China als Krypto-Labor
Während die USA die Einführung einer nationalen Kryptowährung verbieten und Bitcoin als Fed-Reserve zulassen, zieht China eine erste – durchwachsene – Bilanz zur großflächigen Einführung des e-CNY.
Zunehmend schwierig wird es dieser Tage, eine Markteinschätzung vorzunehmen, in der der Name „Donald Trump“ nicht vorkommt. Das gilt auch für das Segment der Kryptowährungen. Hier hat der US-Präsident gleich an drei Fronten zugeschlagen. Erstens mit der Emission einer eigenen Meme Coin: „$Trump“: Dieser soll laut Angaben der „Financial Times“ in den ersten drei Wochen nach dem Start im Januar 350 Millionen Dollar eingebracht haben. Kritiker werfen Trump jetzt vor, durch den Verkauf der Token nicht nur persönlich zu profitieren, sondern auch Kleinanleger auszunutzen und anonyme Spenden zu ermöglichen. Trumps Kryptowährung selbst hat keinen praktischen Nutzen und kann nicht für Transaktionen verwendet werden – ihr Wert basiert wie bei Meme Coins üblich ausschließlich auf Spekulation.
Kryptojonglierkünste
Der Ablauf gestaltete sich im konkreten Fall folgendermaßen: Ein Trump-Account hatte zunächst eine Milliarde $Trump-Coins erstellt, von denen nur 200 Millionen auf den Markt kamen. Der Großteil dieser Coins landete in einem sogenannten Liquidity Pool auf der Solana-Blockchain, wo sie gegen Stablecoins gehandelt wurden. Trumps Team zog bereits am 5. Februar 350 Millionen Dollar aus dem Pool ab, reinvestierte jedoch später 291 Millionen davon. Zusätzlich wurden weitere Coins an Kryptobörsen wie Binance, Bybit und Coinbase transferiert.
Von den ursprünglich freigegebenen Coins sollen noch rund 31 Millionen auf mit Trump verbundenen Wallets liegen. Rechnet man die bislang nicht freigegebenen 800 Millionen hinzu, hält das Projektteam insgesamt 831 Millionen $Trump-Coins. Die „Financial Times“ schätzt den Gesamtwert dieser Coins auf etwa 10,8 Milliarden Dollar – basierend auf dem aktuellen Kurs.
Der Preis der $Trump-Coin schwankt dabei stark. Anfangs wurden die ersten 100 Millionen Token für weniger als 1,05 Dollar pro Stück verkauft, der Kurs stieg zeitweise auf 75 Dollar, fiel dann jedoch um 82 Prozent und liegt derzeit bei rund 20 Dollar pro Coin (siehe Chart „Cui bono?“).
Über die Makro-Ebene sorgte der US-Präsident wiederum bei Bitcoin für massive Kursschwankungen. Diese waren ein Resultat der Ankündigung, Bitcoin als Teil der US-Währungsreserven zu halten. Außerdem veranlasste er, dass es in Hinkunft keine nationale Kryptowährung (Central Bank Digital Currency, CBDC) für die USA geben sollte. Bitcoin explodierte in der Folge auf über 100.000 US-Dollar. Als mit der Unterzeichnung des Dekrets wiederum klar wurde, dass die USA zwar Bitcoin halten würden, sich die Menge der bereits gekauften Krypto-Assets aber nicht erhöhen würde, setzte eine Marktbereinigung ein, die den Bitcoin-Kurs auf 80.000 Dollar drückte.
Trotz des erratischen Klein-Kleins hat Trump Kryptos mit seinem Bitcoin-Dekret als staatlich relevante Assets positioniert. Für die Zukunft stellt sich aber die Frage:?In welcher Form? Aus europäischer Sicht bieten sich nach den beschriebenen Ereignissen jedenfalls zwei Case Studies zur Evaluation an: Bitcoin als Reserve à la USA oder – weniger spektakulär, aber zumindest von gleicher Bedeutung – doch die Einführung einer CBDC à la China. Die Volksrepublik hat nämlich relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit in einem Pilotprojekt den e-CNY eingeführt. Über die ersten Resultate berichtet nun ein Autorenteam rund um Lin William Cong vom Cornell SC Johnson College of Business, der unter anderem auch für NBER publiziert und forscht. Der Titel des Papers: „Adoption of Central Bank Digital Currencies: Initial Evidence from China“. Im Gegensatz zu den bislang – durchaus zahlreich – veröffentlichten Modellstudien „stellt dieses Paper die erste große empirische Erfassung einer tatsächlich durchgeführten Implementierung von digitalem Zentralbankgeld dar“, wie Cong ausführt.
Mehrphasige Einführung
Die erste groß angelegte e-CNY-Pilotphase begann im April 2020, es wurden Tests in den Städten Shenzhen, Suzhou, Xiong’an und Chengdu durchgeführt. Zudem wurde der digitale Renminbi während der Olympischen Winterspiele eingesetzt. Im Oktober 2020 folgte eine zweite Welle, die weitere Städte wie Shanghai, Hainan, Changsha, Xi'an, Qingdao und Dalian umfasste. Die sukzessive Ausweitung der Testphase setzte sich auch in den folgenden Jahren fort, sodass bis August 2024 insgesamt 17 Provinzen in das Testnetz aufgenommen wurden. „Parallel zur Implementierung wurden gezielte Maßnahmen ergriffen, um die Akzeptanz der Digitalwährung zu fördern“, rekapituliert Cong. In den Pilotregionen setzten die lokalen Regierungen etwa auf die Verteilung von e-CNY in Form digitaler „Roter Umschläge“, die in einer Lotterie vergeben wurden. Die Empfänger konnten diese digitalen Gutscheine für Einkäufe im Einzelhandel oder für die Aufladung von Transportkarten nutzen, eine Auszahlung als Bargeld war jedoch nicht möglich.
Akzeptanz und Nutzung
Nach den ersten Promotionskampagnen begannen sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen, e-CNY als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Besonders in Städten, die aktiv in die Testphase eingebunden waren, entwickelte sich eine steigende Nutzung. Ein Beispiel dafür ist die U-Bahn-Linie 5 in Suzhou, deren Ticketautomaten seit Juni 2021 den digitalen Renminbi als Zahlungsmittel unterstützen. Anfang 2022 wurde e-CNY erstmals für die Auszahlung von Arbeitslosengeld in Shanghai eingesetzt. Ein weiteres bemerkenswertes Anwendungsbeispiel fand im März 2022 in der Provinz Hainan statt, wo e-CNY als Zahlungsmittel in eine Kampagne zur Förderung von Elektrofahrzeugen integriert wurde. Kunden konnten die Digitalwährung zur Reduzierung von Anzahlungen nutzen, was zu einer steigenden Nutzung in diesem Bereich führte.
Statistische Erhebungen belegen eine wachsende Akzeptanz des e-CNY in verschiedenen Regionen Chinas. Beispielsweise wurden in Hangzhou bis Juli 2022 insgesamt 5,64 Millionen Transaktionen abgewickelt, wobei fast 14 Millionen e-CNY-Wallets erstellt wurden. Der erzielte Umsatz lag bei 491 Millionen Yuan. Eine noch stärkere Nutzung verzeichnete Wenzhou, wo im März 2024 über 88 Millionen Transaktionen durchgeführt wurden. Die Zahl der erstellten Wallets überstieg 52 Millionen, und der Gesamtumsatz belief sich auf 5,96 Milliarden Yuan. Auch in Shenzhen zeigte sich ein deutlicher Trend zur Nutzung des e-CNY: Bis Dezember 2023 wurden mehr als 84 Millionen Transaktionen erfasst, wobei der Umsatz drei Milliarden Yuan erreichte. Laut Angaben der People’s Bank of China (PBOC) belief sich die Gesamtzahl der e-CNY-Transaktionen bis Mai 2024 auf insgesamt 6,6 Billionen Yuan. Dennoch bleibt der e-CNY im Vergleich zu etablierten Zahlungsmethoden marginal. Der Umlaufwert des e-CNY betrug im Juni 2023 lediglich 0,16 Prozent der gesamten M0-Geldmenge, was verdeutlicht, dass die Digitalwährung trotz wachsender Akzeptanz noch nicht zu einer umfassenden Alternative für bestehende Zahlungssysteme geworden ist.
Herausforderungen
Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Dominanz bestehender elektronischer Zahlungssysteme wie Alipay und WeChat Pay. Diese Plattformen haben den chinesischen Zahlungsverkehr weitgehend digitalisiert, sodass der e-CNY im Vergleich kaum zusätzliche Vorteile bietet. Hinzu kommt der hohe regulatorische Aufwand, der mit der Implementierung verbunden ist. Die PBOC, die lokalen Regierungen sowie die teilnehmenden Banken müssen erhebliche finanzielle und organisatorische Ressourcen aufwenden, um den digitalen Renminbi zu etablieren.
Ein weiterer Hemmschuh liegt in den fehlenden Anreizen für Verbraucher. Da der e-CNY keine wesentlichen Vorteile gegenüber bestehenden Zahlungsmethoden bietet, ist die Bereitschaft zur Nutzung gering. Auch für Banken stellt die Digitalwährung ein eher unattraktives Instrument dar, da sie keine Zinserträge generieren oder für Kreditvergaben genutzt werden kann.
Darüber hinaus fehlt es dem e-CNY an zusätzlichen Funktionen, die ihn von anderen digitalen Zahlungsformen abheben könnten. Während WeChat Pay und Alipay eine Vielzahl an Zusatzdiensten wie Chat- und Videoanwendungen, personalisierte Kaufempfehlungen und Finanzprodukte anbieten, beschränkt sich der e-CNY derzeit rein auf die Zahlungsabwicklung.
„Trotz dieser Herausforderungen bleibt die chinesische Regierung bestrebt, den e-CNY schrittweise auszuweiten. Neben der nationalen Verbreitung wird auch eine internationale Nutzung angestrebt. Der digitale Renminbi könnte künftig als universelles Zahlungsinstrument fungieren, insbesondere in grenzüberschreitenden Transaktionen. China betrachtet den e-CNY zudem als strategisches Mittel zur Stärkung der eigenen Währung im globalen Handel. Während der Renminbi im Jahr 2010 noch auf Platz 35 der weltweit meistgenutzten Währungen rangierte, ist er mittlerweile auf den fünften Platz aufgestiegen. Die Einführung des e-CNY könnte diesen Trend weiter verstärken und dazu beitragen, die Abhängigkeit vom US-Dollar im internationalen Handel zu reduzieren“, fasst Cong zusammen.
Sollbruchstellen
Diese Einschätzung, dass sich abseits des Dollars neue Währungsnetzwerke bilden, wird auch von anderen Quellen geteilt. So meint David Krause, Emeritus Associate Professor of Finance an der Marquette University in Milwaukee, der im Bereich Kryptos und CBDC eine hochaktive Publikationstätigkeit ausübt, „dass die Entscheidung der USA, CBDCs zu verbieten, die Entwicklung alternativer Finanzsysteme außerhalb der USA-Währungsdominanz beschleunigt und zu einer Verschiebung hin zu dezentralisierten und regional autonomen Finanznetzwerken beiträgt“.
Damit erhält auch die These des Starökonomen Russell Napier neue Nahrung, der von einem Ende des aktuellen US-Dollar-dominierten, de facto unilateralen Währungssystems ausgeht (siehe auch?„Unser Währungssystem steht vor dem Ende“,?IM-Ausgabe 2/2024). Der Schotte, der sich kurz vor der großen Finanzkrise mit „Anatomy of the Bear“ einen Namen gemacht hat, geht davon aus, dass die aktuelle Weltwährungsordnung binnen kürzester Zeit auseinanderbrechen und sich in eine US-Dollar- und eine Yuan-dominierte Hemisphäre teilen wird. „Dieses neue Währungssystem wird in zwei Jahren kommen, weil China so nicht weitermachen kann“, erklärt Napier, der auf dem Institutional Money Kongress 2025 in Frankfurt eine Keynote mit dem Titel „Eine neue Weltordnung“ halten wird.
Spannend wird sein, wo sich Europa einordnet. Sowohl die EZB also auch Nicht-Euro-Notenbanken forschen seit Jahren an CBDCs, wobei das Thema „Privatsphäre vs. Anwendernutzen“ ein ähnlich großes Problemfeld darstellt wie die Frage, ob sich die Notenbanken mit der Einführung von CBDCs und den damit verbundenen Dienstleistungen nicht letzten Endes und unerwünschterweise als Konkurrenten zum herkömmlichen Bankensektor entwickeln würden.
Eine der Lehren aus dem chinesischen Feldversuch könnte aber auch sein, dass man es letzten Endes ganz bleiben lässt, da die Konsumenten sich trotz zahlreicher Incentives kaum von einem Mehrwert des Krypto-Yuan überzeugen ließen. Und letzten Endes sollte die breite Annahme durch die Bevölkerung das Hauptanliegen einer derartigen Lancierung sein.
Hans Weitmayr