Logo von Institutional Money
1/2022 | Produkte & Strategien

»Wir stehen vor einer Zeitenwende«

Auch die Immobilienbranche wird nicht umhinkommen, sich nachhaltiger aufzustellen. Wir haben mit drei renommierten Consultants über die Konsequenzen gesprochen, die das für das Portfolio eines institutionellen Investors haben wird.

Oben v. l. n. r.: Markus Bell, Bell Management Consultants | Eitel Coridaß, RMC Risk-Management-Consulting | Stefan Stute, Wüest Partner. 
Unten v. l. n. r.: Hans Heuser, Institutional Money | Ferdinand Haas, Institutional Money.
Oben v. l. n. r.: Markus Bell, Bell Management Consultants | Eitel Coridaß, RMC Risk-Management-Consulting | Stefan Stute, Wüest Partner. 
Unten v. l. n. r.: Hans Heuser, Institutional Money | Ferdinand Haas, Institutional Money.© CORNELIS GOLLHARDT, Christoph Hemmerich, Günter

Nichts bleibt, wie es ist. Inzwischen wissen die Marktteilnehmer, dass das auch in Bezug auf die Niedrigzinsphase gilt. Mit der Mitte März verkündeten Entscheidung der amerikanischen ­Notenbank, den Leitzins um ein Viertelprozent anzuheben, ist die Zinswende eingeläutet. Und mit einer Reihe weiterer Zinsschritte ist im weiteren Jahresverlauf trotz möglicher Belastungen der Wirtschaft zu rechnen – und sogar mit dem ­Risiko einer Rezession. Auch wenn die EZB sich aktuell noch zurückhält, könnte es bis Ende 2022 auch in Europa zu einer ersten Anhebung des Leitzinses kommen. Kein Wunder, dass Immobilieninvestoren aufhorchen.

Trotzdem munter weiter nach attraktiven Immobilien fürs institutionelle Depot suchen, weil auf der Anleihenseite noch immer nichts zu holen ist und vor allem die Realverzinsung nach wie vor negativ ist? Das könnte bedeuten, dass man die Rechnung ohne den Wirt macht. Denn wie ein zentrales Thema des folgenden Round­table-Gesprächs mit drei Consultants der Immobilienbranche zeigt, ist die Risikobewertung von Immobilieninvestments in einer Art neuen Dimension angekommen. Neben den Komponenten Zinsen und Inflation kommt ein neuer Faktor hinzu, durch den die Karten neu gemischt werden: Nachhaltigkeit. Sie wurde bisher eher als eine Art Pflichtübung betrachtet, die man getrost an die Marketingabteilung delegieren kann. Inzwischen wird aber immer mehr Investoren bewusst: Dieses Delegieren würde künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem bösen Erwachen führen.

Hans Heuser: Ohne gleich zu Beginn über einzelne Nutzungsarten von Immobilien zu sprechen: Was wird die künftige Entwicklung der Branche insgesamt bestimmen?

Eitel Coridaß: Der Immobilienmarkt an sich steht aus meiner Sicht vor einer Art Zweiteilung. Vor allem wertorientierte Investments werden dabei auch künftig noch durchaus attraktiv sein. Damit meine ich Segmente, die gemeinhin als Core plus oder Value Add bezeichnet werden und in der Regel von kürzeren Mietvertragslaufzeiten und einem gewissen Renovierungsbedarf geprägt sind. Das trifft auch auf einen ­Bereich zu, der als opportunistisch bezeichnet wird, also entwicklungsfähige Bestandsimmobilien in eher mittleren Lagen mit zum Teil erhöhtem Leerstand und durchaus höheren Renovierungs- und Umbauanfor­derungen.

Ferdinand Haas: Und mit einem Core-Investment werde ich als Investor das Nachsehen haben?

Eitel Coridaß: Das würde ich so auf keinen Fall sagen. Aber wir befinden uns in einer Marktphase, die von steigenden Zinsen geprägt sein wird, in der sozusagen die Marktentwicklung an sich kaum noch Mehrwert schaffen wird. Anders gesagt: Das Pricing einer ausgeprägten Core-Immobilie mit Topmietern, langen Mietlaufzeiten und einem erstklassigen Zustand in sehr guter bis bester Lage wird in erster Linie von der Zinssituation bestimmt und bietet dem Management aufgrund der bereits vorhandenen Qualität kaum Wertsteigerungsmöglichkeiten durch Schaffen von Mehrwerten oder eine Repositionierung.

Markus Bell: Das blendet aus meiner Sicht ­allerdings eines aus: Um die künftige Entwicklung und die Attraktivität einer Immobilie zu beurteilen, wird man die Perspektive aus gutem Grund deutlich ausweiten müssen. Dann kommt man nämlich schnell zum Schluss, dass wir derzeit im gesamten Immobilienmarkt vor der herausforderndsten Phase stehen, die wir in der Branche ­innerhalb der vergangenen 20 Jahren erlebt haben. Die Wertentwicklung von Immo­bilien hat in der jüngeren Vergangenheit von einer Niedrigzinspolitik der Notenbanken und damit einhergehend immer weiter gesunkenen Zinsen in besonderem Maße profitiert. Abgesehen davon, dass es bei wieder steigenden Zinsen ohne Zweifel zu einem spürbaren Druck auf die Ertragsseite von Immobilien kommen wird: Als neuer, aber mit Sicherheit nicht zu unterschätzender Faktor kommt hinzu, dass das Thema Nachhaltigkeit für bisher nicht gekannte ­zusätzliche Herausforderungen sorgen wird, die derzeit noch erheblich unterschätzt ­werden, um nicht zu sagen, noch gar nicht eingepreist sind.

Ferdinand Haas: Wollen Sie etwa sagen, dass der Immobilienmarkt vor einer Art Zeitenwende steht?
Markus Bell: Ich glaube, dass man durchaus von einer Zeitenwende sprechen kann. Auf der Investmentseite neigt sich peu à peu ­eine Zeit der Alternativlosigkeit, wie wir sie im Prinzip seit der Finanzkrise von 2008 erlebt haben, dem Ende zu. Investoren hatten doch im Grunde nur die Wahl zwischen ­Aktie oder Immobilie, um einen auskömmlichen Ertrag zu erzielen, weil Anleihen­investments ihre frühere Attraktivität aufgrund der immer weiter gesunkenen Realverzinsung weitgehend verloren hatten, in jüngster Zeit sogar noch weiter befeuert durch die stetig steigende Inflation. Gleichzeitig wird die Werthaltigkeit von Immobilien oder ihr tatsächlicher Wert in der vor uns liegenden Zeit enorm geprägt sein von den Herausforderungen, die das erst nach und nach wahrgenommene ESG-Thema mit sich bringt.

Hans Heuser: Sie meinen, dass Nachhaltigkeit inzwischen nicht mehr nur eine Angelegenheit des Marketings darstellt, sondern zu einer harten Realität wird mit Konsequenzen für die Bewertung einer Immo­bilie?

Markus Bell: Im Prinzip wissen alle Marktteilnehmer doch schon seit 2019, welche enormen Herausforderungen durch Gesetzgebungsbeschlüsse wie den EU-Green-Deal und das Klimaschutzgesetz auf die Branche zukommen werden. Viele haben das Thema bis jetzt jedoch unterschätzt, nicht wirklich ernst genommen, vielleicht auch bewusst ausgeblendet. Inzwischen aber wird dem Markt mehr und mehr gegenwärtig, dass die Umsetzung von ESG-Anforderungen ein gewaltiges Umdenken innerhalb der gesamten Immobilienbranche erfordern wird.

Eitel Coridaß: Wobei Wertschöpfung und Nachhaltigkeit aus meiner Sicht keineswegs ein Widerspruch sein müssen.

Hans Heuser: Wie meinen Sie das?

Eitel Coridaß: Was den Neubau betrifft, führt ohnehin kein Weg daran vorbei, entsprechende ESG-Kriterien schon in der Planungs- und Konzeptionsphase zu berücksichtigen. Sehr viel bedeutender wird sich der Aspekt Nachhaltigkeit bei Bestandsimmobilien auswirken. Wir beobachten schon jetzt, dass sehr viele institutionelle Investoren damit begonnen haben, ihre bestehenden Portfolios einer ESG-Inventur zu unterziehen – einfach um abzuschätzen, wie groß die Lücke zwischen dem Ist-Bestand und einem ESG-fähigen Portfolio tatsächlich ist. Und wie hoch der Aufwand, sowohl zeitlich als auch organisatorisch und kostenmäßig, sein wird, um diese Lücke zu schließen. In diesem Prozess wird sich bei manchem ­Asset zeigen, dass eine Veräußerung sinnvoller ist, weil der jeweilige Manager selbst das Objekt nicht ESG-fähig machen will oder kann oder weil einfach die Kosten zu hoch wären. Darin liegt natürlich eine Chance für einen wertorientierten Asset Manager, indem er Objekte sehr günstig ­erwirbt, weil sie repositioniert werden müssen oder ansonsten Gefahr laufen, zum Stranded Asset zu werden.

Stefan Stute: Ich kann bestätigen, dass der ­Aspekt Wertschöpfung bei Asset Managern ein aktuell sehr stark nachgefragtes Thema ist. Ich würde aber auch Herrn Dr. Bell insofern zustimmen, als die Immobilienbranche in den zurückliegenden Jahren insgesamt verwöhnt worden ist. Seit der Finanzkrise haben wir zwar eine signifikante Renditekompression erlebt, allerdings begleitet von einem anhaltend und durchgängig stetigen Anstieg der Verkehrswerte. Im Grunde konnte man als Investor doch kaum etwas verkehrt machen, ganz gleich um welche Objektqualität es ging. Wir haben gleichzeitig eine ausgeprägte Flächenknappheit erlebt, durch die fast jede große zusammenhängende Mietfläche nicht nur in den deutschen Top-Sieben-Standorten ohne ­Mühe absorbiert worden ist. Daher musste man sich auch im Asset Management, ­vorsichtig ausgedrückt, nicht besonders anstren­gen, um erfolgreich zu sein. Es ist ­allerdings mehr als fraglich, ob das künftig auch noch so sein wird.

Ferdinand Haas: Dann gehen auch Sie von einer Zäsur aus, vor der die Branche steht?

Stefan Stute: Das Wort Zäsur klingt mir ­etwas zu hart, aber ich glaube schon, dass sich für die Branche insgesamt eine Situa­tion zusammenbraut, deren tatsächliche Auswirkungen wir noch nicht umfassend abschätzen können. Zum einen wird es zu strukturellen Brüchen in bestimmten Segmenten kommen. Im Bereich Einzelhandel ist das im Zuge der Auswirkungen der Coronakrise schon jetzt der Fall. Hier haben einige Marktteilnehmer zum Teil bereits ­erheblich Federn gelassen durch die anhaltende Digitalisierung, Probleme in den Logistik- und Lieferketten und eine Abwanderung der Kunden in Richtung E-Commerce. Über die künftige Situation im Bürosegment und ob auch hier von einer deutlichen Veränderung der Nutzerbedürfnisse auszugehen ist, werden wir sicher noch sprechen. Gleichzeitig rollt aber mit dem Thema Nachhaltigkeit eine regelrechte Lawine an Veränderungen und Anforderungen auf die Branche zu. Das haben auch viele Investoren noch nicht verstanden.

Ferdinand Haas: Kann man sagen, dass der Immobilienbranche noch das bevorsteht, was in der Energiewirtschaft bereits in vollem Gange ist?

Stefan Stute: Durchaus. Denn der Druck wird auch hier von der Regulatorik kommen. Die Bau- wie auch die Immobilienwirtschaft werden die nächsten Branchen sein, die deutlich dekarbonisiert werden müssen, sowohl was die Betriebs- als auch die Bau­phase betrifft. In diesem Zusammenhang wird es zum Teil unwei­gerlich zu Wertverlusten bei bestimmten Immo­bilien kommen, denn es wird ­durchaus Objekte ­geben, die nicht repositioniert werden ­können.

Hans Heuser: Weil nicht alles Central Business District ist?

Stefan Stute: Es gibt sehr viele Büroflächen an Ausfallstraßen, die aus den 70er- und 80er-Jahren stammen, deren Mietniveau vielleicht um die zehn Euro liegt. In solche Objekte kann man als Eigentümer nicht viel investieren. In diesen Fällen stellt sich die Frage, was mit diesem Bestand passieren soll. Denn die Klimaschutzziele werden wir nicht allein durch zertifizierte Neubauten erreichen können. Es geht um den Bestand, der saniert werden muss. Das ist eine Herkulesaufgabe für die Immobilienbranche, zu der auch die insti­tutionellen Investoren ihren Beitrag werden leisten müssen.

Markus Bell: Allerdings ist mit dieser Erkenntnis ein sehr viel grundsätz­licheres Problem noch lange nicht ­gelöst. Um hier eine bekannte Floskel aus dem Sport zu bemühen: „Wichtig is auf’m Platz“, was natürlich bedeuten soll, dass das Spiel auf dem Platz gewonnen wird. Wir können uns lang und breit da­rüber unterhalten, wie die Branche sich auf die anstehenden ESG-Anforderungen vorbereiten sollte beziehungsweise welche Maßnahmen in welchem Segment nötig wären, um ESG-fähig zu werden. Am Ende wird die Umsetzung entscheidend sein. Das mag sich banal anhören, aber wir klagen doch schon in anderen Sektoren wie dem IT-Bereich oder in der Pflege über Nachwuchsprobleme und vor allem Fachkräftemangel. Ich möchte keine Panik verbreiten. Aber es ist angesichts der Komplexität, die damit verbunden ist, nicht übertrieben zu behaupten, dass die Immobilienbranche derart hohe Umsetzungsnotwendigkeiten wie in Bezug auf die zu erreichenden Nachhaltigkeitsziele noch nie erlebt hat.

Markus Bell: Das hört sich fast nach einem zusätzlichen Inflationstreiber an.

Stefan Stute: Es ist nicht abwegig, darin ­einen zusätzlichen preistreibenden Faktor zu sehen. Die Kombination aus Fachkräftemangel bei voraussichtlich gleichzeitiger Nachfrage nach entsprechenden Dienstleistungen durch eine Vielzahl von Marktteilnehmern, die alle vor ähnlichen Anforderungen stehen, sowie einem hohen Bedarf an dafür benötigten Baustoffen in einer Zeit, in der wir über Lieferengpässe sprechen, da kann es schon zu einer Art Flaschenhals­situation kommen. Um einen solchen Engpass zu bewältigen, würde es vor allem eins benötigen: Zeit. Nur hat die Branche keine Zeit angesichts des durch Green Deal und Klimaschutzgesetz gesetzten ambitionierten Zeitrahmens. Damit droht einer Immobilie das Damoklesschwert Stranded Asset, wenn sie nicht rechtzeitig ESG-fähig ist. Deshalb geht es darum, dafür Lösungen und Konzepte zu finden. Daran werden nicht zuletzt auch wir als Berater gemessen.

Ferdinand Haas: Dem Investor stellt sich dann natürlich die Frage, wie er sein Immobilienportfolio auf die Komplexität all dieser Anforderungen einstellen muss.

Eitel Coridaß: Eine Antwort darauf wird er erst nach Abschluss einer entsprechenden ESG-Inventur seines eigenen Portfolios erhalten. Deshalb kann man im Moment eigentlich nur jedem Anleger raten, eine solche Inventur möglichst zügig vorzunehmen. Dann erst kann er ein Fazit ziehen, welche Kosten für sein Ist-Portfolio anfallen und wie groß die Lücke sowohl zeitlich wie auch inhaltlich und kostentechnisch ist, um das Portfolio ESG-fähig aufzustellen. Das tun aktuell durchaus auch viele Investoren, allerdings werden die ersten Ergebnisse in der Breite erst in 18 bis 24 Monaten sichtbar werden.

Ferdinand Haas: Wird man sich als Investor denn überhaupt noch dem ESG-Thema entziehen können?

Eitel Coridaß: Als regulierter Investor wird es kaum möglich sein, sich dem Thema zu entziehen. Dafür sorgt allein schon die Regulatorik. Deren Ziel ist es ja explizit, Finanzströme quasi im ESG-Sinne zu lenken. Was wir allerdings schon beobachten: Es wird Marktteilnehmer geben, die sich auf Immobilien spezialisieren, die unter dem Nachhaltigkeitsaspekt mit Pro­blemen konfrontiert sind. Da sind wir im Endeffekt wieder beim Thema Wertschöpfung. Es wird Ansätze geben, die sich zum Ziel setzen, potenzielle Stranded Assets zu erwerben, um daraus wertschöpfende, hochrentierliche Anlagekonzepte zu generieren.

Hans Heuser: Zum Beispiel?

Eitel Coridaß: In einem arg gebeutelten Sektor wie dem Bereich Shoppingcenter, wo vieles über einen Kamm geschoren wird, kann es durchaus Chancen geben. Wenn es sich um ein gut geplantes Projekt mit stimmigen Grunddaten und aussichtsreichen Vermarktungsideen handelt, das zudem auch noch in einem attraktiven Einzugsgebiet liegt, dann hat dieses vielleicht nicht verdient, sozusagen in Sippenhaft genommen zu werden. Allerdings werden das natürlich ausgesuchte Einzelfälle sein. Genau das meinte ich aber damit, dass Wertschöpfung und Nachhaltigkeit kein Widerspruch sein müssen.

Stefan Stute: Wobei mit entsprechenden Projekten natürlich bestimmte Risiken verbunden sind, denen sich keiner entziehen kann, eben weil der Gesetzgeber künftig über die Einhaltung der ESG-Regeln wacht. Einem Shoppingcenterbetreiber etwa, der sich nicht daran hält, droht dann unter ­Umständen auch schnell einmal eine Ver­fügungseinschränkung seiner Immobilie. Und der Vermieter einer Immobilie, die der Energieklasse H, sprich der schlechtesten Kategorie, entspricht, muss damit rechnen, dass er keine Mieter für sein Objekt findet. Zugegeben, das sind natürlich Worst-Case-Szenarien, die aber dazu führen können, dass eine Immobilie am Ende wertlos wird.

Markus Bell: Aus diesem Grund – um auf ­Ihre Frage zurückzukommen – wird man als Investor künftig gewissermaßen an jeder Stelle der Wertschöpfungskette einer Immobilie mit dem ESG-Thema konfrontiert sein. Ganz gleich, ob es um die Versicherung, die Finanzierung oder den Betrieb einer Immobilie geht, überall wird sich der Investor der Nachhaltigkeitsfrage in Bezug auf seine Investments ausgesetzt sehen. Denn auch Banken oder Versicherungen werden ihre Entscheidung und ihre Preiskalkulation mit entsprechenden Kriterien unterlegen.

Stefan Stute: Deshalb kann ich mir vorstellen, dass es zu einer ähnlichen Entwicklung kommen wird, wie wir sie aus dem Anleihensektor kennen. Dort wird im High-Yield-Sektor nach Investment Grade und Non-Investment-Grade unterschieden. Ähnliches ist künftig für den Immobiliensektor denkbar. Eine Art Stranded-Asset-Linie, die Immobilien nach Kriterien wie „investierbar“ und „nicht investierbar“ unterscheidet. Ein Objekt, das in letztere Kategorie fällt, hätte dann die Möglichkeit, durch entsprechende Repositionierungs- oder Renovierungsmaßnahmen in die Investment-Grade-Kategorie aufzusteigen.

Ferdinand Haas: Was ist in Bezug auf konkrete Nutzungsarten zu erwarten, etwa im Bürobereich? Der Gesetzgeber hat inzwischen die Homeoffice-Pflicht aufgehoben. Wird das bedeuten, dass wir bei der Büronutzung zu einer Situation zurückkehren werden, wie wir sie aus der Zeit vor Corona kennen?

Stefan Stute: Auch wenn es sicher noch zu früh ist, sich darüber ein klares Urteil zu ­erlauben, so kann ich mir offen gesagt nicht vorstellen, dass es zu einer Art Rückkehr zu der Zeit vor der Pandemie kommen wird. Natürlich ist es zu deutlichen Veränderungen in den Arbeitswelten und -prozessen in nahezu jedem Unternehmen gekommen. Aber wir wissen doch auch, dass die Erfahrungen, die die Beschäftigten mit dieser neuen Art des Arbeitens gemacht haben, im Allgemeinen zu positiv sind, als dass jetzt alles auf einen Schlag wieder zurückgedreht werden könnte. Es wird vielleicht weniger Arbeitsplätze geben, weil viele Mitarbeiter auch künftig zumindest tageweise von zu Hause aus arbeiten werden. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass es zu einem deutlich geringeren Flächenbedarf kommen wird, wäre sicher ein Trugschluss. ­Was schon eintreten wird, das sind Veränderungen in Bezug auf die Aufteilung und die Anordnung innerhalb der Büroräumlich­keiten. Es wird mehr Gemeinschafts- und Kommunikationsflächen geben, außerdem werden die Abstände zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen aus Hygienegründen größer werden. Im Übrigen wird manch ­einer froh sein, statt der Enge des häuslichen Arbeitszimmers wieder sein Büro in der Innenstadt nutzen zu können, wenn auch vielleicht nicht an jedem Arbeitstag.

Markus Bell: Auch wir können natürlich nur in die Glaskugel schauen, was die Zukunft der Arbeitswelt im Bürobereich angeht. Wir sind bei unseren Überlegungen aber zu dem Schluss gekommen, dass wahrscheinlich 80 oder sogar 90 Prozent der Mitarbeiter wieder ihre Büroumgebung nutzen werden, wenn auch, da gebe ich Ihnen recht, nicht in der Häufigkeit wie in Zeiten vor der Pandemie. Ich zweifle allerdings daran, dass wir eine Überkompensation erleben werden, wie das zum Teil erwartet wird, auch wenn es zu einer Umorganisation innerhalb von Büroräumlichkeiten kommen wird.

Eitel Coridaß: Was nach meiner Erwartung schon passieren wird, das ist eine Art Spreizung innerhalb des Büromarktes – in bestimmten Branchen, etwa beratenden Berufen oder anderen, in denen die Möglichkeit zum Austausch mit Kollegen und ein kreatives Miteinander von besonderer Bedeutung für das Arbeitsergebnis sind. Deshalb kann es aus meiner Sicht durchaus dazu kommen, dass der Platzbedarf eventuell ­sogar steigt. Das betrifft typischerweise die besseren innerstädtischen Lagen, wo sich den Mitarbeitern zudem ein attraktives ­Umfeld bietet. Vollkommen anders aus­sehen wird die Gleichung in Berufen, in ­denen sogenannte wiederholbare Tätig­keiten anfallen. Typischerweise sind das zum Beispiel Versicherungsgesellschaften oder auch Banken, wo es häufig um das ­Erfassen und die Bereitstellung von Daten geht. Dort spielt es im Grunde kaum eine Rolle, von wo aus die entsprechenden ­Tätigkeiten erledigt werden. Hier kann es zudem zu einer Reduzierung der Flächen kommen.

Hans Heuser: Bedeutet das auch eine Spreizung in Bezug auf die erzielbaren Mieten?

Eitel Coridaß: Davon ist auszugehen, zum Teil ist eine Spreizung bei den Mieten nämlich schon jetzt zu beobachten – weniger in den Spitzenlagen von Innenstädten: Dort sind die Mieten mehr oder weniger stabil, wenn nicht sogar steigend. An den oft am Stadtrand gelegenen Backoffice-Standorten werden die erzielbaren Mieterträge allerdings gehörig unter Druck geraten.

Ferdinand Haas: Ich nehme an, dass Ihr ­Urteil nicht ganz so positiv ausfällt, wenn wir über den Einzelhandel sprechen.

Stefan Stute: Mein Urteil wird vor allem durchaus differenziert ausfallen. Über die Zukunft der Lebensmitteldiscounter braucht man meiner Ansicht nach nicht viele Worte zu verlieren. Dieses Segment ist verhältnismäßig unbeschadet durch die Zeit der ­Corona-Pandemie gekommen. Das gilt fast in einem ähnlichen Maß auch für das Segment der Fachmarktzentren am Stadtrand, wobei sich hier die Objekte mit einem ­angegliederten großen Lebensmittelanker oder sonstigen Dienstleistern wohl am ­besten entwickelt haben. In beiden Fällen wird sich daran auch künftig nicht sehr viel ändern, selbst in Zeiten einer erhöhten ­Inflation.

Hans Heuser: Dann werden Ihre Erwartungen für den innerstädtischen Einzelhandel wohl etwas anders ausfallen, wenn Sie eben von „differenziert“ gesprochen haben.

Stefan Stute: Das ist schon richtig, denn ­gerade die Innenstadt leidet natürlich unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie sehr viel stärker. Was mit dem Blick nach vorn meiner Erwartung nach weiterhin Bestand haben wird, das sind die sogenannten Flagship Stores. Die Tendenz von Markenhändlern, sozusagen stärker auf der Fläche präsent zu sein, um das eigene Angebot in dessen Tiefe und Breite zu zeigen, hat es auch schon vor Corona gegeben. Bemerkenswert ist jedoch in diesem Zusammenhang, dass mancher Anbieter inzwischen eine Reihe kleinerer Läden geschlossen hat, um auf weniger, dafür aber größere Flächen zu setzen. Das hat dazu geführt, dass es Nicht-Prime-Lagen immer schwerer haben, weil sich die attraktiven Konzepte auf gute, eher sogar 1A-Lagen konzentrieren.

Eitel Coridaß: Auffällig ist zudem, dass sich immer häufiger reine Showroom-Konzepte etablieren, die dann meist mit dem haus­eigenen Onlineangebot verbunden werden. Das heißt, im Laden selbst werden oft gar nicht mehr die eigenen Produkte ausgestellt, allenfalls noch Bilder davon, weil man davon ausgeht, dass die Kunden ihren Bedarf ohnehin via Internetbestellung decken.

Ferdinand Haas: Wie geht es weiter in der Innenstadt?

Eitel Coridaß: Große Fragezeichen sind meines Erachtens in Bezug auf die weitere ­Entwicklung der erzielbaren Mieten angebracht. Nicht nur deshalb spricht viel dafür, sich bei einem Investment in dieser Assetklasse genau anzuschauen, wer der Manager hinter dem jeweiligen Konzept ist.

Hans Heuser: Warum noch?

Eitel Coridaß: In den herausfordernden Zeiten der jüngeren Zeit ist es zu einer Art Zweiteilung gekommen. Eher traditionelle ­Manager sind mehr oder weniger bei ihren traditionellen Konzepten geblieben und dadurch in der herausfordernden Zeit der Pandemie in eine Art Schockstarre verfallen, weil ihnen nichts anderes eingefallen ist, als zu versuchen, den Status quo zu halten. ­Erfolgreicher gemeistert haben die Zeit ­dagegen Manager, die proaktiv und sehr viel agiler mit der Situation umgegangen sind. Letzteres gilt aus meiner Sicht aber für nahezu jede Nutzungsart von Immobilien.

Wir danken für das Gespräch.

Hans Heuser


Bell Management Consultants

Markus Bell ist Geschäftsführer des von ihm 2010 gegründeten ­Unternehmens Bell Management Consultants (BMC). Das Unternehmen berät Immobilienunternehmen und institutionelle Investoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gemeinsam mit einer ­Reihe namhafter Immobilienbestandshalter hat BMC im Mai 2020 die Initiative „ESG Circle of Real Estate“ (ECORE) ins Leben gerufen. ­Inzwischen gehören der Initiative über 40 Mitglieder an, die ein Immo­bilienvermögen von insgesamt rund 800 Milliarden Euro verwalten. Als Ziel hat ECORE die Erarbeitung und Etablierung eines belastbaren und marktfähigen Branchenstandards zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance von Immobilien und Portfolios formuliert.


Wüest Partner

Stefan Stute arbeitet seit April 2020 bei Wüest Partner, Anfang dieses Jahres wurde er als Leiter des Standorts Düsseldorf in den ­Geschäftsführungskreis des Immobilienberatungsunternehmens bestellt. Die Wüest Partner Gruppe mit Hauptsitz in der Schweiz verfügt derzeit über elf Standorte in vier Ländern. Drei hundertprozentige Tochter­gesellschaften in Deutschland, Frankreich und Portugal gehören zu dem Unternehmen, das sich vollständig im Eigentum von aktuell 25 Partnerinnen und Partnern befindet. Insgesamt 300 Experten beraten institutionelle Investoren, Banken, Versicherungen und Unternehmen zu allen Fragen der Immobilienwirtschaft. Ein bedeutender Pfeiler ist dabei die seit 2007 aufgebaute hauseigene Datenbank.

Dieses Seite teilen