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1/2023 | Produkte & Strategien

Grenzenlose Risiken

Der globale Klimawandel ist genau das: global. Die damit verbundenen finanziellen Risiken fallen unter die Kategorie „Transitionsrisiken“ und sind es ebenfalls:?global. Besonders gut verstanden werden sie bislang jedoch nicht.

Bekanntlich ist es eher unmöglich, physische Klimarisiken an der eigenen Landesgrenze zu stoppen. Eine brandaktuelle Studie legt nahe, dass das auch auf finanzielle Transaktionsrisiken zutrifft – ein Sachverhalt, der Investoren ebenso zu denken geben muss wie überregionalen und nationalen Regulatoren. 
Bekanntlich ist es eher unmöglich, physische Klimarisiken an der eigenen Landesgrenze zu stoppen. Eine brandaktuelle Studie legt nahe, dass das auch auf finanzielle Transaktionsrisiken zutrifft – ein Sachverhalt, der Investoren ebenso zu denken geben muss wie überregionalen und nationalen Regulatoren. 

© belyaaa | stock.adobe.com

Die jüngsten Schlagzeilen zum Klimawandel sind nach wie vor nicht besonders ermunternd: ­„Rekorddürre bereits im Winter“ betitelt etwa das „Handelsblatt“ eine Geschichte über den Klimawandel in Frankreich. Etwas profaner, für die lokale Bevölkerung ­jedoch gleichfalls existenzgefährdend die lakonische Headline „Skifahren ohne Schnee“ der „Frankfurter Rundschau“.

Je virulenter und schlagzeilenträchtiger die realen Symptome des Klimawandels werden, desto höher die daraus folgenden Risiken, die nicht nur physischer, sondern auch nicht physischer Natur sind – um Letztere geht es an dieser Stelle. Wir sprechen hier von Risiken, die nicht nur geografisch, sondern auch markttechnisch grenzüberschreitend sind. So können beispielsweise regulatorische Änderungen in Land A zu Marktverwerfungen in Land B führen. Von selbsterfüllender Wichtigkeit ist die Unterscheidung in physische und nicht physische Klimarisiken allerspätestens, seit sich die EZB dieser Thematik angenommen hat. Im „Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken – Erwartungen der Aufsicht in Bezug auf Risikomanagement und Offenlegungen“, der „bedeutende Institute“ seit Frühjahr 2021 dazu anhält, Abweichungen von eben jenem Leitfaden zu melden, werden Klima- und Umweltrisiken in „physisches Risiko“ und „Transitionsrisiko“ unterteilt (siehe Infokasten „Klimatische Risikounterscheidung“). Unter physischem Risiko versteht man bei der EZB demnach „die finanziellen Auswirkungen eines sich wandelnden Klimas. Zu diesen Auswirkungen zählen unter anderem das häufigere Auftreten extremer ­Wetterereignisse und schrittweise Klimaveränderungen ­sowie die Umweltzerstörung (etwa in Form von Luft- und Wasser­verschmutzung, Verschmutzung von Landflächen, Wasserstress, Verlust an biologischer Vielfalt und Entwaldung).“ Akute physische Risiken entstehen demnach nach extremen Ereignissen wie Dürren, Überschwemmungen und Stürmen.

Für Marktteilnehmer interessanter ist das Transitions- oder Übergangsrisiko. Darunter versteht die EZB „finanzielle Verluste, die Instituten direkt oder indirekt infolge des Anpassungsprozesses hin zu einer kohlenstoffärmeren und ökologisch nachhaltigeren Wirtschaft entstehen können. Dieses Risiko könnte beispielsweise aufgrund recht plötzlich ver­abschiedeter politischer Maßnahmen zum Klima- und ­Umweltschutz, aufgrund des technischen Fortschritts oder aufgrund von Veränderungen bei Markstimmung und

-präferenzen zum Tragen kommen.“

Derzeit läuft ein Evaluierungsprozess, inwieweit die relevanten Banken der Eurozone den umfassenden Leitfaden erfüllen – Nachzügler haben bis Ende 2024 Zeit, die Vor­gaben umzusetzen (siehe auch Link zum EZB Review).

Globale regulatorische Reichweite

Denkt man einen Schritt weiter, wie das Runfeng Yang und Juan-Angel Jiménez-Martin von der Universidad Complutense de Madrid sowie Massimiliano Caporin der von Universitá degli Studi di Padova tun, so wird einem jedoch schnell klar, dass besagte Transitionsrisiken nicht nur in ­einem regionalen Kontext wie der Eurozone, sondern global berücksichtigt werden müssen. „Beispielsweise können ­höhere Energiepreise, ausgelöst durch Dekarbonisierungs­bemühungen, einen gewaltigen überregionalen Einfluss auf alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette ­haben“, heißt es in dem Paper. In ihrer Studie „Measuring the Climate Transition Risk Spillover“ nehmen sie sich deshalb in einem ersten Schritt der Frage an, inwiefern Transitionsrisiken global über Marktgrenzen schwappen. In einem zweiten Schritt berechnen sie, welche Länder tendenziell Ausgangsort und welche Empfänger von Transitionsrisiken sind.

In ihrer Methodik bedienen sie sich zunächst der Vor­arbeit, die Bolton und Kacperczyk in ihrer Studie „Global Pricing of Carbon-Transition Risk“ geleistet haben. Die beiden Autoren kommen dort zum Schluss, dass Transitions­risiken bestehen und Investoren diese auch tatsächlich ­lukrieren. Das Transitionsrisiko machen sie am Gesamtkohlendioxidausstoß eines Unternehmens fest: Je höher der CO2-Ausstoß, desto höher das daraus abzuleitende Transi­tionsrisiko, desto höher die über die Risikokompensation ­erzielten Erträge.

Um die Risikoprämien zu errechnen, ziehen die Autoren die Erträge der Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß von denen mit geringer CO2-Emission ab. In der folgenden ­Regression auf eben diesen Ertrag führen sie die Kontroll­variablen „Marktertrag“ und „Globale Klimaschocks“ ein. Für Letztere ziehen sie den Google-Trends-Index zurate und suchen nach Häufigkeiten der Termini „Klimawandel“ und „Globale Erwärmung“. Zu guter Letzt wird die Variable „Überraschung“ eingefügt. Gemeint ist eine überraschende Änderung des CO2-Risikos. Die Überraschung ergibt sich aus der Exogenität des Ereignisses und kann somit als ­Annäherung an Transitionsrisiken aus dem Ausland interpretiert werden. Nachdem Erträge, der Faktor Markt und die Variable „Globale Klimaschocks“ bekannt sind, lässt sich aus dieser Regression die Überraschung beziehungsweise das Transitionsrisiko herausrechnen. Von 2013 bis 2021 tun das die Autoren für sechs prominente Aktienmärkte beziehungsweise deren Leitindizes: USA, China, Europa inklusive UK, Kanada, Australien und Japan.

Als erstes Resultat weisen die Autoren die kumulierten Transitionsrisiken aus (siehe Grafik „Kumulierte Transitionsrisiken im historischen Kontext“). Und die geben tatsächlich die Intuition der Autoren wider, wonach Transitionsrisiken grenzüberschreitend sind, steigt doch das Transitionsrisiko im Vorfeld des Pariser Abkommens für alle beobachteten Länder an.

Risikofluss

Doch wohin fließen die Risiken? Intuitiv sollten überraschende Risikoänderungen in starken Märkten eher als Quelle von Transitionsrisiken wirken, als wenn solche Risiken ursprünglich in schwächeren Märkten auftreten. Die Autoren wenden das Konzept der 1969 entwickelten Granger-Kausalität an, mit deren Hilfe bestimmt wird, ob eine Zeitreihe für die Vorhersage einer anderen nützlich ist. Sie verwenden die von Hong et al. im Jahr 2009 adaptierte ­Version und berücksichtigen nur Szenarien, in denen das Transitionsrisiko extrem hoch ist, sich also im höchsten Quintil befindet, oder extrem niedrig ist und sich somit im niedrigsten Quintil befindet. Sie paaren nun die untersuchten Märkte in Hoch- und Niedrigrisikoszenarien (für das Hochrisiko­szenario siehe Grafik „Wer wen wann mit CO2-Risiko angesteckt hat“) und errechnen dann eine Nettobilanz aus Risikozu- und -abflüssen. Die Ergebnisse sind relativ markant. Demnach sind die USA bis 2017, also dem Jahr, in dem der ehemalige US-Präsident Donald Trump den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen ankündigte, der mit Abstand größte Netto-Exporteur von Transitionsrisiken und werden dann zu einem Importeur von Übergangsrisiken. Das bedeutet, dass ausländische regulatorische Risiken, beispielsweise aus Europa, das CO2-Risiko für US-Unternehmen erhöht haben. Tatsächlich wurde Europa ziemlich zeitgleich zu einem Netto-Exporteur von derartigen Risiken.

Die Ergebnisse der Studie erhärten jene aus der jüngeren Forschung, wonach CO2-intensives Wirtschaften für Investoren ertragreicher sein könnte als ein möglichst nachhaltiges, CO2-armes Agieren. Nüchtern und aus der Perspektive reiner Renditeoptimierung gesehen scheint also ein Investment in große Unternehmen mit hohem kumuliertem CO2-Ausstoß bei gleichzeitig hoher CO2-Effizienz, die in ­gute ESG-Noten mündet, als nahezu ideales Investment. Aus regulatorischer Sicht ergeben sich demzufolge neue ­Fragen, ob Regulatorien wie der von der EZB herausgegebene „Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken“ tatsächlich die ­erwünschten ­Resultate bringen.

Hans Weitmayr

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