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4/2024 | Produkte & Strategien

Spielfeld für Contrarians

Schwellenländeraktien gelten als günstig bewertet und sind bei den meisten ­Investoren untergewichtet. Zinssenkungen wie auch umfangreiche Konjunktur­programme könnten langsam, aber sicher für neuen Rückenwind sorgen.

Schwellenländeraktien sind im Vergleich zu Aktien aus den Industrieländern relativ billig und bei Anlegern unbeliebt. Damit könnten sie einen genaueren Blick wert sein. 
Schwellenländeraktien sind im Vergleich zu Aktien aus den Industrieländern relativ billig und bei Anlegern unbeliebt. Damit könnten sie einen genaueren Blick wert sein. © tenpixels | stock.adobe.com

Unserer Ansicht nach sind Emerging-Markets-Aktien nach wie vor eine der am stärksten fehlbewerteten Assetklassen weltweit, da sie im Vergleich zu Aktien der entwickelten Länder nach wie vor sehr günstig bewertet sind“, nennt James Donald, Leiter der Emerging-Markets-Plattform von Lazard AM, einen möglichen Grund, warum sich institutionelle Investoren zumindest „perspektivisch“ näher mit diesem Anlagesegment auseinandersetzen sollten. Auf kurze bis mittlere Sicht spricht auf den ersten Blick eigentlich wenig dafür: Denn nach dem Sieg von ­Donald Trump geht die Mehrheit der Marktteilnehmer ­zumindest kurz- bis mittelfristig von einer boomenden US-Konjunktur, weiterhin hohen US-Zinsen sowie in der Folge von einem stärkeren US-Dollar aus. Das sind alles Faktoren, die zumindest aus historischer Sicht gegen Schwellenländerinvestments und für US-Aktien oder breit gestreute Industrieländeraktien, repräsentiert über den MSCI World Index, sprechen. Aber: Die Historie zeigt auch, dass auf lange Sicht die Emerging Markets bei der Performance die Nase vorn haben: So konnte zwar der MSCI World Index, in dem die USA derzeit rund 69 Prozent Gewichtung haben, seit Anfang 1988 (frühester Datenpunkt laut Bloomberg) bis zum Ende des dritten Quartals 2024 eine Performance (inklusive aller Dividenden) von fast 1.700 Prozent erzielen – das sind annualisiert 8,17 Prozent. Der EM MSCI Emerging Markets Index kam hingegen auf rund 2.370 Prozent und annualisiert 9,11 Prozent und damit auf fast einen Prozentpunkt mehr Rendite per annum. Angesichts der Stärke dieses jahrzehntelangen Trends und der Tatsache, dass sich starkes Wirtschaftswachstum auf Sicht fast immer in der Aktienkursentwicklung widerspiegelt, sollten Schwellenländeraktien auch zukünftig die Nase vorn haben.

Dieser Trend könnte eine Untermauerung erfahren, falls Präsident Trump aufgrund zu hoher Neuschuldenaufnahmen die Aufnahmefähigkeit der Rentenmärkte überstrapazieren sollte und Investoren die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in den USA, aber auch jene im vom Niedergang bedrohten Westeuropa genauer auf den Prüfstand stellen sollten. Angesichts dessen, dass die US-Verschuldung mit etwa 120 Prozent des BIPs in der Nähe ihrer historischen Höchststände liegt und das Haushaltsdefizit sechs ­Prozent des BIPs übersteigt, könnten zusätzliche Schulden negative Folgen haben. Experten wie beispielsweise Jan Sytze Mosselaar, Portfolio Manager Quantitative Equities bei ­Robeco, können sich durchaus vorstellen, dass ein zu hohes Defizit in den USA Druck auf den US-Dollar ausüben könnte: „Das ist traditionell eine gute Nachricht für Emerging-Markets-Aktien.“

Vor diesem Hintergrund könnten die Emerging, aber auch die Frontier Markets doch wieder ein Investment wert sein. Abgesehen von ihrem von der Wall Street unabhängigeren Börsen-Eigenleben, das Investoren Diversifikations­vorteile bringt, gelten die meisten dieser aufstrebenden Märkte auf lange Sicht bei Ökonomen als aussichtsreicher, da deren Volkswirtschaften vielfach über eine (gegenüber dem alternden Westen) jüngere Bevölkerung, weniger Schulden und ein höheres Wachstumspotenzial verfügen. Des Weiteren haben diese Länder in den vergangenen Jahren ­ihre Handelsströme untereinander stark erhöht, sodass allfällige von den USA verhängte Zölle weniger schmerzen würden als früher.

Optimismus

Institutional Money hat ausgewählte Asset Manager, die für ihre Expertise im Bereich Emerging und Frontier Markets bekannt sind, zu ihren aktuellen Einschätzungen dieser ­Assetklasse befragt. „Wir sind der Ansicht, dass die Finanzpolitik und die Verschuldung in den Industrieländern letztlich sehr nachteilig für den US-Dollar sein werden, was wiederum den Schwellenländern zugutekommt, deren Staats­finanzen insgesamt umsichtiger sind“, erklärt beispielsweise Matt Williams, Senior Investment Director Emerging Markets Equities bei abrdn und Fondsmanager des abrdn Emerging Markets Equity Income Fund. „Wir sind recht optimistisch, was die Aussichten für Emerging-Markets-Aktien im Vergleich zu Development-Markets-Aktien angeht“, ergänzt Robecos Jan Sytze Mosselaar, um zu betonen: „Kurzfristiges Timing ist immer schwierig, aber wir sehen einen großartigen Einstiegspunkt für eine höhere langfristige Allokation in Schwellenländeraktien.“ Das gilt umso mehr, als deren ­Aktien auf Indexebene gegenüber jenen aus den OECD-Ländern (gemessen am MSCI World) in der letzten Dekade bei der Performance hinterherhinkten und nunmehr entsprechend Aufholpotenzial haben könnten (siehe Grafik „Emerging-Markets-Aktien unten“).

Dafür spricht auch die Positionierung vieler Anleger: Laut Schätzungen des Institute of International Finance wurden allein seit Anfang 2022 aufgrund steigender US-Zinsen 150 Milliarden US-Dollar aus Schwellenländerfonds abgezogen. Unterm Strich hat dies und die zuletzt enttäuschende Performance dazu geführt, dass Investoren grosso modo in den Schwellenländern mittlerweile wenig Exposure haben. „Schwellenländer sind von Anlegern untergewichtet, rund 50 Prozent im Vergleich zur Gewichtung im MSCI All Country World Index“, erklärt Claus Born, Portfoliomanager bei Franklin Templeton. Laut Williams erreichte diese ­Untergewichtung jüngst sogar ein 20-Jahres-Tief.

Hoffen auf Trendwende

Sofern jene drei Zinsschritte nach unten bis Mitte 2025, die der Geld- und Anleihenmarkt im November noch eingepreist haben, doch noch von der Fed umgesetzt werden und der US-Dollar in der Folge zumindest gegenüber den Schwellenländerwährungen schwächeln sollte, könnten die dortigen Zentralbanken weiterhin eine taubenhafte Zins- und Geldpolitik verfolgen. Das ist unter anderem deshalb möglich, weil die dortigen Inflationsraten zurückgehen. Das gilt vor allem für das größte Schwellenland, China. Dort wurden in den letzten Wochen zahlreiche Maßnahmen angekündigt, um die eigene Wirtschaft anzukurbeln. Das Maßnahmenbündel beinhaltet unter anderem Zinssenkungen, eine Stützung der Banken sowie des Immobilien- und des Aktienmarktes. Auf Seiten der Fiskalpolitik planen die Kommunisten unter anderem einen rascheren Start von eigentlich erst später geplanten Bauprojekten sowie finanzielle Unterstützungen ärmerer Bürger, um die Kaufkraft zu fördern.

Laut Rami Sidani, Head of Frontier Investments bei Schroders und Fondsmanager des Schroder ISF Frontier Markets Equity, kurbeln Zinssenkungen über höheres Konsumenten- und Unternehmervertrauen das Wirtschaftswachstum wie auch den Immobilienmarkt an. Diese neue Dynamik könnte Investorengelder aus dem Westen anlocken. „Die Aktien dieser Märkte ziehen in der Regel Zuflüsse an, da die Anleger nach höheren Renditen streben, was zu einer Aufwärtsdynamik der Aktienkurse führt“, erklärt Rami Sidani. Branchenkollege und (fast) Namensvetter Ramzi Sidani, Lead Senior Portfolio Manager der Frontier-Markets-Strategie von HSBC Global Asset Management, stößt ins gleiche Horn: „Ein potenziell schwächerer Dollar kann den Weg für eine erhöhte Risikobereitschaft ebnen, da die Anleger höhere Renditen für ihre Gelder bekommen wollen.“

Eine entsprechende Aufbruchstimmung identifiziert auch Matt Williams. Der abrdn-Mann verweist auf das inzwischen wieder vorteilhafte mikro- und makroökonomische Umfeld dieser aufstrebenden Länder. Diese sind in der Mehrzahl aufgrund höherer Kapitalinvestitionen in die Realwirtschaft („Capex“) in einen neuen übergeordneten Investmentzyklus eingetreten, der über ein höheres BIP-Wachstum zu höheren Unternehmensgewinnen und in der Folge zu höheren Aktienkursen führen sollte.

Die Schwellenländer scheinen mittlerweile die ersten Früchte ernten zu können, wie ein Blick auf das BIP-Wachstum zeigt. James Donald von Lazard AM berichtet: „Das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern, das von ­allen Regionen und nicht nur von China getragen wird, steigt nun langsam in Richtung vier Prozent im Jahr 2024, während sich gleichzeitig das Wachstum in den Industrienationen auf 1,6 Prozent verlangsamt.“ Aus Investorensicht relevant ist vor allem, dass nach einem starken Rückgang der Gewinne in den Jahren 2021 und 2022 die Gewinnwachstumserwartungen für die Schwellenländer im Vergleich zu den Industrieländern einschließlich der USA für 2024 und 2025 gestiegen sind. „Analysten erwarten für den MSCI Emerging Markets Index im Jahr 2024 ein EPS-Wachstum von 18 Prozent und für 2025 weitere 15 Prozent“, hält Claus Born von Franklin Templeton fest, um diese Werte wie folgt einzuordnen: „Das ist mehr als in den Industrieländern, wo der Gewinn pro Aktie voraussichtlich um acht Prozent im Jahr 2024 und um 13 Prozent im Jahr 2025 steigen wird. Und für 2024 sind die Gewinnprognosen sogar besser als in den USA. Das ist wichtig, da das Gewinnwachstum die langfristigen Renditen des Aktienmarktes am besten erklärt.“

Günstigere Bewertung

Trotz eines höheren zukünftigen Gewinnwachstums gelten die Schwellenländermärkte derzeit als günstig bewertet – zumindest im Vergleich zu den teuren westlichen Industrieländermärkten. So wiesen laut einem von der Berenberg Bank erstellten Vergleich die Emerging Markets, gemessen am MSCI Emerging Markets, ein KGV von rund zwölf auf, während der Stoxx 600 auf mehr als 13 und der S&P 500 auf zirka 23 kam. Auch der Vergleich der Buchwerte spricht für die Emerging Markets, die auf einen Wert von rund 1,4 kommen. Zum Vergleich: Der Stoxx 600 liegt bei rund 1,9, der teuer gesehene S&P 500 Index bei etwa 4,3 und damit am Maximum seiner historischen Bandbreite seit 2006 (siehe Grafik „Fundamentalbewertungen“).

Angesichts dieser Kennzahlen und dessen, dass sich OECD-Länderaktien und Schwellenländeraktien in den letzten Jahrzehnten bei der Outperformance zyklisch abwechselten, prognostiziert Robecos Mosselaar: „Wir glauben, dass wir vor einer neuen langfristigen Periode der Outperformance der Schwellenländer stehen, die auf diesen Bewertungsunterschieden, einer günstigen Veränderung der Gewinnwachstumsunterschiede und den besseren langfristigen Wachstumsaussichten für die meisten Schwellenländer beruht.“

Noch niedriger bewertet sind die Frontier Markets, die deshalb und aufgrund höherer Wachstumsfantasien von vielen Emerging-Markets-Managern gern und durchaus gewichtig den Portfolios beigemischt werden. Laut Ramzi ­Sidani von HSBC Global AM weisen Frontier-Markets-­Aktien gegenüber ihren Pendants aus den Industrieländern einen Bewertungsabschlag in Höhe von 51 Prozent und gegenüber jenen aus den Emerging Markets einen Abschlag in Höhe von immerhin 24 Prozent auf.

Von Institutional Money befragt, ob die günstigen Emerging Markets oder die noch billigeren Frontier Markets aussichtsreicher sind, gab es unterschiedliche Antworten – die meisten waren davon geprägt, welches Segment der jeweilige Fondsmanager verantwortet. Laut Born sind beide Segmente derzeit für Anleger interessant: „Generell werden Emerging Markets als Kerninvestment in den Aktienmärkten der Schwellenländer gesehen, Frontier Emerging Markets als eine ergänzende Nische.“ Die Anlageuniversen der beiden Anlageklassen überlappen sich Born zufolge kaum, sodass Langfristinvestoren gut in beide Anlageklassen parallel investieren können. „Unseres Erachtens wird das Wachstum der Investitionen und des Konsums in Verbindung mit einer attraktiven demografischen Entwicklung dazu führen, dass Frontier Markets zu den Schwellenländern von morgen werden, was frühe Anleger in diesen Märkten mit höheren Renditen belohnen könnte.“

Licht und Schatten

Der Frontier-Markets-Spezialist Ramzi Sidani merkt an, dass große Emerging-Markets-Unternehmen zum Teil hohe Schulden in US-Dollar haben, während kleinere Emerging- und Frontier-Markets-Firmen aufgrund weniger oder gar keiner US-Dollar-Verbindlichkeiten diesbezüglich wesentlich besser und damit weniger riskant aufgestellt seien. Dadurch besteht eine größere Unabhängigkeit von der laut Sidani „globalen Makro-Story“. Hinzu komme ein stärkeres Wachstum. Nachteilig bei kleineren und weniger „tiefen“ Märkten ist hingegen deren geringe Liquidität. Diese würde sich jedoch durch das Entstehen und Wachsen lokaler Anleger von Jahr zu Jahr bessern. Robecos Jan Sytze Mosselaar weist auf eine mögliche Indexschwäche beim MSCI Frontier Markets hin, die manche Investoren stören könnte: „Der MSCI Frontier Markets Index hat beispielsweise eine 26-prozentige Allokation in Vietnam, aber es wird erwartet, dass dieser Markt in den kommenden Jahren in den MSCI EM Index aufgenommen wird. Damit würde der Index als Top Drei die Länder Rumänien, Marokko und Kasachstan aufweisen, in die wir nicht investieren.“

Anton Altendorfer

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