche noch stabiler, ­flexibler und auch grüner werden.

© Michail Petrov | stock.adobe.com, Fidelity Inte

Das europäische Versicherungsregelwerk Solvency II soll ein Update erhalten. Im Review-Prozess wird geklärt: Ist die Solvenzberechnung risiko­adäquat oder muss nachjustiert werden? „Im Review sollten die Erfahrungen seit der Erstanwendung der Regeln 2016 einfließen: Die Versicherer haben Marktschwankungen und niedrige Zinsen gemeistert, die Erfüllung ihrer Verpflichtungen stand nie in Frage. Das zeigt, dass Solvency II funktioniert“, verweist Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des deutschen Versicherungsverbands GDV, auf das Erreichte.

Parallel mit ICS 2.0

Der Startschuss zur Überprüfung von Solvency II erfolgte am 11. Februar 2019, und die Trilogverhandlungen werden noch im 1. Quartal 2023 erwartet. Frühestens im Geschäftsjahr 2024 könnte die revidierte Version für Europas Versicherungsunternehmen gelten, wahrscheinlich wird es später. „Wir rechnen mit einem Inkrafttreten im Januar 2025. Das ist nämlich das Datum, zu dem auch der Review für den ­internationalen Solvenzkapitalstandard ICS, der für international aktive Versicherungsgruppen gilt, so weit ist. Mit dem gleichzeitigen Inkrafttreten der beiden Reviews könnte eine weltweite Konvergenz bei den Kapitalanforderungen für Versicherungen umgesetzt werden“, erklärt Ghislain Perisse, Leiter des Insurance-Geschäfts bei Fidelity International. ­Stephan Oetzel, Chief Risk Officer der Gothaer, rechnet erst Ende 2025 mit dem Inkrafttreten. „Die EIOPA hat das Ganze angestoßen, aber nun hängt es davon ab, wie schnell sich die europäischen Institutionen einigen. Trilogverhandlungen dauern im Regelfall eher länger als kürzer“, gibt er zu bedenken. Aus seiner Sicht bestehen die drei wichtigsten Änderungen in der veränderten Modellierung beim Zinsänderungsrisiko, also bei den Kapitalanforderungen, den Änderungen bei der Modellierung der Zinsstrukturkurve und den Änderungen bei der Berechnung der Risikomarge.

Ultimate Forward Rate

Oetzel erklärt, warum die veränderte Modellierung bei der Zinsstrukturkurve bedeutend ist: „Um den Marktwert eines Versicherungsvertrags zu berechnen, müssen alle daraus resul­tierenden Verpflichtungen abdiskontiert werden. Wir machen das quartalsweise für jeden Vertrag, für jede einzelne Zahlung. Weil Versicherungsverträge oft lange Laufzeiten ­haben, benötigen wir dazu sehr lange Zinsstrukturkurven. Bis 20 Jahre existieren noch Marktzinswerte, aber weiter in der Zukunft gibt es kaum noch ablesbare Werte“, so Oetzel. Hier behelfen sich die Versicherer mit der sogenannten Ultimate Forward Rate, die modelliert wird. Bei der Modellierung dieses Zinssatzes hat die EU Änderungspotenzial festgestellt. „Unter den Regelungen des Solvency II Review wird sich die Kurve im hinteren Bereich weniger stark dem Zielniveau annähern“, erklärt Oetzel. Die Berechnung der Barwerte von lang laufenden Versicherungsverträgen hat großen Einfluss auf die Eigenmittel eines Versicherers: Je stärker die in der Zukunft liegenden Verpflichtungen abdiskontiert werden, desto geringer werden die Verpflichtungen ausgewiesen und desto mehr Eigenmittel hat ein Versicherer – buchhalterisch gesehen. „Auf einen Versicherer wirken aber auch andere Fragestellungen, beispielsweise wie steil die Zinsstruktur ist“, so Oetzel. Bei der Gothaer Leben habe man sich bemüht, den Duration Gap möglichst klein zu halten, indem man in den letzten Jahren auch sehr lang laufende Papiere gekauft hat, „aber ganz kriegt man den Gap nicht weg“, gibt Oetzel zu bedenken. Die seit 2022 gestie­genen Zinsen stellen nun einen Glücksfall für die Versicherungswirtschaft dar. „Aufgrund des gestiegenen Zinsniveaus sind die Auswirkungen des verbleibenden Duration Gap deutlich geringer“, ist Oetzel froh.

Höhere Ausschüttungen möglich

Wenn die Solvenzquoten der Versicherer künftig weniger stark auf Zinsänderungen reagieren, brauchen sie weniger Kapitalpuffer zu halten, um ihre Zielsolvenzquoten zu erfüllen. Das könnte zu höheren Ausschüttungen der Versicherungsunternehmen an ihre Shareholder führen. „Wir sind Bond-Investoren. Wenn der ­Review zu geringeren Solvenzanforderungen und damit zu höheren Ausschüttungen führt, sehen wir das kritisch. Letzten Endes wird das nicht ohne Einfluss auf die Spreads bleiben“, warnt Rötger Franz, Partner beim Asset Manager Plenum Investments und dort Senior Insu­rance Analyst und Portfolio Manager. Aber er will den Effekt auch nicht überbewerten: „Durch den Review werden die Solvenzquoten mittelfristig wohl ein wenig runtergehen und die Ausschüttungen leicht steigen. Materielle Auswirkungen auf die Spreads von Versicherungs-Bonds erwarte ich nicht. Die Versicherungsbranche bleibt ein komplexer Sektor, dessen Bonds vermutlich auch weiterhin mit Discount gehandelt werden.“

Die Gothaer als Versicherungsverein hat keine externen Aktionäre, an die Dividenden gezahlt werden, aber innerhalb der Konzernstruktur erfolgen Ausschüttungen an das Mutterunternehmen. „Die hängen aber mehr von unserer HGB-Bilanz als von der Solvency-II-Bilanz ab“, stellt Oetzel klar. Viel größer sei in diesem Zusammenhang ohne­hin der Effekt der Zinszusatzreserve. „Bei der Lebensversicherung mussten wir in den vergangenen Jahren die Zinszusatzreserve finanzieren. Durch das gestiegene Zinsniveau kommen wir jetzt auf den Pfad der Auflösung der ZZR, was für uns eine starke Entlastung bedeutet“, so Oetzel.

Erleichterung für Aktieninvestments

Neben Änderungen bei der Modellierung der Zinsstrukturkurve stehen auch Änderungen bei der Solvenzkapital­berechnung für Real Assets an. „Aus meiner Sicht ist der ­Review-Prozess von Solvency II sinnvoll, weil sich die Kapitalanforderungen für Versicherer in einigen Subsektoren als sehr volatil erwiesen haben. Außerdem hat sich in den Jahren des Niedrigzinsumfelds auch die Frage gestellt, ob die Kapitalanforderungen in der aktuellen Form sinnvoll sind, da sie beispielsweise bei Investitionen in Infrastruktur und Real Assets nicht den gewünschten Effekt hatten“, meint Rötger Franz. „Für uns als Bond-Investoren sind die Aus­wirkungen auf die Risikosensitivität, die Volatilität und die Erleichterungen beim Kapital für Long-Term Equities die wichtigsten Punkte der Revision, da diese die Kreditqualität entscheidend beeinflussen“, fasst er zusammen.

Auch andere Asset Manager beschäftigen sich mit dem Review. „Die beiden großen Themen, über die Versicherungsunternehmen jetzt mit uns in Bezug auf den Solvency II Review sprechen, sind die Erhöhung der Aktienquote und Nachhaltigkeit“, erklärt Annika Milz, Europa-Co-Head Institutionelle Kunden bei Fidelity International. Sie verweist darauf, dass insbesondere die deutschen Häuser durch den Solvency II Review mehr Möglichkeiten erhalten werden, ihre Aktienquoten zu erhöhen, besonders innerhalb der langfristigen Anlagen. „Bisher sind die Solvenzkapitalanforderungen für Aktien 39 Prozent plus Dampener, und das könnte im Zuge des Review auf rund 22 Prozent reduziert werden“, ist Milz zuversichtlich. Ihr Kollege Perisse ergänzt: „In anderen europäischen Ländern, beispielsweise den Niederlanden und Frankreich, fahren die Versicherungshäuser schon länger eine deutlich höhere Aktienquote in ihren Langfristportfolios. Die konnten Dividendenrenditen von bis zu sechs Prozent vereinnahmen, was ihnen während der Niedrigzinsphase äußerst gut getan hat.“ Er geht davon aus, dass die deutschen Versicherer ihre Aktienquoten von im Schnitt 5,7 Prozent (Stand: 30. 9. 2022) auf durchschnittlich etwa sieben Prozent hochfahren könnten, und rät, dabei ­einen Sektoransatz anzuwenden: „Angesichts der Disruptionen an den Märkten muss man sich sehr genau Gedanken machen, welche Sektoren von der aktuellen Inflation und der Deglobalisierung profitieren. Wenn Versicherer die entsprechende Aktienexpertise nicht im eigenen Haus haben, sollten sie mit aktiven Asset-Management-Experten zusammenarbeiten“, meint Perisse. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Investoren ihr Anlageuniversum mit verschiedenen Ausschlüssen versehen, getrieben durch die Offenlegungsverordnung (SFDR). Das schränke das Anlageuniversum ein, was eine noch sorgfältigere ­Sektor- und Titelselektion erforderlich mache.

Hoffen auf höhere Aktienquoten

„Die hohen Anforderungen an die Kapitalhinterlegung für Investitionen in Aktien und andere Real Assets sind ein riesiger Bremsklotz für attraktive Renditen in der Lebensversicherung. Außerdem haben wir in den letzten 1,5 Jahren gesehen, dass Anleihen auch nicht ganz risikolos sind“, meint Martin Stenger, der bei Franklin Templeton den Vertrieb für Versicherungsprodukte in Deutschland leitet. Er fährt fort: „Wenn der deutsche Staat jetzt eine Aktienrücklage für die gesetzliche Rente aufbaut, dann muss man sich doch fragen, warum privaten Lebensversicherungen die Aktienanlage so erschwert wird.“ Dass künftig die Aktienquoten erhöht werden könnten, sieht Rötger Franz positiv. „Höhere Aktienquoten sind gut, aber ob der Effekt in der Praxis dann wirklich so stark ist, bleibt abzuwarten. Vor einiger Zeit wollte man auch Infrastrukturinvestments fördern, aber hier waren die Erwartungen deutlich höher als das, was am Ende tatsächlich gekommen ist“, bremst Franz allzu hoch fliegende Erwartungen. „Die Versicherer werden weiterhin eine Risikobewertung ihrer Assets vornehmen und den erwarteten Returns gegenüberstellen. Ich erwarte allenfalls leicht höhere Aktienquoten“, resümiert er. Oetzel sieht für sein Haus ­keinen Effekt auf die Aktienquote, wobei die Gothaer mit einer Aktienquote von 3,6 Prozent (per 31.?10.?2022) unterhalb des Marktdurchschnitts von 5,7 Prozent liegt. „Unsere strategische Asset Allocation ist völlig unbeeinflusst von kurzfristigen Effekten aus dem Solvency II Review. Außerdem sind andere Alternativen durch das gestiegene Zins­niveau jetzt wieder attraktiver geworden.“

Trend zu mehr Liquidität

Ganz so will das Perisse nicht stehen lassen: „Zuletzt haben die Risikomanager der Versicherungen gesehen, dass Risiken nicht nur von der Aktienseite resultieren, sondern auch die Fixed-Income-Seite ihre Risiken hat“, meint Perisse mit Verweis auf das schwierige Rentenjahr 2022 und dort auf die Liquiditätsrisiken. „Beispielsweise war es in Italien 2008 bis 2013 kaum möglich, seine Bonds zu liquidieren. Daher ­reduzieren die italienischen Versicherer die Laufzeiten ihrer Zinspapiere von zuvor zehn bis zwölf Jahren auf etwa sechs Jahre. Bei Private Debt geht man in Italien sogar auf drei Jahre Laufzeit runter. In Deutschland sind die Lebensversicherer eher noch bei Durationen von 16 bis 20 Jahren, unter anderem weil dort die Laufzeiten der Verträge länger sind.“ Dies sei auch wichtig angesichts der deutlich gestiegenen Stornorisiken. „In Italien und Frankreich haben sich die Storno­risiken 2022 verzehnfacht“, erklärt Perisse. “

Annika Milz ergänzt: „Lange Zeit waren Versicherer auf der Suche nach höheren Renditen und sind dazu stark in Illiquids eingestiegen. Jetzt wollen sie ihre Portfolios weniger komplex gestalten und dabei die Liquidität erhöhen.“

Rabatt für Grün?

Mehr Grün soll das Review-Paket auch bringen. „Seit August 2022 müssen Versicherungsunternehmen ESG-Aspekte berücksichtigen und darüber berichten. Mit dem Solvency II Review werden sie regulatorisch dazu bewogen, Nachhaltigkeitsaspekte noch stärker als bisher zu berücksichtigen“, beobachtet Milz. Oetzel erklärt, was das konkret heißen könnte: „Bereits mit den Änderungen an Solvency II im Jahr 2018 wurden die sogenannten qualifizierten Infrastrukturprojekte eingeführt, für die es Erleichterungen gab. Im Review soll es jetzt weitere Initiativen geben, die für Erleichterungen bei Infrastruktur- und grünen Investments sorgen sollen. Ehe wir unsere Anlagen entsprechend anpassen, müssen wir abwarten, was da genau angeboten wird.“ Der Versicherungsverband GDV rückt die Versicherungsunternehmen als geeignete Partner der Transformation ins Blickfeld: „Der Review von Solvency II bietet eine erstklassige Chance, das europäische Aufsichtssystem weiterzuentwickeln und an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen. Hierzu gehört insbesondere die Verzahnung von Solvency II mit europäischen Zielen wie dem Green Deal. Versicherer sind aufgrund ihrer langfristigen Geschäfts- und Investitionstätig­keiten ausgezeichnete Transformationspartner“, erklärt Jörg Asmussen vom GDV.

Was Rabatte für grüne Investitionen betrifft, ist Rötger Franz skeptisch und warnt davor, die Regulatorik zu sehr für die Realisierung gesellschaftlicher Ziele einzuspannen. ­„Höhere Allokationen in grüne und nachhaltige Investments sind notwendig, richtig und wünschenswert. Die ­öffentliche Erwartungshaltung und die regulatorische Sicht der Dinge sollten zwei Paar Schuhe sein. Der Regulator versucht jetzt, Erleichterungen für Green Investments einzuführen, aber die Risiken sind ja weiterhin da!“, gibt er zu bedenken und schlägt eine andere Lösung vor: „Anstatt Kapital­erleichterungen für grüne Investments zu gewähren, sollte der Regulator vielleicht lieber eine Negativliste in Erwägung ziehen und dafür höhere Kapitalanforderungen stellen.“

Perisse hingegen hält den Rabatt für nachhaltige Anlagen für gerechtfertigt: „Auch für Infrastructure Debt wurden die Kapitalanforderungen gesenkt, weil es dafür implizite Staatsgarantien gibt. Das ist auch gerechtfertigt, denn schließlich haben Wasser- und Stromversorgung einen beträchtlichen sozialen Aspekt. Auch für nachhaltige Private-Debt-Investments gibt es Erleichterungen im Solvency II Review, denn Unternehmen, die nachhaltig unterwegs sind, werden von den Regierungen anders protegiert und gefördert als solche, die dies nicht tun. Das ist okay“, meint Perisse.

Er hebt in dem Zusammenhang die stärker in die Zukunft gerichteten Nachhaltigkeitsanalysen, die Asset Manager betreiben, hervor: „Die Nachhaltigkeitsdaten, die Versicherer in ihren Modellen verwenden, sind oft vergangenheitsbezogen. Als Asset-Management-Haus nehmen wir hier Deep-Dive-Analysen vor, betrachten beispielsweise ob sich ein Unternehmen so aufstellt, dass es künftig das Paris-Alignment ­erfüllen kann.“ Er nennt ein Beispiel: „In den Modellen der Versicherer belastet der Diesel-Skandal des Jahres 2015 Investitionen in VW-Aktien oder -Bonds immer noch. Wir ­betrachten das Unternehmen eher dahingehend, welche Konsequenzen es aus dem Skandal gezogen hat und welche Maßnahmen für die Zukunft getroffen wurden.“

Seine Kollegin bringt noch einmal die Aktienquote ins Spiel: „Die meisten Investoren unterstellen, dass nur den ­Aktieninvestoren eine Verantwortung für Engagement ­zukommt. Angesichts der vergleichsweise geringen Aktienquoten bei Versicherungsunternehmen ist der Hebel bei uns mit Anlagen von mehr als 350 Milliarden Euro in ­Aktien viel größer. Aber auch Bond-Investoren sollten ihre Einflussmöglichkeiten nicht unterschätzen. Einige der größten Verursacher von Treibhausgasen sind nicht börsennotiert – und hier können Versicherungen ihre Ansprüche zur Transformation geltend machen.“

Langfristgarantien

Geblieben sind im Review die Long-Term Guarantee Measures (LTG-Maßnahmen) und wie diese zu bedecken sind. Das ist insbesondere für deutsche und österreichische ­Lebensversicherungsverträge von Bedeutung, weil diese oft sehr lange Garantielaufzeiten haben, aber man ist dabei, das zu ändern. „Seit etwa 20 Jahren gibt es den Trend, dass immer weniger Garantieprodukte verkauft und damit die ­Risiken wieder zurück auf die Versicherten verlagert werden. Der Grund liegt darin, dass solche Garantien ihren Preis ­haben. Daran wird auch durch den Review nicht viel ­zurückgedreht. Für das bestehende Geschäft gibt es jetzt Übergangsregelungen“, erklärt Rötger Franz.

„Bei der Gothaer haben wir schon seit vielen Jahren ­umgesteuert. Im Neugeschäft haben wir nur noch kleine Anteile an den klassischen Formen des Lebensversicherungsgeschäfts mit Garantie“, so Oetzel. Im Neugeschäft haben Unit-Linked- und hybride Verträge deutlich an Bedeutung gewonnen. Der Review sieht auch Änderungen bei den ­Reporting-Anforderungen vor, wenn auch nur geringfügige. „Es war ja fast zu erwarten, dass der Solvency II Review zu einem noch höheren bürokratischen Aufwand für die ­Versicherungsunternehmen führt, insbesondere was die ­Reporting-Anforderungen gegenüber den Aufsichtsbehörden ­betrifft“, meint Rötger Franz. „Da fragt man sich schon: Wer soll das alles lesen?“ Von einigen der großen Versicherungsgruppen habe er gehört, dass das Solvency-II-Reporting mehr als hunderttausend Seiten umfasst. „Insbesondere die kleineren Versicherer drohten unter den Reportinganforderungen zu ersticken. Immerhin sieht der Review hier aber Erleichterungen vor“, ist Rötger Franz zufrieden mit der ­Beachtung des Proportionalitätsprinzips im Review.

Bei den größeren Häusern fallen die Änderungen beim Reporting offenbar nicht mehr stark ins Gewicht. „An einigen Stellen soll etwas entschlackt werden, an anderen Stellen kommt etwas Neues hinzu. Wir haben uns inzwischen daran gewöhnt, sehr umfangreich zu reporten“, meint Oetzel achselzuckend. Für ganz vergeblich hält er die umfangreiche Informationssammlung durch die Aufsicht nicht: „Es gibt auch mal Rückfragen durch die BaFin. Das zeigt, dass sie die Zahlenwerke lesen.“

Sektor profitiert vom Zinsanstieg

So wichtig die geänderte Regulatorik auch sein mag, mindestens ebenso bedeutungsvoll war der Zinsanstieg für die Versicherungsbranche. „Die Zinssensitivitäten im Solvency-II-Regime haben schon vor dem Review gezeigt: Wenn die Zinsen steigen, geht die Solvenz hoch. Das hat sich auch jetzt beim Zinsanstieg 2022 bewahrheitet“, so Rötger Franz. „Kurzfristig sind die Auswirkungen des Zinsanstiegs auf die Portfolios vermutlich höher als die des Solvency II Review. Ganz besonders im Lebensversicherungsbereich wirkt der Zinsanstieg positiv“, ergänzt er. Das nimmt auch Annika Milz wahr: „Angesichts der mageren Zinsen sind Versicherungsinvestoren in der Vergangenheit zwangsweise in höher rentierliche, aber auch risikoreichere Assetklassen ausge­wichen. Nun sind die Zinsen so weit angestiegen, dass die Investoren auch mit Plain-Vanilla-Bond-Investments wieder ihre Zielrenditen erreichen können. Gleichzeitig haben die Themen Liquidität und Nachhaltigkeit an Bedeutung ­gewonnen und müssen bei der Titelauswahl mit herangezogen werden“, so Milz. Auch Oetzel misst der Zinsänderung eine hohe Bedeutung bei. „Für uns werden sich die ­regulatorischen Kapitalanforderungen durch den Solvency II Review nicht wesentlich ändern. Das Zinsänderungsrisiko spielt bei den Eigenmitteln eines Versicherungsunternehmens eine viel größere Rolle. Im Jahr 2021 – das war noch mitten im Nullzinsumfeld – haben wir angesichts des anstehenden Review eine Vielzahl von Szenariorechnungen angestellt. Der Effekt war nur unwesentlich“, erklärt Oetzel.

Einheitliche Abwicklung

Geplant ist auch eine Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen, die aber außerhalb des Solvency II Review läuft. Dies sei keine Antwort auf festgestellte Probleme seitens des Regulators, sondern eher der Wunsch nach mehr Konsistenz innerhalb der EU. „Insolvenzen großer Versicherungsunternehmen sind extrem selten, wirklich ein ,remote event‘“, erklärt Rötger Franz. „Aber es gibt unterschiedliche nationale Abwicklungsregelungen, und die sind nicht immer konsistent mit dem, was die ­Aufsicht erreichen möchte.“

Anke Dembowski

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