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3/2022 | Produkte & Strategien

Klimaschutz als Assetklasse

Der CO2-Emissionszertifikatehandel soll unser Klima retten. Allerdings ist der Markt bislang eher regional ausgerichtet und wenig transparent. Erste Fonds investieren in die Zertifikate, und die Frage ist, ob sich hier womöglich eine neue Assetklasse etabliert.

Ausgabe und Handel mit Verschmutzungsrechten erinnern an den Ablasshandel der katholischen Kirche im Mittelalter. Allerdings lässt sich nicht sicher belegen, ob der damalige Kauf eines Ablassbriefs zu einem besseren Leben nach dem Tod führte. Die Wirksamkeit von Marktmechanismen auf die Verschmutzungstätigkeit von Unternehmen ist hingegen nicht abzustreiten.
Ausgabe und Handel mit Verschmutzungsrechten erinnern an den Ablasshandel der katholischen Kirche im Mittelalter. Allerdings lässt sich nicht sicher belegen, ob der damalige Kauf eines Ablassbriefs zu einem besseren Leben nach dem Tod führte. Die Wirksamkeit von Marktmechanismen auf die Verschmutzungstätigkeit von Unternehmen ist hingegen nicht abzustreiten.© DAVIDE DIAN | PHOTOPRISMA, Sensvector | stock.a

sionszertifikatemarkt intransparent. Jeder scheint ein bisschen darüber zu wissen, aber die wenigsten haben ein Gesamtbild. Dabei entwickelt sich so vieles in diesem Markt, dass einige der Meinung sind, dass hier eine neue investierbare Assetklasse entsteht. Laut Refinitiv wurden 2021 global an den staatlich kontrollierten CO2-Emissionsrechtebörsen rund 850 Milliarden US-Dollar gehandelt, immerhin ein Plus von 164 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Noch ist es eine Nische

Außerdem beflügeln Nachrichten wie ­jene, dass Tesla nur dank des Verkaufs von CO2-Zertifikaten für 1,6 Milliarden US-Dollar das Jahr 2020 mit Gewinn abschließen konnte, die Fantasie. Daher nimmt sich auch die Asset-Management-Branche des Themas an: „Allein in Nordamerika wurden seit 2020 sechs ETFs aufgelegt, die ein Engagement in CO2-Emissionsrechte anbieten“, erklärt Bobby Blue, Senior Analyst bei Morningstar Manager Research. Weltweit hat er 15 Fonds mit einem Gesamtvolumen von 2,3 Milliarden US-Dollar zusammengetragen, die ausschließlich in Futures auf CO2-Märkte investieren (siehe Tabelle "Verschmutzungsrechte werden teurer"). Wie viele Rohstoff- und andere Fonds jedoch bereits kleinere Positionen aufgebaut haben, ist schwer auszumachen, weil sich Derivatepositionen in Fonds schwer verfolgen lassen. In Deutschland führt Dr. Hendrik Leber, Geschäftsführer von Acatis Investment, mit seinen Fonds gerade einen europäischen Testballon ins Feld. „CO2 zu bepreisen ist der kürzeste Weg zur Reinigung der Atmosphäre von Treibhausgasen, denn demjenigen, der es am leichtesten kann, wird ein Anreiz gegeben, etwas zu tun. Der Markt kann so etwas viel besser regeln als Verbote oder komplizierte Umweltregulierungen“, erklärt Leber seinen marktwirtschaftlichen Ansatz und nennt ein ähnliches Beispiel aus der Vergangenheit, das gut funktioniert hat: „In den 80er-Jahren hat man in den USA den sauren Regen wegbekommen, indem man Schwefeldioxidemissionen aus den Schornsteinen der Kraftwerken kontingentiert und bepreist hat. Die Kraftwerke haben die notwendigen Filteranlagen installiert, um sich die Emissionskosten zu sparen, und heute redet keiner mehr vom sauren Regen“, so Leber.

Ähnlich eingängig ist auch das Konzept der CO2-Emissionsrechte: Auf der Kyoto-Konferenz einigte sich 1997 die Welt darauf, die CO2-Emissionen zu verringern. Daraufhin trat 2005 das Kyoto-Protokoll in Kraft und stellt weltweit den ersten völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zur Eindämmung des Klimawandels dar. Darin verpflichten sich die beteiligten Staaten, den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu senken. Entsprechend müssen nun die einzelnen Staaten Wege finden, um dieses Ziel zu erreichen.

Der Gedanke lag nahe, dass ein Emissionshandelssystem ein gutes Instrument sein könnte, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern: Zuerst mussten die Energiewirtschaft und die Großindustrie, die viel Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, entsprechende Verschmutzungsrechte vorweisen. „Natürlich muss die Zahl dieser Rechte sinken, will man bis 2050 bei einer Emission von null landen. Durch die Bepreisung der Verschmutzungsrechte wird ein wirtschaftlicher Anreiz geschaffen, dass die Unternehmen Wege und Verfahren finden, weniger CO2 zu emittieren“, erklärt Dr. Joachim von Scheele, Global Director Commercialization bei Linde in München. Linde benötigt zwar keine CO2-Emissionsrechte, aber viel Energie für seine Prozesse. „Wir versuchen, unseren Energie­bedarf einzudämmen, insbesondere beim Transport unserer Gase“, so von Scheele.

Einzelne Länder beziehungsweise Regionen haben ihre CO2-Reduktionsziele öffentlich bekanntgegeben. Die EU will bis 2050 der erste Kontinent sein, der nur noch unvermeidbare Treibhausgase ausstößt und diese wenigen Emissionen vollständig ausgleicht. Als Zwischenziel will die EU bereits 2030 eine CO2-Reduktion von 55 Prozent im Vergleich zu 1990 erreichen („Fit for 55“). Kanada und die USA wollen bis 2050 klimaneutral wirtschaften, und auch China, aktuell das Land mit den höchsten Emissionen, plant, bis 2060 CO2-neutral zu werden. Insofern streben alle zum selben Ziel.

Zur Verwirrung trägt bei, dass es zwei Welten für Verschmutzungsrechte gibt: die staatlich kontrollierten, die von staatlichen Stellen ausgegeben werden, und die anderen, „freiwilligen“ Zertifikate. In beiden Welten müssen die CO2-Zertifikate von glaubwürdigen Stellen ausgestellt werden. Andernfalls kommt es zu einer Flut unglaubwürdiger Zertifikate, die am Ende nichts wert sind, und schon gar nicht die ­Atmosphäre retten können.

European Allowances (EUA)

Um die EU in die Lage zu versetzen, ihre ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, wurde von EU-Parlament und EU-Rat ein europäischer Emissionshandel (European Union Emissions Trading System, EU-ETS) ins Leben gerufen, der am 1. Januar 2005 startete. „Mit dem europäischen Emissionshandel werden etwa 40 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der Europäischen Union erfasst“, teilt das deutsche Umweltbundesamt mit. Im ersten Schritt wurden die großen Verschmutzer wie Energie-, ­Eisen- und Stahlproduzenten sowie Zement­fabriken einbezogen. Das waren rund 13.000 europäische Unternehmen, und der Kreis wird nach und nach ausgeweitet.

Das EU-ETS weist den Mitgliedsstaaten konkrete Obergrenzen für die Treibhausgas-emissionen ihrer Industrie zu. Die Mitgliedsstaaten müssen dann sehen, wie sie dafür sorgen, dass in ihrem Land die Obergrenzen eingehalten werden. „Österreich macht das über Steuern, und in Deutschland werden den Anlagenbetreibern nach einem bestimmten Mechanismus kostenlose Emissionsrechte zugeteilt, und diese Zuteilungen reduzieren sich jährlich. Bis 2025 sollen sie auf null runtergefahren werden“, erklärt ­Stefan Powels, Kapitalmarktexperte und Mit­initiator eines Karbonzertifikats. Reichen die zugeteilten Emissionsrechte nicht aus, muss das Unternehmen zukaufen. Das kann über Auktionen geschehen oder über den Sekundärmarkt. Hat der Anlagenbetreiber zu viele, kann er Berechtigungen verkaufen. „Während der Corona-Pandemie musste die Lufthansa beispielsweise viele ihrer Flüge streichen und konnte daher Emissionsrechte am Markt verkaufen“, so Powels.

So können die Unternehmen für sich entscheiden: Lohnt es sich, Zertifikate zu kaufen, oder eher, die Emissionen zu reduzieren? Politischer Wille ist, dass die Groß­industrie durch die Bepreisung der Luftverschmutzung dazu getrieben wird, sich um saubere Technologien zu bemühen.

Dabei entspricht ein „Carbon Credit“ ­einer Tonne Kohlendioxid oder einer bestimmten Menge andere Treibhausgase, ­denen ein Kohlendioxidäquivalent zugeordnet wird. Dass ein CO2-Credit einer Tonne Kohlendioxid entspricht, dürfte die einzige Gemeinsamkeit sein, die die vielen verschiedenen Zertifikatetypen haben. Wie es zur Berechnung und Ausgabe der Zertifi­kate kommt, ist allerdings höchst unterschiedlich.

Allowances

Innerhalb der EU werden die offiziellen Emissionsrechte als European Union Allowances (EUA) oder European Emission ­Allowances (EEA) bezeichnet. Die deutsche Emissionshandelsstelle ist beim Umweltbundesamt angesiedelt. Sie versteigert die EUA im Rahmen von Auktionen. Damit sich keiner auf den EU-Allowances ausruhen kann, gibt es verschiedene Handels­perioden, und nach Ablauf der Handelsperiode werden keine neuen Zertifikate mehr zugeteilt. Die erste Handelsperiode lief von 2005 bis 2007, und die jetzige vierte Handelsperiode begann 2021 und läuft bis 2030. Ihre Gültigkeit verlieren die EUA im Regelfall nur dann, wenn sie zur Kom­pen­sation von CO2-Emissionen abgegeben werden.

Der Handel der offiziellen Emissionsberechtigungen findet über spezielle Börsen statt. Hierzulande sind das die European Energy Exchange (EEX) in Leipzig und die Inter Continental Exchange (ICE) in Amsterdam. „In Großbritannien und in China gibt es auch ein Handelssystem mit Emissionsrechten. In China liegt der Preis aber derzeit nur bei rund zehn Euro“, erklärt von Scheele. „Die USA ist in Bezug auf Umweltgesetzgebung sehr zersplittert; hier ist Kalifornien Vor­reiter, was Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit des CO2-Emissionszertifikatehandels betrifft.“ Neben China etabliere sich auch in anderen asiatischen Ländern langsam ein Markt, beispielsweise in Korea, beobachtet von Scheele.

Handeln kann an den Börsen nicht jeder, sondern nur registrierte Handelsteilnehmer. An der EEX in Leipzig sind aktuell 428 Teilnehmer registriert, darunter große Energieversorger wie E.ON, RWE, Uniper oder Vattenfall und auch Industriebetriebe wie ThyssenKrupp oder die Fluggesellschaft Lufthansa. „Es ist schade, dass es bisher nur so wenige Spieler auf diesem Markt gibt. Das macht den Markt eng“, meint Powels.

Langsame Preis­entwicklung

Als Routine gilt der Handel bislang erst in der Großindustrie wie Energiewirtschaft, Stahlproduzenten, Zementfabriken, die bereits seit 2005 Verschmutzungsrechte vorweisen mussten. Die anderen Unternehmen taten sich zunächst schwer, wenn sie am Handel teilnehmen wollten, unter anderem, weil sie nicht schnell genug die dafür notwendige Expertise aufgebaut hatten. Entsprechend dümpelte der Markt dahin mit Preisen, die bis Ende 2017 oft unter zehn Euro lagen. „Mit Preisen von zehn Euro bewirken Sie in der ­Industrie nichts, es sei denn, die Technologien zur Reduktion von CO2-Emissionen werden um ein Vielfaches günstiger, aber das ist eher unwahrscheinlich“, meint von Scheele. Einen echten Impact auf die Industrie sieht er erst bei Preisen um 150 bis 200 Euro pro Tonne CO2.

Die Preise für regulierte CO2-Zertifikate kann jeder einsehen. „Langfristig ist davon auszugehen, dass Emissionsrechte im Preis steigen, aber es ist auch viel Volatilität im Markt. Beispielsweise fiel der Preis für ­regulierte EU-Emissionsrechte mit Beginn des Ukrainekriegs rasant. Damals verkauften Marktteilnehmer im großen Stil Emis­­sionsrechte aufgrund von Unsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung von Energiepreisen“, sagt Wendelin von Gravenreuth, Senior Manager Global Forest Investment bei MEAG, dem Asset Manager der Munich-Re-Gruppe.

Wo der Preis langfristig hingeht, ist klar: nach oben. „Hätten Sie mich letztes Jahr im Dezember gefragt, wo der Preis für eine Tonne CO2 Ende 2022 hingehen würde, hätte ich gesagt, auf etwa 125 Euro. Aber dann kam der Ukrainekrieg, der zu einer enormen Verteuerung der Gaspreise geführt hat. Die teuren Gaspreise haben Anfang März den Preis für CO2-Emissionszertifikate von etwa 100 bis auf 60 gedrückt, aktuell sind wir wieder bei rund 80 bis 90. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass der Preis für eine Tonne CO2-Emission in fünf Jahren auf 200 Euro steigen wird“, so von Scheele. „Allerdings ist für die Industrie derzeit der Effekt der hohen Gas- und Energiepreise deutlich größer als der Preis der Emissionszertifikate. Einige Fabriken mussten des­wegen bereits ihre Produktion einstellen.“

Die steigenden Preise und die zunehmende Reifung des Marktes haben dafür gesorgt, dass sich die EUA zu einem begehrten Asset entwickelten. Wichtig war auch, dass einige Großbanken in das Geschäft einstiegen. Das war auf der einen Seite gut, weil es für mehr Marktliquidität sorgte. Auf der anderen Seite wurde der Einstieg der Banken teilweise durch negative Schlagzeilen überschattet. Anfangs war auch die Deutsche Bank mit ­dabei,sie verabschiedete sich aber 2010 aus dem Handel mit Emis­sionsberechtigungen, nachdem ein illegales Umsatzsteuerkarussell in Verbindung mit CO2-Zertifikaten aufgedeckt wurde, an dem das Geldhaus beziehungsweise seine Mitarbeiter teilgenommen hatten. „In Großbritannien, dessen Markt viel kleiner ist als der EU-Markt, gibt es Beschwerden, dass der Emissionsmarkt gelegentlich durch Spekulationen mit Day-Trading-Positionen ­manipuliert wird“, bemerkt von Scheele, „das habe ich vom EU-Markt noch nicht gehört.“

Inzwischen engagiert sich auf dem europäischen Kontinent nur noch ein überschaubarer Kreis an Banken in dieser „Assetklasse“. An der EEX in Leipzig sind aktuell folgende Banken als Handelsteilnehmer registriert: Bayerische Landesbank, Commerzbank, Goldman Sachs, J.P. Morgan und UniCredit.

Nationale Emissions­zertifikate

Von politischer Seite wird die Entwicklung vorangetrieben, sodass neben den euro­päischen Allowances auch nationale Emissionszertifikate eingeführt wurden. Beispielsweise hat Deutschland im ­Dezember 2019 das „Brennstoffemis­sionshandelsgesetz – BEHG“ verabschiedet. Es verpflichtet seit 2021 ­Unternehmen, die Brennstoffe in Verkehr bringen, dazu, Zertifikate zu kaufen. Betroffen sind Inverkehrbringer von Ottokraftstoffen, Diesel, Erdgas und Heizöl, später auch von Braun- und Steinkohle. Bei Erdgas werden die Lieferanten auf der letzten Handelsstufe verpflichtet, bei Mineralölprodukten sind die Inverkehrbringer auf der ersten Handelsstufe verpflichtet, sprich: die Produzenten oder Importeure. Nach Schätzung der ­Bundesregierung werden rund 4.000 Unternehmen an diesem nationalen Zertifikatehandel teilnehmen. „Ich kann mir vorstellen, dass viele der Inverkehrbringer noch gar nicht wissen, dass sie seit 2021 unter diese Regelung fallen. Aber die Strafen sind drastisch“, meint Powels.

Diese Zertifikate werden während der Einführungsphase (2021–2025) von der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) zum Festpreis verkauft. Der lag im Jahr 2021 bei 25 Euro pro Tonne CO2 und steigt kontinuierlich an. Ab 2026 sollen die Emissionsrechte dann per Auktion versteigert werden, wobei ein Preiskorridor zwischen 55 und 65 Euro pro Zertifikat festgelegt wurde. Die Kosten für diese Zertifikate zahlen am Ende die Verbraucher von Brennstoffen. Laut Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) stieg durch die ­Einführung der CO2-Bepreisung der Preis für einen Liter Kraftstoff 2021 um etwa ­sieben Cent und der für einen Liter Heizöl um rund 15 Cent.

Bei den nationalen Emissionszertifikaten handelt es sich zurzeit um einen rein professionellen Handel der Industrieunter­nehmen. Finanzmarktakteure spielen dort bislang noch keine Rolle.

„Offsets“ sind freiwillig

Nimmt man die freiwilligen Zertifikate – auch Offsets genannt – ins Visier, geht die Differenzierung weiter. Dabei werden die freiwilligen Zertifikate zur Kompensation von erlaubter Verschmutzung und auch im Marketing eingesetzt. Sie funktionieren so: Dort, wo sich CO2-Emissionen nicht vermeiden lassen, aber noch nicht reguliert wurden, kann der unvermeidbare Teil der Emissionen durch sogenannte Senkenprojekte kompensiert werden. Dabei handelt es sich um Klimaschutzprojekte, deren Ziel es ist, der Atmosphäre Kohlenstoff zu entziehen und in Biomasse einzubinden. Geeignet sind hier Projekte in Acker- und Grünlandbewirtschaftung, Ödlandbegrünung oder Aufforstung, aber manche stellen auch energieeffiziente Kochöfen für Entwicklungsländer her. „Obwohl die Bemühungen zur Verifizierung und Standardisierung dieser Offsets in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht haben, gibt es immer noch Bedenken hinsichtlich ihrer Legitimität, was die Entwicklung dieser Märkte gebremst hat“, erklärt Bobby Blue von Morningstar.

So lassen sich beispielsweise bei einer Flugreise, einer Konferenz oder einem ­Paketversand durch Zahlung eines Zusatzbetrags die verursachten CO2-Emissionen kompensieren. Die Beträge fließen dann in das jeweilige Klimaschutzprojekt.

Um diesen freiwilligen Zertifikaten eine Mindesttransparenz und -glaubwürdigkeit zu verleihen, gibt es Audits und Zertifizierer wie Verra Verified Carbon Standard, Gold Standard, Clean Development Mechanism oder Plan Vivo. Sie wollen dafür sorgen, dass Zertifikate nur bei tatsächlich erfolgter CO2-Minderung ausgegeben werden und dass diese auch dauerhaft ist. Damit soll den privatwirtschaftlich initiierten Kompensationen mehr Glaubwürdigkeit verliehen werden, was zuweilen auch klappt. Beispielsweise schreibt die Commerzbank auf ihrer Homepage: „Bei der Kompensation der CO2-Emissionen, die im Rahmen von dienstlichen Flugreisen entstehen, gehen wir noch einen Schritt weiter und ziehen Kompensationsprojekte der höchsten Güteklasse heran (Gold-Standard).“

Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist „Additionalität“. Das bedeutet, dass eine zusätzliche CO2-Minderung erfolgen muss, die nicht ohnehin realisiert worden wäre, oder dass eine vermiedene Emission nicht mehrfach gezählt wird, beispielsweise einmal beim Waldbesitzer und ein ­anderes Mal beim Bauherrn, der bei einem Neubau Holz statt Beton verwendet.

Trotzdem stehen freiwillige CO2-Zertifikate oft in der Kritik. So bemängelte die Fernsehsendung „Frontal“ in diesem Sommer, dass die als „klimaneutral“ bezeichneten Produkte von Aldi, die vom Münchner Klimaschutzpartner ClimatePartner zertifiziert wurden, gar nicht so klimaneutral sind, wie sie vorgeben.

Noch kein globaler Markt

Obwohl der Markt mit Emissionsrechten bereits seit einigen Jahren läuft, lässt sich noch nicht von einem reifen Markt sprechen. „Noch haben wir das Handicap, dass es sich beim Markt für CO2-Allowances um relativ regionale Märkte handelt, der Markt als solches also stark fragmentiert ist. Er ist zwar im Aufbau begriffen, funktioniert aber noch nicht global“, meint Tobias Bockholt, der bei Willis Towers Watson (WTW) das Investment Consulting für Deutschland leitet.

Seiner Meinung nach wäre es gut, wenn sich ein einheitlicher Standard entwickeln würde. „Inzwischen haben sich regionale Ansätze etabliert, die teilweise führend sind. Die könnten sich womöglich als global anerkannter Standard durchsetzen“, meint Bockholt. In Kalifornien funktioniere der Markt aufgrund der Regulierung derzeit am besten, weshalb auch das Vertrauen in die Emissionszertifikate sehr hoch ist. „Daher haben die meisten US-basierten Forststra­tegien auch Waldstücke in Kalifornien. Wenn Sie in Kalifornien ein Waldstück haben, können Sie Ihr CO2-Einsparungspotenzial auch aus anderen Wäldern, die in den USA gelegen sind, in das kalifornische ­System eingeben“, erklärt Bockholt. Handelbar seien diese Zertifikate aber nur in Kalifornien. „Auch in Großbritannien gibt es gute Ansätze für ein funktionierendes System, aber in vielen anderen Märkten ist man noch nicht so weit“, meint Bockholt.

Wald am gängigsten

Natürlich lässt sich CO2-Speicherung auch technisch darstellen. „Sie können CO2 beispielsweise im Boden verpressen oder anderweitig binden. Aber Wald ist derzeit die gängigste und effektivste Art der CO2-Speicherung. In der Praxis bin ich noch keinem Infrastrukturfonds begegnet, der sich rein auf CO2-Speichertechniken spezialisiert, sondern CO2-Zertifikate finden sich derzeit überwiegend in US-Waldfonds“, beobachtet Bockholt den Markt.

Viele Wald-Asset-Manager zögern allerdings noch. „Beim CO2-Zertifikatehandel handelt es sich noch um einen Pioniermarkt. Wir sind ein langfristig ausgerichtetes Haus und müssen nicht überall als Erste mit dabei sein“, sagt Felix Jenninger, der bei Salm-Salm & Partner als Investment Manager für Timber and Agriculture arbeitet. „Für uns als Forstmanager ist es derzeit in vielen Märkten aus wirtschaftlicher Sicht attraktiver, auf die Produktion von Holz und nicht von CO2-Zertifikaten zu setzen.“ Eine Ausnahme stellt Neuseeland dar. Dort investiert das Haus in sogenannte Greenfield Investments, also Erstaufforstungen, die den Verkauf von CO2-Zertifkaten erlauben. „Der CO2-Markt in Neuseeland ist etabliert und gereift“, so Jenninger. In den USA, Mittel- und Nordeuropa, wo Salm-Salm ebenfalls aktiv ist, konzentriere man sich derzeit auf das bewährte Geschäftsmodell, Wälder zu bewirtschaften und dabei Holz zu produ­zieren. Jenninger will allerdings nicht ausschließen, dass er sich im Bestandsportfolio zu einem späteren Zeitpunkt auch der ­Produktion von CO2-Zertifikaten widmen wird, zumindest mit Teilen der von Salm-Salm & Partner bewirtschafteten Waldflächen. „Später, wenn sich der Markt gefestigt hat, und das Risiko-Rendite-Profil passt, können wir da vielleicht auch in den USA mitmachen.“ Sofern ein Kunde an Salm-Salm mit dem spezifischen Wunsch herantritt, in den USA in Wald zu investieren, um dort CO2-Zertifkate zu generieren, dann ­ermöglicht das der Asset Manager jedoch schon heute.

Wendelin von Gravenreuth von der MEAG meint: „Der Markt ist noch relativ jung. Außerdem können Sie für Waldbesitz nur in bestimmten Regionen CO2-Zertifi­kate generieren, beispielsweise in den USA oder in Neuseeland. In Europa ist es so, dass sich die Regierungen die Potenziale der vorhandenen Wälder in Europa anrechnen. Daher können Sie sich als Waldbesitzer hierzulande aktuell keine CO2-Zertifikate anrechnen lassen.“ In den USA sei das ­Potenzial aus dem Waldbereich hingegen nicht vom Staat genutzt worden. „Dort ­können Sie also für Ihren Waldbesitz zum Beispiel freiwillige Zertifikate generieren“, zeigt von Gravenreuth die Unterschiede auf. „Diese freiwilligen Zertifikate können Sie im Prinzip global verkaufen und nutzen. ­Jedoch unterscheidet sich die Qualität der unterschiedlichen CO2-Zertifikate von Land zu Land und von Projekt zu Projekt sehr“, bedauert er.

Große Unterschiede

Auch Jenninger gibt zu bedenken, dass dem Markt noch die Internationalität fehlt. Global vernetzt wie etwa der Aktienhandel sei der CO2-Zertifikatehandel nicht, da die freiwilligen Zertifikate zwar jeweils klar ­geregelt sind, aber letztlich unterschiedlichen Ausgabemechanismen unterliegen. Jenninger gibt Beispiele: „Aufgrund der klimatischen Bedingungen wächst Wald im Nordosten der USA im Schnitt jährlich um zwei bis drei Prozent. Bei nachhaltiger ­Bewirtschaftung können Sie also jährlich zwei bis drei Prozent einschlagen. Um ­Additionalität zu erfüllen, müssten Sie den Einschlag reduzieren, zum Beispiel um 50 oder 75 Prozent. Das Delta zum biologischen Wachstum können Sie sich in den USA dann in Form von CO2-Zertifikaten anrechnen lassen.“

Anders sieht es in Neuseeland aus. „Dort geht man vom Carbon Averaging aus“, erklärt Jenninger, „das heißt, Sie können bei Erstaufforstungen so viele CO2-Zertifikate verkaufen, wie dort über die Umtriebszeit im Mittel CO2-Volumen im Bestand steht. Der Gedanke dahinter: Ein kleiner Baum speichert wenig CO2, ein großer hingegen viel. Eigentlich verläuft die Kurve sägezahnähnlich, aber man rechnet einfach mit dem Durchschnitt. „Das sind in Neuseeland ungefähr 500 Zertifikate pro Hektar, allerdings unter der Voraussetzung, dass Sie Ihren Wald immer wieder aufforsten.“

Wieder anders funktioniert das System in Europa: „Dort geht der Wald automatisch in die nationale Klimabilanz ein. Wenn Sie in Europa freiwillige Zertifikate aus Ihrem Wald ziehen und diese an einen Schadstoff-Emittenten verkaufen würden, wäre das Double-Counting. Sie würden die CO2-­Reduktion des Waldes auf nationaler Ebene und eine weiteres Mal auf dem freiwilligen Markt beanspruchen. Daher wären solche Zertifikate technisch nichts wert“, gibt Jenninger zu bedenken. Offenbar handelt es sich hier um ein heikles waldpolitisches Thema, und aktuell wird debattiert, wie die Waldbesitzer in Europa für ihre Ökosystemleistung entschädigt werden sollen.

Theoretisch müsste man aber nicht nur die Pflanzung und Abholzung von Bäumen berücksichtigen, sondern es müsste bei der Holzproduktion eine Art Endverbleibs­klausel geben: Wird das Holz zu Balken verarbeitet und werden diese beispielsweise in einen Dachstuhl eingebaut, bleibt das CO2 über viele Jahrzehnte gebunden, und es könnten Zertifikate darauf ausgegeben werden. Wird es hingegen zu Brennholz oder Pellets verarbeitet, ist es wieder CO2-neutral, was keine Zertifikate rechtfertigt. „So müsste es theoretisch sein, aber so ausdifferenziert ist der CO2-Markt im Bereich Holz noch nicht“, meint Jenninger.

Adieu, hohe Aktienrenditen?

Emissionsrechte beeinflussen auch die Preisentwicklung der etablierten Assetklassen. „In Bezug auf Risiken des Klima­wandels auf Portfolios ist zu sagen, dass die historischen Renditen für Aktien und Renten aufgebläht waren, weil sie zulasten eines Dritten, nämlich der Umwelt, gingen“, meint Bockholt, „daher geht WTW davon aus, dass die Aktienrenditen im Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft mittel- und langfristig sinken werden. Im Gegenzug ist es auch politischer Wille, die Preise für erfolgreiche CO2-Speicherung ansteigen zu lassen, wie es z.?B. die Bundesregierung auch gesetzlich festgelegt hat.“ Vor diesem Szenario müssten die bisher verwendeten Kapitalmarktannahmen und Szenarien überarbeitet werden. „Die Modellierung von Portfolios muss nach vorn gerichtet sein und gehört regelmäßig angepasst“, meint Bockholt.

So kann man partizipieren

Für reine Finanzinvestoren, die partizi­pieren wollen, ist es am einfachsten, CO2-Zertifikate über strukturierte Produkte zu ­erwerben. Solche Produkte, die sich auf ICE- EUA-Futures-Kontrakte beziehen, gibt beispielsweise die Société Générale aus. Stefan Powels hat ebenfalls ein CO2-Zer­tifikat mitinitiiert: „Weil mich der Markt mit Emis­sionsrechten fasziniert, habe ich mir Leonteq als Partner gesucht, der dann bereit war, für mich das Zertifikat aufzulegen.“ Es ­handelt sich um ein einfaches Tracker-­Zertifikat.

Da durch die feste einjährige Laufzeit keine Rollkosten entstehen, läuft das Zertifikat 1:1 parallel mit dem Basiswert, dem ICE-EUA-Future. Powels gibt zu bedenken, dass die Rollkosten bei Open-End-Zertifikaten übers Jahr durchaus zehn Prozent betragen können, und rechnet auf lange Sicht mit steigenden Preisen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Preis innerhalb der kommenden zwei bis drei Jahre auf 120 bis 150 Euro steigt“, so Powels.

Auf seinem Berufsweg hat er bereits sein eigenes Börsenmaklergeschäft in die Berliner Freiverkehr (Aktien) Handel AG eingebracht, die heutige Tradegate. Jetzt will er dabei helfen, einen funktionierenden Markt für CO2-Emissionsrechte aufzubauen. „Ich glaube, dass an diesem Markt in zehn Jahren jeder institutionelle und private Investor mitmischen kann. Dazu muss allerdings die bisher noch existierende Schranke der Industrie fallen, also für die RWEs und EONs dieser Welt.“ In Q4 2022 möchte er gern ein Anschlusszertifikat auflegen, das dann für das Jahr 2023 gilt. „Wir wollen den Grundmix weiter ausbauen. Wir hatten die Idee, auch die Zertifikate aus bestimmten US-Bundesstaaten mit aufzunehmen. Aber leider gibt es bislang noch keinen grenzüberschreitenden Verkehr mit Emissions­rechten. Der Markt ist einfach noch zu lokal“, erklärt Powels. Auch wenn es sich womöglich so anhört, bewirkt man mit dem Kauf eines solchen Zertifikats nichts Gutes für die Umwelt. „Das Zertifikat ist eine reine Wette, und jeder der glaubt, dass der Preis für CO2-Emissionen steigt, kann es kaufen. Das Klima retten Sie dadurch aber leider nicht“, erklärt Powels, „allerdings können Sie sich da­­mit gegen steigende Energiepreise hedgen.“ Zumindest gilt das, wenn man davon ausgeht, dass steigende Preise für CO2-Emissionen die Stromkosten verteuern. „Wirklich zum Schutz der Atmosphäre können Sie nur beitragen, wenn Sie offizielle Allowances an der Börse kaufen und dann vernichten.“ Genau das macht Dr. Leber (siehe Kasten „Acatis Investment“).

Während in Deutschland sonst kaum Fondsmanager Verschmutzungszertifikate einsetzen, ist die Fondsbranche in den USA bereits weiter. „Neben dem Anstieg von Strategien, die Exposure in Emissionsrechten bieten, gibt es nun auch Hinweise auf eine Zunahme weiterer Marktteilnehmer. In einer Untersuchung der Unternehmen, die sich für das kalifornische Karbonprogramm registriert haben, konnten wir mehr als 40 Investmentgesellschaften beziehungsweise Hedgefonds ausmachen, die ab März 2022 an dem Programm teilgenommen haben, gegenüber nur 16 im Jahr 2019“, erklärt Blue von Morningstar und fährt fort: „Wir haben mit Fondsmanagern gesprochen, die beginnen, Emissionsrechte in ihre Strategien zu integrieren. Das Rohstoffteam von Pimco hat beispielsweise in zwei seiner Rohstoffstrategien eine Allokation in die Kohlenstoffmärkte vorgenommen, bei der das Team kalifornische Emissionskontrakte handelt. Außerdem haben Manager, die systematische Trendstrategien verfolgen, damit begonnen, auch in diese Märkte zu investieren, beispielsweise der UCITS-Manager Winton mit seinem Winton Diversified Fund.“ Ein zarter Investmenttrend zeichnet sich also ab.

Anke dembowski

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