Ist schneller besser?
Viele Jahre lang galt beim Wertpapier-Settlement überwiegend T+2, aber im Mai 2024 haben die USA und Kanada auf T+1 umgestellt. Europa wird dem Trend zu einer höheren Abwicklungsgeschwindigkeit folgen. Umstellungsdatum soll der 11. Oktober 2027 sein.
Wertpapierhandelsgeschäften in Europa immer noch zwei Tage. 2027 soll diese Frist auf einen Tag verkürzt werden, was von Marktteilnehmern mit Spannung erwartet wird, da man sich Auswirkungen auf Liquidität, Risiko und Marktdynamik erhofft.© btiger | stock.adobe.com
Man hat sich schon länger gefragt, warum im digitalen Zeitalter das Settlement von Wertpapiertransaktionen noch Tage dauert und nicht Sekunden. Schließlich ist es nicht mehr nötig, Wertpapiere physisch mit einer Postkutsche von der Lagerstelle des Verkäufers zur Lagerstelle des Käufers zu transportieren. Aber nichts scheint so stabil zu sein wie althergebrachte Bank- und Börsenusancen, und so war es ein erheblicher Kraftakt, als die USA im Jahr 2024 durchgesetzt haben, dass die Settlement-Geschwindigkeit bei Transaktionen von US-Wertpapieren von T+2 auf T+1 erhöht wurde. Der Kraftakt ist noch nicht abgeschlossen: Weil die Wertpapiermärkte vernetzt sind, kam damit weltweit Bewegung ins Wertpapier-Settlement.
Weltweiter Beschleunigungstrend
Bemerkbar macht sich die Beschleunigung im Wertpapier-Settlement bei verschiedenen Marktteilnehmern: „Die größten Veränderungen kommen dabei sicherlich auf die Verwahrstellen zu, die ihre Prozesse anpassen müssen. Für die Investoren bedeutet ein kürzerer Settlement-Zyklus eine Risikoreduktion, da das Kontrahentenrisiko durch die kürzere Abwicklungsphase verringert wird, und auch eine raschere Verfügbarkeit von Wertpapieren nach dem Handel beziehungsweise eine geringere Bereitstellung von Sicherheiten und Margin-Anforderungen“, sagt Tamara Di Nanni. Sie ist Senior Consultant bei Faros Consulting in Frankfurt und leitete die jüngste Verwahrstellen-Studie, die Faros regelmäßig durchführt. Sie ergänzt: „Die Verkürzung des Settlement-Zyklus ist eine logische Schlussfolgerung von technischem Fortschritt und effizienteren Abwicklungssystemen, und ich bin überzeugt, dass weitere Märkte nachziehen werden.“ Das ist nun der Fall. „Primär angestoßen wurde die Verkürzung der Abwicklungszeit von T+2 auf T+1 durch regulatorische Entscheidungen in den USA. Die US-Behörden hatten das Ziel, die Effizienz der Kapitalmärkte zu verbessern und das Gegenparteirisiko zu reduzieren“, sagt Kurt Wustl, Head of Operations & Portfolio Administration bei der MEAG.
Aufgrund der engen Marktverflechtung zogen andere Länder auf dem amerikanischen Kontinent nach, sodass sich in der Folge auch Mexiko, Kanada und Argentinien dieser Initiative anschlossen. „Diese Umstellung hat weitreichende Auswirkungen auf Liquidität, Risiko und Marktdynamik“, erklärt Wustl. Weil das so ist, zieht nun auch Europa nach: „Die ESMA hat zusammen mit der Schweiz und dem Vereinigten Königreich angekündigt, den Schritt zu T+1 zu gehen. Die EU-Kommission schlägt als Umstellungsdatum den 11. Oktober 2027 vor und folgt damit der ESMA-Empfehlung“, so Wustl. Damit werden voraussichtlich England, die Schweiz und die EU zeitgleich auf T+1 umstellen.
Der deutsche Fondsverband BVI setzt sich für eine zügige Umstellung der Abwicklungsfrist auf T+1 in der EU ein, um die EU-Kapitalmärkte an die USA anzugleichen und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Eine Einführung von T+0 lehnt der BVI hingegen ab: „Fondsgesellschaften müssen in einer komplexen und fragmentierten Abwicklungslandschaft in der EU mit zahlreichen Marktteilnehmern Wertpapiere abwickeln. Eine Umstellung auf T+0 würde unter anderem eine grundlegende Umgestaltung der vor- und nachbörslichen Prozesse erfordern“, sagt ein BVI-Sprecher.
Europäischer Koordinierungs-Kraftakt
Um die Migration auf T+1 in der EU zu koordinieren, wurde eine groß angelegte Governance-Struktur aufgebaut, bestehend aus einem Koordinierungs- und einem Industrieausschuss sowie verschiedenen technischen Arbeitsgruppen. Den Vorsitz des Koordinierungsausschusses übernimmt die ESMA; hinzu kommen Vertreter der Europäischen Kommission und der EZB sowie der Vorsitzende des Industrieausschusses. Der Industrieausschuss wird von Giovanni Sabatini, dem Vorsitzenden des Exekutivausschusses der European Banking Federation (EBF), geleitet. Die technischen Arbeitsgruppen konzentrieren sich auf die operativen, technologischen und regulatorischen Herausforderungen, die mit dem Übergang verbunden sind.
Aber warum gibt es in Europa ein solches Großaufgebot an Experten zu diesem Thema? „In den USA ist die Umstellung von T+2 auf T+1 relativ gut gelaufen. Kein Wunder, hat das Land doch ein einheitliches Rechtssystem und eine einheitliche Marktinfrastruktur“, sagt Mathias Heiß, Chief Executive Officer, Universal Investment. Er fährt fort: „Das Problem ist: Die EU ist nicht die USA. Hier gibt es weder einen einheitlichen Wertpapierrechtsrahmen noch eine komplett einheitliche Marktinfrastruktur, die alle Länder integriert. Im Gegenteil, alles ist deutlich komplexer, und es werden daher deutlich höhere Investitionen benötigt, um die Umstellung von T+2 auf T+1 zu bewältigen.“
Das wirft einige Fragen auf: Rechtfertigt der hohe Aufwand die möglichen Vorteile? Und vor allem: Wer trägt die Kosten, und wer genießt die Vorteile? „Hier liegen noch längst nicht alle Antworten auf dem Tisch“, meint Heiß.
Valutarische Überziehungen
Bis dato gilt in Europa überwiegend T+2, das heißt, es dauert im Regelfall zwei Tage, bis das Geld aus einem Wertpapierverkauf beim Verkäufer valutarisch gutgeschrieben ist. „Ich glaube, T+2 haben wir seit den 1980er-Jahren“, erinnert sich ein Mitarbeiter aus dem Bereich Investment Services, der schon länger dabei ist. „Eigentlich ist T+2 nicht wirklich ein Problem. Was wir brauchen, ist eine Harmonisierung der valutarischen Gutschrift bei den einzelnen Produkten und auch regional.“ Das dürfte der Grund sein, warum so viele Länder bei der neuen Abwicklungsgeschwindigkeit mitmachen. Stimmt nämlich das „Alignment“ nicht, kann folgende Situation eintreten: Ein Investor verkauft ein Wertpapier und kauft aus dem Verkaufserlös ein anderes. Bei fehlen-dem Alignment kann es zu einer vorübergehenden Unterdeckung kommen, wenn die Gutschrift aus dem verkauften Papier mit T+2 erfolgt und das gekaufte Papier mit T+1 abgerechnet wird.
Banken mögen diese Situation als Geschäftsmodell zum Generieren von Zinseinnahmen betrachten, aber Investoren müssen für die Zeit der Unterdeckung Zinsen zahlen oder entsprechend Cash vorhalten – beides ist nicht effizient. Alternativ kann ein dezidiertes Liquiditätsmanagement betrieben werden, was Aufwand bedeutet.
Wustl resümiert: „Die Einführung von T+1 bringt sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich. Während Risikoreduktion und schnellere Kapitalverfügbarkeit als positive Effekte zu nennen sind, bleibt der erhöhte administrative Aufwand insbesondere im regulatorischen Bereich ein kritischer Faktor. Außerdem können Strafgebühren im Rahmen der Central Securities Depository Regulation (CSDR) und die technische Anpassung der Systeme die Kosten für Marktteilnehmer erhöhen. Die tatsächlichen Vorteile für Investoren hängen stark von ihrer individuellen Marktexposition und ihrem Abwicklungsprozess ab.“
Relevant für KVGen
Asset Manager und KVGen sind nah am Thema dran, denn sie sind auch heute schon direkt betroffen, zumindest wenn sie US-Wertpapiere handeln. „Die Umstellung von T+2 auf T+1 seit 28. Mai 2024 ist erfolgreich verlaufen. Emittenten, zugelassene Teilnehmer und Depotbanken haben im Vorfeld des 28. Mai 2024 eng zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass der Primärmarktprozess nahtlos umgesetzt werden konnte – zumindest aus Anlegersicht. Erwähnenswert ist, dass die Auswirkungen der Umstellung keine direkten Auswirkungen auf den Abwicklungszyklus des Sekundärmarkthandels von ETPs in Europa haben“, erklärt das Capital Markets Team von DWS/Xtrackers in London.
Doch das Team verweist auf Friktionen, die sich durch die unterschiedliche Abwicklungsgeschwindigkeit im Primär- und Sekundärmarkt ergeben können: „Aus Primärmarktsicht wurden beispielsweise Teilfonds mit einem 100-prozentigen Engagement in US-Wertpapieren so angepasst, dass sie mit einem Abwicklungszyklus von T+1 abgerechnet werden. Dies gilt sowohl für die zugrunde liegenden Aktien als auch für die Ausgabe und Rücknahmen der ETF-Anteile.“ Wenn diese Teilfonds an Handelsplätzen gelistet sind, die weiterhin für eine T+2-Abwicklung infrage kommen, bleibt der Abwicklungszyklus der ETF-Anteile an diesem Handelsplatz bei T+2. „Dies führt unter bestimmten Umständen bei einzelnen Fonds zu einer Diskrepanz zwischen den Abwicklungszeiträumen des Primär- und des Sekundärmarktes und damit zu Auswirkungen auf die von den Liquiditätsanbietern verwaltete Finanzierung“, so das Capital Markets Team.
Auch bei Universal sieht man die neuen Modalitäten gemischt: „In den USA waren von der Verkürzung auf T+1 nur die eigentlichen Transaktionen an der Börse betroffen. Im Binnenverhältnis einer Kapitalverwaltungsgesellschaft und ihren Kunden blieb die Abwicklung der Anteilsgeschäfte weitestgehend bei T+2“, sagt Heiß von Universal Investment und befürchtet, dass das in Europa anders wird. „Hier müsste wegen möglicher Liquiditätslücken auch die Abwicklung der Anteilsgeschäfte auf T+1 verkürzt werden, was den Aufwand, den Anpassungsbedarf und die dafür erforderlichen Investitionen zusätzlich erhöht.“ Auch das DWS-Team spricht von einer „wesentlich größeren Änderung“ für den Fall, dass der Handel von ETF-Anteilen im Sekundärmarkt in Europa auf T+1 umgestellt wird.
Ein Sprecher des BVI erklärt die Position des Fondsverbands: „Fondsgesellschaften beziehungsweise Asset Manager sollten bei der Abwicklung des Fondsanteilsscheingeschäfts weiterhin die Möglichkeit haben, eigenständig zu entscheiden, welchen Abrechnungszyklus sie nutzen möchten.“ Auch wenn Investmentvermögen, die außerhalb der Börse gehandelt werden, dann regelmäßig auch auf T+1 umstellen, sollten einzelne Asset Manager die Flexibilität eines zusätzlichen beziehungsweise eines weiteren Tages (T+2/3) für eine praxisgerechte Abwicklung erhalten, wenn dies notwendig ist. Der BVI-Sprecher erklärt, warum eine solche Spezialregelung für Fondsanteile angebracht ist: „Eine Verkürzung der Settlement-Frist für das Anteilsscheingeschäft umfasst eine noch schnellere Erstellung des Net Asset Value (NAV) unter Einbindung der Verwahrstellen. Daher ist eine Umstellung des Anteilsscheingeschäfts deutlich aufwendiger als eine rein technische Umsetzung für die Assetklassen Aktien und Renten.“ Der NAV des Handelstages sei derzeit erst an T+1 bekannt, und auch da in der Regel erst am Nachmittag.
Für Investoren kein Megathema
Auf Investorenseite stellt die raschere Abwicklung ansonsten kein Megathema dar. So winkt Anja Mikus ab: „Ein rascheres Settlement ist sicher nicht schlecht, aber das Thema hat bei uns keinen hohen Stellenwert.“ Mikus ist Vorstandsvorsitzende und Chief Investment Officer des Kenfo – Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung in Berlin. Immerhin das Risikomanagement bei den Investoren dürfte sich über das schnellere Settlement freuen. Je schneller final abgerechnet ist, desto kürzer die Dauer möglicher Unwägbarkeiten. „Für unsere Kapitalanlagestrategie hat dies keine größeren Implikationen, gleichwohl kann ein schnelleres Settlement eine Rolle spielen, wenn entsprechend kurzfristige Verpflichtungen zu erfüllen sind“, meint Karen Delvai, Global Head of Asset Management and Pension Funds bei der BMW Group in München. „Ansonsten ist die Umstellung ein großes Thema für die Depotbanken.“
Anstrengungen bei den Verwahrstellen
Die Depotbanken müssen zunächst einmal investieren. „Die Einführung schnellerer Settlement-Prozesse erfordert teils erhebliche Investitionen in die Abwicklungssysteme der Marktteilnehmer. Dies betrifft insbesondere einen hohen Automatisierungsgrad und die Standardisierung“, sagt Sebastian Marquenie, Head Securities Operations bei Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank (HAL). Doch langfristig hofft er, dass sich diese Investitionen durch optimierte Abwicklungsprozesse und geringere operative Risiken kompensieren. HAL bietet im Geschäftsfeld Asset Servicing unter anderem die Verwahrstellfunktion für deutsche und luxemburgische Fondsstrukturen an, ist also direkt betroffen. Marquenie hält es für wichtig, dass sich Dienstleister wie sein Haus auch intensiv um die regulatorischen Vorgaben und die entsprechenden Ausführungsbestimmungen kümmern. „Eine aktive Teilnahme an branchenweiten Arbeitsgruppen und Verbänden wie beispielsweise der ESMA-Projektgruppe oder dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) ist dringend zu empfehlen.“ Darüber hinaus sei eine umfassende Überprüfung der bestehenden Prozess- und Systemlandschaft erforderlich. „So lassen sich Ineffizienzen und Schwachstellen in der gesamten Abwicklungskette – von der Ordererfassung bis zur potenziellen NAV-Berechnung – identifizieren.“ Basierend auf dieser Analyse müssten Dienstleister gezielte Anpassungen vornehmen, einschließlich einer detaillierten Impaktanalyse. Gleichzeitig sei eine enge Abstimmung mit externen Partnern und Kunden notwendig, um die künftige Struktur und die Prozesse optimal auszurichten. „Um eine fristgerechte Umsetzung sicherzustellen, sollten interne Projekte zur Anpassung der Systeme frühzeitig gestartet werden. Eine transparente Kommunikation mit Kunden und Marktteilnehmern ist dabei unerlässlich, um Erwartungen zu steuern und einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten“, so Marquenie.
Angesichts dieses Aufwands könnte die Settlement-Beschleunigung dafür sorgen, dass die Konsolidierung im Bankenmarkt weiter voranschreitet. „Kleinere Marktteilnehmer könnten unter Umständen Schwierigkeiten haben, die notwendigen Anpassungen eigenständig umzusetzen“, meint Marquenie. Tatsächlich haben angesichts der Umstellung für US-Wertpapiere einige Geldhäuser bereits Büros in Asien eröffnet, um die Abwicklungsprozesse nahtlos in den verschiedenen Zeitzonen erledigen zu können. Um aber in allen drei großen Zeitzonen des Wertpapierhandels präsent zu sein, bedarf es einer gewissen Größe, was wieder für eine zunehmende Konsolidierung spricht.
Einigkeit scheint darüber zu herrschen, dass die Erhöhung der Abwicklungsgeschwindigkeit beim Wertpapier-Settlement mittel- bis langfristig Vorteile für alle Marktteilnehmer bringt: „Durch eine schnellere und effizientere Abwicklung werden insbesondere das Kredit- und das Kontrahentenrisiko reduziert, während gleichzeitig die Marktliquidität erhöht wird. Endkunden profitieren unmittelbar, da sie ihre Transaktionen schneller abschließen können und das Risiko von Verzögerungen sowie potenzielle Settlement-Risiken minimiert werden“, so Marquenie. Auch der europäische Finanzplatz werde durch die beschleunigten Prozesse seine Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich stärken, da eine effizientere Abwicklung mit höheren Standards und einer besseren Marktintegration einhergeht.
ANKE DEMBOWSKI