Klarere Regeln
Dank der Stiftungsrechtsreform gilt für deutsche Stiftungen ab 1. Juli 2023 ein bundeseinheitliches Stiftungsrecht. Die Reform gibt Stiftungen in vielen Punkten Klarheit, in einigen Bereichen auch mehr Flexibilität.

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Schon seit Langem wünschten sich deutsche Stiftungen einen rechtlichen Rahmen, der ihnen mehr Flexibilität zubilligt. Mit der Stiftungsrechtsreform, die im Sommer 2021 verabschiedet wurde und die am 1. Juli 2023 in Kraft tritt, ist der Gesetzgeber ihren Wünschen ein gutes Stück näher gekommen. Nun müssen sich die betroffenen Körperschaften die Frage stellen, ob für sie bis zum 1. Juli noch Handlungsbedarf besteht, denn dies wird mitunter durchaus der Fall sein. „Ich würde mir jetzt als Stiftungsvorstand meine Satzung genau ansehen und prüfen, ob es Änderungsbedarf gibt“, meint Mark Uwe Pawlytta, Partner bei KPMG Law in Frankfurt und dort Leiter für Nachfolge- und Stiftungsrecht. Er war auch in den politischen Prozess der Stiftungsrechtsreform eingebunden. „Der begann 2014 und hat sich bis 2021 hingezogen“, so Pawlytta, „wir erleben jetzt nach mehr als 120 Jahren die größte Reform des Stiftungsrechts. Das BGB wurde 1896 verabschiedet. Es enthält einige Regelungen für Stiftungen.“ Insbesondere fünf Änderungen der Stiftungsrechtsreform sind hervorzuheben:
• Erleichterte Möglichkeit, die Stiftungssatzung zu ändern
• Vereinheitlichung des Stiftungszivilrechts in Deutschland
• Haftungserleichterungen für Stiftungsvorstände durch Einführung der sogenannten Business Judgement Rule
• Neue, einheitliche Vermögensstruktur für alle Stiftungen
• Einführung eines Stiftungsregisters auf Bundesebene
Aktuell türmt sich die Arbeit auf Pawlyttas Schreibtisch. „Das neue Stiftungsrecht enthält Erleichterungen dazu, wann und wie eine Stiftungssatzung geändert werden kann“, sagt er. Früher konnten Stiftungen nur in wenigen Ausnahmefällen ihre Satzung in wichtigen Punkten ändern. „Der Grund dafür liegt darin, dass Stiftungen keine Mitglieder und keine Anteilseigner haben, sondern nur einen Vorstand. Der Gesetzgeber muss hier also aufpassen, dass die Wünsche des Stifters weiter berücksichtigt werden“, erklärt Pawlytta. Viele Stifter und Stifterinnen hatten sich aber gewünscht, dass sie zumindest als Stifter noch Satzungsänderungen vornehmen dürfen, denn die meisten gründen, wenn überhaupt, nur einmal eine Stiftung, und da kann beim ersten Wurf schon mal die Satzung nicht 100-prozentig passen. „Ein solches Korrekturrecht hat der Gesetzgeber zwar nicht eingeführt. Jetzt gibt es aber eine sinnvolle Möglichkeit, im Rahmen der Anpassung der Satzung an die Stiftungsrechtsreform auch weitere Modernisierungen vorzunehmen“, so Pawlytta. „Ich empfehle, von den erleichterten Möglichkeiten zur Satzungsänderung noch vor dem 1. Juli 2023 Gebrauch zu machen. Die Flexibilisierungsmöglichkeiten, die das neue Recht bietet, müssen nämlich in der Satzung stehen.“
Die Zeit für entsprechende Satzungsänderungen ist knapp. Zwar kann auch nach dem 1. Juli 2023 die Stiftungssatzung geändert werden, doch gelten dann die neuen gesetzlichen Änderungsvoraussetzungen. Es steht aber zu vermuten, dass die Stiftungsaufsicht in den ersten Monaten nach dem 1. Juli Änderungsanträge noch großzügiger behandeln wird. Schließlich türmen sich auch bei den Aufsichten die Anfragen, und in manchen Fällen wird man es nicht schaffen, alle rechtzeitig zu bearbeiten.
Melanie Kühlborn-Ebach ist froh, dass Satzungsänderungen jetzt einfacher werden sollen. Sie ist Geschäftsführerin der LMM Investment Controlling GmbH und Vorstandsmitglied der Anna von Gierke-Stiftung: „Viele kleinere Stiftungen haben sich wirklich durch die Niedrigzinsphase plagen müssen und konnten kaum Geld verdienen, das sie für ihren Stiftungszweck ausgeben konnten. Jetzt können sie ihre Satzung beispielsweise dahingehend umstellen, dass sie sich von einer Ewigkeitsstiftung in eine Verbrauchsstiftung umwandeln.“ Künftig können Stiftungen auch ihren Namen oder ihren Sitz verändern, zumindest hofft das Kühlborn-Ebach: „Wir sind fünf Stiftungsvorstände, vier davon kommen aus dem Rhein-Main-Gebiet. Auch der Großteil der Spendengelder kommt aus dem Rhein-Main-Gebiet. Es macht für uns keinen Sinn, dass die Stiftung in Hamburg sitzt. Seit fünf oder sechs Jahren bemühen wir uns, den Stiftungssitz von Hamburg nach Frankfurt zu verlegen, aber Hamburg sperrt sich dagegen. Meine Hoffnung ist, dass wir mit einer Satzungsänderung nun auch den Sitz ändern können.“
16 Landesstiftungsrechte eingeebnet
Bundesweit galten bisher nur die Stiftungsregelungen aus dem BGB. Die übrigen Anforderungen stehen in 16 Landesstiftungsrechten und unterscheiden sich teilweise sehr. „In der Praxis war das oft eine Herausforderung“, meint Pawlytta, „das BGB war lückenhaft. Im Lauf der Zeit haben die Bundesländer in ihren Landesgesetzen diese Lücken ausgefüllt und darüber hinaus noch viel mehr geregelt. So entstanden viele Unterschiede zwischen den Landesgesetzen und der berüchtigte Flickenteppich. Man hat das einfach laufen lassen!“
Nun hat der Gesetzgeber die neun Stiftungsregelungen aus dem BGB um rund weitere 30 Vorschriften ergänzt, und die gelten dann bundesweit für alle Stiftungen von Flensburg bis Berchtesgaden. „Die Bundesländer sind allerdings nicht komplett raus. Sie haben weiterhin die Stiftungsaufsicht. Aber das Zivilrecht, das sie anwenden, ist einheitlich“, freut sich Pawlytta, dass der Flickenteppich an Vorschriften endlich weitestgehend ein Ende hat.
Einen Flexibilitätsschub sieht Kühlborn-Ebach durch das neue Stiftungsrecht allerdings nicht. „Vorteilhaft ist schon, dass das Stiftungsrecht jetzt vereinheitlicht wurde. Von einer Modernisierung des Gesetzes würde ich aber nicht sprechen, denn im Prinzip hat man einfach die restriktivsten Sichtweisen, die es in den 16 Bundesländern gab, zugrunde gelegt und in das neue Gesetz gepackt.“ Nun müsse jeder Stiftungsvorstand sehen, welchen Impact das auf seine Stiftung hat.
Im neuen Gesetz wird klar unterschieden zwischen „Grundstockvermögen“ und „sonstigem Vermögen“. „Vorher gab es diese Unterscheidung in der Praxis zwar auch, aber sie war nicht verschriftlicht, sondern quasi ungeschriebenes Recht“, erklärt Pawlytta. Das Grundstockvermögen einer Stiftung muss erhalten werden, während das sonstige Vermögen für den Stiftungszweck ausgegeben werden kann. Mit der neuen Definition haben Aufseher und Finanzämter jetzt klare Vorgaben. „Den Stiftern gibt das mehr Sicherheit, denn diese sind ja nicht immer Stiftungsprofis“, weiß Pawlytta. Auch wenn das Grundstockvermögen ungeschmälert zu erhalten ist, darf es trotzdem umgeschichtet werden. „Wenn man in einem Unternehmen investiert war, das zum Beispiel Schreibmaschinen herstellte, dachten manche Stiftungsvorstände, sie müssten immer da drin bleiben“, zeichnet Pawlytta ein plastisches Bild. Es liegt auf der Hand, dass Stiftungen die Jahrhunderte mit Modernisierungen, Revolutionen und Weltkriegen nur überdauern können, wenn sie ihr Vermögen auch mal umschichten dürfen. „Bislang war aber unklar, wie etwa mit Gewinnen aus einer Umschichtung des Grundstockvermögens umzugehen ist. Nicht selten hing die Entscheidung darüber an der zuständigen Person in der Stiftungsaufsicht. Hier bringt das neue Gesetz erfreuliche Klarheit. Zukünftig kann die Stiftung grundsätzlich entscheiden, ob sie Gewinne aus der Umschichtung im Grundstockvermögen belässt oder für den Stiftungszweck verwendet“, so Pawlytta.
Haftungsbegrenzung für Stiftungsvorstände
Ein weiteres Thema, das die Stiftungsvorstände bedrückt hat, ist die Organhaftung. Die oft ehrenamtlich arbeitenden Stiftungsmitarbeiter befürchteten eine zu große Haftungsgefahr, beispielsweise bei der Kapitalanlage. Läuft es gut, ist alles bestens. Wenn aber eine Anlage mal schlecht performte, schwebte immer das Damoklesschwert der Haftung über dem Vorstand. „Die Haftung der Organe ist jetzt angemessen beschränkt, was sie vorher nicht war“, meint Kühlborn-Ebach. „Stiftungsvorstände müssen jetzt nach der Business Judgement Rule handeln, wie man sie aus dem Aktienrecht kennt. Das bedeutet, dass wir künftig mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers handeln müssen.“ In den Jahren der Niedrigzinsphase haben viele Stiftungsleute überlegt, die Aktienquote zu erhöhen, um das Stiftungsvermögen ertragreicher anzulegen. „Das geht natürlich nicht, wenn der Vorstand befürchten muss, mit seinem Privatvermögen zu haften, wenn mit der Aktienanlage mal etwas nicht so gut läuft. Wir hatten in der Stiftung lange Zeit eine Aktienquote von 20 Prozent und sind in der Niedrigzinsphase vereinzelt auf 50 Prozent hochgegangen. Der Grundtenor war, dass man bis 50 Prozent gehen konnte, aber klar war das nicht“, erläutert Kühlborn-Ebach die bisherige Vorgangsweise.
Außerdem habe die Reform klargestellt, dass Umschichtungsgewinne – beispielsweise aus Aktien oder Immobilien – entweder dem Grundstock zugeführt oder für den laufenden Stiftungszweck verbraucht werden dürfen. Diese Freiheit ist neu. „Bisher war das nur möglich, wenn die Satzung das ausdrücklich so vorgesehen hat“, erklärt Kühlborn-Ebach.
Einführung eines Stiftungsregisters
Darüber hinaus wird durch das neue Stiftungsrecht ein bundeseinheitliches Stiftungsregister eingeführt. Ähnlich wie beim Handelsregister soll damit Publizität geschaffen werden. „Wenn Sie mit einer Stiftung Geschäfte machen, müssen Sie wissen, wer die Stiftung vertritt. Natürlich der Vorstand, aber welche Person genau?“, so Pawlytta. „Bisher gibt es keine Stiftungsverzeichnisse mit echter rechtlicher Relevanz. Die Verzeichnisse in den einzelnen Bundesländern sind oft lückenhaft und veraltet.“ In der Praxis hat man sich daher mit Vertretungsbescheinigungen beholfen, die sich die Stiftungsvorstände jeweils von ihrer Landesaufsicht ausstellen lassen mussten. Darin stand, wer gerade für die Stiftung vertretungsberechtigt ist.
Eingeführt wird das neue Stiftungsregister 2026. Ähnlich wie beim Handelsregister sind die Stiftungen ab 2026 verpflichtet, sich darin eintragen zu lassen. Mit dieser Zwangseintragung sind aber nicht alle Stiftungen glücklich, denn „es ist noch nicht ganz klar, was öffentlich einsehbar sein wird“, erklärt Pawlytta. Die Asset Manager dürften sich über die neu gewonnene Transparenz freuen, denn sie können dann nicht nur die Stiftungssatzung einsehen, sondern auch die Größe der Stiftung und gegebenenfalls welche Anlageregeln gelten. „Ein großes Thema ist, dass das Register auch für Familienstiftungen verpflichtend wird. Da pochen viele auf die Sicherheit und den Persönlichkeitsschutz. Leider gab es ja einige Fälle, die diese Sorgen untermauern“, meint Pawlytta. Er beobachtet, dass einige Stifter bereits überlegen, ihre Stiftung außerhalb Deutschlands zu errichten, wo es kein öffentlich einsehbares Register gibt.
Fusionen ermöglicht
Ein Wunsch der Stiftungsvorstände war, dass Stiftungen zusammengelegt werden können, um Skaleneffekte zu heben. „Dieses Thema kam besonders in der Zeit der Niedrigzinsphase auf. Mit den niedrigen Zinsen schafften es einige Stiftungen nicht, viel mehr als ihre Verwaltungskosten zu erwirtschaften. Für den Stiftungszweck blieb dann kaum noch etwas übrig“, so Kühlborn-Ebach. Durch Zusammenlegungen könnte man größere und wirtschaftlichere Einheiten schaffen. In der Vergangenheit haben die Landesaufsichten Stiftungszusammenlegungen ganz unterschiedlich gesehen. „Nur in einigen der 16 Bundesländer gab es überhaupt konkrete Regelungen dazu, und diese unterschieden sich häufig. Nun gibt es eine bundeseinheitliche Regelung“, erklärt Pawlytta. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten für Stiftungsfusionen: die Zusammenlegung und die Zulegung. Von Zusammenlegung spricht man, wenn zwei Stiftungen zusammengehen und zu einer neuen Stiftung werden. Von einer Zulegung wird gesprochen, wenn eine relativ kleine Stiftung in einer großen und gesunden Stiftung aufgeht. Üblicherweise haben sie einen ähnlichen Stiftungszweck. Die kleine Stiftung wird von der großen Stiftung „aufgesaugt“ und verschwindet vom Markt. Sowohl für die Zusammenlegung als auch für die Zulegung hat der Gesetzgeber hohe Anforderungen festgelegt. Der Stiftungszweck darf nicht mehr erfüllbar oder sinnvoll erreichbar sein. „Hier hätte ich mir gewünscht, dass es leichter geht“, sagt Pawlytta und erklärt, warum: „In den 90er-Jahren konnten Sie mit nur 30.000 oder 40.000 Euro eine Stiftung aufsetzen. Heute brauchen Sie in vielen Fällen mindestens 200.000 Euro, und manche Aufsichtsbehörden haben auch schon mal erheblich mehr verlangt.“ Aus früheren Zeiten gibt es aber noch viele unterkapitalisierte Stiftungen. „Was wollen Sie machen, wenn der Vorstand alt ist oder nicht mehr handeln kann?“, meint Pawlytta und weiter: „Dahindümpelnde Stiftungen sind ein Albtraum! Es wäre daher sinnvoll, wenn die Anforderungen weniger streng gestaltet worden wären, damit auch der Stiftungsmarkt die Möglichkeit hat, sich zukunftsgerichtet aufzustellen.“
Im Sommer 2020 gab es den Vorschlag zur Einführung einer „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“. Diese sollte eine Form nachhaltigen Unternehmertums sein, ergänzend zur Rechtsform der Stiftung. Kühlborn-Ebach zuckt mit den Schultern: „Ich habe davon schon länger nichts mehr gehört, aber ich sehe es nicht als Alternative zur klassischen gemeinnützigen Stiftung, eher als ein Modell für Familienunternehmen. Die Stiftung ist per se ein gutes Instrument, um Gutes zu tun!“ Pawlytta meint: „Unser Eindruck ist, dass darüber in der Ampelkoalition schon noch gesprochen wird und sich das Thema durchaus noch konkretisieren kann.“ Hier muss man abwarten, ob die neue Gesellschaftsform eingeführt wird. Anke Dembowski