Betriebsrentner im Regen
Die nationale Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie erleichtert EU-weite Sitzverlegungen und Verschmelzungen von Unternehmen ins Ausland. Allerdings könnte dies Betriebsrentnern aus Deutschland in Einzelfällen das Leben erschweren.
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) legte am 20. April 2022 einen Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Umwandlungsrichtlinie UmRUG (EU 2019/2121) und am 6. Juli den entsprechenden Regierungsentwurf vor. Damit sollen grenzüberschreitende Unternehmensumwandlungen – also Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel – europaweit harmonisiert und effizienter gestaltet werden. Doch der Gesetzentwurf führt auch zu Kritik, denn hier stehen sich zwei Ansprüche gegenüber: auf der einen Seite Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit von EU-Bürgern und -Unternehmen, auf der anderen Seite der Schutz von Arbeitnehmern, was ihr Mitbestimmungsrecht und ihre Ansprüche auf Betriebsrenten betrifft. Diese Ansprüche sehen Kritiker nun gefährdet.
Wie alle EU-Länder muss auch Deutschland die EU-Richtlinie spätestens bis zum 31. Januar 2023 in nationales Recht umsetzen. Dieser Verpflichtung will die Bundesrepublik mit dem Gesetzesvorhaben nachkommen. Dazu wurden im Referenten- und Regierungsentwurf eine Reihe von Erleichterungen für grenzüberschreitende Unternehmensumwandlungen innerhalb der EU vorgesehen, die darüber hinaus in Teilen auch für rein nationale Umwandlungsvorgänge übernommen wurden.
EU-weite Kompatibilität
Ziel der EU-Umwandlungsrichtlinie ist es, die Effizienz bei Sitzverlegungen und Verschmelzungen zu steigern, damit sich Unternehmen neue Märkte und Geschäftsmodelle erschließen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern können. Beispielsweise soll Folgendes eingeführt werden:
• ein Verfahren, bei dem die beteiligten Handelsregister europaweit digital miteinander kommunizieren.
• eine Novelle der Vorschriften zum Schutz der Minderheitsgesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer
• Modernisierung und Beschleunigung des Spruchverfahrens, bei dem es um Ausgleichs- und Abfindungszahlungen bei Strukturmaßnahmen geht, ohne die Rechte der Verfahrensbeteiligten zu beschneiden
• eigene Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen ihrer Arbeitgeber auf frühzeitige und umfassende Information über das Umwandlungsvorhaben, um ihre Rechte effektiv wahrnehmen zu können
• Die Prüfpflichten des Registergerichts werden substanziell erweitert. Insbesondere muss das Registergericht nun im Rahmen einer Missbrauchskontrolle prüfen, ob die grenzüberschreitende Verschmelzung zu missbräuchlichen, betrügerischen oder kriminellen Zwecken vorgenommen werden soll, bevor es die Bescheinigung über die Eintragung erteilt.
„Es ist sinnvoll, den europäischen Markt für Unternehmenstransaktionen einfacher zu gestalten. Wir haben freien Güter- und Personenverkehr und einen einheitlichen Währungsraum. Da sollten sich auch produktive Unternehmen innerhalb der EU frei bewegen können“, meint Tilo Kraus, Geschäftsführer der Vedra Pensions GmbH, die in Deutschland Rentnergesellschaften übernimmt und verwaltet. „Doch der Schutz der Mitarbeiter und vor allem auch der Pensionäre darf durch solche Transaktionen natürlich nicht ausgehöhlt werden“, gibt Kraus zu bedenken.
Kritik am Gesetzentwurf
Die Kritik am Gesetzentwurf bezieht sich überwiegend auf die mögliche Einschränkung von Mitbestimmungsrechten, die eine Sitzverlegung mit sich bringen kann – das ist der größte Einwand von gewerkschaftlicher Seite. Sie bezieht sich aber auch auf die schwierigere Sicherung von Betriebsrentenansprüchen – das ist die Kritik von Einrichtungen zur betrieblichen Altersvorsorge und des Pensions-Sicherungs-Vereins (PSVaG), der in Deutschland und Luxemburg für die Insolvenzsicherung von Betriebsrenten zuständig ist.
Schwierige Rechtsverfolgung
Auf seiner ordentlichen Mitgliederversammlung am 8. Juni kritisiert der Pensions-Sicherungs-Verein (PSVaG) den bis dahin vorliegenden Referentenentwurf. „Bei bestimmten Fällen von grenzüberschreitenden Umwandlungen sehen wir Gefahren für die betroffenen Versorgungsberechtigten und für die Durchführung der gesetzlichen Insolvenzsicherung“, erklärt Dr. Marko Brambach, Mitglied des Vorstands beim PSVaG. Dies gelte insbesondere dann, wenn kein Rechtsträger mehr in Deutschland verbleibt. „Bei Umwandlungen oder Verschmelzungen ins Ausland kommen die für Spaltungsvorgänge geltenden Haftungsregelungen nicht zum Tragen“, kritisiert Brambach. Er sieht hier Missbrauchsmöglichkeiten, die zu schwierigen Rechtsverfolgungen in einem anderen europäischen Staat zulasten der Versorgungsberechtigten oder des PSVaG führen und im letzteren Fall die Solidargemeinschaft der Mitglieder belasten würden.
Auf Nachfrage von Institutional Money erklärt Brambach, in welchen Fällen er die Rechte von Arbeitnehmern gefährdet sieht: „Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung werden während des Arbeitsverhältnisses erworben und kommen mitunter erst Jahrzehnte später im Versorgungsfall zum Tragen. Hat der Arbeitgeber zwischenzeitlich seinen Sitz ins Ausland verlagert, muss dieser zwar grundsätzlich die Ansprüche weiter erfüllen. Im Fall einer Insolvenz müssen aber Ansprüche, die nicht über den PSVaG insolvenzgeschützt sind, vom Arbeitnehmer in einem ausländischen Insolvenzverfahren angemeldet und durchgesetzt werden. Dies kann faktisch für Versorgungsberechtigte im Rentenalter eine hohe Hürde darstellen.“
Kraus macht deutlich, wo die Schwierigkeiten entstehen könnten: „Stellen Sie sich vor, Sie müssten in einem anderen Rechtssystem und in einer fremden Sprache Ihre ohnehin schon komplexen Ansprüche aus der bAV gerichtlich erstreiten. Da ist der normale Arbeitnehmer einfach überfordert“, meint er.
Missbrauchsmöglichkeiten
Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. (aba), sieht nicht nur die Ansprüche von Versorgungsberechtigten geschmälert, sondern er ortet auch Gefahren für die Schutzeinrichtungen: „Die der Insolvenzsicherungspflicht unterliegende betriebliche Altersversorgung ist auch bei einer Sitzverlegung ins Ausland im Fall der Unternehmensinsolvenz des dann ausländischen Rechtsträgers durch den PSVaG geschützt. Es besteht aber die Gefahr, dass durch die geplanten neuen gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten ein Missbrauch der Insolvenzsicherung zulasten des PSVaG und damit der Solidargemeinschaft seiner deutschen und luxemburgischen Mitglieder ermöglicht wird.“ Er erklärt, warum die Solidargemeinschaft betrogen werden kann: „Bei internationalen Umwandlungsvorgängen fehlen die zwingend erforderlichen Schutzvorschriften, die sich bei nationalen Umwandlungsvorgängen seit Langem bewährt haben.“
Für Fälle, in denen kein Rechtsträger in Deutschland verbleiben wird, schlägt Stiefermann vor, dass für den Zeitraum von zehn Jahren eine ausreichende Vermögensmasse in Deutschland einzurichten ist, auf die versorgungsberechtigte Arbeitnehmer und im Fall der Insolvenz des ausländischen Rechtsträgers der PSVaG zugreifen könnten.
„In Betracht kämen mittelbare Versorgungsträger der betrieblichen Altersversorgung ebenso wie die Sicherstellung einer Haftungsmasse im Finanzbereich“, so Stiefermann. Er begründet dies wie folgt: „Es kann nicht sein, dass schwierige Rechtsverfolgungen in einem anderen europäischen Staat zulasten der Arbeitnehmer oder des PSVaG und damit zulasten der Solidargemeinschaft seiner Mitglieder gehen.“
Rentnergesellschaft als Lösung
Kraus hat ebenfalls einen Lösungsvorschlag: „Ein Unternehmen, das den deutschen Markt verlässt und noch ausstehende Rentenzusagen hat, kann seine Pensionszusagen in eine Rentnergesellschaft ausgliedern.“ Diese hätte quasi nur noch Pensionsverbindlichkeiten auf der Passivseite und die entsprechenden Finanzanlagen auf der Aktivseite. Kraus ergänzt: „Mit einem langfristig orientierten Anlageansatz können Sie mit einer hinreichend hohen Wahrscheinlichkeiten alle Renten bezahlen. Eine solche Rentnergesellschaft können Sie allerdings nur für die inaktiven Mitarbeiter aufsetzen. Für die Aktiven müssen Sie in der neuen Firma ein neues System für die Rentenzusagen finden.“ Hier empfiehlt er generell ein voll kapitalgedecktes System mit reiner Beitragszusage, ähnlich wie die 401(k)-Pläne in den USA. „Alles andere enthält zu viele Ungewissheiten, die bei Firmentransaktionen schwierig zu bewerten sind.“
„Unzureichendes Verständnis“
Offenbar hat ein Verband der Versicherungskaufleute zu dem Thema verkündet, dass insbesondere von betroffenen Rentenanwärtern eine mögliche Sicherheit „aktiv eingefordert werden“ könne, wenn die Arbeitgeberin durch Fusion ins Ausland abwandert. Dieser Sichtweise widerspricht Rechtsanwalt Johannes Fiala: „Dieser Irrglaube beruht auf dem unzutreffenden Verständnis, wonach Anwartschaften auf künftig fällig werdende Leistungen eben noch keine vollwertigen Forderungen sind.“ Der Jurist hält sie für „betagt“, weil eben erst irgendwann in der Zukunft die Fälligkeit eintreten wird.
Fiala erklärt, dass regelmäßige Rentenansprüche erst dann zu ratierlich fälligen Forderungen werden, wenn der Versorgungsfall eintritt. „Gesetzlich kann für diese im Voraus keine Sicherheit verlangt werden. Vertraglich handelt es sich oft um eine Gestaltungslücke oder eine nicht erkannte Option“, so Fiala. Lediglich im Fall einer Insolvenz der Arbeitgeberin würden auch die „betagten“ Forderungen gesetzlich als fällig fingiert.
„Bereits heute können Gläubiger auch bei nationaler Umwandlung erst nach eingetretener Fälligkeit Sicherheitsleistungen verlangen“, so Fiala. Er fordert, dass bei grenzüberschreitender Umwandlung die Gläubiger bis zur Stellung von Sicherheiten künftig die Eintragung der Verschmelzung im Firmenregister verhindern können sollen. „Bis dahin sollte das Registergericht keine Verschmelzungsbescheinigung erteilen“, fordert Fiala.
Höhe der Sicherheiten ungeklärt
Die Frage sei aber auch, wie hoch die Sicherheiten für eine Betriebsrente sein müssten, wenn beispielsweise solche Sicherheiten aus einer fälligen Rückdeckungsversicherung zur Verfügung stehen und der Arbeitgeber eine sukzessive Pfandfreigabe wünscht. „Nicht nur eine Firmenfusion ins Ausland, sondern auch die Fälligkeit einer Rückdeckungsversicherung sowie die Auslagerung der bAV durch die Arbeitgeberin bieten sich als Anlass dafür an, die Frage nach der Höhe von bAV-Kreditsicherheiten als Arbeitnehmer zu prüfen“, meint Fiala.
Anke Dembowski