Shades of Green
Hektische Abstufungen von Artikel-9- auf Artikel- 8-Fonds nach der EU-Offenlegungsverordnung fanden in den letzten Monaten zur Vermeidung weiterer aufsichtsrechtlicher Troubles statt. Aber auch wichtige Definitionen fehlen noch.
© frankboston | stock.adobe.com
Dass die großen Fondsgesellschaften ihre liebe Not mit einer in den Augen der Aufsicht korrekten Etikettierung von Artikel-8- und Artikel-9-Fonds nach der EU-Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) haben, ist hinlänglich bekannt. Zuletzt ruderten mehreren Anbieter kräftig zurück, um aufsichtsrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen. Als Konsequenz verwandelten sich zahlreiche „dunkelgrüne“ Artikel-9- in „hellgrüne“ Artikel-8-Fonds. Während Erstere neben nachhaltigen Umweltinvestitionen auch soziale Ziele anstreben und damit Impact-Charakter haben, berücksichtigen Letztere zwar auch ökologische und soziale Aspekte bei der Auswahl der Investments, das nachhaltige Investieren ist jedoch nicht das Hauptziel des Fonds (siehe Tabelle „Rückstufungen: Die Top-20-Asset-Manager“).
Morningstar deckt auf
Welches Ausmaß dieses Verschiebungen zwischen Artikel-9- und Artikel-8-Fonds annehmen, macht eine kürzlich erschienene Morningstar-Analyse deutlich. Sie untersuchte das sich schnell entwickelnde Angebot an Artikel-8- und Artikel-9-Fonds sowie Mittelflüsse, Assets und Produkte.
Die drei wichtigsten Erkenntnisse des Berichts „SFDR Artikel-8- und Artikel-9-Fonds: Rückblick 4. Quartal 2022“, die Hortense Bioy, Global Director of Sustainability Research bei Morningstar, Ende Januar 2023 festhielt, sind:
(a) Artikel-8-Fonds schrieben im vierten Quartal 2022 wieder schwarze Zahlen und sammelten netto 10,7 Milliarden Euro an neuen Kundengeldern ein. Artikel-9-Fonds verzeichneten mit 5,1 Milliarden Euro die niedrigsten Zuflüsse aller Zeiten, was teilweise auf die jüngste Welle von Herabstufungen zurückzuführen ist.
(b) Seit September 2022 änderten rund 420 Produkte ihren SFDR-Status, darunter finden sich immerhin 307, die von Artikel 9 auf Artikel 8 heruntergestuft wurden, was 175 Milliarden an Vermögenswerten beziehungsweise 40 Prozent der Artikel-9-Fondskategorie entspricht. Dazu kommt, dass der Neueinstufungsprozess noch keineswegs abgeschlossen ist und weitere Neueinstufungen zu erwarten sind, da neue Prospekte erstellt werden.
c) Nur etwas mehr als ein Viertel (27 Prozent) der Artikel-8-Fonds, die sich als „nachhaltig“ bezeichnen, entsprechen den von der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA vorgegebenen Namensregeln, während die überwiegende Mehrheit (92 Prozent) der Artikel-9-Fonds die Anforderungen erfüllt. Diese Namensregeln sehen vor, dass alle Assets von Artikel-9-Fonds – mit Ausnahme von Cash und Hedging-Positionen – dem Artikel 2 No. 17 der SFDR entsprechen müssen.
Zusammenfassend gesagt befindet sich fast zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der EU-Offenlegungsverordnung die Welt der in der EU als grün vermarkteten Fonds in einem radikalen Wandel. Hortense Bioy erwartet, dass die jüngste Welle von Herabstufungen von Artikel-9-Fonds anhalten wird: „Das wirft die Frage auf, was übrig bleiben und wie nützlich die Kategorie sein wird. Die Investoren werden zunehmend über Artikel 8 und Artikel 9 hinausschauen und sich stattdessen darauf konzentrieren, wie stark Fonds in nachhaltigen Investments engagiert sind, was für beide Kategorien gilt.“
SFDR-Level-2-Vorschriften
Die Durchführungsvorschriften zur SFDR traten zu Jahresbeginn 2023 in Kraft, wobei eine genaue Definition von nachhaltigen Investments noch immer aussteht. 2022 hatten Arbeitsgruppen auf EU-Ebene monatelang darum gekämpft, sich auf detailliertere Offenlegungsvorschriften zu einigen. Die Einführung der technischen Regulierungsstandards (RTS) der Stufe 2 bedeutet, dass Fondsanbieter nun detaillierte nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten erfüllen und verbindliche Berichtsvorlagen, die sogenannten Templates, ausfüllen müssen. Zur Erinnerung: Die Stufe 1 der SFDR, die am 30. Juni 2021 in Kraft getreten ist, verlangt von den Unternehmen, dass sie eine Erklärung zu ihren wichtigsten negativen Auswirkungen (PAIs; Principal Adverse Impacts) und ihrer Sorgfaltspflicht auf ihrer Website veröffentlichen und aufbewahren müssen. Die obligatorische Berichtsvorlage der Stufe 2 geht jetzt noch einen Schritt weiter und enthält eine Reihe von Indikatoren für die PAI-Erklärung, die sich auf klima- und umweltbezogene negative Auswirkungen sowie auf soziale Auswirkungen wie Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung konzentrieren. Diese sind in 14 Kernindikatoren und 31 zusätzliche Indikatoren unterteilt, und die Fondsgesellschaften müssen über alle 14 Kernindikatoren und zwei zusätzliche Indikatoren, und zwar mindestens einen klima- und einen sozialbezogenen, berichten.
Was ist „nachhaltig“?
Im Vorfeld der Umsetzung der Stufe 2 und der neuen RTS haben viele Marktteilnehmer ihre Besorgnis über die mangelnde Klarheit der Anforderungen für SFDR-Fonds nach Artikel 9 geäußert – insbesondere darüber, wie nachhaltige Investments definiert werden sollen. Nach Bitten um Klarstellung erklärte die Europäische Kommission im Juni 2022: „Um Zweifel zu vermeiden, wie die Europäische Kommission in ihrem SFDR Q&A vom Juli 2021 erklärt, sollten Finanzprodukte, die nachhaltige Investments als Ziel haben, nur nachhaltige Investments tätigen.“ Die Verwirrung hielt jedoch an, und infolgedessen haben viele Konzerne in den letzten Monaten des Jahres 2022 aktive und passive Artikel-9-Fonds vorsorglich herabgestuft. Im Dezember 2022 schloss sich die DWS Häusern wie BlackRock, UBS Asset Management, Amundi und BNP Paribas Asset Management an und stufte einige ihrer passiven Artikel-9-Fonds auf Artikel 8 zurück. Die 20 größten herabgestuften Fonds sind in der gleichnamigen Tabelle aufgeführt. Zudem gibt es eine Anfrage der drei Europäischen Aufsichtsbehörden an die Europäische Kommission, ob Finanzprodukte mit einer passiven Anlagestrategie, die als Referenzbenchmark eine Paris Aligned Benchmark benennen, automatisch die Bedingungen von Artikel 9 SFDR erfüllen würden. Bis die EU-Kommission hier Klarheit schafft, oder klärt, was mit „nur nachhaltige Investitionen tätigen“ gemeint ist, stufte man vorsorglich bei der DWS ETFs von Artikel 9 auf Artikel 8 SFDR ab.
Unbequeme Wahrheiten
ESG- und Impact-Fonds-Anhänger müssen sich auch mit unangenehmen Befunden auseinandersetzen. So wirbelte beispielsweise ein Beitrag in der Harvard Business Review vom März 2022 gehörig Staub auf, verfasst von Sanjai Bhagat, Professor of Finance an der University of Colorado. Zunächst einmal schneiden ESG-Fonds in finanzieller Hinsicht schlecht ab. Dabei bezieht sich Bhagat auf einen im „Journal of Finance“ publizierten Artikel, wo Researcher der University of Chicago über ihre Analyseergebnisse betreffend die Morningstar-Nachhaltigkeitsbewertungen von mehr als 20.000 Investmentfonds, die mehr als acht Billionen US-Dollar an Assets repräsentieren, berichten. Obwohl Fonds mit dem höchsten Nachhaltigkeitsrating sicherlich mehr Kapital anzogen als die Fonds mit dem niedrigsten, schnitt keiner der Fonds mit dem höchsten Nachhaltigkeitsrating besser ab als die Fonds mit dem niedrigsten. Dieses Ergebnis sei zu erwarten gewesen, so Bhagat weiter, und es sei möglich, dass Investoren gern bereit wären, im Gegenzug für eine bessere ESG-Performance auf finanzielle Erträge zu verzichten. Leider scheinen ESG-Fonds aber auch keine bessere ESG-Performance zu liefern.
Als Beweis dafür führt der Kapitalmarktforscher eine Studie an, in der die ESG-Bilanzen von US-Unternehmen in 147 ESG-Fondsportfolios mit der von US-Unternehmen in 2.428 Nicht-ESG-Portfolios verglichen wurden. Die Arbeit wurde von der Columbia University und der London School of Economics erstellt, und dabei stellten die Forscher fest, dass die Compliance der Unternehmen betreffend Arbeits- und Umweltvorschriften in den ESG-Portfolios schlechter ausfiel. Sie fanden auch heraus, dass Unternehmen, die in ESG-Portfolios aufgenommen wurden, die Einhaltung von Compliance-Vorschriften betreffend Arbeits- oder Umweltstandards anschließend nicht verbessert haben.
Kein Einzelbefund
In einer Studie des European Corporate Governance Institute mit dem Titel „Do Responsible Investors Invest Responsibly?“ vom Februar 2022 wurden die ESG-Scores von Unternehmen verglichen, in die 684 institutionelle US-Investoren, die die Principles of Responsible Investment (PRI) der Vereinten Nationen unterzeichnet haben, und 6.481 institutionelle Investoren, die die PRI nicht unterzeichnet haben, im Zeitraum von 2013 bis 2017 investiert haben. Die Autoren konnten keine Verbesserung der ESG-Scores von Unternehmen in den Fonds von PRI-Unterzeichnern feststellen, nachdem Letztere die Principles of Responsible Investment unterzeichnet hatten. Außerdem waren die finanziellen Renditen der PRI-Unterzeichner niedriger und das Risiko höher. Warum schneiden ESG-Fonds so schlecht ab? Ein Teil der Erklärung könnte darin liegen, dass ein ausdrücklicher Fokus auf ESG überflüssig ist: Auf wettbewerbsorientierten Arbeits- und Produktmärkten sollten Manager, die versuchen, den langfristigen Shareholder Value zu maximieren, von sich aus auf die Interessen von Mitarbeitern, Kunden, Gesellschaft und Umwelt achten. Auf dieser Basis kann die Festlegung von ESG-Zielen die Entscheidungsfindung des Managements tatsächlich verzerren.
Es gibt einige Hinweise darauf, dass Unternehmen ESG in der Öffentlichkeit zur Bemäntelung schlechter Geschäftsergebnisse nutzen. In einer kürzlich erschienenen Studie von Ryan Flugum von der University of Northern Iowa und Matthew Souther von der University of South Carolina wurde berichtet, dass Manager, die die Gewinnerwartungen der ihr Unternehmen verfolgenden Analysten nicht erfüllten, häufig öffentlich über ihre Konzentration auf ESG-Belange sprachen. Wenn sie jedoch die Gewinnerwartungen übertrafen, gaben sie, wenn überhaupt, nur wenige öffentliche Erklärungen zu ESG-Agenden ab. Nachhaltige Fondsmanager, die ihre Anlagen auf Unternehmen ausrichten, die sich öffentlich zu ESG-Grundsätzen bekennen, investieren daher möglicherweise zu viel in Unternehmen, die sich in finanzieller Hinsicht nicht so gut entwickeln. Die Schlussfolgerung, die aus diesen Erkenntnissen zu ziehen ist, scheint für Bhagat ziemlich klar: Fonds, die in Unternehmen investieren, die sich öffentlich zu ESG-Grundsätzen bekennen, opfern finanzielle Rendite, ohne viel im Hinblick auf das tatsächliche Voranbringen von ESG-Interessen zu gewinnen.
Krisen als Gamechanger?
Auch eine neue Studie aus Deutschland kritisiert Investments der ESG-Fonds, die anscheinend wieder zunehmend CO2-intensiver werden. Die von Alison Schultz und Magdalena Senn für „Finanzwende Recherche“ erstellte Studie mit dem Titel „Greenwashing in Zeiten von Ukrainekrieg und Energiekrise“ vom Februar 2023 hat die Portfoliotransaktionen von 2.434 in Europa erhältlichen und als nachhaltig beworbenen Fonds nach Artikel 8 oder 9 SFDR zwischen Ende Dezember 2021 und Ende März 2022 analysiert und sie darüber hinaus mit den Fondsportfoliobeständen im Dezember 2022 abgeglichen. Dabei stellte sich heraus, dass diese Fonds ihre Bestände an Aktien von Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Energie im ersten Quartal 2022 auf Netto-Basis um 940 Millionen US-Dollar erhöhten, während sie die Investments in Firmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien nur um netto 138 Millionen US-Dollar steigerten. Das führte dazu, dass die CO2-Intensität über alle untersuchten Fondsportfolios der Stichprobe um 7,9 Prozent zunahm (siehe Grafik „Steigende CO2-Intensität grüner Portfolios“). Bemerkenswert ist zudem, dass die von Artikel 9 auf Artikel 8 herabgestuften Fonds ihr Nettoexposure zu fossiler Energie leicht verringerten, während Artikel-9-Fonds dieses sogar leicht ausbauten (siehe Grafik „Was um den Beginn des Ukrainekriegs geschah“).
Dazu komme, so die Autorinnen, dass die Veränderungen in den Portfolios über 2022 hinweg erhalten blieben. Dabei sei auffällig, dass grüne Fonds nicht nur insgesamt weniger in erneuerbare als in fossile Energien investierten: Der Anteil an Erneuerbaren am Portfolio blieb über den betrachteten Zeitraum konstant, während der Anteil an Öl- und Gasfirmen übers Jahr weiter anstieg. Schultz und Senn sehen darin einen Beleg dafür, dass sich das ohnehin weit verbreitete Greenwashing im Fondsbereich durch die Reaktionen auf die neue Marktsituation infolge des russischen Einmarsches in der Ukraine noch verstärkt hat.
Dr. Kurt Becker