Erfolgsfaktoren
Faktorbasiertes Investieren kann Großanlegern gerade in schwierigen Zeiten wertvolle Dienste leisten. Das zeigt eine Studie von Invesco unter versierten Faktoranlegern, die wertvolle Einblicke in die praktische Umsetzung von Faktorstrategien liefert.
© sulit.photos | stock.adobe.com
Während der sieben Jahre, in denen wir diese Studie erstellen, hat sich Faktor-Investing zu einem Kernbestandteil der Investmentlandschaft entwickelt“, erklärte Studienautor Georg Elsaesser, Senior Portfolio Manager bei Invesco Quantitative Strategies, anlässlich der Veröffentlichung der mittlerweile siebenten Ausgabe der „Invesco Global Factor Investing Study“ im vergangenen Herbst. Für die Ausgabe 2022 ließ Invesco 151 Profianleger befragen, die auf Faktorinvestments setzen und in Summe über 25 Billionen US-Dollar an Assets under Management auf die Waage bringen.
Die Umfrageteilnehmer setzen sich primär aus 83 institutionellen Investoren (Asset Owner) wie Pensionsfonds und Pensionskassen, Staatsfonds, Versicherungen und Stiftungen zusammen. Hinzu kommen 68 professionelle Marktteilnehmer wie Fondsmanager, Fondsselektoren oder Private Banker, die unter dem Segment „Wholesale“-Anleger subsumierbar sind. Des Weiteren wurden für die Studie mit einer zweistelligen Anzahl an besonders erfahrenen Faktoranlegern vertiefende Interviews geführt, um mehr über die Beweggründe dieser Marktteilnehmer im Bereich faktorbasiertes Investieren zu erfahren.
Die gewonnenen Erkenntnisse fanden auf vier Kapitel verteilt Eingang in die Studie, die die folgenden übergeordneten Themen behandeln: Aktien, Renten, ESG und Gründe für Umschichtungen zwischen den einzelnen Faktoren.
Vieles richtig gemacht
In der Praxis setzen Investoren bei ihren Aktienanlagen nicht nur auf einen, sondern auf mehrere Faktoren, um zumindest eine idente oder im Idealfall eine höhere Performance zu erzielen als klassische aktive, auf fundamentalen Kennziffern beruhende Anlagestrategien oder marktkapitalisierungsorientierte (Index-)Investments. Das scheint den befragten Investoren in den zwölf Monaten vor dem Stichtag Ende März 2022 laut eigenem Bekunden gelungen zu sein: 81 Prozent der Investoren gaben an, dass ihre eigenen Faktorallokationen die Performance fundamentaler, aktiver Strategien erreichten oder überboten. 64 Prozent erreichten oder schlugen die marktgewichteten Alternativen.
Hilfreiches Tool
Auf die Frage, wie Factor Investing im Portfoliomanagement Verwendung findet, erklärten in der aktuellen Umfrage beachtliche 91 Prozent, dass Faktorstrategien „neben traditionellen aktiven und passiven Strategien zum Einsatz kommen“. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 betrug dieser Wert lediglich 71 Prozent. Bereits 55 Prozent der Befragten setzen Factor Investing im Rahmen des „Risiko-Performance-Managements“ ein. Das ist deutliche Steigerung zum Jahr 2018, als es lediglich 28 Prozent waren. Das brachte Investoren Vorteile:
Im Ergebnis erklärten 67 Prozent der Befragten, dass Factor Investing im zurückliegenden Jahr geholfen hat, die Marktvolatilitäten besser zu bewältigen. Eine gegenteilige Meinung vertraten acht Prozent, 25 Prozent waren diesbezüglich „neutral“ gestimmt. „Insbesondere gaben die Befragten an, dass sich Faktoren als ein wichtiges Instrument zur Minderung von Marktexzessen erwiesen haben, wobei die Befragten darauf hinwiesen, dass viele fundamental aktive Portfolios vor der jüngsten Marktkorrektur zu stark in Wachstumswerten engagiert waren“, erklärt Elsässer. Das erklärt unter anderem, warum 64 Prozent der Frage zugestimmt haben, dass ihr Vertrauen in Factor Investing in den vergangenen zwölf Monaten gestiegen ist (33?% neutral, 3?% widersprachen). „In einer volatilen Phase hat das Vertrauen in faktorbasierte Anlagestrategien nicht nur angehalten, sondern ist mit der Erholung der Performance sogar gewachsen“, ergänzt der Invesco-Mann.
Für die überwiegend positive Resonanz sorgte die von Investoren auf Portfolioebene rekordhohe Berücksichtigung (91?%) des Faktors Value (Anmerkung: Mehrfachnennungen möglich, da in der Regel Investments in mehrere Faktoren erfolgen), der seit Beginn der „Zinswende“ gegenüber zinssensitiven Faktoren wie beispielsweise „Quality“ (72?%) aus Performancesicht eindeutig die Nase vorn hat. Relativ niedrig gewichteten die Investoren den Faktor „Size“ und damit Small Caps, die auf lediglich 42 Prozent kommen (siehe Grafik „Gefragtes Faktor-Exposure“). Wie die im Rahmen der Studienerstellung geführten vertiefenden Interviews bestätigen, erhoffen sich Investoren in einem Umfeld steigender Inflationsraten und Zinssätze insbesondere mit der starken Gewichtung von „Value“ Performancevorteile.
Treiber im Wandel
Befragt nach den „ursprünglich“ (zu Beginn der jeweiligen Faktorinvestments) und den „derzeit“ „wichtigsten Beweggründen“ („Drivers“) im Verlauf von Faktorinvestments, entschieden sich die Befragten erwartungsgemäß am öftesten für die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten „Ertragssteigerung“ (Anstieg von 83?% auf 91?% im Zeitverlauf, Mehrfachnennungen möglich) sowie „Reduzierung und Optimierung von Risiken“ (81?% auf 84?%). Interessant ist der Aspekt „Kontrolle des Portfolio-Exposures“, der bei Faktorinvestoren über die Zeit an Bedeutung gewinnt. War dieser Beweggrund bei der ursprünglichen Eröffnung der eigenen Faktorinvestments nur für 60 Prozent der Großanleger wichtig, steigt dieser Wert mit der Zeit auf 72 Prozent. Ebenfalls während des laufenden Investments an Bedeutung gewinnt bei Faktoranlegern der Beweggrund „Transparenzverbesserung“ (von 38?% auf 47?%; siehe Grafik „Treibende Kräfte“).
In diesem Zusammenhang nennt Invesco in der Studie exemplarisch zwei Einsatzmöglichkeiten von Factor Investing in der Praxis von zwei anonym bleiben wollenden Großanlegern. Der eine Investor verwendet Faktoren unter anderem im Rahmen eines Monitoring-Tools, um seine mandatierten aktiven Fondsmanager besser und vor allem laufend überwachen zu können. Falls der vom Investor mandatierte Value-Manager unerwünscht auf andere Faktoren als Value setzen sollte, würde dies beim Investor alsbald ein Warnsignal auslösen. Der andere Institutionelle nutzt ebenfalls Faktoren für eine vertiefende Analyse. Insbesondere dann, wenn sich beim faktorbasierten Mandat die Frage einer Prolongierung stellt: „Wenn ein aktiver Manager zur Neuausschreibung ansteht, lasse ich die Performance seines Portfolios durch das Regressionsmodell laufen, um zu sehen, ob seine Performance das Ergebnis von Alpha ist oder einfach nur das Resultat seines Faktorengagements.“
Fortschritt
Trotz oder gerade wegen der Trendwende am Rentenmarkt zeigen sich Anleger offen für neue Wege im Fixed-Income-Universum und stehen auf diesem Gebiet faktorbasierten Investments aufgeschlossen gegenüber. „Die veränderte Investmentlandschaft macht es zunehmend erforderlich, auch Anleihenportfolios auf der Grundlage von Faktoransätzen zu analysieren und zu managen“, argumentiert Elsaesser.
Der Frage, ob Factor Investing auch im Fixed-Income-Bereich eingesetzt werden kann, stimmen mittlerweile 92 Prozent zu. Zum Vergleich: Bei der allerersten Invesco-Umfrage im Jahr 2016 belief sich die Zustimmungsquote auf lediglich 61 Prozent. Die aktuelle Studie liefert einige Gründe für diese gestiegene Akzeptanz: Beispielsweise steht inzwischen mehr Datenmaterial zur Verfügung, das einerseits akademische Forschung auf diesem Gebiet erst ermöglicht und damit Wissenschaftlern wie auch Praktikern verlässliche Backtests erlaubt. Hinzu kam in den vergangenen Jahren die Lancierung faktorbasierter Rentenindizes seitens der großen Indexanbieter, und in der Folge entstand ein umfangreicheres Produktangebot.
Dass es bei Anleihen im Bereich Factor Investing in der Praxis doch etwas anders läuft als bei Aktien, kann die Studie nicht verhehlen. Bevor Investoren ihre „Faktor“-Brille aufsetzen und Stil- respektive Investmentfaktoren wie Value, Quality, Low Volatility und dergleichen berücksichtigen, legen sie im Rahmen eines Top-down-Ansatzes den Fokus häufig ganz klassisch zunächst auf traditionelle makroökonomische Renditetreiber (Makro-Faktoren) wie Inflation, Duration, Zinssätze oder Credit-Risiken. Im Endergebnis kombinieren 54 Prozent der Befragten Investmentfaktoren mit den traditionellen Makro-Faktoren. 32 Prozent vertrauen ausschließlich auf Makro-Faktoren, bescheidene 14 Prozent suchen bei Renten ihr Glück einzig in Investmentfaktoren.
Die Frage, in welchen Anleihensegmenten Factor Investing im Besonderen zum Einsatz kommt, zeigt, dass dies vor allem auf reife und liquide Segmente wie Staatsanleihen (76?%) und Corporate Bonds (75?%) zutrifft (Mehrfachnennungen möglich). Ein Minderheitenprogramm, da unter 50 Prozent der Nennungen, sind High Yield und Emerging Market Bonds wie auch Mortgaged und Asset Backed Securities (MBS/ABS). Auf Sicht von fünf Jahren soll laut Einschätzung der Investoren in allen genannten Segmenten mehr Factor Investing zum Einsatz kommen (siehe Grafik „Factor Investing im Rentenuniversum“).
ESG enttäuschte zuletzt
Aus Nachhaltigkeitssicht zeigt die Umfrage Licht und Schatten: Einerseits berücksichtigen mittlerweile 78 Prozent der weltweit Befragten ESG-Überlegungen in ihrem Portfolio. Ganz glücklich waren diese Investoren zuletzt aber wohl nicht damit, zumindest was die erhoffte Performance anbelangt. Vor dem Hintergrund, dass die vielfach in ESG-Strategien untergewichteten Aktien von Rohstoffförderern besser und die entsprechend höher gewichteten Technologiewerte schlechter als die meisten Aktien-Benchmarks liefen, verlor eines der wichtigsten Pro-Argumente von ESG-Implementierungen an Bedeutung: die erhoffte „bessere Investmentperformance“. War dies in der vorletzten Umfrage 2021 noch der Hauptgrund für die Implementierung einer ESG-Strategie, sinkt dieser Wert in der neuesten Befragung auf 59 Prozent und belegt damit nur mehr Platz zwei im Ranking. Neue Nummer eins ist das Motiv „Nachfrage von Kunden und Leistungsempfängern“, das von 72 auf 76 Prozent gestiegen ist. „Unsere Begünstigten bitten uns, ein ESG-Narrativ für ihre Investments zu erstellen. Sie wollen auf eine Weise investieren, die die Umwelt und die Gesellschaft als Ganzes berücksichtigt“, erklärte einer der befragten Institutionellen. In Anbetracht dessen ist auch erklärlich, warum das ESG-Motiv „Mit der Branche / der Peergroup mithalten“ an Bedeutung gewinnt und von 47 auf 53 Prozent gestiegen ist (siehe Grafik „Gründe im Wandel“).
Invesco zufolge wird die derzeit schwierige Phase für ESG-Ansätze von vielen befragten Investoren trotz alledem noch immer als Chance respektive Spielwiese für faktorbasierte Anlagen gesehen. Auf die Frage, was die Vorteile von Faktoren bei der Implementierung von ESG-Strategien seien, erklärten beachtliche 72 Prozent der Antwortenden, dass eine Umsetzung von ESG-Strategien mithilfe von Faktoren „die Performance verbessern“ kann. Platz zwei belegt mit 55 Prozent die „Identifikation und Kontrolle von ESG Factor Tilts und Biases“, auf Platz drei kommt mit 49 Prozent der Nennungen das Argument „Niedrige Kosten der Implementierung“. „Durch den Einsatz eines quantitativen Faktormodells können wir unsere Engagements kontrollieren und sicherstellen, dass wir die gleiche Performance erzielen wie das entsprechende Nicht-ESG-Portfolio“, betonte einer der befragen Institutionellen. Elsaesser zieht ein Zwischenfazit: „Factor Investing gewinnt ganz klar zunehmende Akzeptanz als Lösung zur Minderung unbeabsichtigter Anlageschwerpunkte durch die ESG-Integration in Aktienstrategien und noch mehr im Anleihenbereich, wo diese Aufgabe noch schwieriger ist. Angesichts des besonders großen Interesses an ESG in der EMEA-Region ist dies ein weiterer Treiber der wieder zunehmenden Nachfrage nach faktorbasierten Anlagestrategien.“
Herausforderungen
Befragt nach den „Herausforderungen bei der ESG-Implementierung über einen Faktoransatz“ nannten Investoren am öftesten den „Mangel an Konsens über die Methodologie“ (62?%), gefolgt vom „Mangel an unterstützendem Research“ (57?%) und der „Qualität der Daten“ (47?%; siehe Grafik „Viele Herausforderungen“).
Der Bedarf an zusätzlichem Research zeigt sich beispielhaft an der kontinuierlichen Debatte inklusive der daran anknüpfenden Frage darüber, ob ESG an sich ein „eigenständiger Investmentfaktor“ (wie zum Beispiel Value oder Momentum) ist – oder ob ESG nur das „indirekte Ergebnis anderer Faktoren“ ist oder ganz im Gegenteil „von anderen Faktoren vollständig unabhängig“ ist. Bei dieser von den Studienautoren in den vergangenen Jahren regelmäßig gestellten Frage kam es zuletzt zu einer Verschiebung der Investoreneinschätzungen. In der Umfrage aus dem Jahr 2020 war ESG noch für 56 Prozent der Großanleger „von anderen Faktoren vollständig unabhängig“. Dieser Wert sank im Jahr 2022 auf 37 Prozent. Auf der Gegenseite gewann in der jüngsten Umfrage massiv die Ansicht an Bedeutung (37 %), dass ESG das „indirekte Ergebnis anderer Faktoren“ sei. Die Meinung, dass ESG ein eigenständiger Investmentfaktor sei, vertreten derzeit 26 Prozent der Befragten (27?% im Jahr 2020). „Wir würden ESG eher als Overlay im Faktorkontext sehen denn als eigenständigen Faktor“, erklärte ein Institutioneller im Interview. Die Studie zeigt des Weiteren, dass für 48 Prozent der Befragten die Berücksichtigung von ESG im Portfolio das Potenzial hat, zu einem „Bias in Richtung gewisser Faktoren“ zu führen. Dabei „ändert“ sich laut Einschätzung von 69 Prozent der Bias im Zeitverlauf, 31 Prozent erachten ihn als „statisch“.
Mehr Dynamik
Für das letzte Kapitel wurden die Investoren unter anderem zu den Hintergründen allfälliger Umschichtungen bei ihren Faktorstrategien befragt. Immerhin 80 Prozent der Investoren nehmen grundsätzlich Umgewichtungen vor. Motive dafür sind insbesondere der Wunsch, von der unterschiedlichen Performance einzelner Faktoren im Konjunkturzyklus besser zu profitieren, oder der Bedarf, das Portfolio einem Rebalancing zu unterziehen. Nicht nur die Faktoren werden öfter neu gewichtet, auch die Faktordefinitionen selbst werden öfter als in der Vergangenheit auf den Prüfstand gestellt.
Inzwischen passen 43 Prozent der Befragten ihre Faktordefinitionen innerhalb eines Zeitfensters zwischen einem und drei Jahren an. In der vorherigen Umfrage betrug dieser Wert lediglich 16 Prozent. Im Gegenzug fiel die Zahl für das Zeitfenster drei bis fünf Jahre von 66 auf 41 Prozent. Gründe für diese Anpassungen sind der Wunsch, neuestes Research zu berücksichtigen, oder das Vorhaben, die Faktoren effizienter einzusetzen. Das gilt insbesondere für erfahrene Faktoranleger. Einer davon erklärt: „Bei der Betrachtung von Value gehen wir nun in die einzelnen Sektoren, und die Unterschiede zwischen den Bewertungen in den verschiedenen Sektoren spielen bei unseren Definitionen ebenfalls eine Rolle.“
Anton Altendorfer