Erfolgsfaktor Timing
In der jüngsten Vergangenheit wurde immer wieder bezweifelt, dass Markt-Timing passiven Strategien überlegen sein kann. Ein Forscherteam aus Wien tritt über ein 300-Faktor-Modell mit 39 Trading-Signalen den Gegenbeweis an.

Mit dem Aufkommen von Faktortheorien und dem Siegeszug von Smart Beta ist das Markt-Timing zunehmend in Verruf geraten. Passive Strategien oder schlichte Buy-and-Hold-Ansätze schienen das aktive Kaufen und Verkaufen von Positionen über de facto jeden Zeitraum hinweg zu schlagen. Ausnahmen fand man vielleicht noch in assettechnischen oder geografischen Nischenmärkten, wo das Insiderwissen eines Portfoliomanagers gegenüber dem breiten Markt ein relevantes Alpha herauskitzeln konnte. Offenbar wollte jedoch eine Gruppe an Wissenschaftlern aus Wien das so nicht stehen lassen. Das lässt sich zumindest aus der Arbeit „Timing the Factor Zoo“ schließen. Das Autorenteam besteht aus Otto Randl, Christoph Reschenhofer, Josef Zechner, die allesamt an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) wirken, sowie Andreas Neuhierl, den es inzwischen an die Washington University in St. Louis verschlagen hat.
Faktor- und Signalzoo
Die Autoren verfolgen dabei die Grundidee, dass es möglich sein müsste, die rund 300 Faktoren, die in der Literatur als valide anerkannt sind, entlang von Kauf- und Verkaufssignalen zu handeln. Von Letzteren verorten sie 39. Man könnte an dieser Stelle also nicht nur von einem Faktor-, sondern auch gleich von einem Signalzoo sprechen.
Die Autoren traden diese Faktoren nun rückblickend im Untersuchungszeitraum von 1926 bis 2020 entlang der 39 Signale. Dann vergleichen sie den durchschnittlichen Ertrag und die Sharpe Ratio der getimten Faktorportfolios mit Ertrag und Sharpe Ratio der nicht getimten Strategien (siehe Grafik „39 Signale in 6 Kategorien für 300 Faktoren“). Das Ergebnis ist bemerkenswert, weil hoch differenziert. So lässt sich bei den Roherträgen auf den ersten Blick kein Vorteil der Timing-Strategie erkennen. Etwa die Hälfte der Signale liefert bessere Erträge als die nicht getimten Faktoren, die andere Hälfte schlechtere. Um einen klareren Blick zu bekommen, sortieren die Autoren die Signale in sechs Kategorien:?Momentum, Volatilität, IPO-Spreads, Bewertung?/?Valuation Reversal (nach Markowitz) und Characteristics Spread. Durch dieses Sortieren wird klar, dass die Signale „Volatilität“ und „Momentum“ überwiegend klar bessere Erträge abliefern. Beim Vergleich der Sharpe Ratio (SR) verfeinert sich das Bild weiter:?Hier sticht vor allem die Effizienz der Volatilitätssignale hervor.
Zwei relevante Signale
Damit drängt sich der Verdacht auf, dass Faktorstrategien möglicherweise erfolgreich aktiv gehandelt werden können – allerdings nur entlang der beiden Signale Momentum und Volatilität. Tatsächlich bestätigt sich diese Annahme beim granularen Durchrechnen der Ergebnisse, wie Zechner bestätigt:?„Eine unsophistizierte Anwendung aller Signale auf alle Faktoren neigt dazu, die risikobereinigten Renditen im Durchschnitt zu reduzieren.“ Die alleinige Verwendung von Momentum-Signalen zeigt hingegen Erfolge. „Insbesondere sind die durchschnittlichen Alpha-Werte für Rentabilität und Wert gegenüber Wachstumsfaktoren wirtschaftlich mit über zehn Prozent per annum hoch und statistisch signifikant. Die entsprechende Veränderung der Sharpe Ratios ist positiv“, so Zechner.
Womit sich die Herausforderung stellt, diese Ergebnisse in eine anwendbare Strategie zu gießen. „Denn es ist offensichtlich, dass wir die Kombination von 318 Faktoren × 39 Signalen nicht auf einfache Weise analysieren können, sondern auf geeignete Werkzeuge zur Dimensionsreduzierung zurückgreifen müssen. Im ersten Schritt der Aggregation messen wir immer noch jeden Faktor einzeln über die Zeit, verwenden jedoch mehrere Signale, um eine Timing-Entscheidung zu treffen. Da viele der Signale stark miteinander korrelieren, ist klar, dass wir nicht einfach eine Milchmädchen-Regression durchführen und vernünftige Vorhersagen erwarten können. Daher greifen wir auf die Methode der partiellen kleinsten Quadrate (Partial Least Squares, PLS) als geeignete Signalaggregationstechnik zurück.“ Mittels Partial Least Squares-Regression werden nun lineare Kombinationen der ursprünglichen Signale ermittelt, die ihre Kovarianzen mit der Faktorrendite maximieren und so die Erträge und Sharpe Ratios von getimten Faktorstrategien zu prognostizieren.
Einzelfaktorstrategie
Zunächst errechnen die Autoren ein univariates Modelle, sie rechnen also nur Portfolios mit jeweils einem Faktor durch – für jeden der 314 Faktoren timen sie die Long- und Short-Positionen getrennt. Sie investieren zu 100 Prozent in die Long-Position, wenn die Prognose positiv ist, andernfalls erzielen sie eine Überschussrendite von null. Die Autoren präsentieren die Ergebnisse separat für die Short-Position, bei der wir entweder die Aktien in diesem Portfolio vollständig leer verkaufen oder andernfalls eine Überschussrendite von null erzielen. Die Renditevorhersagen werden mithilfe von PLS-Regressionen getroffen, bei denen erneut die Anzahl der Komponenten variiert. Um Leistungsstatistiken zu berechnen, verwenden die Autoren ein zweistufiges Verfahren: Zuerst berechnen sie Statistiken für jeden einzelnen Faktor separat für seine Out-of-sample-Periode. Zweitens werden durchschnittliche Querschnitte verwendet – das bedeutet, es wird nicht die Perspektive eines diversifizierten Investors über verschiedene Faktoren hinweg betrachtet, sondern ein Investor simuliert, der zufällig einen Faktor aus dem Satz von 314 Faktoren auswählt. Die Auswertung (siehe Tabelle „Getimte Ein-Faktor-Strategie“) zeigt laut Reschenhofer, „dass das Timing einzelner Faktoren attraktiv ist. Es steigert die durchschnittlichen Renditen von etwa vier auf fünf Prozent per annum und erhöht die Sharpe Ratios von 0,33 auf 0,45.“
Geringe Trefferquote
Ernüchternd ist die Trefferquote beim Short-Portfolio, was daran liegt, dass es bekanntermaßen schwierig ist, einmonatige negative Renditen für Faktoren vorherzusagen, die bedingungslos positive Renditen aufweisen. Zwar erwirtschaftet die Short-Position im Durchschnitt Renditen, die Trefferquote liegt aber deutlich unter 50 Prozent der Fälle.
Long-Short-Portfolios weisen wiederum eine höhere Rendite, aber nur geringfügig höhere Sharpe Ratios auf als zeitlich abgestimmte Long-only-Portfolios.
Schlüsselt man letzten Endes die einzelnen Zeitabschnitte unabhängig von der Zahl der Komponenten für die PLS-Regression auf, schlagen die zeitlich abgestimmten Strategien in jedem einzelnen Zeitraum die nicht zeitlich abgestimmte Leistung. Interessanterweise gibt es mit der Erhöhung der Komponenten keine Leistungsabnahme. Im Gegenteil, die Leistung verbessert sich, je mehr Informationen verfügbar werden. Zu Beginn des Out-of-sample-Zeitraums von 1975 bis 1989 verbessert eine Komponente die Rendite um 46 Prozent, von 4,49 auf 6,60 Prozent. Für das letzte Drittel der Stichprobe von 2005 bis 2020 kann man eine Steigerung um 67 Prozent, von 2,24 auf 3,73 Prozent feststellen. Bisher haben die Autoren also aufgezeigt, dass Faktor-Timing vorteilhaft sein kann, wenn es nur auf einzelne Faktoren angewendet wird. „Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass ein erfahrener Investor nur einer einzigen Quelle systematischen Risikos ausgesetzt sein möchte. Daher untersuchen wir die Gewinne des Faktor-Timings für einen Investor, der sich mehreren Faktoren aussetzen möchte“, so Co-Autor Randl. „In einem ersten Schritt bemühen wir uns um die einfachstmögliche Umsetzung, um das Ergebnis aus den Faktor-Timing-Regressionen zu nutzen.“
Daher bilden die Autoren Long-Position-Portfolios, die zu jedem Zeitpunkt t alle Faktoren gleich gewichten und für den Zeitpunkt t?+?1 positive prognostizierte Renditen aufweisen. Im Gegensatz zu den Einzelfaktorportfolios ist das Multi-Faktor-Portfolio immer voll investiert, die Anzahl der Faktoren, in die es investiert, kann sich im Lauf der Zeit ändern. „Dabei stellt das nicht zeitlich abgestimmte gleichgewichtete Faktorportfolio (siehe Tabelle „Getimte Multi-Faktor-Strategie“, erste Spalte) eine anspruchsvolle Benchmark dar“, meint Co-Autor Neuhierl, weist dieses einfache Portfolio doch eine durchschnittliche Rendite von 4,94 Prozent und eine Sharpe Ratio von 2,29 auf. Nichtsdestotrotz – und ziemlich spektakulär – übertreffen die zeitlich abgestimmten Portfolios diese Benchmark.
Das Portfolio, das nur eine Komponente zur Vorhersage zukünftiger Renditen verwendet, liefert eine annualisierte Rendite von 5,84 Prozent und eine Sharpe Ratio von 1,95. Beim höchsten Informationsgehalt, also fünf Komponenten, fallen die Renditen etwas niedriger aus – dafür ist der Risikolevel niedriger, was sich in einer Sharpe Ratio von 2,21 niederschlägt. Die risikobereinigten Performances, also das Alpha aus einer Multi-Faktor-Regression auf die fünf Fama-French-Faktoren plus Momentum, sind groß und statistisch signifikant. Die t-Statistik-Werte für die Renditedifferenz zwischen den zeitlich abgestimmten und den ursprünglichen Faktorportfolios sind selbst bei einer geringen Anzahl von PLS-Komponenten hoch signifikant. Die Unterschiede bei der Sharpe Ratio drehen nur marginal ins Positive, wenn fünf Komponenten verwendet werden.
Die Renditen des Short-Position-Portfolios liegen wiederum nahe bei einem Prozent. Im Vergleich zu den Long-Position-Portfolios ist der maximale Drawdown in seiner Größenordnung erheblich größer. Der Umsatz verdoppelt sich. Daher erscheinen Short-Position-Portfolios nicht als attraktive Anlagestrategie für sich allein. Abschnitt E der Tabelle zeigt schließlich Portfolios, die Long- und Short-Positionen in allen Faktoren basierend auf dem vorhergesagten Vorzeichen aus den Signalen einnehmen. „Diese Strategie verbessert tatsächlich die durchschnittlichen Renditen, geht jedoch mit höherem Risiko und folgerichtig niedrigeren Sharpe Ratios im Vergleich zu Long-Positionen einher“, so Co-Autor Neuhierl abschließend. Getimte Faktorstrategien sind also zumindest auf dem Papier den passiven Ansätzen überlegen (siehe Chart „Timing macht sich bezahlt“): Die mathematische Herangehensweise der Autoren erlaubt ein effizientes Anzapfen von mehr als 300 Faktoren und schlägt sowohl die getimten als auch die nicht getimten Faktorstrategien von Fama-French.
Hans Weitmayr