Vorrang für Nachränge
Nachrangleihen von Unternehmen der Realwirtschaft gewannen über die Wintermonate wieder die Gunst der Investoren. Das liegt nicht nur an den gebotenen Renditen, sondern auch an anderen Faktoren.

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Wir glauben, dass jetzt ein besonders guter Zeitpunkt ist, um in nachrangige Anleihen zu investieren, da es Anzeichen für einen Rückgang der Inflation gibt, die Zentralbanken sich möglicherweise dem Ende ihrer geldpolitischen Straffungszyklen nähern und die Gesamtrenditen so attraktiv sind wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr“, erklärte Philippe Gräub, Head of Global & Absolute Return Fixed Income, UBP, im Februar gegenüber Institutional Money. Dem schließt sich Sven Pfeil, Vorstandsmitglied der Hamburger Aramea AM und Fondsmanager des Aramea Rendite Plus im Gespräch mit der Redaktion an und verweist zusätzlich auf das attraktive Chance-Risiko-Verhältnis dieser Papiere, das gerade nach den jüngsten Marktturbulenzen im Nachgang der Credit-Suisse-Krise noch einmal zugenommen hat: „Die Rendite ist auf den Levels von High-Yield-Indizes – und dies bei einem durchschnittlichen Investment-Grade-Rating.“
Damit winkten Großanlegern trotz relativ guter Bonitätseinschätzungen seitens der Ratingagenturen im ersten Quartal 2023 Renditen von fast sieben Prozent per annum. Zur Erinnerung die wichtigsten Eckpunkte dieser Papiere: Nachranganleihen (Subordinated Bonds) rangieren in der Kapitalstruktur eines Unternehmens zwischen Eigenkapital, also Aktien, und „klassischen“ (Senior-)Anleihen und fungieren aufgrund diverser Eigenschaften als Hybrid-(Mezzanine)-Kapital. Während Investoren im Fall von Emissionen von Industrieunternehmen von „Corporate Hybrids“ sprechen, emittieren Banken „Additional Tier 1“- und „Tier 2“-Bonds. Wesentliche Merkmale all dieser Papiere sind ihre Nachrangigkeit gegenüber Senior-Gläubigern, eine unendliche oder zumindest sehr lange Anleihenlaufzeit (die in der Regel über „Calls“ seitens des Emittenten in der Praxis kürzer ist) sowie schlechtere Bonitätseinschätzungen seitens der Ratingagenturen im Vergleich zu den Senior Bonds des jeweiligen Emittenten. Zur Abgeltung all dieser Risiken erhalten Anleger im Gegenzug deutlich höhere Kupons. Mehr Details dazu finden Sie im Textkasten „Tools für Profis“.
Motive der Emittenten
Während Banken und Versicherungen Nachranganleihen zur Erhöhung ihres Eigenkapitals vor allem aus regulatorischen Gründen, insbesondere zur Reduzierung idiosynkratischer Risiken und damit zur Erhöhung der Sicherheit des übergeordneten Finanzsystems, begeben, emittieren Unternehmen der Realwirtschaft „Corporate Hybrids“ gleich aus mehreren möglichen Motiven heraus: Zuallererst können Emittenten die gezahlten Zinskupons im Gegensatz zu einer Dividendenausschüttung steuerlich geltend machen (Tax Shield). Darüber hinaus profitieren Firmen davon, dass Hybridanleihen aufgrund ihres partiellen Eigenkapitalcharakters über eine Verbesserung der Verschuldungsquote die Ratings von allfällig existierenden anderen Senior-Anleihen unterstützen und damit deren (Re-)Finanzierung günstiger machen. Immerhin rechnen Ratingagenturen 50 Prozent der ausstehenden Corporate Hybrids – bis zum ersten möglichen Kündigungstermin dieser Anleihen seitens des Emittenten – der Eigenkapitalquote zu.
Vor diesem Hintergrund erachten Unternehmen die Emission von Nachrangkapital in vielen Fällen als günstiger und vorteilhafter als einen Börsengang oder eine Eigenkapitalerhöhung durch Aktien. Das gilt insbesondere in jenen Fällen, bei denen die Firmen keine Börsennotiz haben oder wenn eine öffentliche Körperschaft eine große strategische Beteiligung hält, die über eine Eigenkapitalerhöhung nicht verwässert werden soll. „Der europäische Versorgersektor ist dafür ein gutes Beispiel. Dessen Unternehmen sind oftmals ganz oder zumindest teilweise verstaatlicht, wie die schwedische Vattenfall oder die Eléctricité de France“, erläutert Scope-Analystin Azza Chammem. Dies erklärt unter anderem, warum laut Scope-Angaben per Stand Ende 2022 Versorger mit 30 Prozent der gewichtigste Sektor im rund 200 Milliarden Euro an ausstehenden Volumen großen europäischen „Corporate Hybrids“-Anlageuniversum sind. Auf Platz zwei liegt der Energiesektor mit 19 Prozent, auf Platz drei „Konsum“ mit 15 Prozent, gefolgt von weiteren „defensiven“ Sektoren wie Telekommunikation und Immobilien (siehe Grafik „Sektorenverteilung“). Hybridanleihengläubiger können damit berechtigterweise hoffen, dass diese Emittenten rezessive oder inflationäre Phasen relativ unbeschadet überstehen und nur geringe Ausfallrisiken drohen. „Der Großteil der Corporate Hybrids ist von Unternehmen mit (Senior-)Investment-Grade-Rating aus traditionell eher defensiven Sektoren emittiert, was mit Blick auf Rezessionsrisiken Vorteile gegenüber anderen Kreditsegmenten bietet. Daher bewerten wir aktuell das Rendite-Risiko-Profil als interessant“, bestätigt Michael Liller, Portfolio Manager Fixed Income, DWS.
Steigendes Volumen
Das Marktvolumen von Nachranganleihen hat sich in den vergangenen Jahren stark erhöht und schickt sich an, das Nischendasein zu verlassen. Ein paar Zahlen für den europäischen Markt verdeutlichen dies: Das 198 Milliarden Euro große Volumen von Hybridanleihen europäischer Industrieunternehmen korrespondiert Scope zufolge per Jahresultimo in etwa mit dem ausstehenden Volumen an nachrangigen Bankanleihen (AT1, Additional Tier 1) mit 202 Milliarden Euro.
Vor allem das Auftaktquartal dieses Jahres hat zusätzliches Volumen geschaffen. Nach einem turbulenten Herbst 2022 an den Aktien- und Rentenmärkten, der auch bei Hybridanleihen für Kursverluste sorgte, in der Folge die Renditen in den zweistelligen Prozentpunktebereich drückte und den Unternehmen zwischenzeitlich keine Möglichkeit mehr bot, sich am Primärmarkt zu vernünftigen Bedingungen neu zu finanzieren, kehrten in den ersten Wochen und Monaten des neuen Jahres institutionelle Investoren – wohl auch aufgrund neu verfügbarer Risikobudgets respektive Gelder und aus dem Bedürfnis, sich die hohen Renditen zu sichern – an den Markt zurück. Die Unternehmen nutzten die Gunst der Stunde zur Platzierung ihres Materials. Laut Ercan Demircan, Senior Portfolio Manager für Unternehmensanleihen bei Bantleon und Manager des Bantleon Select Corporate Hybrids, war das Volumen der seit Jahresanfang neu begebenen Corporate Hybrids mit knapp sechs Milliarden Euro fast doppelt so hoch wie im Vorjahreszeitraum und betrug schon knapp 40 Prozent des Primärmarktangebots im gesamten Jahr 2022. Deutlich höher war das Emissionsvolumen bei Nachranganleihen des Bankensektors, allein BNP Paribas, Banco de Sabadell, Société Générale, Crédit Agricole, Lloyds und Ibercaja emittierten im Januar AT1-Bonds in der Höhe von 5,6 Milliarden Euro.
Teilweise beobachtbar ist bei Nachranganleihen inzwischen schon wieder Gier – oder zumindest die Angst, Rendite zu verpassen: „Der 8,5-jährige Corporate Hybrid des italienischen Energieversorgers Enel beispielsweise war bei einem Emissionsvolumen von 750 Millionen Euro im Januar mehr als zehnfach überzeichnet und überzeugte bereits drei Tage nach der Platzierung mit einer Performance von 2,28 Prozent“, berichtet Demircan.
In Summe erwartet Scope nach einem schwachen Jahr 2022 mit lediglich zwölf Milliarden Euro Emissionsvolumen bei europäischen Corporate Hybrids für dieses Jahr ein höheres Volumen von mindestens 15 Milliarden Euro. Angesichts der guten Stimmung an den Märkten zu Jahresanfang und eines Volumens von 40 Milliarden im Jahr 2021 zum Vergleich wird die Prognose wohl überboten werden.
Spezielle Risiken
Abgesehen davon, dass insbesondere Corporate Hybrid Bonds aufgrund ihrer relativ niedrigen Emissionsvolumina nur über eingeschränkte Sekundärmarktliquidität verfügen, bergen Nachranganleihen im Gegensatz zu klassischen Anleihen einige zusätzliche Risiken, die Institutionelle jedenfalls kennen sollten.
Dazu zählen prima vista das Nachrangrisiko, also die Bedienung der eigenen Forderung im Insolvenzfall erst nach vorrangigen Forderungen anderer Gläubiger. Damit einher geht in Konsequenz das Risiko niedrigerer Default-Quoten. Des Weiteren drohen Laufzeit- und Verlängerungsrisiken, also die Gefahr, plötzlich eine Anleihe mit extrem langer oder gar endloser Laufzeit im Portfolio zu haben, falls der Emittent einen Call-Termin nicht wahrnimmt. Im Worst Case beruft sich der Emittent auf das Recht, für Nachranganleihen keine Kupons mehr (oder diese erst später) zu zahlen – ohne einen existenzbedrohenden Default als Konsequenz seines Handelns befürchten zu müssen. Unterm Strich führt dies in der institutionellen Rententangente zu einem sprunghaften Anstieg der Duration und der damit einhergehenden Zinsänderungsrisiken. Hinzu kommen „Event-Call-Risiken“, die dem Emittenten eine vorzeitige Rückzahlung der Anleihe erlauben und dem Investor möglicherweise Verluste bescheren, sofern er die Nachranganleihe zu einem Kurs weit über par gekauft hat.
Sofern das Eintreten der genannten Risiken wahrscheinlich wird, entstehen aufgrund von Fire Sales Folgerisiken: höhere Volatilität, Kursverluste und schlussendlich eine noch höhere Illiquidität am Sekundärmarkt. „Wir möchten darauf hinweisen, dass eine Investition in nachrangige Anleihen zum einen mit einer erhöhten Volatilität und zum Teil mit sehr starken Preisverwerfungen in Zeiten von Unsicherheit daherkommt“, merkt DWS-Mann Liller an, gibt aber zumindest für Corporate Hybrids Entwarnung: „Wir bewerten diese strukturellen Risiken aktuell als gering. Beispielsweise haben Unternehmen in den letzten Monaten Hybridanleihen nur in Ausnahmefällen nicht gekündigt, während die meisten Unternehmen refinanziert haben.“
Selbst wenn ein Emittent eine Anleihe, wie vom Anleger ursprünglich erhofft, nicht zum ersten Kündigungstermin vom Markt nimmt, könnte diese Entscheidung Investoren sogar zum Vorteil gereichen. Abhängig von den jeweiligen Prospektbedingungen steigt in vielen dieser Fälle der vom Emittenten zu zahlende Zinskupon deutlich an und versüßt Investoren damit die unerwartet längere Haltedauer – sofern nicht wirklich ein Default eintritt und für saure Mienen sorgt. Diesbezügliche Sorgen müssen sich Investoren zumindest aktuell nicht machen: Die Unternehmen der Realwirtschaft haben die vergangenen Jahre niedrigster Zinsen für eine langfristige Ausfinanzierung genutzt, und die Banken zählen nach den gezogenen Lehren aus der Finanzkrise zu den am strengsten von den Aufsichten überwachten und bestkapitalisierten Sektoren weltweit.
Lukrative Risikoprämien
„Es gibt gute Gründe, nachrangige Anleihen im Allgemeinen im Portfolio überzugewichten. Erstens bieten sie eine zusätzliche Risikoprämie für die Nachrangigkeit in der Kapitalstruktur, jedoch mit einem höheren Kapitalverlustrisiko im Fall einer Insolvenz oder durch Eingriffe des Regulators bei Emissionen von Banken“, erklärt Liller, um an dieser Stelle – abgesehen von den höheren Zinskupons – gleich einen weiteren Vorteil anzuführen: „Da Nachranganleihen meist eine andere Risikostruktur zu Investment Grade Corporate Bonds oder High Yield Bonds innehaben und meist eine niedrigere Korrelation zu anderen Assetklassen aufweisen, ermöglichen sie zusätzliche Diversifikationsmöglichkeiten, vor allem im Hinblick auf Zinsrisiken.“
Obwohl die von Liller angesprochenen Risikoprämien nicht mehr jenes „Panik-Niveau“ haben, das während des Herbst-Sell-offs in Höhe von zirka 8,5 Prozent im Fall von europäischen Corporate Hybrids beobachtet wurde, boten diese Papiere laut Scope im ersten Quartal 2023 noch immer Renditen im Bereich von sieben Prozent. Zum Vergleich: Europäische Corporate Bonds rentierten mit zuletzt zirka vier Prozent. Aus Investorensicht interessant sind jene Renditeaufschläge, die Nachranganleihen gegenüber Senior Bonds des gleichen Emittenten bieten. „Wenn man sich aktuell den Senior-Sub-Spread, also quasi den Renditeaufschlag für die Nachrangigkeit, bei verschiedenen Emittenten ansieht, so ist dieser auf relativ hohen Levels“, erklärt Aramea-Vorstand Pfeil und verweist auf Emissionen der spanischen Telefonica: „Ein Beispiel sind die Papiere von Telefonica mit Restlaufzeit Dezember 2028 beziehungsweise Call-Termin im Februar 2028. Für den Senior Bond bekommen Anleger eine Yield to Maturity von 3,37 Prozent bei einer Duration von 5,72 Jahren. Das Nachrangpapier liegt bei einer Yield to Call von 6,51 Prozent bei einer Duration von 4,57 Jahren. Das Risiko, dass Telefonica den Bond nicht im Februar 2028 kündigt, wird also gut bezahlt.“
Corporate Hybrids bieten auf Indexebene (obwohl diese überwiegend Investment-Grade- und nur zum Teil Sub-IG-Emissionen umfassen) auch nennenswerte Renditevorteile gegenüber Hochzinsanleihen. Zumindest gilt das dann, wenn man das relativ liquide und besser geratete „Crossover“-Segment (Rating: BB) zum Vergleich heranzieht, wie das Romeo Sakac, Head Global Fixed Income, Credit Suisse Asset Management per Stand Mitte Februar machte: „Unter Bewertungsgesichtspunkten werden europäische Hybridanleihen weiterhin mit einer hohen Rendite von fast sieben Prozent gehandelt und bieten einen Aufschlag von etwa 0,8 Prozentpunkten gegenüber hochverzinslichen Euro-BB-Unternehmensanleihen.“ Sakac verweist des Weiteren darauf, dass die Zinssensitivität dieser beiden Segmente mit 3,7 beziehungsweise 3,4 Jahren weitgehend vergleichbar ist, aber die durchschnittliche Kreditqualität der europäischen Hybriden mit BBB– etwa zwei Stufen höher liegt. Noch attraktivere Renditen finden Investoren bei Nachranganleihen von Banken, merkt Sakac an: „Die Rendite von europäischen nachrangigen Finanztiteln, insbesondere der CoCo-Bonds (Tier 1) der Banken, liegt derzeit bei knapp über acht Prozent, ist damit vergleichbar mit dem Niveau, das während der Covid-19-Pandemie zu beobachten war, und bietet somit eine historisch attraktive Rendite gegenüber den entsprechenden Hochzinsanleihen.“ „Natürlich ist das Segment immer nur eine Beimischung für ein gut diversifiziertes Rentenportfolio, bringt dafür aber interessante Eigenschaften mit. So spielen zum Beispiel Zinsänderungsrisiken bei Nachrängen aufgrund der Kuponanpassungen zu Call-Terminen eine geringere Rolle, und die Korrelation zum RexP ist langfristig sogar leicht negativ“, erklärt Pfeil. „Aufgrund der Call-Struktur des Instruments liegt die Duration häufig unter drei Jahren, was das Carry-Durations-Verhältnis sehr attraktiv macht“, fügt Alexander Lasagna, Deputy CEO Algebris Investments, abschließend hinzu.
Anton Altendorfer