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Nachranganleihen sind komplexe Instrumente und dadurch ein Spielfeld ausschließlich für Profianleger.
Nachranganleihen bieten Investoren als eigenkapitalähnliche nachrangige Schuldverschreibungen zwar höhere Renditen als die Senior-Anleihen des gleichen Emittenten, weisen jedoch auf den ersten „formalen“ Blick wesentlich höhere, teilweise unendliche Laufzeiten auf. Da sich in der Praxis nur die wenigsten Investoren extrem lang binden wollen, stehen in den Anleihenbedingungen regelmäßige Call-Termine, zu denen der Emittent die Anleihe „callen“, also vorzeitig tilgen, kann. Es ist Usus, dass Emittenten den ersten Call-Termin wahrnehmen, tilgen und im Idealfall eine neue Nachranganleihe auflegen. Dadurch können Emittenten wie bei der gecallten Anleihe auch das ausstehende Volumen der neuen Nachranganleihe zu 50 Prozent dem Eigenkapital laut S&P-Regulativ anrechnen und damit in den Augen der Bonitätswächter die Verschuldungsquote niedrig halten. Detail am Rande: Um Missbrauch seitens der Emittenten über eine exzessive Ausgabe von Nachranganleihen zu verhindern, hat S&P einen „Decke“ eingezogen – Emissionsvolumen, das über 15 Prozent des Gesamtkapitals hinausgeht, wird von S&P nicht als Eigenkapital anerkannt.
Interessenabwägung
Aufgrund der genannten Call-Praxis betragen die tatsächlichen Laufzeiten zwischen fünf und sechs Jahre. Während in der Periode bis zum ersten Call-Termin in der Regel eine fixe Verzinsung besteht, ändert sich dies nach dem Verstreichen eines Call-Termins auf eine variable, deutlich höhere Verzinsung. Diese basiert auf einem Referenzzinssatz (Geldmarkt) plus einem Risikoaufschlag, der oftmals nach jedem weiteren nicht genutzten Kündigungstermin ansteigt (Step-up-Kupon) und damit Emittenten aufgrund der nunmehr immer höheren Zinsbelastungen zur Tilgung motiviert.
Eine Nichttilgung beim ersten Call-Termin oder auch ein Aussetzen der Kuponzahlungen führt im Gegensatz zu traditionellen Anleihen nicht zu einem Default. Dem Emittenten drohen jedoch von anderer Seite her finanzielle Nachteile – selbst wenn er „callt“, aber Anlegern keine vergleichbare Folgeanleihe als Ersatzinvestment offeriert. Laut Angaben von Aramea AM aus Hamburg verlieren in diesem Fall (fast immer) alle anderen ausstehenden Hybridanleihen dieses Emittenten ihre 50-prozentige Anrechnung auf das Eigenkapital seitens der Ratingagentur S&P. „Dies kann die Kreditkennzahlen und das Rating unter Druck bringen – auch für das Senior Funding“, erklärt Aramea-Vorstand Sven Pfeil. Zusätzlich sinkt – aufgrund der nunmehr offensichtlich doch nur kurzen Laufzeit der gecallten Hybridanleihe – die bilanzielle Eigenkapitalquote laut den internationalen Buchhaltungsstandards IFRS. Während ein Call ohne „Replacement“ über eine Folgeanleihe zumindest die Reputation des Emittenten wahrt und damit zukünftige Anleihenemissionen erleichtert, sieht es im Alternativszenario, also bei einem Nicht-Call, nachteiliger aus.
Eine noch immer existierende nicht gecallte Nachranganleihe verliert trotz ihrer nunmehr sehr langen Restlaufzeit ihre 50-prozentige Eigenkapitalanrechnung bei S&P. In der Folge können sich auch hier die Kreditkennzahlen und damit dann das Rating des Unternehmens verschlechtern. Ein weiterer gewichtiger Malus ist die geschädigte Reputation des Emittenten, die zukünftige Kapitalmarktzugänge erschwert oder zumindest verteuert. Aus IFRS-Sicht wird die noch immer existierende langlaufende Nachranganleihe gerade wegen der Nichtkündigung jedoch zu 100 Prozent dem Eigenkapital angerechnet.
Verlängerungsrisiko sorgt für Unruhe
Angesichts der genannten finanziellen und imagemäßigen Nachteile müssen Emittenten sorgsam abwägen, ob sich ein Nicht-Call für das Unternehmen langfristig rechnet. Oftmals sind Firmen zu diesem drastischen Schritt geradezu gezwungen, wenn beispielsweise aufgrund schwerer Marktverwerfungen der Primärmarkt für Neuemissionen „geschlossen“ ist oder neue Papiere nur zu sehr ungünstigen, sprich teuren Preiskonditionen platziert werden können. Als Beispiel dafür gelten die zwei Immobilienkonzerne Aroundtown und deren Tochter Grand City Properties. Beide Gesellschaften mussten ihre Investoren im Spätherbst 2022 darüber informieren, die Calls bei zwei ihrer im Januar 2023 „fälligen“ Nachranganleihen nicht zu ziehen und damit das Verlängerungsrisiko (Extension Risk) schlagend werden zu lassen. Dieser Schritt erfolgte trotz der damit einhergehenden höheren Zinskupons bei diesen beiden Hybriden, deren Zinskosten aber noch immer niedriger sind als die von Investoren im Herbst geforderten Renditen gänzlich neuer Nachranganleihen.
Das Eintreffen eines Verlängerungsrisikos oder auch nur eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür löst bei vielen Marktteilnehmern Fire Sales aus, die hartgesottene Investoren über das Aufsammeln dieser unter Verkaufsdruck stehenden Papiere zu ihrem Vorteil nutzen können. „Anleger neigen dazu, das Extension Risk in schwierigen Marktphasen zu überschätzen, und entsprechend kommt es hier zu interessanten Fehlbewertungen und Chancen auf Alpha“, erklärt Pfeil und verweist dabei auf Fluggesellschaften und Hotelbetreiber, die trotz eines katastrophalen wirtschaftlichen Umfelds während der Coronakrise die Calls aussprachen, um ihre Reputation als Emittent zu bewahren. Sich allein auf diesen Faktor verlassen sollten sich Investoren aber keineswegs.
Profis werfen einen Blick auf das Gesamtpaket aller ausstehenden Anleihen eines Unternehmens. „Bei Emittenten, die nur eine Nachranganleihe ausstehen haben, ist das Extension Risk anders zu betrachten als bei Emittenten mit einer kompletten Zinsstrukturkurve. Letztere wollen den Markt regelmäßig anzapfen und können es sich daher nicht leisten, die Investoren zu verärgern“, empfiehlt Pfeil.
Ein Problem auf breiter Ebene für Hybridanleihen sieht DWS-Portfoliomanager Michael Liller nicht: Die DWS bewertet Kündigungsrisiken für den Hybridmarkt als moderat. „Wir erwarten nicht, dass daraus ein systemisches Risiko für Corporate Hybrids entsteht.“