Logo von Institutional Money
1/2023 | Produkte & Strategien

Ausgehebelt

Wenn Investoren in Finanzvehikel investieren, deren Name mit drei Buchstaben abgekürzt werden kann, wird es gefährlich. Diesmal erwischte es die britischen Pensionskassen, ­deren ­gehebelte LDIs (Liability Driven Investments) Liquiditätsprobleme verursachten.

Britische Pensionsfonds hatten Ende des Vorjahres mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen, ­nachdem die Bank of England aufgrund des Inflationsanstiegs auf die Zinsbremse treten musste.
Britische Pensionsfonds hatten Ende des Vorjahres mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen, ­nachdem die Bank of England aufgrund des Inflationsanstiegs auf die Zinsbremse treten musste.

© William | stock.adobe.com

Es ging schnell: Kaum dass die neue Regierung in Großbritannien unter Premierministerin Liz Truss ihr Haushaltsprogramm unter dem Namen „Mini-Budget“ präsentiert hatte, konnte man schon die Schlag­zeilen über massive Probleme bei britischen Pensionskassen lesen. In einem Report der britischen Regierung zu der Thematik liest sich das – verkürzt – so:?Die Rechnungslegungsstandards zwangen Pensionsfonds dazu, sich statt auf langfristige zu sehr auf aktuelle Schätzungen der Rentendefizite zu konzentrieren. Sie versuchten daher, die benötigten ­Anlageerträge mithilfe von gehebelten Anleiheninvestments zu erreichen.

Wie stets in solchen Situationen war es das Zusammentreffen verschiedener unglücklicher Umstände, das im Herbst 2022 zu dem Beinahe-Desaster führte. In Gang gesetzt wurde die Negativspirale durch den sprunghaften Inflations­anstieg. Weltweit sahen sich Notenbanken plötzlich in der Pflicht, ihre Leitzinsen rasch anzuheben – Vorreiter war die US-Notenbank Fed, dann folgten die EZB und auch die Bank of England. „Der schnelle Zinsanstieg war eines der Hauptprobleme“, beschreibt Kilian Thevissen, Director Strategic Client Solutions bei Russell Investments. Adrian Hull gibt ihm recht: „In kürzester Zeit stieg der Zinssatz für zehnjährige Gilts von 1,5 auf 4,5 Prozent; das war extrem.“ Hull leitet in London das Core-Fixed-Income-Geschäft bei Aegon Asset Management. Dieser Zinsschock führte in Kombi­nation mit einer fiskalpolitischen Maßnahme der 40-Tage-Premierministerin Liz Truss auf dem Markt für britische Staatsanleihen zu Turbulenzen. Ihr Haushaltsprogramm sah Steuersenkungen in Höhe von knapp 60 Milliarden Euro vor, die insbesondere Spitzenverdienern zugutekommen sollten. Da keine Gegenfinanzierung bestand, hätte das entstehende Defizit über Schulden finanziert werden müssen, Großbritanniens Kreditwürdigkeit drohte abzurutschen. ­Daraufhin zogen sich ausländische Investoren von der Insel zurück, was die Kurse der britischen Staatsanleihen weiter unter Druck brachte. „Ein solches Szenario habe ich vorher nur in Emerging Markets gesehen“, beschreibt Thevissen.

Knackpunkt LDI-Strategien

Für die Pensionskassen erwiesen sich aber vor allem die LDI-Strategien als Problem. „Die Pensionskassen in Groß­britannien setzen in großem Ausmaß Liability-Driven-Investment-Strategien ein. Dadurch erreichen sie, dass die Wertentwicklung ihrer Portfolios bis zu einem gewünschten Maß die Wertenwicklung ihrer Verbindlichkeiten repliziert. Die Verbindlichkeiten liegen überwiegend weit in der Zukunft, und ihr gegenwärtiger Wert basiert auf der britischen Ertragskurve“, erklärt Thevissen. „Daher investieren LDI-Strategien hauptsächlich in lang laufende britische Staatspapiere, wobei auch Derivate eingesetzt werden, um den Hebel zu erhöhen.“

LDI-Strategien, so erklärt Adrian Hull von Aegon Asset Management, kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn es um Defined-Benefit-Pensionspläne geht, und davon gebe es in Großbritannien noch sehr viele. Die Strategien sollen möglichst passgenau die Wertentwicklung der Verbindlichkeiten der Pensionskassen abdecken. Sie beinhalten überwiegend Gilts, wobei das Exposure oft durch Repo-Transaktionen und Swaps gehebelt wird. Hull: „Natürlich werden die Verpflichtungen der Pensionskassen durch die LDI-Strategien nicht kleiner. Aber je stärker die LDI-Stra­tegien gehebelt sind, desto weniger Assets benötigen die Pensionskassen, um ihre Verpflichtungsseite zu bedecken. Den Rest ihrer Assets können sie dann in höher verzinste Assetklassen investieren, die dann oft weniger liquide sind.“

Je nach Anlagevolumen der Pensionskasse wird das LDI-Exposure entweder über ein Mandat oder über Fonds aufgebaut. „Wir haben keine eigenen LDI-Strategien, sondern greifen im Rahmen unserer Fiduciary-Management-Mandate auf die großen LDI-Anbieter zurück“, ­erklärt Thevissen. Die Big Player hier sind zum Beispiel Blackrock, Insight, Schroders und Legal and General. Mit den Mandaten hätte es auch während der Krise ­keine Probleme gegeben. „Da konnten wir immer genügend Kapital zeitnah transferieren, denn hier gab es keine Abhängigkeit von festgelegten Prozessen wie bei einer Fondsstruktur“, so Thevissen. Je nach Wunsch der Pensionskasse können LDI-Fonds stark oder weniger stark gehebelt sein. „Solange wir keine extremen Marktbewegungen wie im September 2022 haben, ist das unproblematisch. So ist zum Beispiel seit Beginn des Jahres 2022 die Ertragskurve stark angestiegen. Bis Herbst 2022 entstand dadurch kein größeres Problem, weil der Anstieg kontinuierlich erfolgte, sodass regelmäßig Rekapitalisierungen der Fonds durch die vom Manager fest­gelegten Prozesse durchgeführt werden konnten“, erklärt Thevissen. Die Pensionskassen brachten also kontinuierlich weiteres Kapital in die von ihnen gehaltenen LDI-Fonds ein, um den Leverage unter Kontrolle zu halten.

Die LDI-Fonds haben zwar ein integriertes Risikomanagement, aber in der extrem unruhigen Situation am Gilt-Markt im Herbst 2022 reichte es nicht. „Die meisten LDI-Fonds konnten einer Erhöhung der Ertragskurve um 150 bis 200 Basispunkte problemlos widerstehen, ohne in den Bereich negativen Eigenkapitals zu kommen“, erklärt Thevissen, „aber im September 2022 sprechen wir von einer Erhöhung um zirka 300 Basispunkte. Eine so starke Veränderung der Ertragskurve innerhalb eines so kurzen Zeitraums gab es noch nie zuvor in einem entwickelten Markt.“

Teufelskreis – wenn alle dasselbe tun

So prasselten immer weitere Nachschussforderungen – sogenannte Margin Calls – auf die britischen Pensionskassen nieder. Sie waren gezwungen, die Margin Calls ihrer LDI-Fonds zu erfüllen und entsprechend Liquidität zu schaffen. „Aus Liquiditätssicht kann man die Portfolios der meisten britischen Pensionskassen in vier Assetklassen unterteilen: Erstens Cash, cashähnliche Instrumente und Gilts, zweitens liquide Assetklassen wie Investment Grade Credit und Equity, drittens liquide Assetklassen mit einem Buy-and-Hold-to-Maturity-Ansatz und viertens illiquide Assetklassen wie ­Immobilien oder Private Credit“, erklärt Thevissen. „Man konnte genau die Veränderungen in der Liquiditätskaskade beobachten: Nachdem die Pensionsfonds zuerst ihren Bestand an Cash und cashähnlichen Instrumenten für die Rekapitalisierung der LDI-Fonds eingesetzt hatten und es immer noch nicht reichte, mussten sie auch Teile ihrer Equity- oder Investment-Grade-Credit-Portfolios verkaufen, um zusätzliche Liquidität zu generieren.“ Hull fährt fort: „Durch die massiven Zwangsverkäufe der britischen Pensionskassen trocknete der Markt lang laufender Gilts aus, sodass es hier im September 2022 quasi keine Liquidität mehr gab.“ Auf einmal gab es nur noch Verkäufer für lang laufende Gilts, keine Käufer mehr. Damit drohte die Insolvenz einiger ­Pensionskassen und ihrer LDI-Fonds, was vermutlich eine veritable Finanzkrise ausgelöst hätte.

Wenn ein LDI-Fonds weiteres Kapital durch eine Reka­pitalisierung einfordert, gibt es festgelegte Prozesse, die den Investoren einige Tage Zeit geben, um die Forderung zu bedienen. „Bei unseren Fiduciary-Management-Mandaten im Auftrag von Pensionskassen können wir Rekapitalisierungen selbstständig bedienen. Im Markt gibt es aber auch andere Modelle, bei denen die Trustees der Pensionskassen eine ­Rekapitalisierungstransaktion erst physisch unterzeichnen müssen, wofür deutlich mehr Zeit benötigt wird. In einem normalen Marktumfeld ist das ausreichend. Aber im September passte es vorn und hinten nicht mehr. Das Geld kam einfach zu langsam bei den LDI-Fonds an, und das hat dazu geführt, dass einige Fonds ihre Positionen verkaufen mussten.“ Momentan finden Gespräche mit den Fondsmanagern statt, um die Fonds effizienter zu gestalten. „Bei einigen Managern verging zu viel Zeit, bis das zusätzliche Kapital im Fonds wirklich verfügbar war“, bemängelt Thevissen.

Die Marktteilnehmer erkannten, dass es sich um einen selbstbefeuernden Effekt handelte, den vermutlich nur eine Zentralbank stoppen konnte. Am 28. September griff die Bank of England ein und begann lang laufende Gilts zu kaufen. Sie machte dafür insgesamt 65 Milliarden Pfund ­locker, umgerechnet rund 72,9 Milliarden Euro.

Schon nach wenigen Wochen war der Spuk vorbei, denn die Ankäufe der BoE führten zu einer niedrigeren Ertragskurve, wodurch sich die Verluste der LDI-Fonds und Pen­sionskassen verringert haben. Hierdurch wurde der Teufelskreis durchbrochen, sodass die BoE am 14. Oktober ihre Aufkäufe stoppen konnte. Am Ende hatte sie nur 19 Mil­liarden Pfund (21,3 Mrd. Euro) ausgegeben.

Im Nachhinein sieht man, wo das Problem lag: „In Großbritannien herrscht eine starke Gleichrichtung der Pensionsfonds. Alle tun sehr Ähnliches, weil sie alle von denselben Beratern betreut werden“, sagt Hull. Er meint, dass sich die Problematik auf dem Kontinent nicht stellt. „Der Euro-Markt ist viel größer und liquider als der britische Gilt-Markt. Außerdem sind die europäischen Pensionskassen nicht so gleichgerichtet, es herrscht eine größere Diversität. In jedem Land ist das System ein wenig anders, und jede Pensionskasse wendet ihre eigene Strategie an“, so Hull. Auch die Umstellung der Pensionssysteme von DB auf DC nehme den Druck raus.

Viel Derivat, wenig Asset

Probleme sieht Hull auch in der übermäßigen Nutzung von Derivaten: „Wenn Sie alles derivatisieren, dann haben Sie viele Derivate und nur wenige Assets. Letztlich bieten aber nur reale Assets echte Liquidität, und derivative Sicherheiten schaffen Liquiditätsbedarf“, so Hull. Er hat einen weiteren Vorschlag: „Die Liquiditätsregeln von Fonds müssen überdacht werden. Fonds mit täglicher Liquidität sollten nur Assets beinhalten, die sich täglich liquidieren lassen!“

Aufsicht reagiert schon Thevissen sieht erste Konsequenzen durch die Aufsicht: „Die meisten LDI-Fonds sind in Luxemburg oder Irland zugelassen. Während früher ein Collateral-Puffer von 150 Basispunkten ausreichend war, fordern die Regulierungsbehörden jetzt 300 bis 400.“ Er erklärt, was das in der Praxis heißt: „Wenn die Rendite von zehnjährigen Gilts bei 3,5 Prozent liegt, muss ein LDI-Fonds, der in diese Gilts investiert, jetzt in der Lage sein, einem Anstieg der Ertragskurve bis 6,5 oder 7,5 Prozent zu widerstehen, ohne weiteres Kapital einfordern zu müssen“. Im Nachhinein meint er, dass viele Pensionskassen in England schon während des kontinuierlichen Anstiegs der Ertragskurve vor dem Herbst 2022 stärker darauf hätten achten müssen, die ersten beiden Assetklassen der Liquiditätskaskade wieder aufzufüllen, nachdem kontinuierlich Liquidität in LDI-Fonds eingeschossen werden musste. Auch die Governance-Strukturen der Pensionskassen werden jetzt unter die Lupe genommen: Wer macht was operationell? Wer unterschreibt was, und wer schickt was wohin? Damit sollen die Prozesse nicht nur klar, sondern im Krisenfall auch schnell sein. „Außerdem hat sich bei einigen Pensionskassen der Anteil an illiquiden Assets innerhalb des Nicht-LDI-Teils des Portfolios durch die gestiegene Kapitalintensität der LDI-Fonds erhöht. Die Manager müssen dabei analysieren, ob sich dieser Anteil noch in ­einer Gegend bewegt, die verantwortbar ist“, reflektiert ­Thevissen. „Wir werden uns in naher Zukunft mit verschiedenen Kunden darüber unterhalten, ob die Balance zwischen Zielrenditen, Illiquidität und der Verwendung von LDI-Strategien angepasst werden muss.“

Warnung für den Kontinent

Der ehemalige BaFin-Präsident Felix Hufeld sprach in seinem Vortrag auf dem Faros Institutional Investors Forum (FIIF) am 17. November 2022 in Frankfurt unter anderem über die Krise der britischen Pensionskassen. „Die Notverkäufe von Gilts summierten sich im Herbst 2022 innerhalb weniger Tage auf über 100 Milliarden Pfund. Die Gefahr, dass sich die Problematik auch auf Geldmarktfonds ausbreiten würde, war greifbar nah.“ Der Marktaufsichtsexperte sieht in den Problemen auf der Insel auch eine Warnung für den Kontinent: „Wir haben da in Großbritannien einen heißen Reifen gesehen, trotz moderner Regulatorik. Der Fall wird in Deutschland vielleicht nicht genauso auftreten, aber etwas Ähnliches könnte auch hierzulande passieren.“ Er betrachtet das als Weckruf für Regulierer und meint: „Es wird eine regulatorische Antwort darauf geben!“ Damit versetzt er Hoffnungen einen Dämpfer, dass es nach den vielen Regu­lierungen, die es zuletzt gab, demnächst auch mal eine regulatorische Pause geben könnte.

Anke Dembowski

Dieses Seite teilen