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4/2024 | Produkte & Strategien

»4,4 Prozent, ohne Garantie«

Die ZielrenteCHEMIE hat als viertes Sozialpartnermodell (SPM) im Mai 2024 grünes Licht von der BaFin erhalten. Mit der strategische Asset Allocation von 45 Prozent Aktien und 55 Prozent Anleihen hat man damit eine Zielrendite von 4,4 Prozent im Visier. Da ein SPM ohne harte Garantien auskommen muss, ist ein kollektiver Puffer eingebaut.

© DR. ANETTE WALKER

Bauherren der ZielrenteCHEMIE, die eine reine ­Beitragszusage ohne Garantie darstellt, sind die ­Sozialpartner der chemischen und pharmazeutischen Industrie: der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und die Chemiegewerkschaft IGBCE. Durchgeführt wird die ZielrenteCHEMIE von der Höchster Pensionskasse, und die Kapitalanlage verantwortet der globale Vermögensverwalter Fidelity International. Institutional Money sprach mit den Protagonisten dieses neuen Sozialpartnermodells: Lutz Mühl, Geschäftsführer Bundesarbeitgeberverband ­Chemie (BAVC); Elvira Wittke, Tarifjuristin der Industrie­gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE); Jürgen Rings, Vorstandsvorsitzender der Höchster Pensionskasse; und Christof Quiring, Leiter betriebliche Altersvorsorge und Mitglied der Geschäftsführung Deutschland bei Fidelity ­International.

Wie wird denn die strategische Asset Allocation für die ZielrenteChemie aussehen, da nun keine Garantien mehr benötigt ­werden?

Christof Quiring: In der strategischen Asset Allocation haben wir 45 Prozent Aktien und 55 Prozent Anleihen. Davon dürfen wir in beide Richtungen zehn Prozent abweichen. Diese beiden Blöcke sind dann weiter diversifiziert nach Regionen und Subanlageklassen, also im Rentenbereich z.?B. Staats­anleihen, Unternehmensanleihen, Schwellenländeranleihen und Hochzinsanleihen.

Welche Zielrendite streben Sie mit diesem Portfolio an?

Christof Quiring: Aufgrund unserer aktuellen Kapitalmarktannahmen liegt sie bei 4,4 Prozent. Wir gehen damit sehr transparent um. Weder die Kapitalmarktrisiken noch die Renditeerwartungen sind etwas, das wir geheim halten ­wollen. Die Modelldaten werden halbjährlich aktualisiert.

Wie funktioniert der kollektive Sicherungspuffer, den der Tarifvertrag vorsieht? Wer zahlt ihn, und wann kommt er zum Tragen?

Christof Quiring: Der Sicherungspuffer wird allein von den Arbeitgebern bezahlt. Die zahlen fünf Prozent auf die maßgeblichen Beiträge gemäß den Vorgaben des Tarifvertrags ein, die nicht auf das individuelle Konto des Mitarbeiters ­gehen, sondern in den kollektiven Puffer fließen. Dieser wird nicht in der Anwartschaftsphase verwendet, sondern nur in der Rentenphase, um stärkere Rentenkürzungen zu vermeiden.

Und wie sieht die Kapitalanlage dafür aus?

Christof Quiring: Genauso wie die Gelder in der Anwartschafts- und Rentenphase. Was die Asset Allocation betrifft, fließt alles in denselben Topf. Im Prinzip haben wir uns für ein Modell entschieden, das durchgängig ist und dadurch einfach kommuniziert werden kann.

Frau Wittke, war es der Arbeitnehmerseite wichtig, dass der ­kollektive Puffer von den Unternehmen bezahlt wird?

Elvira Wittke: Der Sicherungspuffer hat ja die Funktion, ­mögliche Rentensenkungen abzufedern. Da das Risiko der Kapitalanlage bei der reinen Beitragszusage allein auf der ­Arbeitnehmerseite liegt, war es uns sehr wichtig, dass die ­Arbeitgeber durch den Sicherungsbeitrag entsprechend eine Kompensation für die Risikokomponente aufwenden.

Und akzeptiert die Gewerkschaftsseite, dass der Sicherungspuffer eine adäquate Kompensation für das Marktrisiko ist, das ja jeder einzelne Mitarbeiter tragen muss?

Elvira Wittke: Ja, der Sicherungspuffer wird als wichtiger ­zusätzlicher Faktor angesehen, damit die Beschäftigten Vertrauen in das System haben, das ja völlig ohne Garantien auskommen muss. Natürlich gibt es bei manchen noch eine gewisse Skepsis, insbesondere bei den Älteren, wobei die ja bereits ihre Altersversorgungssysteme haben. Aber insgesamt wird das Modell akzeptiert, und es wird vor allem für gut befunden, dass es tarifvertraglich verankert ist.

Gibt es außer dem Sicherungspuffer weitere Puffermechanismen?

Christof Quiring: Der wichtigste Puffer ist die Asset Alloca­tion, die sehr breit diversifiziert ist und bei der wir taktische Abweichungen vornehmen können. Und natürlich haben wir im Portfoliomanagement ein dezidiertes Risikomanagement. Aber ansonsten gibt es keine ähnlichen Puffer wie den Sicherungspuffer.

Das Problem der Doppelverbeitragung von arbeitnehmerfinanzierten Beiträgen oberhalb von vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze stellt ja noch ein Ärgernis dar. Herr Mühl, Sie nehmen zum Thema Betriebsrenten an verschiedenen Gesprächen in Berlin teil. Glauben Sie, dass man hier politisch noch etwas ­bewirken kann?

Lutz Mühl: Das Brett, das da zu bohren ist, ist noch ziemlich dick. Aktuell nehme ich nicht wahr, dass sich da kurzfristig etwas bewegen wird. Aber das ist natürlich ein Thema, das bei allen, die in dem Bereich unterwegs sind, auf dem Zettel steht. Allerdings muss man sich auch sehr genau ansehen, was genau doppelt verbeitragt wird. Das hängt von der ­Versorgung ab, über die man redet.

Was wird denn bei der ZielrenteChemie doppelt verbeitragt?

Lutz Mühl: Bei der ZielrenteChemie gibt es in der Regel keine doppelte Verbeitragung, soweit die Einzahlung als Entgeltumwandlung im Rahmen der Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit erfolgt. In dem Fall erfolgt die Einzahlung beitragsfrei, und die Beschäftigten bekommen ja auch die Arbeitgeberbeiträge als Förderung mit ausbezahlt, daher müssen dann bei der Auszahlung Beiträge gezahlt werden.

Ist die bAV tatsächlich ein so großes Incentive, um Mitarbeiter ­anzuziehen oder an sich zu binden?

Lutz Mühl: Wir denken schon! Die bAV ist Teil des Gesamtpakets, das neben vielen anderen Arbeitsbedingungen die Attraktivität in der Branche ausmacht. In einem aus Arbeitgeberperspektive schwieriger werdenden Arbeitsmarkt, wo es insbesondere um qualifizierte Fachkräfte einen härteren Wettbewerb gibt, ist es ein wichtiges Argument, auch in der bAV ein attraktives, zukunftsfähiges Angebot zu haben. Das kann nicht allein der entscheidende Punkt sein, aber es ist etwas, das mit zum Gesamtpaket unserer Branche gehört.

Die fehlende Garantie – kratzt die an der Attraktivität der bAV? Wie denkt da die junge Generation?

Lutz Mühl: Meine Wahrnehmung ist, dass eher umgekehrt ein Schuh daraus wird. Die junge Generation sieht Garantien zunehmend kritisch. Viele wissen, welche Kosten mit Garantien verbunden sind und dass sie die Chancen hemmen. Das neue SPM eröffnet die Chancen des Kapitalmarktes, die die junge Generation gern für sich nutzen möchte. Ich glaube, dieses Modell stößt jetzt auf viel mehr Offenheit, als es vielleicht vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre.

Die Chemiebranche hat jetzt schon das zweite Sozialpartner­modell vom Stapel gelassen. Warum braucht es zwei Modelle?

Lutz Mühl: Eigentlich haben wir 2022 ein Sozialpartnermodell tariflich vereinbart und nun das zweite Produktangebot auf dessen Basis an den Start gebracht. Ich sehe den Vorteil darin, dass es Wettbewerb gibt. Unternehmen und Beschäftigte haben eine Wahl; es gibt kein One-Size-Fits-All-An­gebot nach dem Motto „Friss oder stirb!“. So können die Unternehmen und Beschäftigten Teil des Entscheidungs­prozesses sein und sagen: „Ich möchte dieses Angebot nehmen oder lieber jenes.“ Außerdem bin ich als Ökonom ganz grundsätzlich davon überzeugt, dass Wettbewerb zu attraktiveren Angeboten führt.

Wie unterscheiden sich denn die beiden Modelle?

Lutz Mühl: In den Kernvorgaben unterscheiden sie sich nicht. Der Tarifvertrag zum Sozialpartnermodell Chemie, auf dem beide beruhen, ist ja identisch. Daher sind zum Beispiel die fünf Prozent Sicherungsbeitrag gleich. Aber es gibt Unterschiede in der Kapitalanlage, in den Strategien, die dahinter liegen, und in der Verwaltung. Es ist dann die Aufgabe der Betriebe zu schauen, was für sie das überzeugendere Angebot ist.

Elvira Wittke: Ein Unterschied ist auch der Durchführungsweg. Einmal haben wir einen Pensionsfonds und bei der ZielrenteCHEMIE eine Pensionskasse. Bei der Pensionskasse mussten erst noch Satzung und Versicherungsbedingungen entsprechend angepasst werden. Aber ansonsten gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Systemen. Die ­Arbeitgeber haben die gleichen Voraussetzungen zu erfüllen. Und letztendlich entscheiden dann in der Tat die Unter­nehmen, welches Modell sie mehr anspricht. Sie werden sich dazu Vergleiche holen und prüfen, was sie in der ­Betreuung und der Performance mehr anspricht.

Ist denn bei dem ersten SPM, das die Chemiebranche gemeinsam mit der R+V-Versicherung ins Leben gerufen hat, die erzielte ­Rendite bekannt, sodass die Mitarbeiter sich unter anderem an der Performance orientieren können?

Lutz Mühl: Wie grundsätzlich in der tariflichen Altersvorsorge der Chemie liegt die Entscheidung für Durchführungsweg und Zusageart – und somit auch die für eines der beiden Angebote zum Sozialpartnermodell – auf der betrieb­lichen Ebene, nicht bei den einzelnen Beschäftigten. Die ­betrieblichen Entscheidungsträger schauen sich die Werte und Eckdaten natürlich vor der Entscheidung an. In der ja noch kurzen Historie sind die Renditeerwartungen für das Sozialpartnermodell im ChemiePensionsfonds mehr als ­erfüllt worden, so viel kann ich auch hier sagen.

Es ist ja auch so, dass das eine SPM rein mit einer Versicherungsgesellschaft entwickelt wurde und das andere mit einer Pensionskasse und einem Asset Manager. War das Absicht oder Zufall?

Lutz Mühl: Den Chemiepensionsfonds, den wir beim ersten SPM verwendet haben, gab es in der klassischen Welt ja schon lange. Daher war es naheliegend, in diesem bestehenden gemeinsamen Instrument der Chemie-Sozialpartner als Erstes eine reine Beitragszusage umzusetzen. Wir haben den Tarifvertrag aber von vornherein so angelegt, dass auch weitere Anbieter aus unserer Branche auf seiner Basis Produkte mit uns entwickeln können. Entsprechend kam dann auch die Höchster Pensionskasse auf uns zu mit dem Wunsch, ein solches Modell zu entwickeln. Im weiteren Prozess haben wir in einem Auswahlprozess dann Fidelity mit an Bord ­genommen. So ist das entstanden.


Jürgen Rings
: Die chemisch-pharmazeutische Chemie kennt das neben der betrieblichen Altersversorgung ja auch schon bei den Zeitwertkonten. Da gibt es auch verschiedene Ange­bote. Ich glaube, Wettbewerb ist hier eine gute Sache.

Wie sieht es denn mit der Nachfrage aus, bei einem SPM mitzumachen?

Elvira Wittke: Die ist ganz klar da, und zwar nicht nur von der chemischen Industrie, sondern auch von unseren ­benachbarten Branchen. Wir betreuen ja bei der IGBCE nicht nur die chemische und pharmazeutische Industrie, sondern auch die Papierindustrie, die Glasindustrie, die Kunststoffindustrie und die feinkeramische Industrie. Bei der feinkeramischen Industrie gibt es bereits einen Flächentarifvertrag zu einer reinen Beitragszusage. Der Glasverband ist gerade mit viel Zielstrebigkeit dabei, ebenfalls einen ­solchen Tarifvertrag abzuschließen. Und auch in der Papierindustrie gab es Interessenbekundungen, vielleicht auch in diese Richtung zu gehen.

War es wichtig, dass einfach mal jemand damit begonnen hat?

Elvira Wittke: Ich glaube schon! Viele betrachten die beiden Modelle und sagen: „Ach ja, das finde ich gut!“ Dann können sie sich vorstellen, ebenfalls mitzumachen. Daher haben wir die Verträge angepasst, sodass jetzt die Möglichkeit ­besteht, auch andere Verbände mit aufzunehmen.

Insgesamt haben die beiden Sozialpartner ja an einem Strang ­gezogen, sonst wäre das SPM nicht zustande gekommen. Was ­waren denn die größten Brocken, um die Sie ringen mussten?

Lutz Mühl: Wo wir verhandeln mussten, das war die Höhe des Sicherungsbeitrags, die fünf Prozent, die vom Arbeit­geber auf jeden Beitrag zu zahlen sind. Das war aber eine Diskussion, die sehr zielorientiert war. Wir haben uns die Frage gestellt, welches Sicherungsniveau wir gemeinsam ­erreichen wollen und wie viel wir brauchen, um ein allgemein akzeptiertes Modell anbieten zu können. Dabei war abzuwägen, dass das Modell auf der einen Seite attraktiv für die Beschäftigen ist und auf der anderen Seite die Unternehmen nicht so hohe Zusatzkosten haben, dass zu viele sagen: „Dann bleibe ich lieber in der bekannten Welt!“ Alle anderen Punkte waren Fachthemen, bei denen wir gemeinsam die beste Lösung gesucht und unterschiedliche Ideen abgeklopft haben, aber nicht, wo wir mit verschiedenen Inter­essen aufeinandergestoßen wären.

Elvira Wittke: Mit dem BAVC besteht ja schon eine lange ­Sozialpartnerschaft. Insofern haben sich die Sozialpartner frühzeitig zusammengesetzt, um ein Sozialpartnermodell auf die Beine zu stellen. Am Anfang haben wir überlegt, wie der Tarifvertrag auszugestalten ist. Sollten wir einen eigenständigen Tarifvertrag machen, oder wird das integriert in den bereits bestehenden? Es wurde dann in den bestehenden aufgenommen. Wir haben auch bewusst darauf geachtet, die Regelungen aus der reinen Beitragszusage schlank zu halten, sodass sie leichter auch auf weitere Branchen übertragbar sind. Es gab dann noch eine generelle Diskussion, ob die AT-Beschäftigten mitmachen dürfen, weil die eigentlich aus dem Geltungsbereich des Tarifvertrags ausgenommen sind. Die wollten wir natürlich auch gern mit dabeihaben.

Dürfen die jetzt mit rein?

Elvira Wittke: Ja, wir haben den persönlichen Geltungs­bereich für die AT-Beschäftigten abgeändert, sodass sie nun an der reinen Beitragszusage teilnehmen können.

Die Höhe der strategischen Aktienquote war kein Streitpunkt?

Lutz Mühl: Wir haben uns natürlich Empfehlungen und Modellrechnungen geben lassen und gemeinsam angeschaut. Ich kann für uns sagen, dass wir vieles gut können, aber natürlich nicht DIE Experten in der Kapitalanlage sind. Daher haben wir geschaut: Welche Angebote gibt es? ­Welche möglichen Ergebnisse, Korridore und Schwankungsbreiten gibt es nach den entsprechenden Modellrechnungen? Auf dieser Basis haben wir uns als Sozialpartner dann – natürlich gemeinsam mit den Anbietern – hier für die ­Aktienquote von 45 Prozent bei der ZielrenteCHEMIE ­entschieden.

Wie interessiert zeigen sich jetzt die Arbeitnehmer an der Zielrente­CHEMIE? Wollen die mitmachen?

Elvira Wittke: Als Erstes sind es ja die Arbeitgeber, die die Entscheidung treffen, ob ein neues Modell eingeführt wird oder nicht. Sie müssen sich dann natürlich mit der Arbeitnehmerseite abstimmen und dann gemeinsam eine Vereinbarung schließen. Die Arbeitnehmer wollen eher beraten werden, weil sie etwas über ein SPM gehört haben. Sie ­wollen wissen, ob das gut für sie ist. Zur ZielrenteCHEMIE sind zuletzt schon einige Anfragen gekommen, insbesondere wenn ein Unternehmen gerade dabei ist, sowieso seine betriebliche Altersversorgung umzustellen.

Bei der ZielrenteCHEMIE gibt es einen Steuerungsausschuss: ­Welche Themen werden dort behandelt?

Lutz Mühl: Der Steuerungsausschuss basiert auf den gesetz­lichen Vorgaben für das SPM. Dabei geht es einerseits um Beraten, Empfehlen und Überwachen. Bei der Kapitalanlage überwacht der Steuerungsausschuss, ob das, was wir gemeinsam vereinbart haben, auch eingehalten wird, und schaut, ob die Leitplanken noch passen. Die Detailentscheidungen im täglichen Geschäft in der Kapitalanlage bleiben Aufgabe des Vorstands und der durchführenden Einrichtungen. Das ist auch der BaFin wichtig. Andererseits entscheidet der Steuerungsausschuss später einmal über Zeitpunkte und Umfang von Rentenanpassungen und die Verwendung des Sicherungsbeitragspuffers. Bis dahin müssen aber erst einmal die ersten Beschäftigten im Modell in der Rentenphase sein.

Wie oft trifft sich der Ausschuss?

Lutz Mühl: Der Steuerungsausschuss trifft sich regelmäßig viermal pro Jahr, bei Bedarf natürlich auch ad hoc.

Herr Rings, was waren für Sie als Vorstandsvorsitzenden der Höchster Pensionskasse die Learnings, als Sie die Zielrente­CHEMIE mit ins Leben gerufen haben?

Jürgen Rings: Wir haben unsere zwei Pensionskassen in Frankfurt-Höchst. Das bedeutet, dass wir bis dato erstens ausschließlich Garantietarife im Angebot hatten und zweitens bisher auch keine fondsgebundene Versicherung durchführen konnten. Im Zuge der Einführung der ZielrenteCHEMIE mussten wir daher bei der BaFin die Sparte fondsgebundene Lebensversicherung beantragen. Diese Spartenzulassung für die reine Beitragszusage haben wir jetzt. Dieser Prozess war neu für uns. Außerdem mussten wir unsere Satzung ­anpassen. Wir sind ein Versicherungsverein, haben also eine Vereinsstruktur, bei der die Unternehmen und deren Beschäftigte Mitglieder sind. Entsprechend gibt es bei uns ­eine Vertreterversammlung, bei der über Jahresabschluss, Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats und so weiter abgestimmt wird. Die reine Beitragszusage war dann in diese Organisations- und Statutenstruktur einzubauen.

Sie sagten einmal, dass die ZielrenteCHEMIE niedrige Kosten hat. Wie niedrig sind sie denn?

Jürgen Rings: Wir sind eine steuerbefreite soziale Einrichtung. Das heißt, wir stellen lediglich Selbstkosten in Rechnung. Wir haben über die Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe einen gemeinsamen Geschäftsbetrieb für unsere zwei Pensionskassen und eine Sterbekasse. Darüber hinaus verwalten wir auch Firmendirektzusagen der Trägerunternehmen. Der gesamte Geschäftsbetrieb hat ein Kostenbudget, das sachgerecht umgelegt wird. Gewinnzuschläge gibt es bei uns nicht. Wir haben zwölf Milliarden Euro an Kapitalanlagen und rechnen rund 80.000 Rentner monatlich ab. Wir sind also groß genug, um Skaleneffekte zu erzielen.

Können Sie das ausdrücken in Form einer Reduction in Yield?

Jürgen Rings: Bei der ZielrenteCHEMIE nehmen wir einen niedrigen Kostensatz auf die Beiträge und einen Promillesatz auf die Verwaltung der Anwartschaften und Renten. Das ist im technischen Geschäftsplan geregelt und damit auch von der BaFin genehmigt. Selbst wenn wir einmal einen zu ­hohen Kalkulationssatz nehmen und den am Ende nicht benötigen – das weiß man ja am Anfang nicht so genau –, fließt das wieder zurück an die Versicherten. Daher wird das jährlich vom Aktuar überprüft. Abschlussprovisionen fallen bei uns nicht an.

Und was müssen Sie Fidelity bezahlen?

Jürgen Rings: Dass das ein kosteneffizientes Produkt wird, war für uns ein wichtiger Aspekt. Daher findet die Anlage in ETFs statt. Es handelt sich dabei ja um ein Portfolio, das langsam wächst, weil am Anfang nur kleine Beiträge reinkommen. Wir brauchten daher ein starkes Commitment von Fidelity, um das Produkt insbesondere in der Anfangsphase nicht zu stark mit Kosten zu belasten. Insgesamt ­haben wir 40 bis 45 Basispunkte Kapitalanlagekosten. Ab bestimmten Volumina gibt es Anpassungen. Das ist ebenfalls in den Verträgen enthalten.

Wie läuft das, wenn ein Unternehmen außerhalb der engeren Chemiebranche mitmachen will, z.?B. ein Metallunternehmen?

Jürgen Rings: Die gehen erst mal zu ihren eigenen Tarifparteien.

Lutz Mühl: Das Sozialpartnermodell funktioniert ja so, dass es immer eine tarifvertragliche Basis braucht. Das kann – wie bei uns – ein Flächentarifvertrag oder ein Haustarifvertrag sein. Nur damit kann das Unternehmen eine reine Bei­tragszusage erteilen. Wenn ein Unternehmen nicht tarif­gebunden ist, wird es schwierig. Wir haben die ZielrenteCHEMIE natürlich in erster Linie für unsere tarifgebun­denen Mitglieder, also für die Mitglieder der IGBCE und der Chemiearbeitgeberverbände und deren Beschäftigte, entwickelt. Wenn es im Einzelfall andere gibt, die auch Interesse haben, sprechen wir darüber und schauen, ob es rechtlich möglich ist und ob es passt. Wenn es aber ein Unternehmen ist, das in einem völlig anderen Tarifbereich organisiert ist und damit anderen Tarifverträgen unterliegt, die kein Sozial­partnermodell zulassen, dann ist auch der Weg in das Sozial­partnermodell der Chemie und die Zielrente­CHEMIE nicht möglich.

Weshalb haben Sie so ein bisschen die Luft angehalten, als ich die Metaller genannt habe?

Lutz Mühl: Wie gesagt, wir bauen Modelle für die Mitgliedsunternehmen der Chemiearbeitgeberverbände – und wir geben auch keine Empfehlungen an andere Branchen, ­welche tarifvertraglichen Systeme die aufbauen sollen. Ein Unternehmen, das im Metalltarif gebunden ist, kann – Stand jetzt – rein rechtlich schon nicht in unser Sozialpartnermodell kommen.

Elvira Wittke: Wir können das Kind ja beim Namen nennen. Die IG-Metall war letztes Jahr kurz davor, die Möglichkeit für ein SPM in ihrem Tarifvertrag vorzusehen; da hat nicht mehr viel gefehlt. Dann hat der Gewerkschaftstag aber erst mal einen Riegel davorgeschoben. Es braucht ja nicht nur Know-how, sondern auch Ressourcen, um ein SPM zu entwickeln und auf die Beine zu stellen. Auch andere Einzel­gewerkschaften müssen sich überlegen, ob sie diesen langen Weg gehen können, ohne dass ihnen zwischendurch die Puste ausgeht. Ich glaube, dass einige von ihnen versuchen werden, irgendwo anzudocken.

Wird sich hier durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz II, das ja in Arbeit ist, etwas ändern?

Lutz Mühl: Für das BRSG II gibt es ja schon einen Regierungsentwurf. Darin werden neue Wege beschrieben, aber es braucht immer die Zustimmung sowohl der aufnehmenden als auch für die jeweilige Branche zuständigen Sozialpartner. Ob die IG Metall dem Beitritt eines Unternehmens in ein Chemie-SPM zustimmen würde, das müssen Sie die Kollegen von der IG-Metall fragen. Viel wahrscheinlicher ist, dass wir erst mal über Unternehmen reden, die aus dem ­Organisationsbereich Chemie, Pharma und den benachbarten befreundeten Branchen stammen, für die auch die IGBCE zuständig ist.

Elvira Wittke: Ja, ich glaube auch, dass erst mal die Unter­nehmen, die in den satzungsgemäßen Bereich unserer Organisation fallen, im Fokus stehen. Der Entwurf für das BRSG II sieht vor, dass nur die Unternehmen andocken können, die zumindest teilweise unter den satzungsgemäßen Zuständigkeitsbereich der schon vorhandenen Sozialpartner fallen. Die IG Metall würde zum Beispiel nicht unter unseren satzungsgemäßen Organisationsbereich fallen. Wir wollen uns ja keine Konkurrenz machen, und schon gar nicht wollen wir in ein Schlichtungsverfahren rein.

Wann fließt das erste Geld in die ZielrenteCHEMIE?

Christof Quiring: Die ersten Beiträge werden wir voraussichtlich ab Januar investieren.

Jürgen Rings: Ja, so sieht es derzeit aus. Das Ganze ist ja so angelegt, dass wir als Einrichtung rund 600 Mitgliedsunternehmen betreuen, die ihre tarifliche Altersversorgung mit uns machen – bisher ausschließlich mit Garantietarifen. ­Diese Systeme sind mit Betriebsvereinbarungen ausgefüllt. Als Kasse beenden wir jetzt kein Modell, sondern wir führen lediglich eine neue Option für die Arbeitgeber und ­deren Beschäftigte ein. Die Unternehmen können sich das anschauen, und wir informieren entsprechend. Das ist ja auch Frau Wittke wichtig, dass wir den Beschäftigten und den Belegschaftsvertretern genauso wie den Personalabteilungen erst einmal ausführlich erklären, wie es funktioniert. Wir fahren da gern zu den Unternehmen. Wenn so ein Termin zwei Stunden dauert, dann ist das eben so. Und wenn es drei sind, sind es eben drei. Wichtig ist, dass wir nichts ­verkaufen. Wir erklären das neue Konzept und bringen es nahe. Entscheiden müssen dann die Unternehmen.

Haben Sie eine Schätzung, welches Volumen Ende 2025 drin sein wird?

Jürgen Rings: Das lässt sich etwa so rechnen: Rein bezogen auf den Grundbeitrag in der tariflichen Altersversorgung Chemie inklusive Sicherungsbeitrag sind es etwa 700 Euro im Jahr. Wenn dann die ersten Firmen mit 1.000 Anmeldungen kämen, sind die ersten 700.000 Euro drin – zumindest in dieser Größenordnung. Dann kommt die nächste Firma und so weiter.

Lutz Mühl: Als Sozialpartner haben wir den Vorteil, dass wir mit bestehenden Institutionen agieren, die stabil und nicht auf sofortige Erträge angewiesen sind. Die nehmen das als zusätzliches Angebot mit in ihr Portfolio auf. Natürlich ist es unser Ziel, dass dieses Angebot wächst und eine entsprechende Anziehungskraft entwickelt. Aber wir sind nicht darauf angewiesen, dass es zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine bestimmte Benchmark erreicht haben muss, um überleben zu können.

Das hört sich sehr selbstlos an.

Lutz Mühl: Wir sind daran interessiert, dass die bAV auf Basis des SPM Verbreitung findet, weil wir überzeugt sind, dass es für die Unternehmen ein attraktiver Weg ist, und weil es für die Beschäftigten eine attraktive Versorgung ermöglicht. Wir glauben aber auch, dass, wenn wir diesen Weg nicht gehen, im politischen Raum vielleicht irgendwann Entscheidungen anstehen, die uns zu anderen Versorgungslösungen verpflichten, die wir ungern hätten. Das ist im Entwurf für das BRSG II jetzt ja auch schon so angelegt. Wir sind in der Branche immer so unterwegs, dass wir lieber selbst gestalten, als gestaltet zu werden.

Was waren denn von der Arbeitnehmerseite die größten Brocken oder die größten Bedenken bei der Einführung?

Elvira Wittke: Ein SPM ist eine Altersversorgung basierend auf einem Modell ohne Garantien. Da muss natürlich in den Köpfen erst mal ein Umdenken passieren. Die Menschen müssen davon überzeugt werden, dass die Möglichkeiten, die dieses Modell bietet, deutlich attraktiver sind als die klassischen Garantieprodukte, die eben viel Geld kosten, um die Garantien zu finanzieren. Gerade Mitarbeiter der ­älteren Generation wollen gern wissen: Was kriege ich am Ende an Rente raus? Die Rentenhöhe beim SPM hängt ja von einer Simulation ab und ist keine feste Größe. Die ­Jüngeren, auf die das Modell ja auch eher ausgelegt ist, sind da schon ein bisschen offener und flexibler, was die Anla­geform anbetrifft. Aber auch hier war es wichtig zu erklären, dass es auch ohne Garantien geht und damit eine sehr ­attraktive betriebliche Altersversorgung gewährleistet werden kann.

Was hat bei der Überzeugungsarbeit am meisten geholfen?

Elvira Wittke: Es heißt ja Sozialpartnermodell. Geholfen hat, dass das nicht eine Sache ist, die von der Arbeitgeberseite ­allein gemacht wurde, sondern wir waren bei der Entwicklung als Sozialpartner gleichberechtigte Partner. Das gibt der Arbeitnehmerschaft ein gewisses Vertrauen in das Modell, weil wir an sämtlichen Verträgen beteiligt waren. Anschließend hat die BaFin die Unbedenklichkeit erklärt – auch das schafft Vertrauen. Wenn sich Betriebsräte an mich wenden, weil sie von der Arbeitgeberseite Verträge vorgelegt bekommen, dann schwingt da oft ein gewisses Misstrauen mit. Nach dem Motto: „Ist das auch alles rechtens, was da jetzt geregelt werden soll?“ Dann beruhigt es, wenn wir sagen können, dass das Modell unter unserer Beteiligung ent­wickelt wurde.

Was wünschen Sie sich vom Betriebsrentenstärkungsgesetz 2.0?

Elvira Wittke: Im Regierungsentwurf sind einige Dinge enthalten, die wir mitentwickelt haben und die auch entsprechend umgesetzt wurden. Was aber definitiv fehlt, ist die Problematik der Garantieabsenkung bei der beitragsorientierten Leistungszusage. Das wird zwar teilweise von Seiten der Arbeitgeber gemacht – in geringem Umfang –, aber ­eine hundertprozentige Rechtssicherheit gibt es da noch nicht. Im Zweifel wird das mal das Bundesarbeitsgericht ­entscheiden, weil die Subsidiärhaftung der Arbeitgeber ­immer noch als Damoklesschwert da ist. Da hätte man sich vom Gesetzentwurf schon ein bisschen mehr Klarheit gewünscht. Was im Gesetzentwurf aber jetzt gut verankert ist, ist die Beteiligung an der Steuerung und Durchführung des Sozialpartnermodells. Jetzt ist klar: Wer an ein bestehendes SPM andockt, muss sich nicht unbedingt an der Durchführung und Steuerung beteiligen. Er kann es an diejenigen übertragen, die das sowieso schon machen. Im jetzigen Gesetzentwurf ist klar geregelt, dass eine fehlende Beteiligung nicht zur Unwirksamkeit des gesamten Sozialpartnermodells führt. Das ist eine gute Sache!

Lutz Mühl: Der Kabinettsbeschluss geht jetzt in das parlamentarische Verfahren, und die Dinge, die im Entwurf zum BRSG II angefasst werden, sind aus unserer Sicht im Großen und Ganzen okay. Bei den Abfindungsmöglichkeiten hätten wir uns mehr Mut gewünscht, sodass man kleine Anwartschaften bis zu einer höheren Grenze abfinden kann. Im Detail haben wir auch noch ein paar Ideen, wie man es möglich machen kann, dass Unternehmen aus benachbarten Branchen noch leichter an ein bestehendes SPM an­docken können, und wir möchten, dass sich die Lösungen, die wir in unseren Modellen hierfür bereits gefunden ­haben, auch zweifelsfrei im Gesetz wiederfinden. Das Ganze sollte ja möglichst smooth und einfach funktionieren.

Bei der Garantiefrage, da hätten wir uns – genauso wie Frau Wittke – wirklich Klarheit gewünscht. Und beim § 6a Einkommensteuergesetz, da hätte sich der Gesetzgeber auch ­bewegen können. Das war vielleicht nicht wirklich zu erwarten, aber notwendig wäre es trotzdem.

Wir danken für das Gespräch!

Anke Dembowski

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