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3/2022 | Steuer & Recht

Diverse Herausforderungen

Diversity, Gender Equality, LGBTQ – die Diskussion rund um Diversität hat spätestens seit dem jüngsten regulatorischen Vorstoß der US-Technologiebörse Nasdaq einen neuen Höhepunkt erreicht. Stellt sich die Frage, ob die neuen Diversity-Regeln produktiv oder schädlich sind.

Diversität definiert sich  unter anderem über Geschlecht, ethnisch-kulturellen Hintergrund oder sexuelle Orientierung. Regulatorische Vorgaben machen eine kritische ­Auseinandersetzung mit dem Thema für Unternehmen, Stakeholder und Investoren von einem Nice-to-have zu einem Must-have.
Diversität definiert sich  unter anderem über Geschlecht, ethnisch-kulturellen Hintergrund oder sexuelle Orientierung. Regulatorische Vorgaben machen eine kritische ­Auseinandersetzung mit dem Thema für Unternehmen, Stakeholder und Investoren von einem Nice-to-have zu einem Must-have.© metamorworks | stock.adobe.com

Die Diskussion rund um die Gendergleichstellung trägt da wie dort skurril anmu­tende Blüten. Auf der einen Seite ein Buchstabensalat, der vor Jahren mit einem relativ simplen – und nachvollziehbaren – LGB begann und inzwischen bei Konstrukten wie LGBTIQA+ gelandet ist (Anm.: Im weiteren Verlauf des Artikels wird das Akronym LGBTQ verwendet). Auf der anderen Seite etwa die Klage eines VW-Prozessmanagers gegen die von Audi vorgegebene gendergerechte Sprache, die sich in einem Unterstrich und dem Suffix „in“ oder „innen“ äußern kann. Letztstand im Gerichtsstreit bei Redaktionsschluss: Das Landesgericht in Ingolstadt wies die Klage ab. Der Mann habe kein Recht ­darauf, mit der Schreibweise „in Ruhe ­gelassen zu werden“. Auf zur nächsten ­Instanz.

Reale Konsequenzen

Die Diskussion und den Prozess rund um Gendergleichstellung und Diversität aufs Anekdotische zu reduzieren, wäre aber ­aufgrund der sozialen und regulatorischen Aspekte und möglicherweise auch aus ökonomischen Gründen fahrlässig. Allein das Beispiel Audi zeigt, dass die Dispute rund um die aufgeladene Thematik gerichtliche Folgen haben können. Diese sind im beschriebenen Fall gering, das muss aber nicht so bleiben.

Denn nicht zuletzt aus den USA sind Schritte zu beobachten, mit denen das Thema Diversität auf die Finanzmärkte getragen wird – und zwar sowohl was das ­Geschlecht selbst als auch was die sexuelle Orientierung betrifft. So hat erst im Vorjahr die Securities and Exchange Commission (SEC) einen Vorschlag der US-Technologiebörse Nasdaq genehmigt, der neue ­Diversity-Bedingungen für ein Listing am zweitgrößten Finanzplatz vorschreibt. Das Regelwerk selbst ist seit 8. August 2022 ­anzuwenden und gilt mit Abstrichen nicht nur für US-amerikanische, sondern auch für internationale Unternehmen, die an der ­Nasdaq über ein Listing verfügen.

Doch wie radikal sind diese Regeln ­wirklich? Folgt man der medialen Berichterstattung, der monatelangen politischen Debatte im Vorfeld und den wütenden ­Reaktionen der Republikaner im Nachhall, müsste es sich um eine veritable Revolution handeln, wird von den Unternehmen laut CNBC doch verlangt, „Zielvorgaben im ­Bereich ethnischer Herkunft und Geschlecht zu erfüllen“. Demnach müssen Nasdaq-­Unternehmen zumindest ein weibliches Mitglied aufweisen und eines, das einer ­ethnischen Minderheit entstammt oder zur LGBTQ-Community gehört.

Langjähriger Prozess

Die Regeln gelten für alle größeren ­Unternehmen aus den Segmenten Global Select, Global Markets und Capital Markets, die seit 6. August 2021 an der Nasdaq notieren. Umgesetzt werden sie in einem Drei-Phasen-Prozess. Ab 8. August müssen die Unternehmen die sogenannte Board ­Diversity Matrix ausfüllen, die über den jeweiligen Status quo Aufschluss gibt. Diese Matrix ist in der Folge einmal pro Jahr zu aktualisieren. Per 7. August 2023 müssen alle Nasdaq-Unternehmen nachweisen, dass sie ihren Verwaltungsrat mit zumindest ­einem diversen Direktoriumsmitglied beschickt haben. Per 6. August 2025 muss für Unternehmen aus dem Nasdaq Global ­Select oder dem Global Markets ein zweites diverses Mitglied bestellt sein. Unternehmen aus dem Capital Market haben dafür ein Jahr länger Zeit.

Vehemente Reaktionen

Dazu zwei Details am Rande – erstens: Laut einer Nasdaq-Studie aus dem Jahr 2020 hätten 75 Prozent der dort gelisteten Unternehmen diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Und zweitens: In Norwegen besteht seit 2006 eine Aufsichtsratsfrauenquote von 40 Prozent, in Deutschland sind es immerhin 30. Doch nicht nur sind die Nasdaq-­Anforderungen – zumindest in Bezug auf die Frauenpräsenz – gering, sie sind auch verwässert, da es sich bei der Vorgabe um keine Bedingung für ein Listing handelt: ­Alternativ zur Beschickung diverser Verwaltungsratsdirektoren können die Unternehmen fristgerecht schlicht erklären, warum sie die Beschickung unterlassen haben.

Angesichts dieser relativ moderaten ­Diversity-Vorgaben erstaunen die markanten öffentlichen Reaktionen aus Politik und Finanzwirtschaft sowohl in ihrer positiven als auch in ihrer kritischen Ausformung umso mehr. So feierte die Nasdaq das SEC-Placet mit den Worten: „Die neuen Diversity-Regeln spiegeln die Erwartungen einer überwältigenden Mehrheit an Aktionären und Stakeholdern wider, wonach sowohl die Governance also auch die Performance der Unternehmen erhöht wird.“

Etwas anders sah man das im republi­kanischen Flügel des Senate Banking Committee. Dessen Fraktionsführer Pat Toomey zeigte sich erzürnt: „Ich bin vom SEC-­Vorsitzenden Gary Gensler enttäuscht. Er macht aus einer Aufsichtsbehörde ein ­Labor für progressives Social Engineering.“ Und weiter: „Indem die Nasdaq Diversity über ethnische Herkunft, Geschlecht und sexu­elle Ausrichtung definiert, werden diese Unternehmen unweigerlich dazu gezwungen, bei der Besetzung der Verwaltungsräte zu­gunsten von Diversity auf Wissen, Erfahrung und Expertise zu verzichten.“

Untersucht

Doch ist das tatsächlich so? Führt positive Diskriminierung dazu, dass sich die Qualität des Managements verschlechtert, weil die Auswahlkriterien verzerrt werden und sich der Pool an auszuwählenden Kandidaten aufgrund dieser Auslesemechanismen künstlich verkleinert? Zwei aktuelle Untersuchungen haben sich dem Thema angenommen, wobei eine sich den ökonomischen Auswirkungen der Gendergerechtigkeit zwischen Mann und Frau widmet, während die zweite spezifisch auf die Inklu­sion der LGBTQ-Community eingeht.

Zunächst zu den Erkenntnissen der Arbeit „Does Mandatory Board Gender Balancing Reduce Firm Value?“. Unter Federführung von B. Espen Eckbo vom Dartmouth College wurde gemeinsam mit Knut Nygaard von der Oslo Metropolitan University und Karin S. Thorburn von der Norwegian School of Business der Case Norwegen untersucht. Das Paper, das im Februar 2022 im Rahmen der „ECGI Working Paper Series in Law“ erschienen ist, widmet sich also sowohl zeitlich als auch thematisch ziemlich genau dem Einwand des Republikaners, „wonach vorgegebenes Gender-Balancing unbeabsichtigte positive oder negative Nebeneffekte auf den Firmenwert haben könnte“, wie Eckbo im Vorwort konstatiert.

Die Autoren fokussieren dabei auf das „quasi natürliche Experiment der norwegischen Genderquoten“ – und das aus meh­reren Gründen: Zum Ersten hat die SEC bei ihrer Argumentation auf Forschung zu ebendiesen norwegischen Regeln hingewiesen, die wie erwähnt bereits 2006 eingeführt wurden und bei börsennotierten Unternehmen eine Frauenquote von 40 Prozent im Aufsichtsrat vorsehen. Zum Zweiten „wurden die Regeln höchst unerwartet eingeführt“, wie Eckbo erklärt. Das bedeutet, Verwässerungseffekte durch fließende Übergänge, in denen sich Unternehmen an ­bevorstehende Regeln anpassen, fallen weg – es kann eine saubere Abgrenzung des ökonomischen Zustands vor und nach der Einführung des Regelwerks vorgenommen werden. Dass die drei Autoren außerdem über norwegische Wurzeln verfügen, dürfte bei der Auswahl des ­Studienobjekts ebenfalls eine Rolle gespielt haben.

Performance

Die Autoren untersuchen ­jedenfalls verschiedene performative Finanzkennzahlen und Aspekte, die durch die Equality-Regeln beeinflusst hätten werden können. Dazu gehören die Identifizierung von allfälligen abnormalen Aktienerträgen und allfällige Veränderungen der operativen Profitabilität.

Um die Langfristperformance des norwegischen Aktienmarktes auf Effekte des Gleichberechtigungsaktes hin zu prüfen, haben die Autoren drei gleichgewichtete Portfolios entworfen. Das erste Portfolio umfasst Unternehmen, deren Verwaltungs- oder Aufsichtsrat vor der Ankündigung des neuen Regelwerks nur aus Männern bestanden hat. Im zweiten Portfolio befinden sich die Unternehmen, in deren Aufsichtsgremien zumindest eine Frau präsent war. Im Rahmen eines Modells, das die Fama-French-Faktoren Size und Value berücksichtigt, werden die abnormalen Erträge der beiden Portfolios sowie die einer dritten Strategie erhoben, die das Portfolio, das am stärksten von den Änderungen betroffen war – also nur Männer im Gremium –, ge- und das andere Portfolio verkauft hat. „Für alle drei Portfolios waren die abnormalen Erträge statistisch nicht signifikant. Das bedeutet, dass es selbst für das Long-Short-Portfolio keine langfristig abnormale Performance gibt.“

Profitabilität

Untersucht wurde auch die langfristige operative Profitabilität. Als Näherungsvariable gilt der ROA, also der Return on Assets, der sich über das EBIT im Verhältnis zu den gesamten Vermögenswerten errechnet. Die zugrunde liegende Annahme: Hätten die Genderregeln negative Auswirkungen auf Profitabilität, müsste man ab deren Einführung einen Rückgang beim ROA beobachten können.

Über eine Difference-in-Difference-Regression wird die Entwicklung der Profitabilität von börsennotierten Unternehmen, die von dem Regelwerk betroffen waren, und großen nicht börsenotierten Unternehmen, die nicht unter das neue Regelwerk fielen, verglichen. Unter Berücksichtigung von diversen Kontrollvariablen „konnte kein Effekt gefunden werden, der zu einer unterschiedlichen Entwicklung der Profitabilität führt“, erklärt Eckbo, der zu dem Schluss kommt, dass „der Pool an qualifizierten weiblichen Direktoriumskandidatinnen groß genug war, um negative ökonomische Effekte zu vermeiden“.

Doch wie sieht es aus, wenn man die Vorgaben weiter zuspitzt und auf die Auswirkungen von LGBTQ-freundlicher Firmenpolitik generell ausweitet? Auch hier hat sich ein skandinavisches Forscherteam hervorgetan – diesmal aus Finnland. Veda Fatmy, John Kihn und ­Sami Vähämaa, allesamt von der Universität Vaasa, sowie Jukka Sih­vonen, der an der Universität Aalto wirkt, haben die Arbeit „Does Lesbian and Gay Friendliness Pay Off? A New Look at LGBT Policies and Firm Performance“ verfasst.

Das Team hat im Gegensatz zu den norwegischen Kollegen die Entwicklung von Unternehmen analysiert, die in den USA notiert sind. Untersucht haben sie nicht Trends, die unter Umständen von regulatorischen Vorgaben losgetreten wurden, sondern solche, die sich aufgrund freiwilliger Implementierung von LGBTQ-freundlicher Firmenkultur auf die Performance und ­Effizienz eines Unternehmens ergeben ­haben. Bei der Messung der LGBTQ-Freundlichkeit haben sich die Autoren am Corporate Equality Index (CEI), der von der US-amerikanischen Stiftung Human Rights Campaign erstellt wird, orientiert. An den Firmenwert nähert sich das Team über das Tobin’s Q an. Bei der Profitabilität bedienen sie sich des ROA.

Soziale Einbettung

Tatsächlich ergibt sich eine statisch hoch relevante Korrelation zwischen der Höhe des CEI und Firmenwert sowie Profita­bilität (siehe Tabelle „Positive Effekte“). Allerdings können LGBTQ-freundliche Strategien nicht ohne Umfeld gesehen werden. Splittet man die Unternehmenssitze nämlich nach „liberal“ und „konservativ“ auf, wobei die Wahlresultate der betreffenden Bundesstaaten für die Zuordnung ausschlaggebend sind, so sind die Effekte in Bundesstaaten, in denen es eine republikanische Mehrheit gibt, deutlich weniger stark ausgeprägt (siehe Tabelle „Eine Frage des Umfelds“) als in Bundesstaaten mit demokratischer Mehrheit. Allfällige Vorteile, die sich aus einer offeneren Firmenkultur ergeben, schwinden also, wenn die gesellschaftlichen Rah­menbedingungen nicht korrespondieren – entsprechend verhalten könnten die positiven ökonomischen Effekte von regu­latorischen Vorgaben sein, wenn das soziale Umfeld konservativ ist.

Hans Weitmayr

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